»Salam, hier schreibt Ali-Reza. Ich kannte ihre Mutter gut und verfüge über einen Brief, den ich Ihnen überreichen soll. Es ist wichtig. Für Sie mindestens so sehr wie für mich.«
Ali Najjar glaubt, seine Vergangenheit weit hinter sich gelassen zu haben. Er ist längst in Deutschland angekommen, als Produktdesigner erfolgreich. Der Iran, Teheran, seine Familie sind für ihn eine fremde Welt. Dann erreicht ihn die Nachricht eines Unbekannten. Und alles, woran er bislang festgehalten hat, gerät ins Wanken.
»Du trägst keine Schuld, und du trägst sie doch. Ich schätze, das heißt es, zu leben.«
Das Thema war wirklich interessant, aber es war leider dennoch nicht mein Buch. Der stil war mir zu distanziert, ich hatte keine Verbindung zu den Personen, konnte zu niemandem eine Beziehung aufbauen, alle waren unsymphatisch.
>>...Ich schreibe diesen Brief noch ganz lebendig, aber wenn du ihn liest, spreche ich aus dem Reich der Toten zu dir. Es macht mich traurig, denn ich weiß, dass wir uns nicht werden voneinander verabschieden können, wenn ich an der Schwelle stehe. ...<< „Das Paradies meines Nachbarn“ von Nava Ebrahimi – ein Buch, das sich erst im letzten Drittel für mich persönlich so richtig offenbarte. Die Charaktere blieben bis fast zum Ende sehr undurchdringlich, was es für mich irgendwie schwer machte, das Gesamte wirklich tiefgehend sehen zu können. Auch die Vergangenheit, die eben ein wichtiger Faktor für die gegenwärtigen Handlungen der Personen ist zeigt sich erst nach und nach und das machte es für mich persönlich bis zum letzten Drittel etwas mühsam zu lesen und dem Ganzen zu folgen. Doch dann, als es zum Schlüsselereignis, zum Knotenpunkt sozusagen kommt, begann ich zu verstehen und war mitunter sehr berührt und bewegt vom Schicksal und der Geschichte rund um Ali-Reza & Ali Najjar. Die Autorin lässt hier das Ende auch ein Stück weit offen, sie lässt Raum für eigene Gedanken, das empfand ich persönlich auch etwas schwierig. Grundsätzlich ist die Geschichte erzählt, aber ein paar mehr Antworten wären mir hier doch sehr willkommen gewesen um einfach mit dieser wie ich finde doch letztlich schweren Geschichte gänzlich abschließen zu können. Andererseits wäre hier das klassische Happyend im Hinblick auf das gesamte Werk doch eher unpassend gewesen. Man merkt an meinen Worten vermutlich gut, wie hin und hergerissen ich irgendwie bin, was die Beurteilung dieses Buches angeht. Letztlich hat das Ende mich aber wirklich noch abholen können und klang noch gefühlsmäßig nach, weswegen ich doch gerne 4 von 5 Sternchen vergebe. Allerdings mit dem Hinweis, dass es sich hier um ein doch eher schwieriges Buch handelt, das sich erst zum Ende wirklich öffnet.
Tja. Ich bin echt enttäuscht. Das Buch war ziemlich trocken und ich verstehe immer noch nicht worum es geht. Es war sehr schwer zu verstehen. Vor allem hat mich gestört dass sich die Perspektiven, in den jeweiligen Kapiteln, immer gewechselt haben und es dann noch schwieriger gemacht wurde, zu verstehen von welcher Person gerade gesprochen wird. Ich konnte auch keine Beziehung zu den Charakteren aufbauen, was sehr schade ist. Immerhin muss ich eine Präsentation über dieses Buch machen und habe keine Ahnung was ich jetzt machen soll.
Der Produktdesigner Sina Koshbin befindet sich gerade etwas in der Sinnkrise als er einen neuen Chef bekommt: Ali Najjar, Star der Szene und wie er mit iranischen Wurzeln. Bei Sina beschränken diese sich jedoch auf seinen Erzeuger, dessen Name und Aussehen er geerbt hat, er beherrscht weder die Sprache noch kennt er das Land. Trotzdem verbindet die beiden das Anderssein und als Ali ihn bittet, mit ihm nach Dubai zu reisen, um dort etwas Wichtiges zu erledigen, begleitet er ihn ohne zu wissen, worauf er sich einlässt. Alis Stiefbruder hat ihn dorthin gebeten, denn er muss ihm von der verstorbenen Mutter einen Brief übergeben und es war ihr Wunsch, dass er dies persönlich tut. Warum Ali den Mann nicht treffen will, kann Sina zunächst nicht nachvollziehen, er soll an seiner Stelle zu dem Treffen gehen und den Brief in Empfang nehmen. Die Begegnung rückt bei Sina nicht nur das Bild des exzentrischen Designers zurecht, sondern lässt auch ihn selbst nicht unberührt.
Wie auch in ihrem Debütroman „Sechzehn Wörter“ führt die Journalistin Nava Ebrahimi in „Das Paradies meines Nachbarn“ alte und neue Heimat zusammen. Sie gehört zur Riege der deutschsprachigen Autoren mit Migrationshintergrund, die über die Literatur ihre biografischen Erfahrungen zugänglich machen und sich in ihren Werken zwischen beiden Ländern bewegen und damit die thematische Bandbreite deutlich ausweiten. Die Herkunft ist das scheinbar verbindende Element der beiden Protagonisten, bald wird jedoch klar, dass dies nur äußerlich der Fall ist und dass die Frage nach Identität, geworden oder geschaffen, sich ganz anders bestimmt.
Sina wie auch Ali sind komplexe Charaktere, was sich erst im Laufe der Handlung offenbart. Sina erscheint zunächst recht typisch frustriert in der Midlife-Crisis, bei der Beförderung übergangen, kennt seine künstlerischen Grenzen und die Luft ist aus seiner Beziehung mit Katharina ebenfalls raus. Durch die Konfrontation mit Ali, der in ihm zunächst auch vorrangig den Iraner erkennt, wird die Frage aufgerissen, wie er sich selbst definiert. Aufgewachsen In Deutschland bei einer deutschen Mutter hat er sich nie als Ausländer begriffen, wird aber immer wieder wegen seines Aussehens und Namens dazu gemacht. Der Kontakt zum Vater ist spärlich, er weiß weder, wo dieser sich aktuell aufhält, noch womit er eigentlich sein Geld verdient. Wie viel kann so ein Mann ihm mitgegeben haben bei der Herausbildung seiner Persönlichkeit?
Bei Ali ist die Herkunft klarer, als Geflüchteter konnte er jedoch eine neue Legende über sich selbst schaffen, angepasst an das, was man gerne von ihm hören wollte, so oft wiederholt, dass er es selbst irgendwann glaubte.
„Ich habe keine andere Wahl, wenn ich kein Opfer sein will.“
Seine Rolle hat ihn hart zu sich und zu anderen werden lassen. Angriff als Verteidigungsmethode hat sich im Laufe der Jahre als erfolgreich herausgestellt und so begegnet er den Menschen aggressiv, um seinen Platz zu behaupten, aber auch, um sie nicht zu nah an sich heranzulassen, denn er weiß, dass er dann Gefahr läuft, dass sie hinter die Fassade blicken können, hinter der er seine Vergangenheit gut verpackt in schöne Geschichten versteckt hält. Nun scheint der Tag gekommen, sich dem zu stellen, was vor seiner Flucht gewesen ist. Und der Schuld, die er in sich trägt. Hier kommt eine dritte Figur ins Spiel, die die Handlung in Gang setzt, deren Rolle jedoch lange unklar bleibt, sich dann aber mit einem lauten Knall zeigt, der den gefeierten Designer nochmals in anderem Licht erscheinen lässt.
Die Autorin überlässt es dem Leser, eine Antwort auf die Frage nach der Verantwortung für das Leben eines anderen zu finden, eine Beurteilung von Ali Najjars Schuld vorzunehmen, die er noch als Kind unbedacht und unwillentlich auf sich geladen hat, diesen Flügelschlag eines Schmetterlings, der jedoch für einen anderen lebensbestimmend werden sollte. Unerwartet wird man so essentiellen Fragen ausgesetzt, auf die es keine schnellen und keine einfachen Antworten geben kann. Großartig erzählt mit einem starken Ende, das einem nachdenklich zurücklässt.
Das Paradies meines Nachbarns ist eines dieser Bücher, das ich schon sehr lange auf meinem Regal stehen hatte, aber nie zum Lesen gekommen bin. Auf Empfehlung habe ich es endlich angefangen und innerhalb eine Tages fertig gelesen. Mich fasziniert der Roman auf so vielen Ebenen. Obwohl es sehr oft kritisiert wurde, finde ich diesen kleinen Einblick in das Leben der Protagonisten sehr gut gemacht. Mir war es nicht wichtig zu wissen, mehr über sie zu erfahren, weil das, was sie prägt, was sie ausmacht, was ihnen schlaflose Nächte bereitet, wurde ausreichend thematisiert. Auch sprachlich fand ich den Roman sehr realistisch, weil nichts verschönert wurde. Angliszismen, Fachwörter, Beleidungen, alles wurde richtig eingesetzt und gaben das Gefühl, dass es anders gar nicht sein kann; dass Designer:innen ja tatsächlich so reden würden. Realistisch fand ich aber auch die Handlung an sich. Kriegstrauma ist nicht zu unterschätzen, auch wenn man ihn selbst nie direkt erlebt hat. Durch intergenerationelles Trauma wird das mitgegeben und weitergetragen. Sich davon loszulösen ist keine Einfachheit. Abgesehen davon fand ich die Beschreibung der Deutschen, die sich über Kriegsgeschichten immer freuen und keinerlei Grenzen bei der ständigen Fragerei haben, sehr akkurat. Alles in allem: ein Roman, den ich empfehlen würde. Nicht unbedingt, weil er unterhaltsam ist, sondern eher, damit man lernt, wie man mit Menschen mit Fluchtbiographie kommunizieren soll. Ihre Geschichten dürfen kein Teil von pseudo-lustigen Parties sein, denn sie sind mit viel unverarbeiteten Trauma verbunden.
Kennt ihr das: Ihr freut euch riesig auf ein Buch und seid dann total enttäuscht? So geht es mir mit Das Paradies meines Nachbarn von Nava Ebrahimi. Ich wollte es so gerne mögen! Aber leider hat es mich so gar nicht gepackt. Ich kam bis zum Schluss nicht in die Geschichte rein und den Schreibstil fand ich einfach nur sperrig und anstrengend. Die Protagonisten blieben auf den knapp 200 Seiten leider sehr flach, dabei hätte die Story wirklich Potenzial gehabt! Mir fällt es echt schwer, dieses Buch zu rezensieren. Ich kann nicht mal sagen, dass es mir nicht gefallen hat. Dafür war es einfach zu kurz. Zu kurz, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Zu kurz, um die Figuren kennenzulernen. Zu kurz, um zu verstehen, um was es eigentlich geht. Es war einfach nicht meins. Daher vergebe ich 2 ⭐️
Now, it doesn't need a lot to sell me on anything Iranian (hashtag random obsession) but this novel by award winingAustrian-Iranian writer Nava Ebrahimi IS great story telling. I really don't need novels to be political (at all) in order to like them but it does of course also help that the story *somehow* involves the Iran-Iraq war and *somehow* the role of the west in the latter.
The story, which is being told through three *somehow* Iranian protagonists, is quite refreshing for German language literature, a book brave enough to tackle the big stuff; the injustice of being born in the wrong place, guilt, responsibility but also a little bit of a creative professional midlife crisis dude breaking out of middle class family boredom and having an adventure of sorts which is kind of like coming of age, when you think about it, which I like so very much.
Nachdem ich „16 Wörter“ von Nava Ebrahimi verschlungen und vergöttert habe, freute ich mich sehr über ihr neues Werk. Die Vorfreude war größer als das Leseerlebnis. Es lag nicht an der Geschichte, sondern an den Protagonisten. Der Zugang zu den Figuren fiel mir sehr schwer.
Inhalt: »Salam, hier schreibt Ali-Reza. Ich kannte ihre Mutter gut und verfüge über einen Brief, den ich Ihnen überreichen soll. Es ist wichtig. Für Sie mindestens so sehr wie für mich.«
Ali Najjar glaubt, seine Vergangenheit weit hinter sich gelassen zu haben. Er ist längst in Deutschland angekommen, als Produktdesigner erfolgreich. Der Iran, Teheran, seine Familie sind für ihn eine fremde Welt. Dann erreicht ihn die Nachricht eines Unbekannten. Und alles, woran er bislang festgehalten hat, gerät ins Wanken.
»Du trägst keine Schuld, und du trägst sie doch. Ich schätze, das heißt es, zu leben.«
Meinung: Ich muss zugeben, dass ich enorme Schwierigkeiten hatte in das Buch hineinzukommen und es mehrmals angefangen und wieder abgebrochen habe, da es mich einfach nicht von Beginn an packen konnte. Das lag für mich vor allem an dem Schreibstil, mit dem ich leider überhaupt nicht klar kam. Ich fand ihn teils unnötig verwirrend, gerade wenn es darum ging zu erkennen, welche Perspektive gerade erzählt, ebenso die Darstellung von Dialogen fand ich schwierig. Man kann dies natürlich als künstlerisch ansehen, aber ich habe den Grund, warum diese so beschrieben werden leider nicht erkennen können. Zudem fand ich die Fokussetzung teils sehr eigenwillig. Scheinbar unwichtige Details wurden sehr ausführlich beschrieben, während Szenen, die ich als wichtig für die Entwicklung der Charaktere und des Romans im Allgemeinen empfand, sehr kurz abgehandelt wurden.
Die Charaktere an sich waren komplex und interessant, für mich aber ebenfalls durch die Akzentsetzung etwas flach. Man hat zu wenig über sie erfahren, was ich sehr schade fand, da ich genau das erwartet hatte und mir auch gewünscht hatte, da ihre Geschichten, besonders jene bezüglich der Erfahrungen im Krieg, der Umgang mit diesen und ihre jeweiligen Einbindungen in die Gesellschaft, die Bedeutung tragen sollten.
Das Thema des Buches empfand ich als sehr spannend, weswegen ich das Buch auch bestellt hatte, jedoch wurde das Buch diesem meines Erachtens nach nicht ganz gerecht, da es zwar darum ging (diese Abschnitte fand ich auch immer super interessant und spannend), sie aber für mich zu wenig und zu kurz abgehalten wurden. Dies fällt natürlich besonders auf, da ich mit dem Krieg im Iran und dem Einsatz von Kindersoldaten eher wenig vertraut bin, so dass mir hier ein wenig mehr Informationen geholfen hätten, es besser nachzuvollziehen, was eher selten der Fall war.
Nichtsdestotrotz bin ich froh dieses Buch gelesen zu haben, da es mir einige Denkanstöße geben konnte. Besonders der Schluss war noch einmal ein sehr schöner Abschnitt.
Bewertung: 2,5-3/5
Vielen Dank an das Bloggerportal und den btb-Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares im Austausch für eine ehrliche Meinung.
Für mich hätte das Buch ruhig noch mehr Seiten haben können. Die Charaktere waren alle drei sehr komplex und ich hätte gern mehr über ihre weitere Entwicklung gelesen. Abgesehen davon bietet der Roman durch seinen Plot eine ungewöhnliche, sehr interessante Perspektive auf den Irankrieg.
In “Das Paradies meines Nachbarn” geht es um drei Männer. Diese drei Männer verbindet eine gemeinsame Herkunftsgeschichte: der Iran.
München 2017: Sina Khoshbin ist Deutscher mit iranischen Wurzeln. Sinas iranischer Vater hat die Familie früh verlassen und lebt, erfolgreich und gut situiert, in den USA. Sina arbeitet in einer Designagentur für Küchengeräte und befindet sich in einer Sinnkrise. Dazu trägt auch sein berufliches Umfeld bei, denn es ist eines, das auf Äußerlichkeiten basiert und sich seiner Vergänglichkeit dabei nicht bewusst ist. Die Doppelmoral und das Greenwashing der Gutsituierten (“Wanderschuh, vegan, Fair trade”), der Marketing-Start-Up-Sprech der "veganes Physalis-Softeis auf dem Streetfood-Market"-Fraktion, ist Sina ein zunehmender Dorn im Auge. Sinas Frau Katharina, mit der er eine Tochter im Grundschulalter hat, ist ausgerechnet Resilienzforscherin und befasst sich mit der Widerstandsfähigkeit der Psyche. Als Mensch ist sie das absolute Gegenteil ihres Mannes, denn sie kommt aus einer heilen Vorzeigefamilie - ohne Migrationshintergrund. Umso mehr interessiert sie sich für dysfunktionale Familien und verkorkste Kindheiten.
Die andere Hauptfigur ist Ali Najjar, der neue Chef Sinas. Er ist heute erfolgreicher Produktdesigner. Als er ein Teeanger im Iran war, versuchte ihn das System zu einem Kindersoldaten zu machen, was erstmal gelang, denn er meldete sich für den Krieg gegen den Irak. Die Paradiesversprechen der Militär-Propaganda, vor denen ihn seine Eltern, vor allem seine Mutter Maryam vergeblich schützen wollten, verhallen zu geisterhaften Mantren in Alis Kopf. Aber Ali ist noch gerade so davongekommen, er ist als Vierzehnjähriger nach Deutschland geflohen und hat dem Krieg den Rücken gekehrt, in dem ein anderer an seiner statt kämpfen musste: Ali-Reza Bayati.
Ali-Reza ist im Iran aufgewachsen. Er hat eine traumatische Kindheit erlebt und die Traumata verfolgen ihn bis heute. Seine religiöse Mutter wird als Witwe von einem Mullah einer Gehirnwäsche unterzogen und sie will Ali-Reza zum Märtyrer machen. Er flieht vor ihr und seiner Identität, um eine andere anzunehmen. Ali-Reza ist leidet psychisch und physisch an den Folgen der Giftgas-Anschläge und sitzt im Rollstuhl. Nun will er Ali Najjar einen Brief von dessen Mutter Maryam übergeben. Diese nahm Ali-Reza für einige Zeit als Pflegekind bei sich auf.
Sprachlich gefällt mir der Roman sehr. Ich mag es, wenn ein Buch metaphorisch sperrig ist, ungewöhnliche Bilder heraufbeschwört, mit Worten experimentiert und jongliert. Meines Erachtens tut Nava Ebrahimi das. Sie reizt die Möglichkeiten der Sprache aus und fordert den Leser mit Aha-Momenten heraus, aus seinem gemütlichen Winterschlaf in der designten Höhle der westlichen Welt hervorzukriechen und mal über den Tellerrand zu schauen in ein Land, in dem Gewalt und Leid an der Tagesordnung sind.
Die Struktur des Romans ist allerdings ein wenig kompliziert und die drei Protagonisten auseinanderzuhalten, erfordert Konzentration. Hilfreich wäre es vielleicht gewesen, den aktuell erzählenden bzw. erinnernden Fokalisator vor Beginn des Abschnitts zu benennen, also Ali Najjar, Ali-Reza oder Sina.
Das Thema Krieg und Iranische Kindersoldaten ist natürlich keine leichte Lektüre und auch ich hätte vor manchen erinnerten Szenen am liebsten die Augen verschlossen. Also man sollte schon wissen, um was es in dem Buch geht, bevor man sich darauf einlässt.
Das Buch ist Gesellschaftskritik pur. Es nimmt einen Zeitgeist auf die Schippe, in dem wir uns unser Leben designen und die Augen vor dem Leid verschließen, das andernorts auf der Welt existiert. Ein Fake-Leben, ein Stuhl, auf dem man nicht sitzen kann, für Likes und Social Media - Die Autorin spitzt die Schein-Existenz derjenigen, die auf der Habenseite des Lebens sitzen, wie folgt zu: "Simulierte Schönheit. Simulierte Existenz." (S. 55)
In diesem Buch geht es um so vieles. Es geht um Vorurteile, um Krieg, um Flucht, um verkorkste Familien, um die Liebe und so weiter und so weiter. Und mittendrin in diesem Geflecht stecken die zwei Hauptfiguren, die sich beide von Beginn an eher kritisch gegenüber stehen. Warum, das findet die Leserin erst später heraus.
Die Ähnlichkeit zwischen den Namen Ali-Reza und Ali Najjar hat mich bis zur letzten Seite verwirrt. In Gedanken habe ich die beiden immer wieder verwechselt und musste mir in jedem Kapitel immer erst Anhaltspunkte suchen, um zu verstehen, um wessen Perspektive es sich denn hier handelt. Wahrscheinlich wurden so ähnliche Namen bewusst ausgesucht. Verwechslungen sind ja auch ein wichtiges Element der Handlung. Hinter diesen Namen verstecken sich zwei sehr unterschiedliche Figuren. Ali Najjar ist Designer in Deutschland und konnte als Jugendlicher aus dem Iran fliehen. Ali-Reza lebt immer noch im Iran und ist, seitdem er im Krieg kämpfen musste, an den Rollstuhl gefesselt und schwer traumatisiert. Zu Beginn ist da nur dieser Brief, der diese beiden verbindet. Mehr kann ich euch eigentlich gar nicht über die Protagonisten verraten. Sonst wäre da die Gefahr, dass ich einen Spoiler einbaue und das kann und will ich euch nicht antun.
Der Schreibstil der Autorin ist sehr eigenwillig. Scheinbar unwichtiges wurde ausführlich beschrieben, während für mich wichtigere Momente nur im Nachhinein beschrieben wurden, wenn sie halt durch die Protagonisten diskutiert oder reflektiert wurden. Vor allem die Dialoge haben mich irritiert, aber auf eine gute Art und Weise. Teils wurde nur die Hälfte des Dialogs geschildert, nur das, was eine der Personen sagt. Die Antwort der zweiten Person wurde immer mit drei Punkten ausgelassen. Man bekam also immer nur die Hälfte des Gesprächs mit und musste sich den Rest selbst zusammenreimen. Das könnte man fast schon als Metapher interpretieren, wenn ich hier die Literaturstudentin raushängen lassen darf. Als Metapher für all das, was zwischen den Protagonisten und den Menschen in ihrer Umwelt ungesagt bleibt. Und glaubt mir: Da gibt es so einiges, über das sich die Protagonisten ausschweigen.
Mein Fazit? Fand ich eine sehr spannende Lektüre. Allerdings handelt es sich bei "Das Paradies meines Nachbarn" nicht einfach um ein Buch, das man einfach schnell mal durchblättern kann. Dieser Roman braucht Zeit und man sollte sich darauf einstellen, dass man viel über diesen Text nachdenken wird.
Ich sehe es im Grunde ähnlich wie viele andere Rezensenten auch: Es war schwer, eine emotionale Verbindung zu den Charakteren aufzubauen. Wobei ich finde, dass das im letzten Drittel des Buches besser geworden ist. Und am Ende ist es für mich dadurch dann doch noch stimmig geworden. Bis auf Sinas Ehefrau, an die kam man emotional bis zum Ende nicht so richtig heran, das blieb etwas halbgar.
Ansonsten hat mir die Darstellung der Kontraste zwischen Charakteren, Kulturen, Welten sehr gut gefallen - und diese sind letztendlich das, was haften geblieben ist und weiterhin nachdenklich macht.
Sprachlich ist das Buch gut, die Einfühlen in die Charaktere ist dennoch schwerfällig, der Perspektivwechsel ist gelungen und flüssig, sodass man beim Lesen nicht ins Stocken kommt. Das Thema des Iran-Irak-Kriegs und der Kindersoldaten ist wichtig, richtig berührend und erkenntnisreich wird es erst kurz vor Ende, davor tröpfelt es etwas vor sich hin. Das Ende ist offen und lässt jeglichen Vermutungen Raum.
Aufgerundete 4 Sterne für diesen Roman, der den Kontrast Produktdesigner und Kindersoldaten elegant verbindet und den ich in einem Tag weggelesen habe.
Aufarbeitung einer wichtigen Thematik durch eine berührende Story
Nava Ebrahimi hat mich mit "Das Paradies meines Nachbarn" auf der einen Seite sehr berühren, auf der anderen Seite sehr erschrecken können. Gefallen hat mir besonders der kurze, fast unangenehme Einblick in ein Themenfeld, mit dem ich mich bis dato noch nicht allzu sehr befasst habe: Der Iran-Irak-Krieg.
Geschickt lässt Ebrahimi die Storylines dreier Protagonisten zueinanderfinden: An das, was Ali-Najjar, ein angeberischer, münchener Produktdesigner mit iranischen Wurzeln, Sina, ein Möchtegern-Perser und Ali-Reza, ein rollstuhlfahrender Kriegsveteran gemeinsam haben, wird sich langsam, ganz vorsichtig, heran getastet. Mit voller Wucht werden dann jedoch Thematiken wie Kriegstraumata, Schuld, Responsibilität, Flucht, Kindersoldatentum, Familienzerrissenheit, Identitätsverlust und -findung in den Ring geworfen und auf unglaublich authentische Weise beleuchtet. Nie ist es davon zu viel, aber immer genug, um aufgewühlt zurückgelassen zu werden. Dieser Roman berührt nicht nur durch schöne, sondern vor allem durch ehrliche und traurige Worte. Immer wieder schimmern dabei gesellschaftskritische Ansätze durch. Immer wieder wird die hemmungslose Arroganz und Gleichgültigkeit des Westens geschildert und in den Fokus gerückt. Damit greift Ebrahimi eine hochaktuelle Thematik auf, die durch die Flüchtlingskrise(n) nicht an Relevanz verloren hat und sich auch z. B. (und in utopischer, krasserer Form) in Vermes satirischem Roman "Die Hungrigen und die Satten" wiederfinden lässt.
In "Das Paradies meines Nachbarn" steht jedoch nicht die Aufarbeitung politischer Entwicklungen oder die Ausarbeitung einer Utopie im Vordergrund, sondern eine herzzerreißende Geschichte einer Familie, der das Schicksal übel mitspielte. Ebrahimi verwebt die Motive "Identität" und "Schuld" so gekonnt miteinander, dass sie während der rund 200 Seiten auf ganzer Linie mit ihrem Schreibstil überzeugen kann: nüchtern, ernst und treffsicher wählt sie ihre Worte.
Punkteabzug gebe ich lediglich für die klischeehafte und teils zu extreme Überzeichnung der Figur Ali-Najjar, die irrelevant und "unergiebige" Sidestory von Sinas Eheleben und zuletzt die (wahrscheinlich so gewollte) Vorhersehbarkeit der Handlung, durch die "Überraschungseffekt" flöten ging. Der hätte meiner Meinung nach jedoch ganz gut getan.