China, Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine christliche Aufstandsbewegung überzieht das Kaiserreich mit Terror und Zerstörung. Ein junger deutscher Missionar, der bei der Modernisierung des riesigen Reiches helfen will, reist voller Idealismus nach Nanking, um sich ein Bild von der Rebellion zu machen. Dabei gerät er zwischen die Fronten eines Krieges, in dem er am Ende alles zu verlieren droht, was ihm wichtig ist. An den Brennpunkten des Konflikts – in Hongkong, Shanghai, Peking – begegnen wir einem Ensemble so zerrissener wie faszinierender Persönlichkeiten: darunter der britische Sonderbotschafter, der seine inneren Abgründe erst erkennt, als er ihnen nicht mehr entgehen kann, und ein zum Kriegsherrn berufener chinesischer Gelehrter, der so mächtig wird, dass selbst der Kaiser ihn fürchten muss. In seinem packenden neuen Buch erzählt Stephan Thome eine Vorgeschichte unserer krisengeschüttelten Gegenwart. Angeführt von einem christlichen Konvertiten, der sich für Gottes zweiten Sohn hält, errichten Rebellen in China einen Gottesstaat, der in verstörender Weise auf die Terrorbewegungen unserer Zeit vorausdeutet. Ein großer und weitblickender Roman über religiösen Fanatismus, über unsere Verführbarkeit und den Verlust an Orientierung in einer sich radikal verändernden Welt.
4.5 stars China im 19. Jahrhundert. Der junge Deutsche Philipp Neukamp ist als Missionar nach China gekommen, obwohl eher allgemeine Entwicklungshilfe als die Weitergabe des christlichen Glaubens sein Hauptanliegen ist. Er verbringt Zeit unter dem Hakka-Volk und wird so Zeuge der Anfänge des Taiping-Aufstands, der bald größere Dimensionen annimmt und schließlich das Kaiserreich als Ganzes bedroht. Er sollte der opferreichste Bürgerkrieg aller Zeiten werden.
Stephan Thome hält mir mit seinem für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman vor Augen, wie wenig ich über China wusste. Noch nie hatte ich von diesem doch so blutigen Bürgerkrieg gehört, noch war mir bekannt, dass es in China jemals eine so starke Bewegung auf Grundlage des Christentums gab. Denn der Begründer der Bewegung, Hong Xiuquan, hielt sich für den jüngeren Bruder Jesu. Zur gleichen Zeit versuchte auch die Kolonialmacht Großbritannien, in den Opiumkriegen ihre Interessen in China durchzusetzen. So ist einer der Charaktere, aus deren Sicht wir diese Zeit in China außerdem erleben, d. h. neben dem Protagonisten Philipp Neukamp, der englische Diplomat Earl Elgin. Keineswegs verfolgen wir jedoch nur die westliche Sicht auf die Ereignisse, ein weiterer Hauptcharakter ist der General Zeng Guofan, der als Anführer der Hunan-Armee auf Seiten des Kaisers gegen die Aufständischen kämpfte. Weniger Platz nimmt außerdem die Schilderung einer jungen chinesischen Frau ein, die sich im Umfeld der Aufständischen befindet.
Die Konstellation der Mächte und Personen in der Geschichte ist ziemlich kompliziert und es dauert einige Zeit, bis man sich unter den vielen Namen zurechtfindet und weiß, wer wohin gehört und wer überhaupt wer ist. Bei einzelnen Charaktern war ich mir gegen Ende noch unsicher, aber im Kontext ergab es sich die Einordnung in der Regel. Wikipedia kann dabei helfen, den Überblick zu bewahren, dies wird jedoch beim Hörbuch insbesondere am Anfang, als noch weniger historische Persönlichkeiten auftreten, dadurch erschwert, dass es etwas schwierig ist, die richtige Schreibweise der chinesischen Namen zu erraten. Informationen im Internet über den Taiping-Aufstand helfen im jeden Fall, sich zu orientieren.
Ist man erst einmal weniger oder mehr vertraut mit der Gesamtkonstellation im Reich, kann man Stephan Thomes Roman als spannende und lehrreiche Geschichte genießen. Bei über 22 h Hörzeit sind durchaus ein paar Längen enthalten, die jedoch den Gesamteindruck nicht mindern. Sprachlich bewegt sich das Buch auf hohem, aber nicht forderndem Niveau. Das Buch kommt ohne große Romantik aus, was ich als sehr angenehm empfunden habe. Wer Angst vor Kitsch hat, hat hier nichts zu befürchten
Das Hörbuch wird von Johannes Steck gut gelesen, etwas gestört hat mich, dass er inhaltliche Szenenwechsel oft nicht durch eine wenigstens kurze Pause hervorhebt.
Ein wunderbares Buch für China-Interessierte, Freunde anspruchsvoller historischer Romane und Freunde ausgedehnter Abenteuergeschichten.
China ist mir fremd. Umso mehr das China der Mitte des 19. Jahrhunderts. Es ist Stephan Thomes Verdienst, dass diese Fremdheit einem bleibenden Interesse für die Geschichte und Kultur dieses Landes gewichen ist. Das Buch spielt zu Zeiten des Taiping-Aufstandes, einem der blutigsten Bürgerkriege der Weltgeschichte. Damals schwang sich eine von christlichen Ideen inspirierte Gruppe nationaler Minderheiten in den südwestlichen Provinzen um die Städte Kanton und Nanjing an die Macht. Ihr Anführer Hong Xiuquang sah sich als kleiner Bruder Jesu an. Ihr „Himmlisches Reich des Großen Friedens“ brachte zunächst vielen Menschen Befreiung und militärische Erfolge gegen die Armee der damals herrschenden mongolischen Mandschu-Dynastie. Mit der Zeit entwickelte es sich aber zu einer religiös verbrämten Diktatur, die auch von den Kolonialmächten bekämpft wurde.
Wir erleben dies alles aus den Augen des fiktiven deutschen Missionars und Revolutionsflüchtlings Philipp Johann Neukamp, des chinesischen Generals Zeng Guofan, des englischen Gesandten Lord Elgin und einiger Nebenfiguren. Das faszinierende an diesem Buch sind die Gegensätze der Kulturen und der Mangel an Verständnis, der schon im Titel zum Tragen kommt, denn die Chinesen sehen die westlichen Ausländer als Barbaren. Gleiches gilt in die andere Richtung. Und schließlich sind auch die Aufständischen für die Kaiserlichen Barbaren mit einem barbarischen Gott. Meine Bewunderung für die chinesische Kultur und Kultiviertheit wird aber überschattet von dem wahrhaft barbarischen, unmenschlichen Brauch kleinen Mädchen die Fußknochen zu brechen zu zusammenzuschnüren, so dass sie sich auf ihren Stummelfüßchen mit unter Schmerzen fortbewegen können.
Für mich war dieses Buch als bereichernde und anspruchsvolle Unterhaltung. Ich werde mehr von diesem Autor lesen.
Shortlisted for the German Book Prize 2018 In this vivid historical adventure novel, Sinologist Stephan Thome tells the story of rebel forces which, influenced by the Christian teachings European missionaries brought to China, try to overthrow the Chinese monarchy in order to establish a theocray. At the same time, the country is in turmoil because England and France are waging war in order to open the country for trade - particularly the opium trade, that is.
The Taiping Rebellion and the Opium Wars really happened, of course, and led to the deaths of 20 - 30 million people. It's hard to argue that this narrative set during the Quing dynasty isn't timely and topical - the parallels to current events couldn't be more obvious. Thome creates a whole panorama of characters from all sides involved, thus illustrating specific belief systems and motivations. The way he describes situations and even sequences of internal thoughts are absorbing - the whole book is addictive. No one in this story is purely good, and everyone is caught up in cultural restrictions; information is always limited, and when it comes to beliefs, the way they are legitimized is at the core of every moral transgression.
I am generally a fan of smart political books, and this clearly is one. Although many events depicted are gruesome and will make you doubt humankind in general (but especially the "barbarians", i.e. the Europeans), this novel is a joy to read, because it is so well crafted. I hope it will be translated.
Vom Taiping-Aufstand und dem Königreich des verrückten Hong Xiuquan, des "jüngeren Bruders Jesu", hatte ich zwar gehört, Dimension und Bedeutung waren mir aber bis dato nicht bewusst. Immerhin hat dieser Bürgerkrieg mit ≈40 Millionen Toten fast so viele Opfer gefordert wie der zweite Weltkrieg und zählt damit zu den drei tödlichsten Konflikten der Menschheitsgeschichte. Stephan Thome hat da jedenfalls eine meiner Bildungslücken geschlossen.
[Hong-Xiuquan - Der himmlische König]
Aber die Geschichte und der Geist Chinas sind mir ganz allgemein ziemlich fremd. Hier liegt die große Stärke des Romans. Als Philosoph und Sinologe, der lange in Taipeh lebte und über Konfuzianismus forschte, gelingt es dem Autor hervorragend, die Weltsicht dieses Volkes durch die Zeichnung seiner großteils historischen Charaktere etwas zu entschlüsseln. Aber auch die Haltung und Motive der europäischen Gegenspieler, Diplomatie, Militär, Händler, Missionare, Abenteurer, werden differenziert und anschaulich herausgearbeitet.
Zwei Szenen haben mich ganz besonders gefesselt: beide Male versteigt sich Lord Elgin, britischer Sonderbotschafter in China, in je einen kuriosen Monolog. Das erste Mal doziert er, mit Champagner kontaminiert, über Lord Byron, auf dem Sofa als einzige Zuhörerin eine chinesische Prostituierte, und er wird magisch von den "Lotusfüßen", den einbandagierten Krüppelfüßchen der Frau angezogen. Das andere Mal klärt er den Gesandten der Hunan Armee, Li Hongzhang, ausführlich über Aspekte der Ansichten Machiavellis auf. Dass die beiden chinesischen Zuhörer kein einziges Wort verstehen, aber geduldig zuhören, versinnbildlicht mit hoffnungsloser Absurdität das europäisch-chinesische Verhältnis. Diese zwei Szenen waren für mich die literarischen Höhepunkte, von denen ich gerne mehr gehabt hätte.
[Lord Elgins Einzug in Peking]
Die Handlung wird aus den unterschiedlichen Perspektiven dreier Protagonisten geschildert, ergänzt durch Briefe, Zeitungsartikel und ähnliches Beiwerk. Ihre abwechselnden Auftritte werden schlaglichtartig präsentiert, viele Zusammenhänge erfährt man erst oft hinterher durch Rückblenden. Diese Technik erzeugt eine recht distanzierte Sicht. Es gibt aber auch drastische Szenen, bei denen der Leser mitten drin ist. In Anbetracht der unvorstellbaren Grausamkeit der Ereignisse hat mich der Text recht unberührt gelassen, im Vordergrund stand das Staunen über die Sichtweise der Charaktere. Besagter Lord Elgin war für mich die überzeugendste Figur, aber auch der General der Hunan Armee, Zeng Guofan, ist beeindruckend gezeichnet. Seine Geisteshaltung war für mich eine echte Herausforderung. Die einzig fiktive Hauptfigur, der deutsche Missionar Neukamp, und sein Schicksal, das einen recht abenteuerlichen, roten Faden durch die Wirrnisse der Geschichte legen soll, erschien mir konstruiert und weniger überzeugend.
Dass die Briten und die übrigen Kolonialmächte den Grundstein für viele auch heutige Krisen gelegt haben, wird schmerzhaft deutlich, aber auch die Eliten der usurpierten Länder werden von Gier, Hass und Verblendung getrieben. China neigt offensichtlich auch dazu, sich für die einzig relevante Nation unter dem Himmel zu halten. Nebenbei bemerkt, den im Feuilleton immer wieder zitierten Gegenwartsbezug zum Gottesstaat des IS, halte ich für abwegig. Die Ursachen und Umstände der Taiping-Rebellion und auch die sehr spezielle Pathologie des "himmlischen Königs" Hong Xiuquans, haben mE. mit den islamistischen Phänomenen der heutigen Zeit wenig bis nichts gemeinsam.
Insgesamt ein gelungenes Buch, informativ, klug, abwechslungsreich, und abgesehen von ein paar Schwächen sehr angenehm zu lesen.
China blieb bei mir historisch und literarisch ein nahezu weißer Fleck, der mit diesem Buch ein klein wenig Farbe bekommen hat. Zweiter Opiumkrieg war mir zwar als Begriff geläufig, aber vom Taiping-Aufstand hatte ich noch nie gehört. Um beide Ereignisse in der Mitte des 19. Jahrhunderts geht es hier. Wahrscheinlich hat Thome viel recherchiert, er ist historisch korrekt und hat historische und erfundene Figuren fantasievoll und glaubwürdig verbunden zu einem gewaltigen Panorama voller Leid, Hoffnung und Zerrissenheit.
Begeistert war ich vor allem, dass wir die Geschichte aus der Sicht ganz unterschiedlicher Menschen erfahren, für die wir, wenn auch nicht Sympathie, so doch oft ein gewisses Verständnis entwickeln, und wie unterschiedlich und oft auch ähnlich sie auf das reagieren, was sie als „fremd“ empfinden. Für die europäischen Missionare ist China eine fremdartige Welt, die sie missionieren wollen, ohne sie je ganz zu verstehen. Für die Chinesen sind diese Fremden wiederum Eindringlinge, aber auch Spiegel, in denen sie ihre eigene Welt plötzlich anders sehen. Beide reagieren mit Arroganz auf das jeweils andere, selten mit Neugier. Und selbst innerhalb Chinas stoßen die Menschen ständig an die Grenzen des Verstehens: Rebellen gegen die alten Strukturen, Gläubige gegen Ungläubige, Arme gegen Privilegierte, Tradition gegen neue Visionen.
Spannend ist es, das Wirken der Europäer aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, dieser unbedingte Fortschrittsglaube, der jahrtausendealte Traditionen absurd findet, aber gleichzeitig das Christentum propagiert und denen das eigene Wirken in China vor die Nase gehalten wird. Man erfährt auch, was es bedeutet, im Dienst eines Landes zu stehen, wieviel seiner selbst man aufgeben muss, um Idealen nachzujagen, die sich immer weiter von eigenen Zielen entfernen. Die meisten Personen, es sind nicht gerade wenige in diesem Buch, ziehen am Ende ihres Lebens Bilanz, die ernüchternd ist, auch wenn sie eigentlich erfolgreich waren.
Die vielen Facetten machen das Buch zu einer wertvollen Lektüre, die nicht nur Geschichte vermittelt, sondern auch das Wirken der Kolonialmächte näher betrachtet und Rückschlüsse auf heutiges Handeln zulässt. Man kann sehr viel lernen. Gerade auch durch den Wechsel an Handlung und Briefen. Aber manchmal war es für mich zu ausufernd, manchmal wäre es besser gewesen, nicht alles, was herausgefunden wurde, auch wirklich im Buch unterzubringen, sondern ein paar Leerstellen zu lassen. Alle Teile, die am Ende außerhalb von China spielen, wären verzichtbar gewesen, finde ich.
Alles in allem eine lohnende Lektüre, wenn man Interesse an historischen Romanen hat, ein Stück chinesische Geschichte oder auch europäische Kolonialgeschichte kennenzulernen.
In diesem Buch steckt viel Arbeit, es ist mit Sicherheit ausführlich recherchiert und sorgfältig geschrieben. Als Leser, wenn man von der Materie wenig bis keine Ahnung hat, erfordert es auch Arbeit um all die Details zu erfassen, ggf. Etwas nachzulesen und die unterschiedlichen Orte und Personen im Auge zu behalten. Ich habe viel über das Land, China in der Zeit und den Aufstand erfahren. Es ist ein richtig gutes Buch, nur leider war es für mich kein guter, historischer Roman. Mir zerfaserte die Geschichte, es waren für mich zu viele eher berichtende Seiten und es gelang mir zwar gut in die Thematik zu kommen, aber ich bin in keine Geschichte getaucht.
Nach Döblins "Berlin Alexanderplatz" für mich eindeutig ein weiteres Highlight in diesem Jahr. ♥ Bereichert wurden meine positiven Eindrücke des Buches außerdem durch eine Lesung von Stephan Thome in Berlin (07.09.2018, Internationales Literaturfestival), die mich sehr vom Autor überzeugte. Ein weiteres Buch von ihm durfte bereits bei mir einziehen. Rezension folgt in Kürze auf meinem YT-Kanal. :)
Überblick Taiping-Aufstand (1851–1864) Opium-Kriege (1839–1842), (1856–1860) James Bruce, 8. Earl of Elgin und 12. Earl of Kincardine (* 20. Juli 1811 in London; † 20. November 1863 in Indien), ein britischer Kolonialbeamter und Diplomat Zeng Guofan (曾國藩, Zēng Guófān; * 21. November 1811 in Hunan, † 12. März 1872 in Nanjing), hoher chinesischer Beamter der Qing-Dynastie Hong Xiuquan (洪秀全), (1814–64) Anführer des Taiping-Aufstands Philipp Johann Neukamp/Fei Lipu, fiktive Figur, Teilnehmer der Revolution von 1848
Inhalt Philipp Johann Neukamp will dort leben, wo keine Fürsten herrschen. Als robuster Kerl mit einem Talent für fremde Sprachen wird er in Deutschland von Karl Gützlaff als Missionar angeworben. Die Missionsgesellschaft hat nur 15 Mitglieder, so dass sich ein vorsichtiger Zeitgenosse fragen würde, ob man Gützlaff Spendengelder anvertrauen sollte. 1850 bricht Philipp per Schiff nach China auf. Englisch lernt er durch Zuhören an Bord, Chinesisch-Unterricht erhält er in Singapur, zumindest glaubt er das, bis er auf seinen sonderbaren Dialekt angesprochen wird. Als Philipp in Hongkong ankommt, ist Gützlaff tot und der junge Deutsche braucht einen neuen Job. Aus Philipp wird Fei Lipu, die fiktive Figur eines durchtriebenen Abenteurers, neben den historischen Figuren Lord Elgin (James Bruce) und General Zeng Guofan. Anpassungsfähig wie er ist, weiß Fei zwar noch nicht, wie er zwischen den verschiedenen chinesischen Dialekten Menschen zum Christentum missionieren soll, ihm ist allerdings klar, dass sie bereits Götter und eine Religion haben und es besser ist, nichts zu kritisieren, was sie wertschätzen.
1837 nimmt der junger Chinese Hong Xiuquan an der landesweiten Beamtenprüfung teil, dem einzigen Weg, auf dem er durch Bildung und Fleiß Karriere machen könnte. Hong scheitert, erleidet einen Zusammenbruch und anschließend eine Vision, er wäre ein Bruder Jesu. Unter Einfluss eines Missionars und von christlichen Traktaten soll er eine Sekte mit über 20 000 Mitgliedern gegründet haben. Ursache des Taiping-Aufstands (1851–1864) und sein Antrieb waren u. a. ethnische Konflikte um die Yao und die Hakka.
Lord Elgin wurde nach mehreren anderen Stationen 1857 zum Sonderkommissar in China ernannt, kurz nach Beginn des Zweiten Opiumkrieges. Als Vergeltung für die Hinrichtung englischer und französischer Gesandter befiehlt Elgin eine Strafexpedition, bei der der Sommerpalast des Chinesischen Kaisers ausgeraubt und niedergebrannt wird. Als Sohn des wegen seiner Kunstraubzüge schon zu Lebzeiten umstrittenen 7. Lords Elgin (1766-1841) muss der 8. Lord Elgin sich von seinen Landsleuten Hohn und Spott wegen seiner barbarischen Aktion gefallen lassen. Elgins Vorfahr ist als Kunsträuber bis heute so verrufen, dass es mir schwer fiel, seinen Sohn nicht ebenfalls als gierigen Ignoranten zu sehen. Wie historische Ereignisse die Einstellung späterer Generationen prägen, lässt sich hier wunderbar studieren.
Im Umfeld von General Zeng Guofan entwickelte sich aus meiner Sicht das interessante Thema, wie Zeng strategisches Denken lernte und wie er selbst seine Fähigkeiten weitergeben wird.
Die Begegnung dieser Männer führt immer wieder zur Frage, ob eine Kultur einer anderen überlegen sein kann und welcher Weg moralisch akzeptabel wäre, für die eigene Kultur oder Religion zu werben. Auch wenn ich mich anfangs gefragt habe, wie ich im 21. Jahrhundert von einem historischen Roman (mit fiktivem Anteil) über den Taiping-Aufstand profitieren könnte, fand ich die Begegnung der Figuren von Beginn an faszinierend. Eine wichtige Rolle spielen die Dolmetscher, die beide Sprachen beherrschen und deren Aufgabe die Vermittlung zwischen den Kulturen wäre. Niemand erkannte, dass Kulturen einen Weg finden müssen, um über Dinge zu sprechen, die im jeweils anderen Land nicht existieren. Die Europäer jedenfalls konnten bei aller Gier auf Chinas Reichtümer nicht erkennen, dass sie selbst – wie sie aussehen, wie sie sprechen, wie sie riechen - von den Chinesen für rothaarige Teufel und Barbaren gehalten werden. Wie eine Missionierung funktionieren soll, wenn einer Kultur das Konzept eines einzigen Gottes unbekannt ist, konnte Philipp/Fei Lipu sich wegen dieser Sprachlosigkeit vermutlich kaum vorstellen. Während die Figuren sich kluge Gedanken darüber machen, was einen Barbaren ausmacht, kann man als Leser dabei seinen eigenen Gedanken nachhängen. „Die schlimmsten Barbaren sind die, die sich irrtümlich für Chinesen halten“ stellt jemand im Roman weise fest. Vielleicht macht es einen ja zum Barbaren, wenn man nicht bemerkt, dass man allgemein menschlich betrachtet oder aus der Perspektive einer anderen Kultur barbarisch handelt.
Mit der Nüchternheit eines Europäers wirft Stefan Thome zeitlose Fragen auf nach Wertschätzung fremder Kulturen, kultureller Überheblichkeit, Assimilierungsdruck oder Religion als Antrieb für internationale Konflikte. Ein Icherzähler spricht den Zuhörer direkt an, zahlreiche Briefe und Dokumente geben zusätzlich Einblick in die Denkweise jener Zeit.
Zum Hörbuch (18 CDs), 1330 Minuten Das Booklet mit historischen Fotos, Karten, Zeittafel, Personenliste in Chinesisch und Umschrift und Inhaltsverzeichnis des Buches hat mir den Zugang zum Hörbuch erheblich erleichtert. Mit sonorer Stimme zeigt Johannes Steck sich hier als klug gewählte Besetzung für einen anspruchsvollen historischen Text mit zahlreichen chinesischen Orts- und Personennamen.
„Gott der Barbaren“ von Stephan Thome habe ich sehr gern gelesen. Wenn es nach mir ginge, wäre dieser Roman der Gewinner des dt Buchpreises 2018. Das Lesen machte richtig Spaß. Schön süffig, charismatisch, sehr gekonnt, mit viel Kenntnis der Materie das Ganze erzählt. Ich genoss jede Seite. Das Buch mochte ich gar nicht aus der Hand legen. Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend. Es ist ein opulenter historischer Roman vom Feinsten, mit Niveau und Tiefgang, der seinen Lesern paar erfüllte Lesestunden bereitet. Das Kopfkino startete sofort auf der ersten Seite. Die Figuren, es gibt jede Menge schräge und schrullige dabei, denn man besucht auch entsprechende Schauplätze, wurden wunderbar authentisch gezeichnet. Die Figuren agierten wie lebendige Menschen mit ihren Ecken und Kanten, ihrem Größenwahnsinn, Zweifeln, religiösem und anderem Fanatismus usw. vor meinem inneren Auge. Es gibt im Wesentlichen zwei Erzählstränge: Die Auseinandersetzungen der Engländer und Chinesen in China des 19 Jh. Authentisch, spannend und aufschlussreich dargestellt. Weltmachtgehabe der Engländer, die in China einen Krieg vom Stapel brechen, da sie der Meinung sind, dass sie die „chinesischen Barbaren“, wie sie die lokale Bevölkerung nennen, u.a. zivilisieren müssen, ist sehr plastisch, bildhaft, zum Greifen nah dargestellt worden. Auch die chinesische Seite steht in der Hinsicht, auf ihre eigene Art, im Nichts nach. Auch für die Chinesen sind die europäischen Endringlinge Barbaren, denn sie kamen in ihr Land und waren dabei, ihre Art von Ordnung aufzuzwingen. Im Wechsel wurde das Schicksal eines jungen Mannes namens Philipp Johann Neukamp, des Sohnes eines Zimmermeisters aus dem Märkischen, erzählt. Er ging als Mitarbeiter der Basler Missionsgesellschaft nach China. Dort freundete er sich mit einigen vor Ort lebenden Engländern und Chinesen an, und wollte eines Tages, da es mit dem Missionieren nicht so rund lief, seinen chinesischen Bekannten, der nach eigenen Angaben nun einen hohen Posten bekleidete, in Nanking besuchen. Das bedeutete, dass er ein gutes Stück vom Süden nach Norden zurücklegen musste. Der Vorhaben wurde zu einem atemberaubenden und beinah das Leben raubenden Abenteuer, der seinesgleichen suchte. Bis S. 305 wurde im Wesentlichen die Vorgeschichte erzählt, die auch sehr gut und spannend ist. In Shanghai im Sommer 1860 geht das Ganze dann richtig los. Es hat echt viel Spaß gemacht, dieses Feinhumorige und Tiefgründige des Romans! Man versinkt in diesen Geschehnissen, folgt den Überlegungen des englischen Lords Elgin, der es mit den Chinesen aufgenommen hat und das Ganze von seiner Warte aus betrachtet. Er denkt über vieles nach: über die chinesische Sprache, über ihre Art zu denken, zu leben, über ihren Charakter usw. Man lauscht auch gern den Antworten seines chinesischen Sekretärs, der schon länger in China lebt und sich dort viel besser auskennt. Man hört aber auch gern von Philipp und folgt ihm auf seinen spannenden Abenteuern. Nach und nach entsteht ein üppiges, farbenprächtiges Gemälde der damaligen Zeit mit all den hist. Ereignissen, Besonderheiten und Tücken, ob es um die gebunden Füße der chinesischen Frauen, sowie ihrer Stellung in der Gesellschaft insg., geht oder auch um die Rebellen und ihr Streben nach Macht usw. Bei all dem ist man auf den Seiten dieses Romans hautnah dabei und erlebt das Ganze unmittelbar mit. Es gibt da auch paar gruselige Ereignisse, Opium wird reichlich konsumiert, Köpfe abgehackt, dies ist aber nie ein Selbstzweck, wird eher nüchtern und kurz erwähnt. Bin gern abends zum Roman zurückgekehrt, sich schon tagsüber darauf gefreut, da weiter lesen zu können. Wer oder was nun Gott der Barbaren ist, soll jeder selbst für sich entscheiden. Genug Stoff zum Nachdenken bekommt man auf jeden Fall. Spätestens in der Mitte des Buches kommt man drauf. Paar gute Tipps sind hier und dort im Text verstreut. Man kann noch viel über diesen großartigen Roman erzählen, besser, man liest den selbst.
Das Buch ist hochwertig gestaltet: Zwei geographische Karten von China: vorn die Ostküste und hinten am Einband die Gegend um Peking, runter zur Küste bei Beitang, helfen, die beschriebenen Ereignisse zu verbildlichen. Die Schrift ist von angenehmer Größe, es gibt genug Text auf jeder Seite. Festeinband in kräftigem Rot, Lesebändchen in Bordeaux, Umschlagblatt aus glattem, festem Papier. Toll als Geschenk.
3,5 Sterne - Stephan Thome kann Charaktere zum Leben erwecken. Und was für welche! Die Protagonisten sind der britische Sonderbeauftragte Lord Elgin, der General der Hunan-Armee Zeng Guofan und der deutsche Möchtegernmissionar Philipp Neukamp. Diese drei völlig unterschiedlichen Männer erzählen aus ihrer Perspektive von den Ereignissen um den Taiping-Aufstand und den zweiten Opiumkrieg. Es sind mehrdimensionale, glaubwürdige Charaktere, mit einer spannenden Geschichte und vielen Herausforderungen, denen sie sich im Laufe des Krieges stellen müssen. Ihre Perspektive wird durch viele andere Nebenstimmen, Zeitungsartikel, Briefe, Parlamentsreden ergänzt, so dass sich eine breite und diverse Palette an Überzeugungen, Motivationen und Zielen erschließt. In episodenhaften Geschichten enthüllen sich Verrat, Scheinheiligkeit und Doppelmoral, ohne dass der Erzähler dabei wirklich zynisch wird. Diese Vielfalt der Darstellung sorgt beim Lesen nicht nur für Abwechslung, sondern vermittelt auch ein Gefühl von Objektivität, so dass die Botschaft des Romans umso größere Glaubwürdigkeit beansprucht. Am prägnantesten hat sie vielleicht ein Angehöriger der Aufständischen formuliert: „Als ich hierherkam, hoffte ich, es würde ein neues China entstehen, ohne korrupte Mandarine, aber es kam anders, und daran ist nicht nur der Himmlische König schuld. Wir alle sind fähig, die höchsten Ideale zu haben und die niedrigsten Taten zu begehen, oft genug benutzen wir Erstere sogar, um Letztere zu rechtfertigen.“ (664) Dass im Krieg die persönliche Integrität jedes Menschen in Gefahr ist, wird gegen Ende praktisch von jeder Figur nicht nur vorgelebt, sondern auch geäußert. Das war nicht so subtil, wie ich es mir gewünscht hätte, hat mich aber nicht großartig gestört. Leider hat die Multiperspektivität selbst einen gravierenden Nachteil. Ohne einen eindeutigen Protagonisten mit einer kontinuierlichen Handlung fehlte mir definitiv die Spannung. Durch den ständigen Wechsel ist eine Distanz zu den Personen und Ereignissen entstanden, so dass ich emotional nur selten irgendwo anknüpfen konnte. Zwar habe ich das Schicksal von Lord Elgin, Zeng Guofan und Philipp Neukamp mit Interesse verfolgt, aber mir war es eigentlich egal, ob sie in 50 oder 200 Seiten wieder auftauchen oder ganz verschwinden. Für die extrem reduzierte Handlung spielt die Existenz dieser Personen ohnehin keine Rolle. Prinzipiell entscheiden zumindest der General und der Sonderbotschafter über den Kriegsverlauf, tatsächlich bildet die Kriegshandlung nur eine Art Hintergrund, vor dem der Autor die Ansichten der Kriegsteilnehmer und seine Botschaft entwickeln kann. „Gott der Barbaren“ hat mir gut gefallen, mich aber trotz seines außergewöhnlichen Settings und seiner exzentrischen Charaktere nicht in seinen Bann gezogen. Anders als erwartet ist es kein Abenteuerroman, sondern eher eine Studie über Moral und persönliche Integrität in Kriegszeiten.
Der Taiping Aufstand gehört zu den Kapiteln der Weltgeschichte, über die auch historisch interessierte in der Regel kaum etwas wissen. Ein schrecklicher Bürgerkrieg mit fast doppelt so viel Opfern, wie der erste Weltkrieg. Stephan Thome erzählt die Geschichte dieses Krieges überzeugend und recht vollständig, wobei der Fokus von "Gott der Barbaren" auf den ethischen Dilemmata aller Seiten liegt. Insoweit historisch hervorragend und interessant. Leider bleibt neben der Ambition alles korrekt historisch zu erfassen das erzählerische zurück. Das liegt sicherlich an der überambitionierten Struktur mit einer extremen Anzahl der Protagonisten, von denen jeder einzelne seine eigene Erzählperspektive mitbringt. Dennoch ein lesenswertes Erstlingswerk, dessen Autor man im Auge behalten sollte.
Der Anfang war gut. Leider habe ich mich irgendwann verloren und konnte nicht wirklich vom Buch mitgerissen werden. Nach knapp 400 Seiten gebe ich vorerst auf. Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt.
Als Hörbuch hatte es einige Längen, insgesamt mochte ich aber den Stil, die Geschichte und ihren Aufbau. Leider ist mir wenig in Erinnerung geblieben, würde vielleicht noch mal reinhören.
Leider ganz anders, als seine bisherigen Romane. Dies soll nicht bedeuten, dass die Schreibweise schlechter wurde aber die Thematik und die vielen Stimmen wussten mich nicht zu fesseln. Schade, ich hätte mich sehr gefreut, als ich sah, dass er einen neuen Roman hatte.
Nominiert für den Buchpreis 2018 und leider nicht gewonnen. Stephan Thome entwirft eine wunderbare Reise in die Vergangenheit. China im 18. Jahrhundert zur zeit der Kolinisation durch England. Die Handlung hat drei große Handlungsstränge, sowie diverse Briefe, Zeitungsartikel zwischen den Kapiteln. Wir begegnen einem deutschen Missionar, der versucht im China des 19. Jahrhunderts Gläubige zu konvertieren Lord Elgin, der im Auftrag des Empires den chinesischen Widerstand brechen soll. Ebenso wird die Gegenseite aus Sicht eines Generals beleuchtet. Thome schreibt sehr unterhaltsam, streckenweise sogar witzig. Das Buch ist durchaus informativ. Stellenweise fühlt man sich wie in einem Sachbuch. Hier ergeben sich in der Mitte auch einige Längen. Für mich persönlich war das eintauchen in diese Epoche hoch interessant. In Zeiten, wo viele Menschen sich entwurzelt fühlen ist dieses Buch sehr aktuell. Toller Roman, mit minimalen Schwächen
In der heutigen Zeit scheint China allgegenwärtig zu sein, ein Land, das alle kennen. Doch was weiß man von seiner Geschichte? Mir zumindest waren die Geschehnisse der Taiping-Revolution, von denen dieses Buch berichtet, unbekannt. In den Jahren 1851 bis 1864 versuchten die Taiping-Rebellen die Qing-Dynastie zu stürzen, die von den Mandschu, die allgemein als grausam und korrupt galten, begründet worden war. Die Ideologie dieser neuen Bewegung gründete sich neben anderen zu großen Teilen auf christlichen Idealen, die der Gründer Hong Xiuquan vermutlich durch einen Missionar vermittelt bekam. Stephan Thomes Roman setzt mit dem Jahr 1858 ein, wobei die einzelnen Kapitel zumindest zu Beginn nicht chronologisch aufeinander aufbauen. Ein junger Deutscher, Philipp Johann Neukamp, der sich in den Staaten des Deutschen Bundes 1848 an den bürgerlich-revolutionären Erhebungen beteiligte, flieht über die Niederlande nach China, um dort im Auftrag einer Mission den christlichen Glauben zu verbreiten. In Hongkong, wo er die ersten Jahre lebt, hört er vom Aufstand der Taiping-Rebellen, mit dem er aufgrund seiner Einstellungen sympathisiert. Als einer seiner Kollegen, ein konvertierter Chinese, die Mission verlässt um sich den Rebellen anzuschließen, folgt er ihm einige Zeit später nach. Dies ist nur einer der drei Protagonisten, aus deren Sicht die damaligen Geschehnisse berichtet werden. Die herrschende Qing-Dynastie wird vertreten durch Zeng Guofan, den Oberbefehlshaber der Hunan Armee, die gegen die Rebellen kämpft. Lord Elgin, Sonderbotschafter der Britischen Krone, steht für die westliche Welt, die China mit allen Mitteln für den britischen Markt öffnen möchte, was auch unter dem Deckmantel 'Zivilisierung der Barbaren' gerechtfertigt wird. Daneben gibt es immer wieder Berichte einzelner Personen, die die jeweiligen Geschehnisse aus ihrer Sicht erzählen, sodass sich ein umfassendes Porträt dieser Zeit herausbildet. Wer nun tatsächlich 'Die Barbaren' sind, die auch im Buchtitel stehen, bleibt nach dem Lesen dieses dicken Wälzers (über 700 Seiten) unklar. Die Qing-Dynastie, die rücksichtslos ihre Gegner massakriert? Die Rebellen, die grausam die Ungehorsamen und Ungläubigen niedermetzeln? Die Briten, die sich unbarmherzig ihr scheinbares Recht auf einen freien Handel erkämpfen? Oder die Missionare, die selbstherrlich ihren Glauben verbreiten und denen es egal ist, welche Folgen das nach sich zieht? Untypisch sind die Führer der beiden großen Armeen und sich darin ähnlicher als sie ahnen, Zeng Guofan und Lord Elgin. Beide traten ihre Aufgaben mehr aus Pflichtgefühl als aus Überzeugung an und hadern den Großteil der Zeit mit dem, was ihnen aufgetragen wurde: Krieg zu führen. Man kann sie durchaus als Brüder im Geiste bezeichnen und hätten sie sich jemals getroffen und verständigen können, wären sie vermutlich sogar Freunde geworden. Auch der Dritte im Bunde, Philipp Johann Neukamp, der sich zumindest zu Beginn voller Idealismus und Begeisterung der Sache der Rebellen verschrieben hat, beginnt zu zweifeln. Wenn Etwas am Ende dieses Buches deutlich wird, dann: Nichts rechtfertigt einen Krieg, keine noch so gute Sache. Man sollte sich schon etwas Zeit nehmen für diesen Wälzer, auch wenn die Sprache meist gut verständlich ist (nur gegen Ende hin, wenn die Protagonisten zu ihrem Lebensende hin zu philosphieren beginnen, wird es etwas schwieriger). Manche bemängeln, das Werk sei zu klischeebehaftet - doch man sollte nie vergessen, dass Klischees sich aus der Realität herausbilden. Stephan Thome beschreibt das Leben einer vergangene Epoche eines Landes, die einzelnen Figuren hingegen sind aber alles andere als klischeehaft. Und weshalb nur junge Leute dieses Buch lesen sollten, erschließt sich mir überhaupt nicht. Es ist eine Geschichte über eine Zeit in einem Land, von der mit Sicherheit nur die Allerwenigsten jemals etwas gehört haben - zur Allgemeinbildung gehört dies sicherlich nicht. Ausserdem: Ein Buch, mit dem man seinen Horizont erweitern kann und in dem einem eindrucksvoll dargestellt wird, wie überflüssig Kriege sind (auch wenn man es schon weiß), lohnt sich immer!
Ich habe bisher alle Romane von Stephan Thome gelesen. Sein Debüt, "Grenzgang", gefiel mir inhaltlich und kompositorisch außerordentlich, wenngleich die Verfilmung trotz vermeintlich fähiger Schauspielender grässlich kitschig war. Die nachfolgenden Bücher "Fliehkräfte" und "Gegenspiel" waren ebenfalls kenntnisreich erzählt und sind deshalb empfehlenswert. All dies war Grund genug für mich, "Gott der Barbaren" zu lesen, wenngleich mich das Thema allein nicht interessierte. Ich erinnere mich jedoch an ein frühes Interview mit Thome, in dem er erwähnte, immer einen Roman über Asien abschließen zu wollen, aber dafür noch nicht bereit sei. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen. Nach der fesselnden Lektüre kann ich behaupten, dass ich nicht enttäuscht wurde. Thome beschreibt die Aktivitäten des preußischen Missionars Philipp Johann Neukamp, der Mitte des 19. Jahrhunderts nach China aufbricht, wo die Kaiserliche Dynastie sowohl mit englischen und französischen Besatzern/Handelspartnern als auch mit langhaarigen Rebellen zu kämpfen hat. Die Schilderungen kreisen um zentrale Personen aus den jeweiligen Interessensgruppen, in Form eines auktorialen Erzählers, ergänzt durch Niederschriften und Korrespondenzen unter Einbindung glaubwürdiger Randfiguren. Das entstehende Bild innerer und äußerer Rebellionen ist stimmig, man erfährt Vieles. Parallelen zu heutigen kriegerischen Aktivitäten, terroristischen Anschlägen, religiösen Konflikten, wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen, der Rolle der Medien, und nicht zuletzt zwischenmenschlichen Konflikten und den großen Fragen des Lebens(sinns) werden subtil aufgezeigt. Thome vermag wie jeher, klug in das Seelenleben seiner Figuren Einblick zu gewähren. Der einzige Vorwurf lautet, dass zu viele Charaktere bisweilen etwas ins Altkluge abdriften. Dennoch bereue ich nicht, die 719 Seiten gelesen zu haben; lohnenswert.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts wird China vom Krieg geschüttelt. Mittendrin befinden sich „ausländische Teufel“, die mit ihren eigenen Missionen ihren Beitrag leisten. Unter letzteren sind zwei, die in diesem Roman eine besondere Rolle spielen: ein deutscher Missionar und ein englischer Sonderbotschafter. Beide versuchen die Kultur des Landes zu verstehen und erleben dabei mitunter einen höchst amüsanten Austausch mit den Einheimischen, die sich ihrerseits Gedanken über das Leben der Fremdlinge machen. „Von Drähten im Boden hatte der Tote letzte Nacht gesprochen, in ihren Ländern ließen die Barbaren eiserne Kutschen über Schienen fahren, die angetrieben wurden wie Schiffe.“ Von solchen amüsanten Momenten abgesehen, war mir das Buch oft zu langatmig. Es war schwierig, den Überblick über die Personen und Gruppen und deren Absichten zu behalten. Dennoch sind interessante Einblicke in das chinesische Leben aus Briefen und Notizen entstanden, die die eigentliche Handlung ergänzten. Insofern habe ich die Lektüre nicht bereut.
I was quite surprised when I found out that Thome, whom I know and highly appreciate for his intricate character studies, not only wrote a book about China, but even turns out to be a full-on sinologist. It's quite a change from his usual fare, with the deep character analysis being given up in favor of an adventure novel in the style of David Mitchell. That certainly has its own appeal, and anybody with an interest in China will appreciate the attention to detail Thome brings to this period, but unfortunately he loses the drive of the beginning in the final third, with some of his characters' musings being somewhat tedious to read.
Ich hätte nicht so lange mit Thome warten sollen - hatte nicht erwartet, dass ein Sinologe so unterhaltsam schreiben könnte. "Gott der Barbaren" ist ein historischer Roman, der seine Fakten beieinander hat. Die Figur eines Missionars, der eigentlich nicht an Gott glaubt ist glaubwürdig und unaffektiert. Auch die anderen Protagonisten, von den Führern der Taiping Revolution bis zu den britischen Lords die die Opiumkriege ausfechten, werden im Buch lebendig. Hat Spaß gemacht, die Geschichtskenntnisse so lebendig aufzufrischen.
Der sog. Taiping-Aufstand (1851-1864), die Rebellion des chinesisch-christlichen Mystikers Hong Xiuquan, ist das historische Ereignis, um das herum Stephan Thome seinen Roman entlang des Lebens eines christlichen Missionars, eines englischen Sonderbotschafters und eines chinesischen Warlords konzipiert. Die geschätzt 25 Millionen Tote dieses weitgehend unbekannten Aufstands einer fundamental-christlichen Sekte gegen die kaiserliche Staatsgewalt bekommen in Thomes Roman ein Gesicht: intelligent & sehr gut geschrieben.–
Great story, great characters and a interesting view on the historic events between 1850 to 1864 in China, during the Taiping Revolution. I enjoyed a lot how the characters from different parts of the world are looking at each other and how some try to understand the other culture. The reflections from Lord Elgin and Zeng Guofan at the end of their careers about their lifes and achievement are great descriptions.
Meticulously researched and thoroughly captivating, Thome's book is stimulating from both a narrative and historical perspective. Though the book is very long, not a single page is wasted as the author depicts the rise and fall of the Taiping Heavenly Kingdom from the maelstrom of nineteenth century utopianism, colonialism, eschatology, and dynastic struggle through the eyes of a disillusioned German missionary. A thoroughly rewarding to read and experience.
Super geschrieben, angenehmes Hörbuch, interessante Charaktere. Jedoch wäre ich lieber nur einem oder zwei Charakteren gefolgt, so kam ich während des Hörens manchmal etwas durcheinander. Vielleicht eignet sich das Buch besser zum lesen als zum hören.
Eher was für Sinologen. Zu viele Informationen, interessante Geschichte, auch die Perspektivwechsel gut, aber die Figur und bis auf wenige Ausnahmen ohne Leben.
«Bei ihnen zuhause gibt es demnach nichts. Ihr Reichtum beruht auf Diebstahl.» «Auf Handel. Sie verehren die Kaufleute so wie wir die Gelehrten.» «Lesen sie Bücher?» «Nur eines. Es besteht aus zwei Teilen, dem alten und dem neuen Vertrag. Darin lesen sie täglich, und alle sieben Tage kommen sie zusammen, um es gemeinsam zu studieren. Verträge sind ihnen heilig.»
So unterhalten sich zwei Chinesen, Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Briten mit ein paar Nachbarländern im Gepäck im sogenannten Opium-Krieg durch das Reich der Mitte schippern und versuchen, den Markt für sich - und das lukrative Opium-Geschäft - zu erschließen. Zuvor hatten die Europäer schon die christlichen Missionare geschickt, von deren tatsächlich bekehrten Schützlingen seit einigen Jahren ebenfalls radikale Anhänger um sich scharrt und von einem chinesischen Gottesstaat träumt. Der Kaiser und seine Getreuen müssen gleich zwei Truppen abwehren: die von außen und die von innen. Beide sind Christen - und scheinen doch nicht zusammenzuarbeiten, wie die Chinesen verwundert feststellen - oder doch?!
Mit Hilfe mehrerer Hauptfiguren aus verschiedenen Lagern erzählt Stephan Thome federleicht diese im Westen kaum bekannte chinesische Epoche mit all ihren Wirrungen. Dabei erzählt er mindestens so viel über heute wie über damals. Ständig puzzlet das Leserhirn Bausteine von früher und heute neu zusammen, erweitert sein Wissen, lernt viel über China und bekommt eine erweiterte Perspektive auf das 19. Jahrhundert.
Das ist so fantastisch, dass es mein liebstes Buch 2018 ist. Definitiv. Nur der Einband ist so schludrig verklebt, dass er mir selbst bei vorsichtigstem Lesen zwei Mal gebrochen ist. Das sollte Suhrkamp eigentlich besser können. Gerade bei knapp über 700 Seiten.