Leipzig, 1995. Die Stadt ist im Umbruch. Nino lebt allein mit seinem Vater und hat die ganz normalen Probleme eines Fünfzehnjährigen. Stress in der Schule, erste Beziehungen. Gemeinsam mit seinem besten Freund Max wird er eines Tages beim Klauen erwischt und von einer Gruppe Punks rausgehauen, die bald sein neues Zuhause wird. Neuer Ärger kommt dazu: Konflikte mit seinem Vater, Gefühle für ein Mädchen mit dunklem Geheimnis und die tägliche Bedrohung durch Neonazis, die überall zu sein scheinen. Außerdem will Nino endlich wissen, warum seine Mutter ihn und seinen Vater kurz vor dem Mauerfall zurückgelassen hat
Ninos Geschichte hat alles was ein guter Coming of Age Roman braucht: er versucht seinen Platz in der Nachwendegesellschaft zu finden, seine Beziehung mit seinen Eltern und Freunden auszuloten und natürliche gibt es die erste Liebe. Wer Herwigs ersten Roman "Bis die Sterne zittern" gelesen hat, dem:der wird hier vieles bekannt vorkommen. Sprachlich ist auch dieser Roman für ein Jugendbuch aus meiner Sicht wieder auf einem sehr hohen Niveau. Die Handlung jedoch wirkt wie eine autobiographischere Version von Herwigs erstem Roman. Rückblickend schien sie so dahin zu plätschern und lässt trotzdem sehr viele offene Handlungsstränge zurück. Ich persönlich hätte das Buch ohne "Bis die Sterne zittern" als Vergleich vermutlich deutlich besser gefunden. So ist es eher 2,5 Sterne mit Tendenz zu den 3 Sternen.
Im Grunde nicht schlecht, gerade für Jugendliche, die eigene Erfahrungen mit der Punk-Kultur haben. Diesbezüglich findet man sich in einigen Punkten wieder, wobei die 90er-Jahre des ehemaligen Ostens ebenfalls einen wichtigen Stellenwert einnehmen.
Anders als die meisten DDR-Punkgeschichten fokussiert sich diese hier auf das Danach, was eine interessante Erfrischung bietet. Leider werden die sozialen und politischen Verhältnisse nur wenig erklärt, was gerade für jüngere Leser*innen hinderlich sein könnte – denn diese Zielgruppe wird klar adressiert.
Gefallen hat mir im Übrigen das Leipziger Lokalkolorit (etwa der Park hinter der Moritzbastei) und die generelle Verortung in Sachsens heute eher links-grünen Großstadt. Einfluss haben die erwähnten Standorte jedoch kaum; ein bisschen mehr Funktion hätte das Setting bekommen dürfen, um nicht so austauschbar zu erscheinen.
Erzählerisch überzeugt mich der Roman nur zum Teil: Die Figuren brauchen zum Beispiel sehr lang, bis sie sich charakteristisch gefestigt haben und somit an Tiefe gewinnen. Anfangs wirkten die Namen wie Hüllen, was zwar einerseits zur Punk-Attitüde passt, andererseits aber für eine wenig emotionale Lektüre sorgt. Dies ändert sich glücklicherweise bei den wichtigen Charakteren, doch werden uns die Details von Konflikten (und die Betroffenheit der Figuren) nur phasenweise geboten. Schade, hier hätte ich mir mehr Spannung und Drama gewünscht.
Generell liest sich der Roman eher wie ein semi-gutes Jugendbuch, obwohl die Grundlage Potenzial bietet. Ob es einen Fokus auf Neonazis gebraucht hätte, wage ich zwar zu bezweifeln, aber so werden immerhin mehrere Themenbereiche bedient. Gleichzeitig könnte man das »Problem« des Romans genau darin erkennen: Weniger wäre (mit entsprechender Ausarbeitung) womöglich mehr gewesen und hätte insgesamt mehr Tiefgang ermöglicht.
Habe es mit der Intention gelesen, es als Schulliteratur für eine 9. Klasse auszuwählen, dafür vielleicht angemessen. Für mich persönlich fehlen aber den Charakteren Details und tiefere Hintergrundgeschichten, auch das Punk-Sein wird kaum thematisiert, also keine Diskussionen über Überzeugungen, was ich sehr schade fand. Hätte mich als jemand, der nie in der Szene war schon interessiert. Das Setting kurz nach der Wende wurde teilweise deutlich gemacht, aber auch hier hätte ich mir noch mehr Informationen und Details gewünscht.
Der Schreibstil ist unkompliziert, wie gesagt als Jugendbuch ist es vielleicht lesbar und gibt neue Insights