Es gibt derzeit kaum ein Thema, mit dem sich so viel Hass mobilisieren lässt wie mit Genderpolitik. Das Ressentiment reicht vom Spott über das Gendersternchen bis zu den Manifesten rechtsradikaler Terroristen. Carolin Wiedemann zeigt in ihrer eindringlichen Analyse, dass der antifeministische Diskurs ein zentrales Element des politischen Rechtsrucks ist – und bis in die politische Linke Sympathisanten hat.
Dagegen hilft keine individualisierte Verweigerung und auch kein neoliberales Durchschlagen, sondern nur kollektive queerfeministische Praxis. Die Autorin stellt neue (antipatriarchale) Beziehungsund Verhaltensweisen wie Co-Parenting und Post-Romantik vor, mit denen schon vielerorts ein zarter Umgang miteinander erprobt wird, der auch jene befreien wird, die noch immer unter Druck stehen, ihre Männlichkeit zu beweisen.
Eine radikale Analyse der Gewalt heutiger patriarchaler Herrschaft, eine Anstiftung zum rebellischen und zärtlichen Miteinander und ein Mutmacher für all jene, die sich seit Langem mit sexistischen Geschlechterverhältnissen auseinandersetzen, sie bekämpfen und ihnen im Alltag doch so oft nicht entkommen.
Diskursanalytisch, lösungsorientiert und argumentativ nimmt Carolin Wiedemann die Strukturen unserer Gesellschaft auseinander und ich liebe sie dafür. Es ist ein so umfassendes Werk mit so vielen Einblicken und Verknüpfungen, dass man kaum glauben kann, dass es sich nur um etwas mehr als 200 Seiten handelt. Auch wenn viele Begrifflichkeiten erklärt werden, ist es vielleicht 'a bit much' als Einstieg in feministische Essays, so ganz am Anfang; wer aber bei der Erkenntnis angekommen ist, dass wir ohne Betrachtungen Intersektionalität und verschränkter Unterdrückungsformen nicht weiter kommen, ist hier genau richtig.
Die Bewertung fällt hier schwer. Das Buch beinhaltet einige interessante Ideen und verweist auch auf viel weiteres Material mit dem man sich zur Vertiefung beschäftigen kann. Letzten Endes ist es allerdings mehr eine Sammlung von Fakten und Anekdoten, denen es häufig an Schärfe fehlt. Außerdem mag das Vierte Kapitel manche enttäuschen, da die Vorschläge nicht ausreichend sind und ich mir zumindest nach den ersten drei Kapiteln mehr erhofft hatte.
Das Buch zeigt die Zusammenhänge von Kapitalismus, Rassismus, Faschismus und Misogynie, und vor allem zeigt es wie wichtig Queerfeminismus ist und die Abschaffung der Binarität. Allerdings fand ich das Buch in der ersten Hälfte sehr zäh zu lesen, sehr lange Sätze und unstrukturiert innerhalb der Abschnitte. In der zweiten Hälfte werden die Themen mehr vertieft und anschaulicher.
"Der Neoliberalismus vertrug sich also bestens mit dem Postfeminismus, der did Gleichberechtigung aufgrund formal gleicher Rechte für verwirklicht hielt, und so ignorierte, dass das Bild der Frau als Objekt, das den Mann gefallen müsse, bestehen blieb und damit sogar noch stärker wurde."
Total interessante Idee, das Patriarchat durch Polygamie/Polyamorie zu stürzen. Hat mich auf jeden Fall, was das Thema angeht, so stark zum Denken angeregt und auch am krassesten bewirkt, dass ich an meinen eigenen Einstellungen gezweifelt habe.
4,5/5 Wiedemann schafft es, auf knapp 200 Seiten die Entstehungsgeschichte des Patriarchats und seine aktuellen Ausprägungen sowie Möglichkeiten zur Befreiung von heteropatriarchalen, bürgerlichen Normen darzustellen. Besonders eindrucksvoll ist ihr Abriss der Verflechtungen von Kapitalismus und Patriarchat. Sie demonstriert, dass sich eine materialistische Analyse und queerfeministische Ideen nicht gegenseitig ausschließen, was anlässlich immer wieder hochkochender Debatten in feministischen Kreisen diesbezüglich eine erfrischende Perspektive ist. Schön ist außerdem, dass sie im Kapitel über antifeministische Mobilisierungen auch nicht Halt vor (vermeintlich) linken Akteur*innen macht und zudem Kritik an Inhalten bekannter feministischer Persönlichkeiten wie Simone de Beauvoir oder Nancy Fraser übt, ohne diesen die Signifikanz für die Bewegung abzusprechen. Einen halben Stern Abzug gibt es für das längste Kapitel „Beziehungen befreien“. Bei den hier angesprochenen Kernthemen des Feminismus und emanzipatorischen Strategien handelt es sich um einen runden Überblick über bereits praktizierte Möglichkeiten, sich von der bürgerlichen Kleinfamilie und patriarchaler Gewalt zu lösen. Allerdings bezweifle ich, dass hier Leser*innen, die sich bereits mit der Materie beschäftigt haben (und die auch laut Klappentext Zielgruppe des Buches sind), neue Ansätze finden werden. Dieser Teil des Werkes könnte also eher als Einstiegslektüre in feministische Praktiken dienen, während die ersten Kapitel bereits fundierte Beschäftigung mit dem Thema voraussetzen – schade, dass das nicht ganz zusammenpasst.
Ungeachtet dessen ist „Zart und frei“ aber ein empfehlenswertes Buch mit einer konsequenten Struktur und Perspektive, welches allein schon aufgrund der knappen und stichhaltigen Analysen zum aktuellen Stand des Patriarchats und des Feminismus lesenswert ist.
Ich bin sehr beeindruckt von Zart und frei! Carolin Wiedemann hat die Probleme des Patriarchats und die Zusammenhänge mit Kapitalismus und Rassismus sehr gut dargestellt, analysiert und zusammengetragen. Ich hätte mir allerdings mehr Vorschläge zum Sturz des Patriarchats gewünscht.