Urban, divers, kosmopolitisch, individualistisch – links ist für viele heute vor allem eine Lifestylefrage. Politische Konzepte für sozialen Zusammenhalt bleiben auf der Strecke, genauso wie schlecht verdienende Frauen, arme Zuwandererkinder, ausgebeutete Leiharbeiter und große Teile der Mittelschicht. Ob in den USA oder Europa: Wer sich auf Gendersternchen konzentriert statt auf Chancengerechtigkeit und dabei Kultur und Zusammengehörigkeitsgefühl der Bevölkerungsmehrheit vernachlässigt, arbeitet der politischen Rechten in die Hände. Sahra Wagenknecht zeichnet in ihrem Buch eine Alternative zu einem Linksliberalismus, der sich progressiv wähnt, aber die Gesellschaft weiter spaltet, weil er sich nur für das eigene Milieu interessiert und Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft ignoriert. Sie entwickelt ein Programm, mit dem linke Politik wieder mehrheitsfähig werden kann. Gemeinsam statt egoistisch.
Sahra Wagenknecht is a prominent German politician, economist, author, and public intellectual, known for her distinctive blend of leftist economic policies and socially conservative views. Born in Jena, East Germany, she pursued studies in philosophy and literature at Humboldt University in Berlin and later earned a doctorate in economics. Her academic background has significantly influenced her political ideology and public discourse. Wagenknecht began her political career with the Socialist Unity Party (SED) and continued her involvement through its successor, the Party of Democratic Socialism (PDS). She was a member of the PDS's leadership and its Communist Platform, advocating for traditional Marxist principles. In 2007, following the merger of the PDS with the Electoral Alternative for Labor and Social Justice (WASG), she became a founding member of The Left (Die Linke) party. Her tenure in The Left was marked by her role as deputy party leader from 2010 to 2014 and as co-chair of the parliamentary group from 2015 to 2019. In 2023, citing ideological differences and internal conflicts, Wagenknecht departed from The Left and established her own political party, the Sahra Wagenknecht Alliance – Reason and Justice (Bündnis Sahra Wagenknecht, BSW). The BSW positions itself as a left-wing populist party, combining economic policies focused on social justice with a critical stance on immigration and globalization. This unique positioning has attracted a diverse voter base, particularly in eastern Germany, where the party has made significant electoral gains. Wagenknecht's political philosophy challenges conventional categorizations, as she advocates for wealth redistribution and robust social welfare programs while simultaneously expressing skepticism towards immigration and supranational entities like the European Union. Her views on foreign policy, especially her calls for improved relations with Russia and criticism of NATO, have sparked both support and controversy. Beyond her political endeavors, Wagenknecht is an accomplished author, having written extensively on economic theory, globalization, and social policy. Her publications reflect her commitment to critiquing neoliberalism and advocating for a more equitable economic system. Additionally, she engages with the public through various media platforms, including her YouTube channel "Bessere Zeiten – Wagenknecht's Wochenschau," where she discusses current political issues. Sahra Wagenknecht's influence on German politics is marked by her ability to articulate a vision that transcends traditional left-right divisions, appealing to citizens seeking alternatives to mainstream parties. Her leadership of the BSW continues to shape political discourse in Germany, particularly as debates over national identity, economic inequality, and foreign policy remain central to the country's future.
Sahra Wagenknecht hat mit "Die Selbstgerechten" ein bewusst polarisierendes, aber dennoch kluges Buch geschrieben. Auch Linke, die sich persönlich angegriffen fühlen, sollten, ehe sie pauschal ablehnend reagieren, erst einmal lesen, was ihnen (womöglich zu Recht?) vorgeworfen wird. Das könnte die Debatte und mithin die Verständigung über künftige Ziele und Strategien der Linken voran bringen, gerade weil das Buch in einer Zeit mit zugespitzten Thesen einschlägt, die Wahlkampfzeit ist. Negativ gesehen stiftet es also Unruhe zur Unzeit, weil es "Geschlossenheit" in Frage stellt. Positiv gewendet kann man aber auch sagen, dass die praktische Aktion die Reflexion und womöglich wechselseitige Korrektur verengter Sichten möglich (Wahrheitskriterium Praxis!) und vielleicht ein besseres Verständnis zutreffend beschriebener Probleme zunehmender Akademisierung von Politik und der Unerreichbarkeit abgehängter Milieus sichtbar machen könnte. In der Sache finde ich das Beharren auf dem Leistungsgedanken und damit die pauschale und nicht begründete Ablehnung des BGE rückwärtsgewandt; ökologische Fragen sind unterrepräsentiert und mit Blick auf Fridays for Future hätte ich mir mehr Nachdenken über eine mögliche Vermittlung und weniger harsche Kritik an den jungen Leuten gewünscht. Überhaupt ist Vermittlung nicht die Stärke der Autorin, die vereinfachen will, damit die Probleme deutlich hervor treten. Gelegentlich kommt einem das Buch so vor, als sei es bewusst in "einfacher Sprache" geschrieben, eben um nichtakademische Milieus zu erreichen. Das ist denn auch Stärke und Schwäche des Buches zugleich, das einerseits dicht und eingängig argumentierend daher kommt, andererseits verkürzt und zuspitzt, wo man sich mehr Diplomatie gewünscht hätte. Bewusst knüpft S.W. z.B. an die Erfahrungswelt proletarischer Milieus im vorigen Jahrhundert an, was irritieren kann. Wer daraus schließt, diese Positionen wären per se rückwärtsgewandt, hat aber nicht genau genug gelesen. S.W. knüpft dort an, um Vorschläge zu machen, wie diese Wertewelt in eine andere Zukunft mit neuen Formen von Kapitalgesellschaften usw. zu überführen ist. Hier liest sich der Text wie ein konkreter Vorschlag für das Parteiprogramm der Linken, der bisher so nicht durchging (was ich schade finde). Dabei beharrt die Autorin auf dem Nationalstaat als dem einzig möglichen Rahmen für eingreifende Sozial- und Wirtschaftspolitik, ohne die Potentiale einer anderen Globalisierung zu verkennen. Hier werden auch grüne Themen angesprochen, denn natürlich ist die existierende Form von Globalisierung extrem unökologisch. Auf das Thema "Grenzen" reagieren große Teile der Linken, die von der Arbeitswelt in ihrer prekären Form keine Ahnung haben, wie auf ein rotes Tuch. Ihr Idealismus in Ehren, aber wie freie Zuwanderung, die natürlich dem Kapital zum Zwecke des Lohndumpings entgegen kommt, auf Dauer finanziert werden soll, dafür gibt es bisher keine tragfähigen Konzepte. S.W. ist ökonomisch gebildet genug, um das vorzurechnen. Und das alles geht einher mit dem Plädoyer für die Aufnahme politisch Verfolgter und der Anprangerung untragbarer Verhältnisse im Mittelmeer. Die Lösung ist eine andere Politik (nicht nur) Afrika gegenüber, eine Politik, die Heimat lebenswert macht und Zukunft ermöglicht, und natürlich ein Ende aller militärischen Konflikte. Ich bin vollkommen dabei. Bleibt der Hauptvorwurf, die (il)"libertäre Linke" würde sich mit ihrer einseitigen Fokussierung auf identitätspolitische Themen von klassischen Wählermilieus der LINKEN (und anderer Linker) abwenden und außerdem auf ein vergiftetes intellektuelles Angebot (us-) amerikanischer Thinktanks hereinfallen, die damit das klassische "Teile- und- Herrsche" in den progressiven Bewegungen re-etablieren konnten. Ich teile die Haltung der Autorin und ihre Analyse dazu, hätte mir allerdings gewünscht, dass sie dennoch mehr auf die Berechtigung solcher Forderungen, die das Problem eben so unübersichtlich und so schwer handelbar macht, eingegangen wäre. Dafür fehlt ihr jedes Verständnis. Aber es muss ja nicht jeder oder jede für alles dasselbe Verständnis haben. Hier wäre eine an der Sache wie an den Zielen orientierte Meinungsbildung wünschenswert und allemal besser als das Übereinander-Herfallen oder Nicht-mehr-miteinander-Reden, das die Situation heute prägt. Hier hat die LINKE als Partei Defizite anzuerkennen und an deren Überwindung im Sinne einer kameradschaftlichen und gesellschaftlich vorbildlichen offenen Debattenkultur zu arbeiten. Wahrscheinlich ist das Idealismus, aber man darf doch noch träumen, oder?
Sahra Wagenknecht beschreibt in ihrem Buch einige interessante Entwicklungen in linken Bewegungen der letzten Jahrzehnte und der Gegenwart und bietet auch einige gute Analysen zu bestimmten Phänomenen. Allerdings verliert sie sich oft in haltloser Polemik und nichtssagenden Verallgemeinerungen und ist aufgrund ihres eigenen Rassismus nicht in der Lage produktive Lösungsvorschläge für ein echtes Miteinander zu bieten, das wirklich alle in Deutschland lebenden Menschen einschließt. Anstatt die Kräfte verschiedener Bevölkerungsgruppen zu bündeln, werden diese gegeneinander ausgespielt, was am Ende nur in eine schwächere Bewegung münden kann und viel Organisationspotenzial ungenutzt lässt.
Vorneweg möchte ich als Azubi im Buchhandel anmerken, dass kontextlose Kritik an Auszügen aus einem Buch, das die Allgemeinheit noch gar nicht gelesen haben konnte, auf Twitter zu teilen und vor 25.000 Followern anzuprangern – wenn du willst, dass ein Buch nicht gelesen wird – ein denkbar strategisch widersinniger Move war, der sich meinem Verständnis entzieht. Jedenfalls hat sich bei uns im Laden das Interesse an dem Titel mindestens verdreifacht. Dass ein Bundestagsabgeordneter für die Linksfraktion nicht wüsste, wie Negativmarketing funktioniert, scheint mir kurios. Was für die sogenannten „Sozialen Netzwerke“ als typisch aufmerksamkeitsheischende Affekthandlung noch gerade so nachvollziehbar gewesen wäre, wird aber dann als tatsächlich mangelndes Leseverständnis oder mutwillige Entstellung des Buches in seiner, also Niema Movassats, Rezension in „Die Freiheitsliebe“ vom 22. April 2021 deutlich. Weitaus sinnvollere Kritik konnte man da eher von Christian Baron in der Wochenzeitung „Der Freitag“ vom 15. April 2021 lesen. Nachfolgend ein paar Gedanken, die aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben …
Also jedenfalls, dass Wagenknechts Buch Schwachstellen hat, nicht zuletzt bei der polemischen Abwertung von Identitätspolitik, der es an differenziertem Hintergrundwissen zur Entstehung dieses Theoriekomplexes mangelt, steht auch für mich außer Frage. Trotzdem hat jemand, der dem Buch oder ihr selbst Homophobie, Rassismus oder AfD-Nähe unterstellt, meiner Meinung nach nicht sinnerfassend gelesen – sondern nach Textstellen gesucht, die eine vorher eingenommene Haltung dann bestätigen, wenn man sie aus dem Kontext des Buches oder sogar des Absatzes in dem sie stehen herauslöst. Wer ernstlich glaubt, dass Sahra Wagenknecht in irgendeiner Weise Rechtskonservativen und den Protofaschisten der AfD nahe käme, ähneln oder „am rechten Rand fischen“ würde, sollte einmal die Möglichkeit nutzen, dass man Bundestagsreden von allen möglichen Abgeordneten auf YouTube anschauen und das Verhalten der verschiedenen Fraktionen beobachten kann. Ihr Spalterei vorzuwerfen ist auch besonders ironisch wenn das von Rot-Rot-Grün Befürwortern kommt, die die Schuld für Stimmverluste nicht auch in ihrer eigenen inkonsequenten Politik suchen wollen.
In diesem Buch wird aus einer recht klar eingegrenzten Perspektive historisch und ökonomisch beschrieben wie sich vermeintlich linke Politik immer mehr von einem tatsächlich progressiven Anspruch und den Interessen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung hierzulande und weltweit entfernt. Dabei wird unter anderem aufgezeigt, dass eine moralisch überlegene Selbstdarstellung in Wort nicht gleich die entsprechende Tat zur Folge hat. Wenn Parteien, die sich selbst ein progressives Image zusprechen, dann weder soziale Politik machen, noch Friedenspolitik, verlieren sie an Glaubwürdigkeit. Wenn dann leere Versprechungen gemacht werden – die Realität dann aber doch Lobbyismus und Kriegstreiberei sind, führt das zu Desillusion. Vermeintlich linke Identitätspolitik wie sie heute in bürgerlichen Medien ausgefochten wird, hat dem wenig entgegenzusetzen. Und sie hat auch wenig mit tatsächlich produktiver und Solidarität fördernder Anwendung der Grundsätze, die sie zu vertreten vorgibt, zu tun. Das zeigt sich auch im Umgang mit diesem Buch. Was nützt die vermeintliche moralische Überlegenheit in der sich die akademischen und sozialen Aufsteiger des globalen Nordens wähnen denn tatsächlich Ländern des globalen Südens? Und was denen im globalen Norden, die nicht aufsteigen können oder wollen? Um genau die geht es vordergründig in diesem Buch. Sowohl wie entfesselte „freie“ Marktwirtschaft der Unterschicht des globalen Nordens schadet als auch wie sie dem globalen Süden und insgesamt der Mehrheit der Weltbevölkerung und der Umwelt in der wir leben, schadet. Aus einer vor allem historischen und ökonomischen Analyse heraus.
Befremdlich fand ich dabei eher, dass Wagenknecht das aus einer Art Ludwig Erhard trifft Willy Brandt Perspektive tut. Bei der Beleuchtung des Grades der Organisiertheit der Arbeiterschaft der Bundesrepublik zu Zeiten von Marshall-Plan und Truman Doktrin usw. dann die DDR, Sowjetunion und andere Länder, die begannen sozialistische Wege einzuschlagen kaum oder nur am Rande zu erwähnen, und zu unterschlagen, dass sie als Stille Verhandlungspartner mit am Tisch saßen, während die BRD und Westberlin auch als Schaufenster der sogenannten westlichen Werte herausgeputzt wurden, ist mindestens skurril. Vielleicht muss man einfach zwischen den Zeilen lesen, dass der Abbau des westlichen Sozialstaates zufällig mit dem „Ende der Geschichte“ und dem vermeintlichen Sieg des Kapitalismus im Kampf der Systeme einsetzte.
Aber all das ist für den Shitstorm egal. Die Werte dieses Linksliberalismus taugen, um es mit Worten aus Wagenknechts Fazit zu sagen, eher dazu „den globalisierten Kapitalismus progressiv umzudeuten“ und denen, die in ihrem täglichen Leben von dieser sozialdarwinistischen Erzählung vor den Kopf gestoßen werden, für nicht aufgeklärt genug zu halten, wenn sie sich von dieser Erzählung nicht angesprochen fühlen. Das mutet nicht nur missionarisch an sondern auch arrogant.
Während der Großteil der medienwirksam identitätspolitisch Aktiven, meiner Erfahrungen und Beobachtungen nach Menschen sind, für die die Diskriminierungserfahrungen ihrer Kindheit und Jugend nicht nur identitätsstiftend sind sondern als Teil einer Aufsteigererzählung auch lukrativ; profitieren die Gruppen, die sie sich anmaßen zu vertreten eher begrenzt von ihrem Engagement für die diversere Marktwirtschaft. Dem reaktionären Backlash kommt man mit diesem Ansatz jedenfalls bislang offensichtlich eher nicht bei. Und wenn junge akademisch gebildete Menschen nicht begreifen, dass sie mit der Mehrheit und im ökonomischen Interesse der Mehrheit argumentieren müssen und können, um den Abbau von Vorurteilen gegen akademische Blasen und Weltfremdheit entgegenzuwirken, dann wird sich eine neue Arbeitenden-Intelligenz zusammenfinden müssen, die ihre Interessenvertretung in die eigene Hand nimmt.
Ob ich mir das Buch ohne den Shitstorm als Leseexemplar hätte schicken lassen, kann ich nicht sagen. Die Lektüre war interessant und die reflexartig uninformierte Empörung aufschlussreich aber an einigen Stellen hätte das Buch besser recherchiert, lektoriert und Formulierungen weniger polemisch verfasst sein können. Auch die sinophoben Anwandlungen gegen Ende haben eher befremdet.
Schaue ich zurück darauf, als ich das erste Mal wählen durfte, so habe ich damals tatsächlich die Linken gewählt. Zugegebenermaßen ist das schon ein bisschen her (wir werden ja alle älter), aber es gab eine Zeit, in der mich Frau Wagenknecht doch überzeugen konnte. Mittlerweile bin ich ihr und auch den Linken, und im weiteren Sinne eigentlich gar keiner Partei unseres politischen Etablissements, mehr übermäßig zugetan. Und was soll ich sagen, dieses Buch hat daran jetzt auch nicht wirklich etwas geändert.
Eins vorneweg: Sahra Wagenknecht ist eine sehr gute Analytikerin. Das kann sie gut, konnte sie schon immer gut und das muss man ihr zugestehen. Ehre, wem Ehre gebührt. Zur Sprache zu bringen, was sowohl global als auch national politisch im Argen liegt, war schon immer ihr Steckenpferd. Aber auch wenn vieles was sie anprangert an sich richtig ist, so macht sie es sich teilweise schon ein bisschen zu einfach. Es ist alles sehr monokausal, so als ob zwei Tatsachenbestände nie gleichzeitig bestehen könnten, bzw. Probleme multikausale Ursachen haben.
Im Wesentlichen kritisiert Wagenknecht die jetzige Linke sehr scharf und polemisch, indem sie ihr vorwirft, sich nicht mehr für die klassischen Arbeiterthemen zu interessieren, sondern für Themen, die man heute gerne als 'woke' bezeichnet. Gewählt wird die Linke dementsprechend vor allem von Akademikern. Die Arbeiterschicht wendet sich stattdessen der AfD zu, da keine der anderen Parteien noch eine wirkliche Politik macht, die für eine wirkliche Umverteilung und Sozialpolitik steht. Hier stimme ich ihr zu, auch ihrer Aussage, dass der Zustrom zu den rechten Parteien nicht unbedingt nur ideologisch motiviert ist. Was Wagenknecht aber nicht anspricht: Selbst wenn man die AfD 'nur' aus Protest wählt, so akzeptiert und unterstützt man durch seine Stimme auch die Ansichten ihrer extremsten Mitglieder.
Ihre Kritik an der Identitätspolitik halte ich für schwach und eher opportunistisch. Gefühlt hat sie sich hier nicht in der Tiefe mit der Materie befasst und manches etwas zu verharmlost. Ich verstehe aber warum, da es ihr Ziel ist, einen Fokus auf die 'klassischen' politischen Themen der Arbeiterschicht zu richten - die idealisiert sie übrigens sehr.
Überhaupt wirkte dieses Buch auf mich wie ein Buch, welches Wählerfang betreibt. Was ja klar ist, warum sollte sie es sonst schreiben. Die Antworten auf die von ihr angesprochen Probleme lesen sich vielleicht deshalb wie eine Wahlkampfrede: einfach, unkonkret und teilweise schrecklich vage. Wie zu erwarten regnet es (berechtigte) Kritik am Kapitalismus, der Globalisierung und vor allem den Versäumnissen in der Sozialpolitik. Auch wenn vieles in der Theorie vielleicht gut klingt, so wäre ich gespannt, ob ihre Pläne wirklich so einfach und kostengünstig umsetzbar wären, wie sie behauptet.
Vielleicht hat sie nach der nächsten Wahl ja Gelegenheit dazu - wenn sie ein paar Probleme wirklich lösen kann, würde ich mich ja nicht beschweren. Bis es so weit ist, behalte ich es mir vor, weiter skeptisch zu bleiben.
Sahra Wagenknecht is one of the few politicians I admire. Whenever I see her in some talkshow I tend to think that what she is saying to have a more likely chance to be true than what her opponents say. To some extent that may be better rhetorics. But I believe she is also smarter than most other people. And she is quite brave. She knew she would get into shit storms with this book but she did it anyway. And she quoted Dante right at the beginning. Those who choose not to participate in some uncomfortable discussion end in the lowest level of hell. I have not checked but it does sound right.
And brave she is. Which is absurd because all she says about the current left liberal political climate about the diversity and cancel culture is just plain common sense. It does take courage these days to be an advocate of common sense. To give just one example it is indeed absurd that a heterosexual postman with back aches belongs to the privileged class whereas the daughter of an immigrant family of academics is by definition a victim. There are zillions of examples and her main theme is that the really underprivileged people, and for her that means low-income working people have nothing to with it and have no sympathy for it.
It is just a tiny little bit one-sided. But she does earn credit that she talks about it. I am all in favour of women getting their share in DAX leading positions. But that the percentage of working-class kids getting a university degree seems to be totally irrelevant for the SPD these days is something I do not understand.
Wagenknecht does go a little too far in her sympathy for the poor (relatively poor) Germans. I do not think that everyone has a God-given right to eat cheap meat every day. And just because rich Greens support the idea of taxing CO2 does not automatically make this a bad idea.
Wagenknecht is smart but I am not altogether convinced after having read the book that she is totally honest. Example: In 1972 she says if I bought Schnitzel for DM 10 DM 4.80 would go to the guy who raised the cow. Now if I pay 10 Euros only 2.20 Euros go to the guy. Poor man. The profit now goes to the big guys in between like Tönnies. Now, I do not have to have studied economics to see that this is a very poor argument. Because she does not tell us how many more cows the guy is able to take to the slaughter-house. Without this information the argument is empty. Just a poor piece of propaganda. If there is more meat it gets cheaper. And if there is the political will to reduce the consumption of meat (for the sake of the cows or climate) we should tax it. Easy as that.
If there is one word that nobody wants to hear anymore it is narrative. But Wagenknecht decided to talk about "Erzählung" throughout. Which is worse. Because narrative has at least the advantage to be recognised as a technical term. Even better would be framing. Or if one needs a German expression something like "sinngebender Mythos". We all live in frames and the people able to define the frames have the power.
One more thing. She talks about the Prisoner’s dilemma. In her version both gangsters are released if they keep their mouth shut. But that is not the standard version and constitutes a totally different "narrative".
Her descriptions of the way things are are mostly accurate, I think. I am not so sure about the remedies. Politicians selected by lot? More power/money to the state, less to Europe?
I do agree that the influence of left liberals who in reality make our world less tolerant should be reduced. And we do need brave people with some common sense.
Die Selbstgerechten von Sahra Wagenknecht habe ich sehr gern gelesen. Diesem Buch wünsche ich viele, viele Leser. Hier geht es hpts. darum, was man politisch tun könnte, damit es Einfachen Menschen besser ginge. Nicht den Masters of Desasters und ihren gekauften Handlangern, wie dies üblicherweise der Fall ist, und hier sehr klar zum Ausdruck kommt. Schön, wie diese Desastermeister hier überaus treffend analysiert und die Dinge beim Namen genannt wurden. Schon allein das hat Spaß gemacht. Nur wenige Politiker haben heute den Mut, diese unbequemen Wahrheiten so klar öffentlich zur Sprache zu bringen.
Diese linksliberale Ideologie mit ihren oft perversen Methoden, die mit Demokratie nichts zu tun haben, nimmt S. Wagenknecht richtig gut aufs Korn, bleibt dabei sachlich, niveauvoll, charmant. Auch hier Hut ab. Diese Balance zu finden, so freundlich, aber bestimmt beim Beschreiben von all dem Unfug zu bleiben – schon allein das ist eine beachtliche Leistung. Hinzukommt, dass die Sachverhalte so zugänglich, anhand von Beispielen aus dem realen Leben, keineswegs trocken, dargelegt wurden.
Dieses Buch kann jede(r) lesen. Auch wenn er/sie keine Sachbücher sonst in die Hand nimmt.
In der zweiten Hälfte kommt noch mehr: Nach der Darlegung des Ist-Zustandes folgen die Vorschläge zur Besserung der Lage für die einfachen Menschen, für die Steuerzahler, die den ganzen „Spaß“ (z.B. Aufrüstung, Kriege, Sanktionen gegen bestimmte Länder etc.) nach wie vor mit ihrem Sauerverdientem finanzieren. Es ist eher ein grober Plan vorerst, wie der Untertitel es verkündet: „Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“), wäre aber ein guter Start, enthält viele gute Ideen.
Lesen Sie dieses Buch, gelangen Sie zu ihrer eigenen Meinung, statt sich gleich vorweg, unter dem Einfluss von den abwertenden Kommentaren aus z.B. der Feder der linksliberalen Meinungsmacher, da gibt es Profis alle Achtung, von diesem Werk abzuwenden. Diskutieren Sie lieber diese Inhalte in Ihrem Bekannten-/Freunde-/Verwandtenkreis. Es geht hier um die Möglichkeiten der Besserung der Lebensumstände für die einfachen Menschen, was längst fällig wäre.
Ich gehe nicht weiter ins Detail, denn es würde jeden Rahmen sprengen. Schauen Sie ins Inhaltsverzeichnis. Das gibt einen guten Überblick über die Inhalte. Gut möglich, dass vieles, was in diesem Buch steht, Ihnen wie aus der Seele gesprochen vorkommen wird. (Voraussetzung hierfür ist, dass Ihre Wahrnehmung nicht oder nur im geringen Maße von der linksliberalen Ideologie verseucht ist.)
Die Buchgestaltung fällt hochwertig aus, passend zum Inhalt. Festeinband, Umschlagblatt, Lesebändchen, angenehme Schriftgröße. Der Text ist lesefreundlich auf den Seiten geordnet: Für jedes Unterthema gibt es paar aussagestarke Sätze, klare Ansagen und weiter geht es zum nächsten Punkt. Das Buch liegt gut in der Hand. Lässt sich angenehm lesen. Die weiterführende Literatur kann sich auch sehen lassen. Einiges kenne ich und kann die Titel gern weiterempfehlen, wie auch dieses sehr lesenswerte Werk, z.B. Die Abgehobenen von Michael Hartmann, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus von Shoshana Zuboff, Kapital und Ideologie von Thomas Picketty.
Fazit: Lesen, lesen und nochmals lesen. Unbedingt.
"Die Selbstgerechten" ist Sahra Wagenknechts Momentaufnahme der politischen Linken in Deutschland. Während die Basis des Linkstums einst noch auf Chancengleichheit, sozialer Gerechtigkeit und Einheit fundierte, seien identitätspolitische Debatten mittlerweile dermaßen in den Vordergrund gerückt worden sein, dass der Klassenkampf und die wahren sozioökonomischen Probleme des Kapitalismus völlig zur Strecke bleiben. Das ist jedoch kein Zufall, denn die Erzeuger dieses Klimas die von Wagenknecht als 'Lifestyle-Linke' betitelt werden, suchen gezielt moralische Überlegenheit mit ihren immer realitätsferneren neoliberalen Prinzipien. Die linken deutschen Parteien billigen diese Gruppe nun jedoch so sehr, dass die deutsche Arbeiterklasse endgültig den Anschluss zu den Linken verloren hat, und somit zur Bewegung zurückfallen, die sie validiert und sich offen gegen das Establishment stellt. Das Resultat: Linke Parteien sind keine Arbeiterparteien mehr. Das bleibt nun dem rechten Spektrum vorbehalten. In der zweiten Hälfte werden konkretere Lösungsansätze skizziert, um jenen illiberalen "Linksliberalismus" entgegenzuwirken.
Wieso "Die Selbstgerechten" sowohl in der eigenen Partei als auch darüber hinaus aneckt, fällt nach dem Lesen dieses Buch nicht schwer. Von der klaren Stellung gegen beispielsweise offene Grenzen oder für härteres Vorgehen gegen radikalen Islamismus reicht ihr "Gegenprogramm" nämlich auch zu den finanz-und umweltpolitischen Ansätzen über. Ansätze, die konträr zum eigenen Parteiprogramm stehen.
Jedoch trifft genau diese Position jenen breiten Teil der Gesellschaft, der sich sowohl von den regierenden als auch von der Linkspartei im Stich (oder wie Wagenknecht sagt: "rechts liegen") gelassen fühlt. Denn während die Linkspartei in Umfragen kontinuierlich sinkt, wächst Sahra Wagenknecht rasant zu einer der populärsten und relevantesten politischen Figuren im Land. Spätestens als ein Freund meinerseits, welcher bekennender AfD-Wähler ist, sagte, dass er eine eigene Partei von Wagenknecht sofort wählen wurde, wurde mir vieles klar was in diesem Buch Punkt für Punkt bestätigt wurde. Das Problem ist nicht etwa ein "Rechtsruck". Es ist die Entfremdung der Linken von der Arbeiterschaft und Annäherung zur akademischen mittleren Oberklasse, welche meint gesellschaftliche Probleme durch Verhalten zu lösen, welches ihnen selbst vorbehalten bleibt.
Der direkte Einfluss von so einem "Gegenprogramm" ist diesbezüglich nochmal ein ganz anderes Thema. Wird dies die Linke nur noch mehr spalten, und musste dieses Buch unbedingt im Wahljahr herausgebracht werden?
Für mich bleibt eines klar: Ein längst fälliger Weckruf, Linkssein zu seinen Wurzeln zurückzubringen und in Deutschland neu zu definieren spricht ein Unterfangen an, mit dem man keine weitere Sekunde mehr warten darf.
An sich interessante Einblicke in das Denken einer doch ziemlich bekannten Politikerin. Leider sind schon ziemlich am Anfang und auch am Ende Aussagen dabei, bei denen ich ehrlich gesagt ziemlich entsetzt und enttäuscht war. Laut dem Buch ist sexuelle Belästigung ein falsch verstandenes Kompliment. Die Ansichten zu Diskriminierung sind auch, vorsichtig ausgedrückt, interessant. Wer nicht möchte, dass seine Kultur als Faschingskostüm herhalten muss, verdirbt Kindern Fasching. Es gibt ja keine anderen Kostüme. Was Minderheiten angeht, so zählt für Frau Wagenknecht anscheinend nur die Arbeiterklasse als relevante Minderheit. Alle anderen sollen sich nicht so anstellen. Wer nicht arm ist und wer einen abgesicherten Job hat, darf sich nicht als Opfer von Diskriminierung sehen. Man soll anscheinend auch nichts gegen Diskriminierung sagen, weil die Arbeiterklasse darunter leiden könnte. Bitte was? Das sind Aussagen, die ich von der AfD erwartet hätte, aber nicht von Frau Wagenknecht. Kurz gesagt: Mein Bild von ihr hat sich durch dieses Buch deutlich verschlechtert.
Das Buch ist großartig und ich werde es an Bekannte weiterempfehlen. Es hilft die aktuelle Entwicklung zu vertsehen und nachzuvollziehen. Die scharfe Kritik darin, halte ich nicht für übertrieben, sondern für notwendig, um aufzuzeigen, warum die Linken Parteien ihren Rückhalt bei ihren klassischen Wählern verlieren. Der Titel ist hier sehr passend gewählt. Das Buch hat die Chance auch Menschen zu erreichen, die sich vergessen fühlen und ihnen zu zeigen, dass ihr Empfinden durchaus nachvollziehbar wenn nicht sogar gerechtfertigt ist. Frau Wagenknecht hat mit diesem Buch gezeigt, dass sie trotz fehlendem Rückhalt zu ihren Überzeugungen und den Interessen der Unterpriviligierten steht.
Oh dear. The entire playbook of the 'scandal' created around this latest book 'Die Selbstgerechten' (The Self-Righteous) by German left-wing politician and former parliamentary chairperson of the party Die Linke Sahra Wagenknecht was entirely predictable.
Contrary to many social media inquisitors, I have actually read this 450-page book rather than taking out of context a few 'problematic statements' to yet again prove that Sahra Wagenknecht is a reactionary nationalist populist, if not an outright right-winger.
Here follow a few take-aways, full disclosure, I am a Sahrabro (pronoun: it/its).
1. My general sense is that it probably didn't need this book, it was clear from the outset that the book would provoke exactly the kind of reaction it did.
2. I also feel like everything has been said about the shift of the 'socialist left' to a party that resonates well with (some) urban 'university educated' middle class progressives but remains largely irrelevant for the vast majority of people formerly known as the working class lol.
3. There's a lot to learn from Bernie Sanders: obviously a socialist platform has to combine socio-economic issues of exploitation with those of discrimination, e.g, anti-racism, gender, sexual orientation. Duh. I think we have all come to the conclusion that capitalism is inherently gendered and racialized etc. But it's still capitalism so you'll still have to get to the bottom of this, there's no intellectual short cut here. What Bernie managed to do is to bring this together in practice through concrete political projects- the fight for universal healthcare, social security or living wage is organically linked with issues related to racial justice, migration, gender etc. But the issues he is fighting for are directly linked to the every day experience of the quote-unquote working class. My point being that this supposed contradiction between material concerns and issues of identity doesn't exist in socialist practice precisely because things are so interlinked.
4. Now back to the book and Germany where things are very different for a million reasons. I agree, obviously, with Wagenknecht's assessment that part of the reason why the populist far right is better able to mobilize support among the 'lower class' (yes, yes, I know. use the term of your liking) is not because all of these people are inherently racist or even right wing but because the alternative from the liberal mainstream - often moralizing from the high horse - is alienating, if not offensive. This doesn't mean that there aren't actual nationalists and that there isn't structural racism, of course.
5. Wagenknecht's point - and I agree with this - is that we should not confuse cause and effect: the rise of the far right is not primarily a result of a (ostensibly out of nowhere) rise in far right sentiments among the lower classes but a reaction to a political status quo across the political spectrum in which politics are made in the interests of the 1 percent (you know what I mean) - at best you get a self-declared left that lectures incessantly from the moral high horse but has no balls to take on the interests of capital (because the interests of capital and the better off urban cosmopolitan elites converge). Etc. As a result of this protest vote and increasing disenfranchisement of large parts of the population we are seeing a real shift in the political climate - including an emboldening of the far right. This is the effect, however, not the cause.
6. Lecturing these 'deplorables' (HRC) that they better get on the cosmopolitan train and, while they are at it, check their privileges and gender pronouns will probably not bring these people back into the fault. It is yet to be seen whether a real political shift and material improvement for the 'working class' under Biden will bring back former Trump supporters.
7. Back to Germany: no need to beat around the bush: it seems many people do not necessarily agree with the liberal mainstream's moralizing demand to unconditionally support 'open borders' or the European Union as we know it. As the knee-jerk reaction to Sahra Wagenknecht shows, any serious questioning of this is immediately condemned as being nationalist or a populist playing with racist sentiments. So if we leave the critique - or exit - of the EU to the right, then obviously people will go there. If we held referendums on EU membership in all EU countries now, we would probably be done with the EU.
8. The strength of the book lies in actually outlining some ideas of an alternative programme - including ways to recover policy space and democratic participation through strengthening the - boohoo - nation state. It's one of neoliberalism's greatest scams to make us believe that the dismantling of the (nation) state set us free - while in reality we literally created a world in which capital roams and destroys people and the planet freely while 'we' are left with a sense of impotence.
9. The sense of impotence is of course what makes the far right promise of taking on 'the swamp' or 'building a wall' so attractive at a time where the left declares that it is unable ('TINA') to address fundamental issues that would give people a sense of security and a stake in politics: affordable housing, secure and decent employment, universal healthcare etc.
10. We can also address the issue of migration if we are serious: the solution to global wars and inequality and currently 80 million or so refugees is not an insincere rhetorical commitment (or change in facebook profile picture frame lol) to 'open borders' and 'refugees welcome' (if so, please issue Schengen visas for all in Kabul, Damascus and elsewhere so people don't have to go through hell to reach the EU's militarized borders. Ta.) but being sincere about the root causes - these are 'our' wars etc, etc. Insert here a 10-page rant on imperialism here.
11. said 'if we were serious'. Just like with climate change, we are not serious because being serious would mean to change the fundamentals, going to the dark heart of things for which we no longer have a language or imagination. That's why the liberal elites insist on an individual behaviour and moralizing approach to climate change (and everything else) - don't eat meat! don't fly!, confusing lifestyle with an actual political programme. Can't wait to see this neoliberal progressive crap play out in full force once the Greens are in power in Germany later this year. Yeah.
12. Bottom line: I don't know. I am tired of this identity politics debate. I am looking to Bernie and the squad for some real life inspiration on how to mobilize support for a 21st century socialism where issues of class, race, gender and the rest of it are being understood within one system.
Sarah Wagenknecht nimmt viele unterschiedliche Dinge, wirft sie in einen Sack, dann erbricht sie sich darin, wirbelt den Sack durch die Luft und voilá ein Spiegel-Bestseller. In einigen Punkten hat SW recht. Bei ihrer Beschreibung der Lifestyle-Linken wurde ich rot. Die Diagnose, das viele linksliberale in einer Blase leben, in der sie kaum mit Migrant*innen und Nicht-Akademiker*innen zu tun haben, trifft zu und wirkt sich sicherlich auch auf deren Empathiefähigkeit aus. Viele Erkenntnisse über neoliberale Doktrin, Abbau des Sozialstaates oder den Überwachubgskapitalismus sind sehr richtig, kommen nicht aus ihrer Feder und sind für jeden Menschen, der sich ansatzweise in der geisteswissenschaftlichen Linken auskennt, kalter Kaffee, aber natürlich trotzdem wahr. SW offensichtliche Verweigerung komplexe Fragestellungen mit komplexen Gedankengänge zu bearbeiten, tut allerdings intellektuell weh. Es scheint als kenne sie ausschließlich monokausale Schlüsse "wenn a, dann b", was sicherlich nicht der Realität entspricht. Ein "sowohl als auch", also das verfolgen paralleler Handlungsalternativen, scheint für sie eine gedankliche Überforderung zu sein. Hart wird es, wenn sie Positionen ihrer politischen Gegner (offensich B90/Die Grünen) bewusst falsch darstellt und wirklich offenkundig falsche Dinge über Umwelt- und Klimapolitik schreibt, über Corona wie auch in Talkshows häufig zu hören und vieles mehr. Albern ist natürlich vor allem, dass sie als Ziel ihres Buches ausgibt Brücken bauen zu wollen, zwischen der traditionellen Linken und der so genannten Lifestyle-Linken, während sie im ersten Teil ihres Buches einfach ausschließlich mit dem Knüppel alles verdrischt, was nicht ihrer konservativ sozialistischen Vorstellung entspricht, um im zweiten Teil des Buches, dann ein paar wenige Handlungsalternativen aufzuzeigen, die schwanken zwischen von einer politischen Umsetzbarkeit sehr weit entfernt zu sein und dass sie zum Teil schon längst von ihrer so gescholtenen EU doch schon längst umgesetzt werden. Und woran mag das alles liegen? Vielleicht daran, dass weiter an ihrem gescheiterten Versuch festhalten will mit der von ihr initiierten Bewegung "Aufstehen" Figuren wie Jeremy Corbyn, Luc Melonchent und Bernie Sanders nacheifern will oder eben wie die Sozialdemokraten in Dänemark agieren möchte. Theoretisch bedient sich SW dabei aus dem Einmaleins des Kommunitarismus, einer poltiktheoretischen Strömung die eigentlich vor 40 Jahren totgeglaubt schien. Es könnte sogar sein, dass eine Partei mit ihrer Programmatik Erfolge bei Wahlen erzielen könnte. Allerdings heiligt bei SW der Zweck die Mittel. Menschen, die versuchen moralisch richtig zu handeln werden zu Selbstgedrehten. Unterdrückte zu skurrilen Minderheiten und der Nationalstaat zum Bollwerk der Demokratie. Für mich war das Buch gute Unterhaltung, mehr aber auch nicht. Wer wirklich etwas über die politische Linke lernen will, kommt mit diesem Buch nicht auf seine Kosten.
„Die Selbstgerechten“, nach dem Vorwort dachte ich mir Frau Wagenknecht könnte so auch ihre Autobiographie nennen, denn wie sie dort gegen den Linksliberalismus hetzt, wirkt sehr verbittert unreflektiert und eindimensional. Dies hat mich erstaunt. Sobald es aber um Fakten und sachliche Analyse geht, glänzt sie wieder mit klaren Worten und Strukturen und liefert gute und durchdachte Gründe für ihre Aussagen, die ihr ja beim Thema Migration zB manchmal auch als ausländerfeindlich / rechts angekreidet werden. Nach diesem Buch kann ich ihre Aussagen nachvollziehen, was mir aber leider fehlt ist das „wie“. Denn der Untertitel ist schließlich „Mein Gegenprogramm...“ und ein Programm hat sie zwar, aber keine Vorschläge wie man diese umsetzen könnte. Es ist leicht zu sagen man müsste dies und jenes, das regt auch durchaus zum denken und diskutieren an, aber helfen tut es nicht. Sahra Wagenknecht nimmt sich die aktuellen Themen der Politik an und analysiert woher die Abwanderung der linken Wählerstimmen kommt, woher der Unmut der Bevölkerung kommt und wozu er führt, in Deutschland und Europa. Ich stimme nicht mit allen ihrer Aussagen überein und bei manchen finde ich ihre Vorwürfe auch etwas (wie schon das Vorwort) eindimensional. Denn ich kann zwar verstehen, dass Menschen auf eine gewisse Art handeln, weil die Rechte von Minderheiten mehr in den Fokus gestellt werden, als die Probleme der Mehrheit, aber das rechtfertigt halt nicht diesen Minderheiten die Schuld zu geben oder sie weiter zu ignorieren. Man muss beides können: die Probleme der Mehrheit angehen und die Gleichstellung und Förderung der Minderheiten voranbringen. Ein Beispiel: Sahra Wagenknecht kritisiert den aktuellen Fokus auf Gendern, weil die fehlende Gleichberechtigung von Frauen im Niedriglohnsektor immer noch ein großes Problem ist und ihrer Meinung nach die paar Leute denen Gendern wichtig ist, da hinten anstehen sollten. Warum? Richtig wäre es doch alle abzuholen und beide Themen anzugehen. Klar muss man schauen wie viel Aufmerksamkeit welches Thema bekommt, aber dass Medien sich auf Dinge stürzen die polarisieren ist ja nun auch nichts neues. Ich könnte noch weitere Beispiele bringen, sowohl welche, die mich haben umdenken lassen, als auch welche, mit denen ich nicht übereinstimme. Aber egal, ob man mit der Autorin übereinstimmt oder nicht, was sie gut macht, ist dass sie neue Perspektiven gibt und zum denken anregt. Ich habe nach der Lektüre bestimmt eine Stunde mit meinem Freund über das Buch und die Themen darin diskutiert und das ist doch wichtig: dass wir über diese Themen sprechen und verschiedene Perspektiven verstehen lernen und somit unsere Sicht auf Dinge erweitern.
Uff... Die Autorin haut ja mal so richtig auf den Putz. Ich bin ein wenig zwiegespalten, zum einen ist das Buch gefühlt zu lang und zum anderen ist es viel zu kurz. Viele aktuelle Probleme können aufgrund von sozialen und politischen Abgrenzungen nur selten konstruktiv öffentlich diskutiert werden. Wir sitzen in unseren komfortablen Blasen, kämpfen gegen "die Anderen" und übersehen dabei immer mehr Benachteiligte, die unsere Aufmerksamkeit bitter nötig hätten. Hier hakt sich Wagenknecht ein und erschüttert die in den letzten Jahren (künstlich) aufgebauten Mauern von Rechts und Links mit teils starken Argumenten und gewagten Lösungsvorschlägen. Sie stellt die Fragen, die unter diesen Mauern begraben scheinen, diese Tabu-Themen mit ihren Trigger-Wörtern, bei denen wir zusammenzucken, wenn wir sie z.B. im Restaurant am Nebentisch hören. Bei denen wir meist vorschnell ein Urteil über Menschen fällen und diese in Schubladen stecken. Im Laufe der Jahre haben deswegen viele von uns gelernt, im öffentlichen Raum einen weiten Bogen um diese Themen zu machen, weil sie uns mehr schaden können als nutzen (Bspw. am Arbeitsplatz). Höchste Zeit, dass wir daran arbeiten und gemeinsam Kompromisse finden.
Problematisch finde ich das doch sehr harte Urteil über die "Lifestyle-Linke" und ihre Steckenpferd-Themen im ersten Viertel des Buches. Auch wenn sich viele von ihnen in ihren Blasen ausruhen mögen und auf "die Anderen" herabblicken, so sind sie zumindest motiviert, etwas zum Besseren zu verändern. Ich kann die Intention von S.W. hinter dieser Taktik schon verstehen, aber mit einem neuen Feindbild vergrämte Protestwähler wieder zurück an den Tisch zu holen halte ich für kontraproduktiv.
Mir hat dieses Buch gezeigt, dass ich, bevor ich mich für die Politiklandschaft mit ihren Parteien und Wahlprogrammen interessiert habe, deutlich näher am klassischen Links war als das heute der Fall ist. So erkenne ich doch einige Charaktereigenschaften der "Lifestyle-Linken" auch an mir selbst und werde in Zukunft mehr daran arbeiten. Ich hoffe doch sehr, dass wir uns bald wieder "Gemeinsam" den vielen Problemen unserer Zeit annehmen werden, ohne uns in emotionalen Bullshit-Diskussionen zu verlieren. Wir haben in Großbritannien nun sehen können, wo so etwas hinführen kann. Auch wenn ich mit der Herangehensweise nicht ganz einverstanden bin und mir für ein Werk das Gemeinsinn und Zusammenhalt predigt, der raue Ton der Autorin nicht ganz passend erscheint, so finde ich doch, dass es ein besonders wichtiges Buch ist.
Das neueste Buch von Sahra Wagenknecht liest sich sehr erfrischend. Sie schreibt pointiert, niemals ermüdend und kommt immer zum Punkt. Ihr Buch lässt sich in einem Rutsch durchlesen. Vor allem im ersten Teil musste ich häufig schmunzeln, wenn sie bestimmte Modewörter kursiv setzt und dadurch ironisch hervorhebt.
Der Inhalt ist für eine Politikerin und den Leser natürlich entscheidender als die Form: auch dieser hat mich erfrischt, einerseits weil sie die Fahne für das Thema der sozialen Gerechtigkeit hochhält und nicht auf dem Mainstream der Klimawelle reitet, andererseits weil sie den Finger in eine Wunde des heutigen Politikbetriebs hält im Vorfeld der Bundestagswahl 2021.
Sahra Wagenknecht spricht genau die politischen Fragen an, bei denen auch die Gebildeten nicht umhinkommen zuzugeben, dass sie tief im Inneren ein mulmiges Gefühlt auslösen: - Ist die Gender-Diskussion wirklich so wichtig? - Warum wird die AFD immer stärker? - Wem nützt die Globalisierung eigentlich? - Warum findet die EU nicht Unterstützung einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung? - Können wir in Deutschland wirklich unbegrenzt alle Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen? - Kann das unbegrenzte Gelddrucken der Zentralbanken eigentlich gut gehen? - Warum fand Trump eigentlich so viel Unterstützung und warum können wir das nicht nachvollziehen, wenn wir unsere Informationen aus deutschen Medien beziehen?
Die Antworten auf die Fragen verstehe ich als Diskussionsanstöße. Einige überzeugen sofort beim Lesen, bei anderen müsste man tiefer einsteigen, um sich eine abschließende Meinung zu bilden. (Zum Einstieg bietet die Autorin ein Literaturverzeichnis.) Kurzum: alle aufgeworfenen Fragen sind relevant, alle Antworten sind vertretbar und lohnen sich, diskutiert zu werden. Einen Punkt Abzug gibt es von mir dafür, dass Frau Wagenknecht vor allem im zweiten Teil zu sehr bemüht ist, den großen Bogen zu spannen und alle Themen abzudecken. Dieses Bemühen geht dort teilweise zu Lasten der Argumentationstiefe.
Hervorgehoben werden muss ihre Analyse des linken Parteienspektrums und ihr Befund, dass Linke, SPD und vor allem die Grünen keine Politik machen für Arbeiter und untere Mittelschicht, sondern für die urbane, akademische, gut situierte Mittelschicht. Das kann ich aus eigener beruflicher Tätigkeit bestätigen: die SPD hat sich bei der Debatte um die neue EU-Urheberrechtsrichtlinie 2019 von ihrer eigentlichen Klientel, den Urhebern, abgewendet und sich auf die Seite der Lifestyle-Netzaktivisiten gestellt. Am Ende hat die CDU die Urheber gerettet.
Wer Frau Wagenknecht aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit und Vita gleich in eine Schublade steckt, sollte sich die Lektüre sparen. Die Kritik aus ihren eigenen Reihen beweist eigentlich, dass sie gerade nicht in eine Schublade gesteckt werden kann. Für mich gehört sie zu den wenigen Politikern, die sich vertiefte Gedanken um Hintergründe und Zusammenhänge macht und dies intellektuell auch wuppt.
Dieses Buch ist ärgerlich. Sahra Wagenknecht hat nicht unrecht. Recht hat sie aber auch nicht. Ihre Analyse der sozio-ökonomischen Entwicklungen ist nuanciert und scharf. Das letzte Drittel des Buches verknüpft behende die Zusammenhänge der Grundlagen der Produktion im Kapitalismus mit den bereits in den 1950ern und 1960ern einsetzenden Korrumpierungen, die Reinvestitionen in Innovation unterbunden und peu à peu mit der Umverteilung nach Oben begonnen haben, und den jüngsten Krisen der durchfinanzialisierten und digitalmonopolistischen Postproduktion. Die Reformvorschläge sind klug - was anderes wäre auch kaum von der promovierten Wirtschaftswissenschaftlerin, die diese Entwicklungen schon so lange in politischen Führungspositionen beobachtet, zu erwarten gewesen.
Umso irritierender, dass der sozio-politische Rahmen der Diskussion dieser gesellschaftlich hochrelevanter Themen nicht Brücken baut, sondern einreißt und spaltet. Anstatt zu schreiben: "Es ist ja gut, dass sich die jungen Generationen und auch gerade die besser Situierten politisch engagieren. Seid nur vorsichtig, dass ihr mit eurer Betonung von gewaltfreier Sprache und Diversität nicht den rechten und neoliberalen Rattenfängern anheim fallt, indem ihr die wirtschaftlichen Nöte der Menschen vergesst, die gegen euch aufzustacheln für die nicht so progressiven Wohlhabenden und ihre Demagogen dann ein Leichtes ist." lesen sich die einleitenden Kapitel eher wie: "Diese verwöhnten Rotzblagen, die da Freitags für ihre Zukunft demonstrierend tanzen, und die durchweg linksliberal gleichgeschaltete Presse sind mindestens genauso schuld am Erstarken der neuen Rechten wie die rechten Medien und ihre Hintermänner - und für die Linke sind diese Erben der neoliberalen Zeit von Schröder und Blair das eigentliche Problem."
Dass so etwas eine Debatte nicht konstruktiv befeuert, sondern eben die rechten Narrative bedient, die im zweiten Drittel ja auch explizit besprochen werden (Steve Bannon: "I want them to talk about racism every day. If the Left is focused on race and identity, and we go with economic nationalism, we can crush the Democrats."), das dürfte einer Person vom intellektuellen Kaliber einer Sahra Wagenknecht durchaus bewusst sein. Da ist es schon verständlich, dass Didier Eribon sich die Instrumentalisierung seiner 'Rückkehr nach Reims' von Sahra Wagenknecht verbittet. In Großbritannien haben sich Gruppen wie Spiked Online um den Soziologen Frank Furedi in ihren wütenden Angriffen auf eine imaginäre hegemoniale Neue Linke schon so weit verrannt, dass sie nun geschlossen hinter Premierminister Alexander Boris de Pfeffel Johnson stehen.
In sum: scharfe Analyse, gerechtfertigte Warnungen, aber die Kritik schießt in die falsche Richtung und spielt damit genau denen in die Hände, die die von Dr Wagenknecht beschriebenen Entwicklungen vorantreiben und davon profitieren - zulasten all derer, für deren Unterstützung und Integration sie in diesem Buch wirbt.
"Es ist nicht alles Gold, was glänzt", heißt es. So ist das auch mit jenen Themen, die uns am Herzen liegen. Früher waren es Großereignisse wie die Fußball-WM oder ähnliches, die dazu genutzt wurden unpopuläre politische Entscheidungen zu verschleiern. Heute ist es oft der Regenbogen. Dass Gender & Diversität oftmals als trojanisches Pferd genutzt werden um zu tun, was sonst nicht akzeptiert würde, ist eine traurige Facette unserer Realität, die Sahara Wagenknecht in diesem Buch vor den Vorhang holt.
Dass sie an Eloquenz genauso wenig vermissen lässt wie an der Fähigkeit Zusammenhänge herzustellen stellt sie einmal mehr unter Beweis.
So sehr ihr das beim erstgenannten Thema auch gelingt - spätestens bei ihrer Argumentation zur Stärke von Nationalstaaten schwächelt die Argumentation. Da erklärt sie zuerst freimütig die Vorteile, nur um im späteren Verlauf immer wieder selbst Gründe zu nennen, warum größere Zusammenschlüsse mehr Sinn ergeben.
Nobody is perfect. Auch Sarah Wagenknecht nicht. Oder ihr Buch. Aber dieses Buch regt zum Nachdenken an und zeigt, warum die Ansprüche aktueller Politik die breite Masse mit erschreckender Häufigkeit verschrecken.
Sahra Wagenknecht ist eine konservative Sozialdemokratin, die sich hier über neoliberale Sozialdemokraten und Grüne beschwert.
Wirklich faszinierend und grauenhaft zugleich war, wie sie über längerer Passagen immer wieder über die Gesellschaft der Vergangenheit spricht, von mehr sozialer Kohäsion und Sicherheits die es in den 60ern und 70ern gegeben hätte, dabei aber über 300 Seiten nicht einmal auf die DDR, den Sozialismus und seine Erfolge in der Sozialpolitik zu sprechen kommt. Als hätte es die DDR nicht gegeben, als wäre sie für die Sozialisierung der Ostdeutschen irrelevant. Das Buch scheint sich ausschließlich an westdeutsches Publikum zu richten, an Sozialdemokraten die halt gerne wieder in der BRD der 70er wären.
Eine gelungene Analyse der Politik- und Soziallandschaft Europas. Warum erleben wir einen politischen Rechtsruck? Gibt es tatsächlich einen rechten Zeitgeist oder liegt der Grund für den Wahlerfolg rechter Parteien woanders? Sahra Wagenknecht sieht den Grund im Versagen linker Parteien eine echte soziale Politik zu fahren, von der die Ärmsten der Gesellschaft profitieren, und nicht die obere Mittelschicht und die Reichen.
Skrupellos zerlegt sie Schein- und Symbolpolitik der heutigen Linken und zeigt Alternativen, wie man es besser machen könnte und zu einem neuerlichen Aufleben traditoneller linker Werte beitragen könnte.
Dass ich Sahra Wagenknecht noch mal verteidigen würde, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Ausgerechnet diese Politikerin, die über Jahre in der PDS einen verstaubten Kommunismus vertrat und bei der man beim Zuhören ihrer humorlosen Reden vor Trockenheit husten musste. Nun hatte sie mitten in den Wahlkampf 2021 hinein ihr Buch „Die Selbstgerechten“ geworfen, das prophetisch die Gründe für das Scheitern der Linken vorwegnimmt. (Dass das Buch selbst ein Grund fürs Scheitern gewesen sei, ist Humbug. Keine Partei-Interna werden gesteckt. Und die Handvoll Personen, die leicht camoufliert erwähnt werden, können schon mal den Kick in die Seite ab.) Die Hauptthese: Die politische Linke verliert ihre Basis, da sie sich nicht mehr um die wirtschaftlichen Belange der Ärmeren kümmert. Anstatt sich mit den proletarischen Schichten zu verbünden, rümpft man die Nase über ihren Habitus, ihre Fixierung auf Konsum, ihre ungeschliffene und ihre politisch unkorrekte Sprache. Meine linken Freunde waren rasch dabei, das Buch zu verdammen. Einmal wegen des unglücklichen Diktums von den „immer skurrileren Minderheiten“. Zum anderen, weil Wagenknecht angeblich einen neuen Nationalismus predige. Schon während ich das Buch (ein Geburtstagsgeschenk, das ich mir selbst nicht gekauft hätte) las, fragte ich mich, ob die Freunde das Buch wirklich ganz gelesen hatten oder sich die Rosinen herausgepickt hatten, die ihre Vorurteile nur bestätigten. Dabei müsste das Buch für alle Aufgeschlossenen ein Augenöffner sein. Dass die Linken sich verrannt haben, dürfte jedem klar sein. Aber warum ist das so? Wagenknecht sieht hier die Ursache in einem üblen Schulterschluss mit den (Neo-)Liberalen. Für Liberale rührt jede Ungerechtigkeit aus der Diskriminierung. Was darüber hinausgeht – sprich, Ungleichheit durch ungerechte ökonomische Strukturen – interessiert sie schon seit einigen Jahren nicht mehr. Nun ist es aber deutlich einfacher, Diskriminierungsdetektiv zu spielen, als sich in volkswirtschaftliche Zusammenhänge einzulesen. Das betrifft sogar einfache Fakten. Das beste Beispiel ist, dass die Empörung im Netz die Unilever-Tochter Knorr dazu zwang, die „Zigeunersoße“ vom Markt zu nehmen. Der zeitgleich (durch Entlassungsdrohung durchgesetzte) verschlechterte Tarifvertrag kümmerte die Linken nicht die Bohne. Die Frage der Mikroaggressionen ist der Akademiker-Sternchen-Gemeinde wichtiger als die des materiellen Wohlstands der Abgehängten. Diese Kaste, die vor allem in den Medien dominiert, hat sowohl professionell als auch individuell die Verbindung zum proletarischen Milieu verloren. Wenn überhaupt, dann wird über dessen Vertreter angewidert berichtet, wenn man sie plötzlich mit wütenden Grimassen und hilfloser Grammatik auf Pegida-Demos antrifft. Die Nicht-Akademiker sind den Links-Liberalen schlicht und einfach egal. Und man wundert sich, warum sie plötzlich alle nach rechts abwandern, wo doch die Wirtschaftsprogramme der AfD gerade die Armen benachteiligen. (Der Begriff „Besorgte Bürger“ ist in Satiriker-Kreisen, in denen ich mich bewege, zur Standard-Mini-Pointe geronnen.) Und schwupps, da sind wir schon beim Thema Nation. Dem Standard-Linken ist es schon unangenehm, wenn bei der Fußball-WM Deutschland-Fahnen geschwenkt werden. (Mir übrigens auch.) Aber nicht genug davon, man verkündet das auch, um noch den letzten potentiellen Verbündeten abzuschrecken. Der Widerwille gegen alles Nationale ist nach der NS-Zeit ein nachvollziehbarer Reflex. Die Nation – davon geht das Böse aus. Das Problem ist nur, dass ohne einen positiven emotionalen Bezug zu einem demokratischen Gebilde, dieses Gebilde in große Schwierigkeiten gerät – man denke an Belgien, Norditalien oder einige der seltsam viereckigen afrikanischen Länder. Wer meint, sich eher als Europäer zu fühlen als als Deutscher, möge sich fragen, wieviele europäische Parlamentarier man denn im Vergleich zu den deutschen kenne. Die Nation existiert in unserem Hinterkopf, wie wir merken, sobald wir bei einer Bundestagswahl mitfiebern, da wir wissen, dass der Bundestag der Ort ist, wo über unsere Kernthemen demokratisch legitim entschieden wird (und nicht in der Europäischen Kommission). Und wieder der Schulterschluss mit den Neoliberalen: Die EU ist – im positiven wie im negativen Sinne – ein liberales Projekt. Im positiven Sinne, weil es die Freiheitsrechte und die Möglichkeiten von Millionen Bürgern ausgeweitet hat. Im negativen Sinne, weil die Demokratie in der EU im Prinzip kaum eine Rolle spielt und weil die EU als supra-nationale Organisation die finanzielle (und damit auch sozialpolitische) Autonomie der Einzelstaaten immer mehr beschneidet. Freiheit heißt hier vor allem Freiheit für die Wohlhabenden. Kommen wir noch zum heißesten Thema – der Immigration. Wagenknecht gelingt es, den Blick zu erweitern. Ja, die EU-Länder, und vor allem Deutschland, hat ein Problem, was Fachkräfte im Bereich Medizin und Pflege betrifft. Aber die Lösung ist nicht etwa, hier bessere Gehälter zu zahlen und bessere Bedingungen zu bieten. Stattdessen zieht man Fachkräfte aus den Entwicklungsländern ab. Mit anderen Worten: Die armen Länder übernehmen für uns die Ausbildung qualifizierter Fachkräfte und stehen am Ende dumm da. Von den paar Euros, die dann die Glücklichen, die es nach Europa geschafft haben, in die Heimat schicken, kann man sich leider auch nicht neue Ärzte basteln. Auch um den Konkurrenzkampf zwischen Eingewanderten und geringqualifizierten Arbeitern kümmert sich die Linke nicht. Ebenso wenig um die riesigen Flüchtlings-Camps von Migranten innerhalb Afrikas. Die Antwort ist vielmehr: Offene Grenzen für alle. Finger in die Ohren stecken und laut „Lalala“ rufen. Und sich bei der nächsten Wahl wundern, wenn man keine fünf Prozent erreicht hat.
Im Grunde genommen keine neuen Thesen, wenn man zuvor Reckwitz gelesen hat. Dafür aber um einiges provozierender, da Wagenknecht hier ihr eigenes politisches Milieu kritisiert. Daher lässt sich der Trubel um das Buch erklären. Nach den ersten 70 Seiten wiederholen sich die immer gleichen Argumente mit schlechten Beispielen bei einer Simplifizierung politischer Prozesse. Ihre scharfe Analyse über die Herausforderungen linker Parteien wird geschmälert durch ihr simplifiziertes Verständnis der politischen Prozesse, das sich in schwachen Handlungsvorschlägen für die moderne Linke niederschlägt.
Ihre Gedanken zur Rolle der Identitätspolitik in der gesellschaftlichen Linken waren mir teils zu undifferenziert und polemisch. Trotzdem war jedes Kapitel in diesem Buch spannender und herausfordernder als die medialen und innerparteilichen Debatten darüber.
Ein hervorragendes Buch mit klugen Analysen essentieller ‘Erzählungen’ und Entwicklungen in unserer Zeit mit Denkansätzen für eine bessere, gerechtere Gesellschaft. Man muss Sahra Wagenknechts Ausführungen nicht alle mögen oder ihnen zustimmen, das ist aber auch nicht der Wert dieses Buches. Wichtiger ist, mit Hilfe ihrer Ausführungen, die eigenen Anschauungen und Überzeugungen zu hinterfragen und offener zu sein für mehr Diskurs und damit beizutragen unsere Gesellschaft voranzubringen. Das Buch als Kritik an den Linken zu verstehen ist vollkommen unzureichend. Es ist viel mehr.
Hatte mir extra kleine Haftnotizen hergerichtet um die wichtigen Stellen im Buch zu markieren. Hab's dann aber sein lassen weil jede Seite goldwert ist. Ich wuerde mich selbst eher als traditionell linkskonservativ einorden und betrachte dieses Buch nun als meine persoenliche Bibel. Schade dass sich die Linke Partei in Deutschland bzw mittlerweile ganz Europa selbst demontiert hat mit dem ganzen postmodernistischen Gelaber. Eine Politikerin wie Wagenknecht waere nicht nur sehr wuenschenswert sondern ausserdem auch dringendst notwendig.
An sich ein Meisterwerk, wie immer bei Frau Wagenknecht. Einziger Kritikpunkt: dem Thema Unterfinanzierung der Welthungerhilfe sind geradezu ein paar Sätze gewidmet, während dem Thema Nationalinteressen von Deutschland und dessen unteren Einkommensklassen - ganze Kapitel. Dabei kann man die Situation der Ärmsten der Armen in der Welt, die oft zu Millionen vor Hunger sterben, in keinster Weise mit der Situation der Arbeiter in Deutschland vergleichen.
Bin positiv überrascht. Wagenknecht ist zwar keine Revolutionärin, aber sie hat trotzdem ein sehr feines Gespür für die wunden Punkte des aktuellen Kapitalismus und seiner Verfechter. Besonders die negativen Teile des Buchs sind gut gelungen, umso schade-r ist es, wenn diese dann von vergleichsweise zahmen Reformforderungen gefolgt sind. Trotzdem lesenswert
Die Kritik an den Linksliberalen ist gerechtfertigt. Die Lösungsansätze sind jedoch sehr dürftig. Ebenfalls sehr schwierig fand ich das stetige Zitieren irgendwelcher Studien. Nur, weil es irgendeine Studie zum Thema gibt, heisst dies nicht, dass diese eine unverrückbare Wahrheit abbildet. Dieses Verständnis von Wissenschaft vergiftet Debatten.