In der Hochphase des Neoliberalismus galt die Globalisierung als unvermeidlich und die umverteilende Demokratie als überholt. Wachsender Wohlstand für alle war das Versprechen, wachsende Unfähigkeit, die kapitalistische Ungleichheitsmaschine zu bändigen, ist das Ergebnis. Taumelnde Volksparteien, schrumpfende Gewerkschaften und grassierende Zweifel an der Leistungsfähigkeit demokratischer Institutionen sind die eine Folge dieser Entwicklung. Die andere sind Bewegungen wie die »Gelbwesten« sowie neue Parteien an den Rändern des politischen Spektrums. Längst hat in vielen Ländern ein Tauziehen um die politische Ordnung begonnen, das die Gesellschaften zu zerreißen droht.
Angesichts dieser Situation, deren Ursachen im Zuge der Corona-Pandemie noch schärfer hervortreten, ist die Zeit reif für eine grundlegende Entscheidung, sagt Wolfgang Streeck in seinem fulminanten neuen Buch. Soll es mit dem Umbau des Staatensystems weitergehen wie gehabt, das heißt in Richtung einer noch stärkeren überstaatlichen Zentralisierung? Oder wäre der Weg in eine moderne, auf friedliche Kooperation ausgerichtete »Kleinstaaterei« die bessere Lösung? Mit dem Ziel einer Neubegründung demokratischer Politik vor Augen fällt sein Votum eindeutig aus: für den zweiten Weg, auch und gerade in Europa.
manche teile sind analytisch eindrucksvoll und fast schon prophetisch (zb das militarisierungs-kapitel), andere wiederum weniger akkurat (schulden). mein hauptproblem ist allerdings, dass ich nicht ganz sehe, warum streecks vorschläge für eine mit einer renationalisierung einhergehenden redemokratisierung der politischen ökonomie so viel 'realistischer' sein sollte als, naja, ein internationalistischer sozialismus, der an den scheußlichen wie gewaltvollen fragen à la "wie viel zuwanderung verträgt eine gesellschaft?" oder "wie homogen muss eine politische gemeinschaft sein?" nicht interessiert ist. interessant finde ich auch, dass streeck zwischendurch auch die nation als moralgemeinschaft ins spiel bringt, das hätte ich mir nicht erwartet und ist mir gar nicht unsympathisch, wenn ich auch nicht weiß, wie hilfreich dieses argument wirklich ist.