Wie wird ein aufrechter Büchermensch zum Reaktionär – oder zum Revoluzzer? Eine aufwühlende Geschichte über uns alle Norbert Paulini ist ein hoch geachteter Dresdner Antiquar, bei ihm finden Bücherliebhaber Schätze und Gleichgesinnte. Über vierzig Jahre lang durchlebt er Höhen und Tiefen. Auch als sich die Zeiten ändern, die Kunden ausbleiben und das Internet ihm Konkurrenz macht, versucht er, seine Position zu behaupten. Doch plötzlich steht ein aufbrausender, unversöhnlicher Mensch vor uns, der beschuldigt wird, an fremdenfeindlichen Ausschreitungen beteiligt zu sein. Die Geschichte nimmt eine virtuose Volte: Ist Paulini eine tragische Figur oder ein Mörder? Auf fulminante Weise erzählt Ingo Schulze von unserem Land in diesen Tagen und zieht uns den Boden der Gewissheiten unter den Füßen weg.
Ingo Schulze is a German writer born in Dresden in former East Germany. He studied classical philology at the University of Jena for five years, and, until the German reunification, was an assistant director (dramatic arts advisor) at the State Theatre in Altenburg 45 km south of Leipzig for two years.
After oversleeping the events of the night of November 9 1989, Schultze started a newspaper with friends. He was encouraged to write. Schultze spent six months in St Petersburg which became the basis for his debut collection of short stories 33 Moments of Happiness (1995). He has lived in Berlin since the mid 1990s.
Schulze has won a number of awards for his novels and stories, which have been translated into twenty languages, among them into English by John E. Woods.
Ingo Schulze is here to unsettle us, and his game of deception works surprisingly well: While the whole country, but especially the West, is pondering what the sources of the growing radicalization in the former GDR are, this famous East German writer presents us the story of a (fictitious) antiquarian named Norbert Paulini who after the fall of communism loses everything and becomes a radical, or maybe even a criminal. Is Paulini a perpetrator or a victim? Is his love for literature a form of love for human expression and wisdom, or a form of escapism and means of distinction? Could his business in Dresden really have survived in the GDR, are the political circumstances only an excuse for a man who failed because of his own shortcomings and now blames immigrants and the West?
The novel is told in three parts: The first one, by far the longest, is mainly rendered in a provoquingly conventional tone reminiscent of classic 19th century novels, sometimes even fairy tales or legends, i.e.: I found it hard to bear in its regularity and over-polished sound, until I realized that this is a narrative trick, because as the story progresses, Paulini and the text fall apart until the whole section ends in the middle of a sentence. Shift to part two, in which we learn that part one was told by a writer called Schultze (not Schulze, haha) who aimed to craft a novella about Paulini in order to say something about radicalization in the East, until he started wondering whether this was a proper example. Schultze reveals his own experiences with Paulini and how he became a major player in his own text. Shift to part three: Now Schultze's West German editor becomes the narrator, and she tries to unveil the truth about the content of the novella as well as about Paulini and Schultze as real people.
Ingo Schulze does not take the easy road with this novel: While he describes the immense challenges people in the former GDR have faced and the arrogance of (parts of) the West, he does not portray the GDR as a paradise lost, and he also shows Paulini as an individual, as a hypocrite, a guy who, for example, thinks it's okay to nonchalantly declare that he only hires non-German prostitutes when there's no alternative, but that it's barbaric how his old books are treated in the new Germany. If anything, Schulze points at the fact that there are no general answers when it comes to indvidual people, and that we are all affected by the prejudices we harbor - not only regarding East and West. This is a novel, and the main character loves books, and while the reader might be inclined to sympathize with him because of that and because of the narrative frame/tone in which he is described at the beginning, Paulini is a pretty terrible guy throughout - just look closer.
It would be VERY surprising if a book about radicalization in East Germany written by a famous East German author didn't make the longlist for the German Book Prize - Schulze's effort was already nominated for the Prize of the Leipzig Book Fair (which then went to another "Wenderoman" (novel about "the turn", meaning the fall of the Berlin wall), Stern 111). Schulze's book feels like a companion piece to and meta-commentary of another major novel about intellectuals in Dresden, The Tower (German Book Prize 2008) - its East German author Uwe Tellkamp has recently been criticized because he has turned to right-wing opinions. Schulze's "The Righteous Murderers" is a timely novel that offers a lot to discuss.
If you'd like to hear more about the book, you can listen to our new podcast episode.
Der Dresdner Antiquar Paulini, der sein Leben dem Lesen widmet, der in den späten Jahren der DDR eine kleine Schar Literaturbegeisterter um sich schart und deren Bewunderung genießt, wird in der Wendezeit arg gebeutelt. Er erfährt, dass seine Frau ihn und seine Kunden für die Stasi bespitzelt hat, seine Bücher verlieren massiv an Wert, Eigentumsansprüche vertreiben ihn aus seinem Heim, ein Elbehochwasser vernichtet Teile seines Buchbestandes. Und Paulini radikalisiert sich, schimpft auf Ausländer … und der erste Teil des Romans bricht mitten im Satz ab.
Schulze beschreibt eine Biografie, die einen ratlos macht. Ein Leser, ein gebildeter Mensch, wie kann der, trotz aller Schicksalsschläge nach rechts außen triften?
Mir gefällt, wie Schulze eben keine letztlichen Antworten liefert und wie er durch den Aufbau des Romans einzelne Details liefert, aber eben nicht mehr. Im zweiten Teil kommt dann der Autor zu Wort, der Schultze heißt (wohlgemerkt mit tz) und im dritten Teil die Lektorin desselben.
Was mir bei der Lektüre auffiel ist, dass Paulini bereits vor der Wende nicht gerade als Sympathieträger dargestellt wird. Im Allgemeinen, aber auch hinsichtlich seines Blicks auf Literatur. Schon einige Jahre vor der Wende beschließt er beispielsweise er werde sich fortan als Leser allein der deutschsprachigen Literatur widmen, um sich sein Sprachgefühl rein zu bewahren.
Wirklich dankbar bin ich dafür, dass Schulze mich auf die zutiefst empörende Vernichtung von Unmengen an Büchern in der Zeit nach der Wende aufmerksam gemacht hat (zu diesen Ereignissen siehe auch https://www.zeit.de/1992/39/entruempe...). Paulini versucht einige dieser Bücher zu retten und zu verkaufen. Und auch für den aus Bosnien stammenden Juso, den Paulini später einstellt, war die Zerstörung von Büchern im Krieg ein besonders einschneidendes Erlebnis. Man sollte denken, dass solche Dinge nach den Bücherverbrennungen der Nazis in Europa nicht mehr möglich seien, aber das sind sie leider nicht. Und die Empörung angesichts solcher Vorgänge kann ich nur allzu gut nachvollziehen.
Nebenbei gibt es ein ganz kleines bisschen Namedropping: Manfred von Ardenne wird ganz nebenbei erwähnt, da der Mann einer Kollegin Paulinis in dessen Institut arbeitet und sie deshalb auch auf dem Gelände leben (unter anderem Namen spielte Ardenne bereits in Der Turm eine gewisse Rolle). Und wenn wir schon über Bibliomane in Sachsen reden, hätte es mich enttäuscht, wenn nicht der „Der Büchermörder“ Tinius erwähnt worden wäre.
Fazit: Das Buch ist sehr gut geschrieben und vermittelt keine Sicherheiten, die es vielleicht nicht geben mag, sondern verunsichert ohne zu rechtfertigen (gerade durch die verschiedenen Perspektiven).
Übrigens hat das Buch ein tolles Cover! Nur wenn man das Buch direkt betrachtet, sieht man, dass die Buchrücken nicht nur unterschiedliche Farben, sondern auch unterschiedliche Muster zeigen.Es war jedes Mal eine Freude, dieses Buch in die Hand zu nehmen. Dank an KOSMOS-Visuelle Kommunikation, Münster. Ein Blick auf die Website zeigt: Die können es einfach: http://www.kosmos-buero.de/
Der Autor Ingo Schulze lässt in seinem jüngsten Roman DIE RECHTSCHAFFENEN MÖRDER (2020) den Schriftsteller Schultze (mit t) eine Legende erzählen: Die Legende vom Antiquar und (zeitweiligen) Buchhändler Norbert Paulini, der sich in den 70ern in Dresden ein Antiquariat aufbaut. Schon seine Mutter träumte davon und trug in den 60er Jahren mit Hilfe ihres Mannes, Norberts Vater, eine Unmenge an gebrauchten Büchern zusammen, die die Wohnung verstopften, auf denen der kleine Norbert als Säugling schon schlief. Dies ist der Grundstock, auf dem Paulini schließlich seinen Handel gründet. Doch ist dies kein gewöhnlicher antiquarischer Handel, denn Paulinis Liebe zur Literatur, vor allem der deutschen des 19. Jahrhunderts, lässt ihn die Bücher auch schon mal für ganz kleine Münze weitergeben, wenn er spürt, daß der, der das betreffende Buch – oder auch eine Gesamtausgabe – wirklich begehrt. So entsteht in seinem in einer Altbauwohnung untergebrachten Antiquariat nach und nach auch ein Salon, eine zutiefst bürgerliche Institution, die der DDR und ihren staatlichen Institutionen, wie bspw. der Staatsicherheit, bis zu deren Ende trotzt. Paulini selbst sieht sich als unpolitischen Menschen, die Zeitläufte interessieren ihn wenig und so wundert er sich erst recht, als nach der Wende seine Kunden ausbleiben. Aus den unterschiedlichsten Gründen: Die einen erfahren, daß seine Frau und die Mutter des gemeinsamen Sohnes, Stasimitarbeiterin gewesen ist und allerhand – angeblich nur Nutzloses – an die Behörde weitergegeben hat; andere genießen die neue Konsumwelt; Bücher werden billiger, auch als neue Ausgaben – die Gründe sind vielfältig, für Norbert Paulini jedoch sind sie so oder so existenzbedrohend.
Der Autor Schultze ist einer der Kunden bei Paulini, er liest auch in dessen Salon, und er ist es, der dem Antiquar und dessen Antiquariat ein Denkmal setzen will. Doch je tiefer er vor allem in Paulinis Leben und Geschichte nach der Wende eindringt, desto fremder wird ihm dieser, bis er bei einem seiner letzten Besuche feststellen muß, daß Paulini offenbar ins rechtsextreme Lager abgedriftet ist. Erschwerend in diesem Verhältnis kommt hinzu, daß Schultzes Freundin auch ein Verhältnis zu Paulini unterhält. Und dann sind beide plötzlich tot – sowohl der Buchhändler, als auch Lisa, die Frau, in die sowohl Paulini als auch der Erzähler Schultze verliebt sind.
Schulze, Ingo Schulze, erzählt dies aber erst im zweiten Teil seines in drei Teile zersprengten Romans. Die „Legende“ bricht mitten im Satz ab, als der Autor Schultze (mit t) von der Polizei nach seinem Verhältnis zu Paulini und Lisa befragt wird. Im ersten – dem längsten – Teil des Romans DIE RECHTSCHAFFENEN MÖRDER tritt der Autor Schultze (mit t) nur gelegentlich als Ich-Erzähler in die (eigene) Erzählung ein. Das lässt sich allein deshalb nicht vermeiden, weil er Teil der Geschichte des Antiquariats und des Salons und ein Stammkunde war. Nun, im zweiten Teil des Romans, reflektiert Schultze auf das, was er geschrieben hat: Daß er den „falschen“ Ton gewählt haben könnte, eben jenen fast märchenhaften Ton einer „Legende“, daß er Paulini zugleich zu fassen bekommt und ihn doch nie „richtig“ charakterisiere; daß ihm der Buchhändler in gewisser Weise fremd geblieben sei; daß Paulini in seiner unpolitischen Blase eben auch immer indifferent gegenüber der Gesellschaft gewesen ist, eine arrogante Haltung eingenommen habe, die sich über weltliche Dinge erhoben, die sich als außen stehend definiert habe. Schultze ist sich weder sicher, ob er dies alles richtig vermittelt, noch, ob es rechtens ist, überhaupt so über den Buchhändler zu schreiben. Immerhin warnt Paulini Schultze bei ihrer letzten Begegnung, fast könnte man sagen: er droht ihm. Denn Paulini hat von Schultzes Versuch über das Antiquariat erfahren – durch Lisa.
Auch dieser zweite Teil des Romans DIE RECHTSCHAFFENEN MÖRDER reißt plötzlich ab, im dritten, dem kürzesten Teil des Textes, tritt uns dann Schultzes Lektorin entgegen, die sich fragt, ob ihr Schützling der Mörder von Paulini und Elisabeth Samten, genannt Lisa, sein könnte. Doch Aufklärung bringt auch dieser abschließende Teil nicht. Stattdessen trifft die Lektorin auf Paulinis Erben, einen Tschechen, der sich schon um das Antiquariat gekümmert hatte, nachdem Paulini – der im Elbhochwasser 2002 große Teile seiner Bestände verlor – Dresden verlassen und sich in die ländliche Gegend der sächsischen Schweiz zurückgezogen hatte. Und wieder erhält der Leser neue Facetten dieses Norbert Paulini, die dennoch nicht erklären können, wie aus einem belesenen, der Aufklärung und dem deutschen Idealismus verpflichteten Leser – denn das ist Paulini in allererster Linie: Ein Leser – ein Wutbürger mit rechtsextremen Tendenzen werden konnte.
Ingo Schulze hat – das erklärt er selbst – vor allem ein Buch über Bücher geschrieben, eine Liebeserklärung „an das Papierbuch“. Das ist ihm zweifelsohne gelungen. DIE RECHTSCHAFFENEN MÖRDER strotzt nur so von intertextuellen Bezügen, natürlich vorwiegend zur deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Ingo Schulze hat aber auch einen Roman darüber geschrieben, wie man einen Roman schreibt, bzw. ihn vielleicht nicht schreiben sollte. Vielleicht sollte man eher keine „moderne“ Legende verfassen, den Gegenstand der Erzählung damit in eine künstliche Distanz setzen und damit auch einer gewissen Verantwortung entziehen. Und Ingo Schulze hat den Versuch unternommen, das Psychogramm eines jener Menschen zu liefern, die sich – trotz bürgerlichen Hintergrunds, trotz gewonnener Freiheiten nach der Wende – seit den 2010er Jahren in Straßenbewegungen wie der Dresdner PEGIDA zusammenrotteten und vor allem ein unglaubliches Wut- und Hasspotential zur Schau trugen. Hass gegen einzelne Politiker, Hass gegen Ausländer, vor allem muslimischen Glaubens, und Hass gegen das System, das scheinbar zu viel versprochen und zu wenig davon gehalten hat.
Dieses letzte Anliegen gelingt Ingo Schulze allerdings am wenigsten. Dafür bleibt dieser Norbert Paulini zu ungreifbar, ist auch als Figur der DDR schon zu unsympathisch, wird aber eben auch nie so erfasst, daß seine Rechtsdrift für den Leser nachvollziehbar würde. So muß man in seiner eigenen Interpretation doch wieder auf all die Erklärungen, auch die Klischees zurückgreifen, die die einschlägige Presse, die TV-Medien und etliche ratlose Bücher mit Erklärungen seit nunmehr fast zehn Jahren liefern. Man füllt die Lücken auf, die Ingo Schulze lässt – was an sich ein gelungener Zug der Konstruktion des Romans ist, andererseits eben genau der Spekulation Tür und Tor öffnet, der wir uns doch alle nicht mehr hingeben wollten, um nicht zu schnell und zu indifferent zu urteilen.
Am besten hingegen gelingt Ingo Schulze die Liebeserklärung an die Literatur in ihrer herkömmlichen Form, dem „Papierbuch“. Das macht Spaß und ist für Kenner der deutschen Literatur auch eine wahre Fundgrube von offenen und versteckten Zitaten. In dieser Liebeserklärung an den deutschen Roman steckt natürlich auch eine Liebeserklärung an das Bürgertum, das Bürgerliche selbst, an den Gedanken der Aufklärung – Paulini ist auch ein aufmerksamer Leser der deutschen Idealisten, aber auch der Romantiker sowie Nietzsches und Schopenhauers – und den damit einhergehenden Verpflichtungen gegenüber dem republikanischen Gedanken. Es ist aber auch – Schultze (mit t) verweist auf seine späte(re) Begegnung sowohl mit der Frankfurter Schule, als auch mit den französischen Strukturalisten und Poststrukturalisten – eine Mahnung an das, was die Aufklärung, möglicherweise, immer schon in sich trug: eine negative Dialektik. Wenn aus einem belesenen und die Literatur, das Denken so hoch wertschätzendem Mann wie Norbert Paulini, aber auch aus einem Schriftsteller wie Schultze (mit t), ein kleinlicher, aus Eifersucht hassender Mensch werden kann, wie sollte es dann nicht zur Erregung, ja Empörung, jener kommen, die sich – möglicherweise über weniger Bildung verfügend – auf den Straßen als Mob zusammentun und sich gegen vermeintliche Unterdrückung zur Wehr setzen?
Der Schriftsteller Ingo Schulze gibt seinem Text damit natürlich auch einen weiteren, ganz anderen Bezug, einen Bezug, der sowohl literarischer Natur ist, als auch politischer, und der die Grenze zwischen Fiktion, Erinnerung und einer herrschenden Wirklichkeit fließend, durchlässig macht. Im Jahr 2008 erschien das Großwerk DER TURM des Autors Uwe Tellkamp. Tellkamp beschreibt ein sich in eine Art innere Emigration zurückgezogen habendes Bürgertum, das im Dresdner Stadtteil Weißer Hirsch die DDR mehr ausgesessen hat, als daß es sie begleitet, gar erlebt hätte. Der Roman galt als Sensation, wurde gelegentlich in Bezug zu Thomas Manns BUDDENBROOKS gesetzt und bescherte seinem Autor die Reputation eines deutschen Großschriftstellers, der den maßgeblichen Roman zur jüngsten deutschen Vergangenheit geschrieben habe. Tellkamp, sechs Jahre jünger als Ingo Schulze, ebenfalls aus Dresden stammend, hat seitdem einen interessanten Weg eingeschlagen, den man aber als politisch aufmerksamer Leser seinen früheren Werken als durchaus eingeschrieben wahrnehmen konnte. Mittlerweile steht er in den Reihen jener eher rechts anzusiedelnden Intellektuellen, gerade in den neuen Bundesländern, die eine angebliche Meinungsunterdrückung anmahnen, behaupten, in Deutschland fände eine „Umvolkung“ statt, bei der das „deutsche Volk“ gegen eine überwiegend muslimische und dadurch angeblich leichter zu steuernde Bevölkerung ausgetauscht werden solle und die zudem vielfach der Überzeugung sind, mittlerweile habe die Bundesrepublik den Status einer Diktatur, mindestens der DDR vergleichbar, erreicht.
Ohne daß Tellkamp oder sein Werk je erwähnt würden, korrespondiert Ingo Schulze in DIE RECHTSCHAFFENEN MÖRDER mit DER TURM, indem er Paulini ebenfalls mehrfach den Weißen Hirschen aufsuchen, ihn dort sogar eine Affäre mit einer Professorengattin haben lässt, die durchaus eine der Figuren aus Tellkamps Roman sein könnte. An anderer Stelle wird mit Manfred von Ardenne eine Dresdner Koryphäe erwähnt, die auch bei Tellkamp eine gewisse Rolle spielte. Paulini, Schulzes Held oder Anti-Held, man kann da durchaus geteilter Meinung sein, ist einerseits nach den Vorstellungen der DDR ein Außenseiter, hält aber – ohne selbst wirkliche bürgerliche Ambitionen zu hegen – bürgerliche Werte der Bildung etc. aufrecht. Dennoch steht er in Bezug zu Tellkamps der Wirklichkeit entweichendem Bürgertum. Einige der Figuren aus jenem Werk könnten Gäste in Paulinis Salon, Kunden seines Antiquariats gewesen sein.
Es entsteht also ein dichtes Geflecht aus Anspielungen und Querverweisen. Bleibt die Frage, ob das alles Spaß macht. Ingo Schulze, ein genauer Beobachter der Wende- und Nach-Wendezeit, der es immer verstanden hat, seinen präzisen Blick durch eine präzise Sprache zu vermitteln, der „Simple Stories“ – so der Titel eines seiner frühen Werke – in einer scheinbar einfachen Sprache zu erzählen verstand, der damit Menschen eine Sprache gab, die selbst in jenen Jahren nach der Wiedervereinigung selten ein Sprachrohr hatten, also jene, die irgendwie versuchten, den Kopf über Wasser zu halten, durch die schweren Zeiten zu kommen, dieser Ingo Schulze erzählt auf fast 200 der insgesamt 318 Seiten eben jene „Legende“ des „Aufrechten“ Norbert Paulini. Dann stellt er diese Erzählung in Frage und trifft dabei den Kern dessen, was sich der Leser selbst schon gefragt hatte: Ist das so richtig? Kann man das so erzählen? Natürlich kann man, darf man, soll man auch, wenn man es so für richtig hält. Aber offenbar war Schulze sich da selbst nicht ganz sicher. Denn irgendwie wirkt das alles etwas trivial, in seiner Distanzierung auch sehr entrückt. So sind die wirklich interessanten Teile des Romans jene letzten knapp 120 Seiten, in denen das Geschehen reflektiert wird, ohne daß wir je wirklich Aufklärung über die Charaktere und die Vorkommnisse erhalten. Zwei Menschen kommen zu Tode – durch einen Freitod? Durch einen Doppelmord? – und damit wird das Geschehen auf eine Art dramatisiert, die dem Psychogramm im Wege steht, wie sie auch dem Versuch, etwas über die Menschen zu erfahren, die schon in der DDR anders waren und dieses Anderssein in die „neue Zeit“ mit einbrachten.
So entsteht da ein Roman vor den Augen des Lesers, der einen seltsam unberührt lässt, dessen Protagonisten dem Leser seltsam entfremdet bleiben und damit ab einem Punkt der Erzählung auch gleichgültig sind. Man bleibt ratlos gegenüber dieser Geschichte. Ratlos gegenüber Norbert Paulini, ratlos gegenüber dem Schriftsteller Schultze (mit t) und auch ratlos gegenüber dem, was Ingo Schulze nun eigentlich erzählen wollte. Denn über die gesellschaftspolitische Entwicklung Dresdens sagt dies alles nur wenig aus, wenn überhaupt. Und einen Roman zu schreiben, nur um einen anderen Roman in seiner Märchenhaftigkeit zu entblößen, kann nicht wirklich sein Anliegen gewesen sein.
Ez a könyv hitem szerint arról szól, hogy "az irodalom odaadó szeretete" nem hogy nem ment meg minket a világtól, de nem ment meg attól sem, hogy a világ rosszabb emberré tegyen minket. Ami végső soron egy igen pesszimista írói krédó. Pedig Norbert Paulini, az antikvárius vitán felül megbecsült polgára Drezdának. Ő az, aki a derék szászok ellátja minőségi könyvekkel - úgy potyogtatja az olvasnivalót éhes csőrükbe, ahogy a madármama táplálja fiókáit. De elképzelhető, hogy Paulini mégsem olyan jó ember, mint ahogy képzelnénk. Hogy lehet ez? Talán azzal van a baj, ahogy olvasott: nem azért, hogy találkozzon a világgal, hanem hogy falat építsen maga és a világ közé. Az első opció az empátia bölcsője, a második az intoleranciáé.
Bonyolult dolgok ezek. Olyan bonyolultak, hogy regényt írni belőlük borítékolt kudarc. Schulze pedig nagyon okosan felvállalja a kudarcot: miután bő százötven oldalon keresztül felépít egy kvázi klasszikus életregényt Paulini viszontagságairól, a döntő pillanatban félbehagyja a sztorit és pozíciót vált, elismerve, hogy képtelenség ezzel a tárgyilagos E/3-mal megfejteni egy életet. A szöveg ezen pontján az író leleplezi magát, belép a cselekménybe, metaregénnyé változtatva azt, ami eddig egy sima mezei regény volt, mégpedig olyan metaregénnyé, ahol az addigi főszereplő egyfajta kísértetté változik, villódzó tükrözödéssé az elbeszélő tudatában - olyasvalakivé, akiről minden igaz lehet, de akár az ellenkezője is.
De itt nincs ám vége az olvasatok egymásra rétegződésének. Mert az író végül átadja a szót annak, aki még nála is hatalmasabb: a lektornak. Ami szerintem pazar trükk, szellemesen alá- illetve áthúz számos dolgot, amit addig mi, olvasók hipotézisként felállítottunk. Ez a lezárás csinál remek szöveget valamiből, ami addig szimplán jó szöveg volt.
Noch ein Buch, das in meiner näheren Umgebung spielt (neben „Der Turm“ von Uwe Tellkamp und „89/90“ von Peter Richter) und wiederum die Wendezeit umfasst, wenn auch mit einer längeren Zeitspanne als die anderen beiden.
Warum gibt es in Dresden und Umgebung so viele mehr oder weniger rechte Gesinnungsgenossen und wie haben sie sich in diese Richtung entwickelt? Das sind Fragen, die ich mir im Alltag häufig stelle und deshalb hoffte, hier Antworten zu finden. Der erste Teil des Buches scheint zunächst der Versuch zu sein, den Lebensweg bis ins rechte Lager eines bekannten Antiquars nachzuvollziehen. Norbert Paulini ist ein Einzelgäner und Vielleser, der sein Hobby, also Lesen, zum Beruf macht. Er hat sich ein großes literarisches Wissen angeeignet und macht sich mit der Beschaffung seltener Bücher viele Freunde. Die Gleichgesinnten sammeln sich als exklusiver Kreis regelmäßig in Lese- und Gesprächsrunden im Antiquariat. Mit der Wende funktioniert sein bisheriges Leben nicht mehr wie bisher. Bücher gibt es überall und die Leute haben zunächst andere Sorgen und kein Interesse an Gesprächen über Bücher. Diese kleinen Runden kulturinteressierter Leute waren typisch für Dresden. Bei Tellkamp wird etwas ähnliches aus der Buchhandlung erzählt. Dabei wurden politische Themen in der Regel ausgeklammert, man hatte sich seine Nische gesucht, in der man sich anderen überlegen fühlte. Stolz, dazuzugehören war mindestens so wichtig wie der Erkenntnisgewinn. Das war im Buch sehr schön dargestellt.
Genauso gut hat mir die Wendezeit gefallen. Paulini, der sich so schön in seiner Nische eingerichtet hatte, fühlte sich durch die Veränderungen nicht befreit, sondern eher belästigt. Und tatsächlich konnte er, der alles andere als geschäftstüchtig war, von den Einnahmen nicht mehr leben und ging bei Netto an die Kasse. Typisch ist aber gleichermaßen eine Hilfsbereitschaft, die hier im Umfeld stark ausgeprägt ist. Immer wieder finden sich Menschen, die Paulini unterstützen. Die Atmosphäre bei der Flut 2002 machte dies besonders deutlich.
Es folgt der Umzug in die Sächsische Schweiz und die stärker werdende Verstrickung in rechtes Gedankengut. Meine westsozialisierte Kollegin findet die Sächsische Schweiz schon deshalb doof, weil es da so viele Nazis gibt. Aus dem Grund erschien mir die Entwicklung von Paulini, die mir gerade noch so logisch vorkam, plötzlich viel zu sehr Klischee zu sein. Antworten auf meine Fragen nach dem Werdegang weit nach rechts hatte ich nicht erhalten, so dass ich mich am Ende des ersten Teils ein wenig enttäuscht fühlte.
In den anderen beiden Teilen begriff ich, dass es hier nur zum Teil um die Entwicklung Paulinis geht. Es geht auch darum, unter welchen Umständen eine Geschichte entsteht und welche Beweggründe des Autors eine Rolle spielen und das Geschriebene beeinflussen. Der Schriftsteller oder Journalist hat die Deutungshoheit und entsprechend seiner Bekanntheit beeinflusst er das öffentliche Bild.
Hier beeinflusst er vor allem das Bild, dass sich die aus dem Westen stammende Verlegerin von Paulini macht. Sie kennt ihn nicht, sondern nur das Manuskript, aber in ihrem Versuch, sich ein eigenes Bild zu machen, werden schon so viele Vorurteile deutlich, die in gleicher Weise von meiner Kollegin geäußert werden könnten.
Diese Darstellung, die alles offen lässt, die subtil erkennen lässt, dass Paulini mit seinen deutschen Büchern schon in Richtung rechts unterwegs war (sein Sohn war dort mit hoher Wahrscheinlichkeit angekommen), die aber auch dazu auffordert, sich mit den Umständen genauer auseinanderzusetzen und nicht vorschnell zu urteilen, fand ich überaus gelungen. Ein großartiges Buch!
P.S.: Ein Zusammenhang kam mir erst etwas später in den Sinn. Am blauen Wunder, auf der anderen Elbseite des fiktiven Antiquariats im Buch gibt es die mittlerweile einzige Buchhandlung in meinem Wohnumfeld, die nicht zu einer Kette gehört. Trotzdem gehe ich nicht dort hin, weil die Inhaberin immer wieder beschuldigt wird, sich nach rechtsaußen bewegt zu haben. Sie behauptet dagegen, dass ihr ein echter Diskurs am Herzen liegt. In Uwe Tellkamp hat sie einen Verbündeten gefunden. Ingo Schulze hat mich dazu gebracht, genauer und mit eigenen Augen hinzusehen. Gelesene und gehörte Urteile sind immer auch Vor-Urteile.
Norbert Paulini und sein im ersten Stock liegendes Dresdener Antiquariat sind eine Institution, zu der Kunden aus der gesamten Republik anreisen. Paulinis Bücher existieren nur in begrenzter Anzahl und könnten in einer Mangelwirtschaft zur Valuta Forte werden. Doch Paulini, hinter seiner mechanischen Registrierkasse thronend, weiß, was ein Kunde verdient und was gut für jeden ist. Strenggenommen sind Kunden für Paulini eher Störenfriede, die die Regal-Ordnung durcheinanderbringen. Als Antiquar mit fotografischem Gedächtnis kann er Ladendiebe sofort überführen anhand verräterischer Lücken im Regal. Als Leser war der mutterlos aufwachsende Paulini Spätberufener, vom Vater ebenso damit infiziert wie mit dem Wandern. Paulinis Mutter hatte kurz nach dem Zeiten Weltkrieg in Sichtweite des Blauen Wunders bereits ein Antiquariat geführt. Nachdem Norbert zu seiner Berufswahl buchstäblich genötigt werden muss, geht der in der Paulinischen Wohnung gehortete Buchbestand in den Besitz des Sohnes über. Dass die Gewerbeerlaubnis der verstorbenen Mutter niemals erloschen war, muss für DDR-Verhältnisse ein unerhörter Glücksfall gewesen sein. Paulinis Leben wird von starken Frauen dominiert, mächtigen Zauberinnen, die Probleme irgendwie deichseln, an denen normale Bürger verzweifeln.
Wende und Wiedervereinigung bedeuten das Ende von Paulinis Nische in der sozialistischen Planwirtschaft. Kurz zuvor hatte er beklagt, dass ihm komplette Bibliotheken verkauft wurden von Leuten, die diese Bücher selbst nicht lasen. Paulinis Frau Vera tut sich mit dem Systemwechsel dagegen leichter – Haare müssen immer geschnitten werden. Vom weltfremden Idealisten wendet sich Paulini zum Verächter kapitalistischen Überflusses im Buchhandel. Fortan hat er über Zumutungen zu klagen, von der Vaterrolle für den 1989 geborenen Julian bis zu wirtschaftlichem Denken, das nun vorausgesetzt wird. Ahnungslosigkeit führt ihn direkt in die Pleite und schließlich in die Rolle des wirtschaftlich Abgehängten – unverschuldet, wie er beharrt, und mit dem Anspruch, von einer Frau ernährt zu werden. Besonders von den Frauen fühlt Paulini sich betrogen, aber auch von Wetterkapriolen und seinem Staat, der ihm fürs Leben nichts beigebracht hat.
Natürlich hätte ich mir für Paulini wie für Julian je eine eigene Nische im neuen System gewünscht (gewandert wird immer). Auf Vater und Sohn wartet jedoch, spätestens mit dem Wechsel der Erzählerstimme zu einem Herrn Schultze (mit tz) ein dickes Ende. Lebenslinien laufen aufeinander zu und vereinen sich nach einem weiteren Perspektivwechsel zu einem verblüffenden Schluss.
Als Leser sollte man Worte auf die Goldwaage legen können – ganz wie zu DDR-Zeiten. Paulinis Wortschatz scheint in einer sich ändernden Welt zunächst zu stagnieren, seine Sprache dann altertümlicher und verschachtelter zu wirken. Sprachlich habe ich Paulinis Eskapaden genossen. Eine Leser-Karriere im Idyll ostdeutschen Bildungsbürgertums, „kleine Fluchten“ und zupackende Frauenfiguren konnten mich fesseln. „Die rechtschaffenen Mörder“ zeigt sich als wortmächtiger Roman, als würde ein Lesesüchtiger aus Texten des 19. Jahrhunderts auftauchen und im ersten Moment in deren Sprache verharren. Wer Zweifel aushält, ob das alles Fiktion sein kann, dem empfehle ich Ingo Schulzes „Neuestes“ gern.
Der erste Teil betreibt die Aufhebung des Leselandes DDR in den Ton einer Legende, die - fern der Idylle - auch das Lebensabgewandte dieser Einstellung zu Büchern als quasi "Lebensersatz" betont. Dennoch erkennt man das Dissidentische der Beschäftigung mit alten, aus den vergangenen Zeiten in andere Zeiten herüberreichenden Texten und Gedanken, wie sie nur ein Antiquariat in der DDR, in der solche Schriften - anders als im Westen - Raritäten waren, vermitteln konnte. Ich fühlte beim Lesen geradezu körperlich den Geruch, die längst vergangene Atmosphäre im "Büchereck Pusch", die doch Teil meines vergangenen Lebens war. Geadelt durch den Satz "Wer liest heute schon noch Samel Butler?" war ich aufgenommen in den Kreis bevorzugter Kunden und durfte mit als einer der ersten unter den "Neueingängen" stöbern. Nietzsche und so. Große Teile meines Taschengelds gingen da über den Tresen- kurz, alles war so, wie es Schulze für Dresden mit dem Antiquariat Paulini beschreibt. So war es also.
Das Geschäft des Antiquars musste notwendig 1990 einen Bruch erleben, da nun - in einer Zeit der beinahe absoluten Verfügbarkeit von Buchtiteln aller Art- nur noch Raritäten oder Billigangebote im Sinne von "Second Hand" absetzbar waren. Womit Geld verdienen? Die Frage stellte sich auch für Schulzes Helden und wie viele andere Ostler geriet er neben die Spur und fand, obwohl er seine eingefahrenen Gleise nicht wirklich verließ, doch in seinem Leben die Richtung, das Ziel (man mag von "Sinn" reden) nicht mehr. Anders als bei Tellkamp, der durchaus mit gemeint sein mag, stellt sich (bürgerliche) "Kultur" und "Bildung" nicht als per se dissidentisch heraus. Sie sind nicht einmal im aufklärerischen Sinne immunisierend gegen Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit. Ingo Schulze, selbst studierter Germanist, weiß um die Janusköpfigkeit von Aufklärung und Romantik, die - vor allem letztere - auch zur Begründung von nationaler oder rassischer Überlegenheit und Nationalismus dienen konnten und können. So nimmt es nicht wunder, dass Paulini gegen Ende des ersten Teils seinen offensichtlich in Richtung Ausländerfeindlichkeit abgedrifteten Sohn in Schutz nimmt und selbst entsprechende Parolen wiederholt.
Schulze hätte es bei diesem Befund belassen können, doch wechselt er die Perspektive und schreibt nun im Teil II aus der Sicht des Autors von Teil I (Schultze) über dessen Verhältnis zu Paulini und der gemeinsamen Geliebten. Das ist nicht uninteressant, zumal der Autor Paulini nun ein paar unabweisbar kritische Bemerkungen über das Berufsleben eines Schriftstellers in den Mund legt, der seine Bücher verkaufen will und also zu allen Zeiten zu Konzessionen bereit war und bereit sein musste an den politischen Mainstream (sogar im Dagegen- Sein) und an den Zeitgeschmack. Ein Problem, dass den Autor Ingo Schulze offensichtlich umtreibt. Auch das Verdikt, erzähltes Leben sei immer eindimensional und als erfundenes Leben dem wahren Schicksal gegenüber vereinseitigend und festlegend, wo doch das allermeiste offen, nur halbbewusst und evtl. auch zufällig so passiert ist, wie es passierte, ist unabweisbar. Leider kommt aber die darin eingewobene Liebesgeschichte, weil zunächst ohne offensichtlichen Bezug zu Paulini beschrieben, ein bisschen "autobiografischer Bruch" daher. Ideell kann Schulze das auffangen; stilistisch gelingt es ihm nicht.
Im Teil III wird letzterer Einwand ein bisschen nichtig, weil nun ein erneuter Perspektivwechsel erfolgt. Jetzt spricht die Lektorin von Schultze über dessen Text und den überraschenden Tod Pulinis und seiner bzw. der Geliebten von Schultze. Wer ist schuld? War es Doppelselbstmord? Hat Paulini seine Geliebte mit in den Freitod genommen? Oder stand doch Schultze hinter den beiden, bevor sie fielen? Auf den Autor des Paulini- Fragments vom Anfang fällt nun auch ein menschlicher Makel, obwohl das Ende offen bleibt. Interessant, dass Ingo Schulze eine Reminiszenz an Dzevad Karahasan einfügt, indem er Paulinis bosnischem Faktotum gut erkennbar Grundzüge des Büchernarren Karahasan verleiht. Und es ist genau dieser Pseudo- Karahasan, der - wiewohl von Paulini beleidigt - letztlich im "Geiste der Bewahrung der Bücher" nicht nur dessen Geschäft übernimmt und weiterführt, sondern Paulini verteidigt und die Verdächtigung gegen Schultze und mit ihm die moderne, sich moralisch überlegen fühlende Literatur aufrecht erhält und noch befestigt.
Bleibt die Frage, warum im Titel die "Rechtschaffenheit" der Mörder (im Plural!) behauptet wird. Was ist hier "rechtschaffen" und was wird ermordet? Paulini? Darum dürfte es nicht wirklich gehen. Ingo Schulze behauptet gegen Ende, bei seinem Text würde es sich um eine Novelle (!) handeln. Nimmt man Goethes Novellen- Definition zur Grundlage der Interpretation, dann müsste es dort etwas "Neues" im Sinne von etwas Sensationellem geben. Was hat hier Neuigkeitswert? Vielleicht der westliche Deutungshoheit ablehnende, in sich gespaltene, das Unabgeschlossene der Deutung herausstellende und doch souveräne Blick auf das Bücher- und Leseland DDR? Das müsste dann - nach Goethe - spannungsreich vermittelt sein, damit der unbedarfte Leser auf der Ebene der Handlung zum Weiterlesen animiert wird. Das leistet typischerweise die Kriminalhandlung am Ende. Über das Stoffliche hinaus, so Goethe, müsste die Machart jenseits des Kriminalistischen auf etwas "Unerhörtes" zielen, auf etwas, das den tieferen Sinn des Ganzen enthüllt. Da wäre zunächst der Selbstmord, der auch ein Mord sein könnte. Doch trägt Eifersucht den Sinn einer Erzählung über das Ungeheuerliche der Wende und der Zerstörung der Buchkultur, begriffen als Tradition der Bildung und womöglich des widerständigen Humanismus? Ich meine, der Schlüssel liegt im Plural "Mörder". Nicht ein einzelner ist gemeint, nicht auf die finale Tat kommt es an. Das sind nur falsche Fährten. An dem Prozess der Zerstörung der alten Bücher als dem nun nicht mehr zirkulierenden Gedächtnis einer Nation (Karahasan lässt grüßen) haben viele Anteil. Da sind der Sparkassendirektor, der das nicht mehr finanzieren will/ kann, da sind die ehemaligen Leser, die sich aus finanziellen und anderen Gründen von den alten Büchern ebenso abwenden wie die auf Lehr- und Kochbücher umschwenkenden ehemaligen Büchernarren, und da sind - nicht zuletzt - die Autoren der neuen Generation, die um den Verlust wissen, ihm aber nicht gegensteuern können oder wollen. Das Ungeheuerliche ist der ungewollte Mord an der literarischen Überlieferung, der allerdings schon mit ihrer (rechtschaffenen!) Antiquarisierung und damit versuchten Rettung in der DDR begann. Wie kann man Bücher verkaufen? Das war Paulinis erster Schock: Bücher waren schon in der DDR für viele Menschen nichts mehr, was zu ihnen gehörte, was mit ihren Seelen verbunden war. Ermordet, ohne dass es eine "böse Absicht" gab oder gibt, wird vom "Geist der Zeiten" ein Satz, den Ingo Schulze wie ich von manchem unserer Germanistik- Professoren kennen dürfte: Was wird, wenn ich nicht mehr bin, aus meinen Büchern? Und, so möchte man im Angesicht von AfD und Fremdenfeindlichkeit hinzufügen, was wird aus dem mit der Buchkultur verbundenen Widerständigen, Humanistischen? Wobei die Frage offen bleibt, ob Toleranz und Humanismus nicht viel früher schon gemordet worden waren. Wann hat das begonnen, oder hat es diese Zeit "der Kultur" in Wirklichkeit nie gegeben? Vielleicht haben wir, hat der Autor, nur eine (rechtschaffene) Illusion ermorden lassen und diesen Vorgang - sich selbst mit meinend - geschildert? Hier würde die Novelle den ganz großen Geist der ganz großen Fragen atmen...
Aber vielleicht ist es auch alles ganz anders. Dass man sich das fragen kann, macht, trotz einiger stilistischer Unebenheiten, den Reiz der Lektüre aus. Wer sich diesen Fragen stellen mag, dem sei das Buch ans Herz gelegt.
Norbert Paulini führt in seiner Dresdner Wohnung ein Antiquariat. Zur Berufswahl musste er als junger Mann regelrecht gezwungen werden – zwar ist er leidenschaftlicher Leser, aber genau deshalb möchte er seine Zeit mit nichts anderem verbringen als dem Lesen selbst. Doch in der DDR ist dieses Antiquariat ein Glücksfall, der ihm vor allem durch die bedingungslose Unterstützung seines Umfelds ermöglicht wurde.
Mit der Wende verlieren seine Bestände aber schnell an Bedeutung, die Kunden bleiben aus, die Bücher werden ihm regelrecht nachgeworfen. Paulini, weltfremd und ohne jegliches Gespür für das, was um ihn herum passiert, wandelt sich allmählich zum Verächter der neuen Welt und der Menschen, die darauf leben.
An dieser Stelle bricht der erste Romanteil abrupt ab; im Folgenden kommen der Autor von Paulinis Biografie sowie dessen Lektorin zu Wort. Paulini wird zu keinem Zeitpunkt als Sympathieträger dargestellt, im Gegenteil; bereits als junger Mann wirkt er recht überheblich, wenn auch noch zugänglicher. Gleichzeitig kommen Zweifel auf, was wirklich wahr ist und wessen Darstellungen man vertrauen kann.
Schulzes «Die rechtschaffenen Mörder» ist ein sprachlich sehr gelungener Roman. Paulinis Entwicklung vom leidenschaftlichen Leser zum verbitterten, hasserfüllten Mann ist grossartig beschrieben. Trotzdem hat mich das Buch zum Schluss etwas ratlos zurückgelassen. Eine abschliessende Antwort erhält man nicht und ist auch nicht notwendig; ein bisschen konkreter hätte ich es mir aber gewünscht.
Ich wollte das Buch lesen, da die Geschichte von einem Büchernarr handelt. Diesen Teil des Buches fand ich großartig. Die weiteren Teile und insbesondere der Schluss weiß ich nicht anzunehmen. Warum hat die Geschichte dieses Ende?
Entgegen vieler sehr positiver Kritiken konnte mich der Ostroman des Ingo Schulze schlussendlich nicht begeistern. Der erste Teil, die Beschreibung des sich in die Privatheit zurückgezogen habenden Bildungsbürgertums, das sich auch die Lesegewohnheiten vorschreiben lassen muss (sich aber insgeheim dagegen verwehrt, wo also das Lesen von vor 1945 herausgegebenen Büchern schon Widerstand gegen das Regime ist) ist gut gelungen. Die Brüche im zweiten und dritten Teil, die laut Kritik hervorragende Brechungen sind, erschlossen sich mir nicht.
Mit behäbiger Sprache erzählt uns Ingo Schulze die Geschichte von Norbert Paulini. Norbert Paulini wächst in Dresden zur Zeit der DDR auf. Nachdem seine Mutter schon früh verstorben ist, hat sie ihm das hinterlassen, was ihr wichtig war: Bücher. Norberts Vater bewahrt die Bücher in seiner Wohnung auf und so wächst Norbert schon früh mit dem Gedanken auf, von Büchern umgeben sein zu müssen und fortwährend zu lesen. Sobald er es beherrscht, gibt er als Berufswunsch "Leser" an und so liegt seine spätere Berufwahl diesem Wunsch doch ziemlich nahe. Er wird Antiquar. In der Wohnung, in der er mit seinem Vater lebt, wird das Antiquariat eröffnet und entwickelt sich schnell zum "Hotspot" unter den Buchliebhabern. Doch die Zeit ändert viele Dinge und auch die Menschen ändern sich und Norbert bleibt von dieser Entwicklung nicht ausgeschlossen, da ihm durch die Entscheidungen anderer Menschen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Oftmals stellt man sich als Leser bei diesem Buch die Frage, wieviel ein Mensch ertragen muss und dabei wie man es schaffen soll, dabei nicht den Mut zu verlieren. Norbert muss fortwährend kämpfen, sei es um Ansehen, sei es um Gerechtigkeit oder sei es schlicht einfach und ergreifend auch gegen die Zeit und ihre Veränderungen. Doch Norbert ist für mich nicht der klassische Held, der seine Aufgaben einfach nur bestehen muss. Er hat für mich eine Art an sich, die es schwer macht, ihn wirklich zu mögen. Anfangs hatte ich noch viel Mitleid mit ihm, aber durch die verschiedenen Abschnitte im Buch ist er mir zum Schluss hin eher selbstgefällig erschienen und wollte einfach nur seinen Willen durchsetzen. Der Gedanke, dass sich im Leben alles immer wieder ändert, dass man das Leben nicht planen kann, dass man viele Dinge hinnehmen und daraus das Beste machen muss, trifft bei mir schon auf Zuspruch, aber was es mit Norbert Paulini aus den verschiedenen Sichten macht, das entzieht sich mir. Wer sich für deutsche Geschichte und auch speziell für die Zeit nach dem Mauerfall interessiert, findet in diesem Buch eine gute Erzählung, wie die Menschen die Zeit erlebt haben können.
ho bisogno che qualcuno mi spieghi questo libro....
cioè: io stavo leggendo un libro in cui si narrava la storia di un uomo che fin dalla nascita ha vissuto letteralmente fra i libri, appassionandosi alla lettura da bambino e poi dedicando tutta la vita a leggere, a cercare libri antichi, rari, fuori commercio, per esporli e se necessario venderli nella sua libreria antiquaria, insieme con qualche libro contemporaneo che però lui disdegna non poco. E, in questa continua ricerca, Norbert Paulini - sempre chiamato con nome e cognome come Charlie Brown - deve anche spostare la sua attività, da un negozietto ad un magazzino, dalla città alla campagna, trasportando i libri su biciclette, carretti e anche qualche traballante automobile della Germania est. Intorno a lui ci sono pochi amici ed una specie di corte di pazzi fanatici (lo dico con ammirazione e un po' di invidia) per i libri, gente che arriva anche da altre città per cercare se NP ha una prima edizione di Goethe (NP non ama eccessivamente gli autori non di lingua tedesca) e disposta, nel caso, a spendere il proprio stipendio di un mese per il tesoro trovato. Nel frattempo succedono anche varie cose, NP si sposa ed ha un figlio, la Germania si riunifica, lo stile di vita della DDR viene travolto dalle abitudini occidentali, l'economia cambia, mantenere una libreria antiquaria diventa sempre più difficile economicamente. In più lui ha fatto qualche conto sbagliato e si è fatto del male da solo. Comunque gli viene spontaneo fare due più due e decidere che la sua crisi economica è colpa dei tempi che cambiano, naturalmente in peggio (c'è mai stata una persona che invecchiando si è compiaciuta del miglioramento dei tempi?) e così maturare un astio generale verso diavolerie come le elezioni ed altri portati del nuovo che avanza. Dal canto suo, il figlio ormai adulto manifesta più di qualche tendenza antisociale. E qui, ZAC! Con un colpo di scena che ad una persona banale e poco fantasiosa come me ha fatto pensare ad un errore dell’ebook, la narrazione si interrompe lasciando una frase a metà, e poi si passa ad una seconda parte in cui compare un personaggio mai nominato prima (scopriremo poi che si chiama Schulze, quindi è l’autore, o l’autore gli ha dato il proprio nome), e poi ad una terza parte in cui compare un terzo personaggio, anch’esso mai nominato prima, i quali raccontano in prima persona la vicenda dal loro punto di vista. Per l’esattezza il terzo personaggio parla di fatti - che non dirò, anche se la storia non è un giallo - avvenuti dopo la narrazione contenuta nelle prime due, tirando - in qualche modo - le somme. Va bè, una volta capito che l’ebook non aveva nessun vizio non ho poi avuto gran difficoltà a seguire il resto della narrazione. Quello che continua a lasciarmi perplessa è l’interpretazione che ho trovato da qualche parte (forse la quarta di copertina, forse una recensione) in cui si dice che dopo la riunificazione della Germania NP si trasforma da uomo mite in soggetto aggressivo e si avvicina al neonazismo: cose che potrebbero anche essere vere ma nel libro non ci sono. A me risultava che con il passare del tempo NP perdesse l’imperturbabile serenità con cui aveva vissuto e lavorato in gioventù; che maturasse un atteggiamento astioso verso il mondo com’era diventato e verso coloro che ne erano entusiasti; che adottasse l’aria io ho capito tutto e voi siete scemi e non avete capito un … ,ma la sua presunta vicinanza al neonazismo io non l’ho proprio vista. E dov’è la rettitudine negli assassini?
Drei Erzählperspektiven: Im ersten Teil, zu DDR-Zeiten, die klassische auktoriale Erzählweise - für mich der beste Teil. Der zweite Teil, nach der Wende, wird erzählt von einem Ich-Erzähler, der wie der Autor Ingo Schultze heißt. Und bricht abrupt ab. Der dritte Teil spielt zu Pegida-Zeiten und reicht bis in die Gegenwart. Er wird erzählt von einer Ich-Erzählerin, der westdeutschen Verlagslektorin von Erzähler Nummer 2. Der Roman ließ mich mit einer gewissen Ratlosikeit zurück.
Norbert Paulini je dresdenski antikvar, pasionirani zaljubljenik u knjige i čitanje. Njegov antikvarijat ima kultni status: okuplja brojne knjigoljupce jer ima veliku ponudu iznimnih izdanja iz njemačke književnosti. Za Paulinija antikvarijat je životno djelo, realizacija njegovih snova.No sa slomom DDR-a Paulini doživljava krah: knjige više nikoga ne zanimaju, antikvatijat propada, a vlasnik gubi sve. Ogorčen i slomljen, priklanja se desnom radikalizmu.
Tot ver over de helft beviel het boek me uitstekend. Het is een mooie beschrijving van het leven van een antiquaar in Dresden voor en na de Wende. De laatste bladzijden van het eerste, lange deel zijn wat rommelig. Met een bedoeling blijkt in deel 2 en het korte deel 3. Ik moet eerlijk bekennen dat ik toen de draad een beetje kwijtraakte. De antiquaar blijkt rechts-radicaal te zijn geworden. Overigens kan mijn onbegrip liggen aan mijn te beperkte kennis van het Duits. Toch ben ik zelfbewust genoeg om het als een slecht signaal te beschouwen dat ik de recensies moet lezen om beter te weten wát ik heb gelezen en vervolgens de indruk te krijgen dat de recensenten het ook niet precies weten. Dus voor het eerste deel vier sterren en voor het vervolg twee sterren. Maakt gemiddeld drie.
Ähm ich bin höchst verwirrt vom Ende und fühle mich irgendwie dumm 😂 Aber insgesamt war das Buch besser und interessanter, als ich zwischenzeitlich befürchtet habe…
An dieses Buch hatte ich hohe Erwartungen. Das Cover gefiel mir richtig gut und viele andere BloggerInnen haben das Buch sehr positiv bewertet. Auch den Klappentext fand ich spannend. Ein Bücherwurm und Antiquar, der zum fremdenfeindlichen Mörder wird, vielleicht sogar zum Nazi? Geht das? Vor allem: Geht das so, dass ich die Geschichte auch glaubwürdig finde? Für mich war klar, dass ich dieses Buch lesen muss. (So wie eigentlich jedes Buch, in dem es um Buchmenschen geht.)
Was mich an Paulini zu Beginn vor allem überraschte: Der ist ja total sympathisch! Also jetzt nicht so, dass ich ihm sofort um den Hals springen würde, aber zumindest so, dass ich wohl ziemlich bald ebenfalls regelmäßige Besucherin im Antiquariat werden würde. Doch das Antiquariat, damit beginnt das Buch nicht mal. Das Buch beginnt noch vor Paulinis Geburt, begleitet ihn durch seine gesamte Kindheit und Jugend, bei seinen ersten Schritten als Buchhändler, beim Aufbau des Antiquariats und so weiter, bis ins hohe Alter, wo dann die Geschichte plötzlich unterm Satz abbricht und andere Figuren weitererzählen. Zugegeben: Das hat mich ziemlich irritiert, dass das Kapitel mitten unter dem Satz endet. Das habe ich einfach nicht erwartet. Und wenn, dann wohl nur dann, wenn im nächsten Kapitel eine Erklärung geliefert wird. Aber das ist nicht passiert. Schlimmer: Da gab es dann plötzlich keine Kapitel mehr und Paulini war zwar immer noch präsent, aber jetzt erzählten andere. [Spoilergefahr im nächsten Absatz!] Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, was ich von Paulini halten soll. Was ich glauben soll. Ja, im Laufe des Buchs verbittert er immer mehr und beginnt immer feindseliger gegenüber allem zu werden, das "von außen kommt", aber ob ich ihm einen Mord zutrauen würde? Nein, wohl eher nicht. Er scheint halt einfach ein verbitterter alter Mann zu sein, dem das Leben nicht immer leicht gemacht wurde. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs hat er plötzlich massenhaft Kundschaft verloren, ging pleite, konnte sich irgendwie wieder aufraffen, dann kam auch schon das Internet und ihr wisst ja, wie es vielen kleinen Buchhandlungen mit dem Internet geht. Da kaufen Stammkunden dann plötzlich doch lieber bei Amazon und co. [Spoilergefahr ist zu Ende!] Uff, ich weiß echt nicht, was ich von Paulini halten soll. Ist er ein Nazi? Ein Mörder? Oder doch nur ein frustrierter alter Mann, der gedanklich irgendwo in der Vergangenheit stecken geblieben ist? Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Entwicklung von Paulini zum vielleicht Nazi und vielleicht Mörder nachvollziehbar finden soll. Ich weiß es einfach nicht. Aber vielleicht ist das ja auch der Sinn der Sache. Dass keine klare Antwort geliefert wird. Gibt es ja auch im echten Leben oft nicht.
Besonders gut an diesem Buch gefallen, hat mir der Schreibstil. Ich habe viele Formulierungen angestrichen, die mir gefallen haben, habe das "Notizbuch" meines Readers um mindestens zwanzig Seiten erweitert. Gerade zu Beginn gab es einfach total viele Stellen, die mich zum Lächeln gebracht haben oder die ich mir eingeprägt hab, damit ich ganz schnell den Computer anwerfen und diese Stelle in einen Buchzitate-Post einspeisen kann.
Weniger gefallen hat mir, dass eben plötzlich die Perspektive gewechselt wird. Das hat mich irritiert (was wahrscheinlich auch der Sinn der Sache war) und ich fand die anderen Figuren einfach nicht ganz so interessant wie Paulini. Klar, die Außenperspektive war wohl irgendwie notwendig. Aber diese Zäsur war dann doch eher...extrem!
Mein Fazit? Mir hat dieses Buch wirklich gefallen. Es hat mich zum Nachdenken angeregt. Allerdings gibt es meiner Meinung nach immer noch Luft nach oben.
Wo beginnen? Ingo Schulze hat hier ein Buch in drei Teilen geschrieben, das mit den Erwartungen des Lesers gekonnt spielt und sie noch gekonnter widerlegt. Erzählt wird von Norbert Paulini, einem Antiquar aus Sachsen. Ein Buchmensch durch und durch, der sich dem Lesen verschrieben hat und der allen Widerständen zum Trotz an seinem Antiquariat, an seinen Büchern festhält. Was als warmherzige Geschichte über die Liebe zum Buch beginnt, entwickelt sich bald zu einem vielseitigen Bild über Wahrheit, die Macht des geschriebenen Wortes und die Gefahr der einseitigen Betrachtungsweise. Ein unglaublich kluges, durchdachtes, gut komponiertes, spannendes Buch, das bei mir noch lange nachhallen wird.
Der Klappentext führt meiner Meinung nach übrigens in eine vollkommen falsche Richtung: Hier geht es nicht darum, von einem Mann zu erzählen, der sich radikalisiert oder gar ein politisches Portrait von rechten Wutbürgern in Ostdeutschland zu zeichnen. Für mich steht hier ganz klar die Wahrheitsfindung, das in die Irre führen, das Entlarven von angeblichen Wahrheiten, der Appell, Texte hinterfragen zu müssen im Mittelpunkt.
In diesem Buch erwartet einen ein stetiges Auf und Ab der Gefühle, man ist sich nie sicher, ob man für den Protagonisten Sympathie, Mitleid oder Abscheu empfinden soll. Eine außergewöhnliche Lesereise durch Dresden, die Welt des Buchhandels und die Geschichte der Literatur.
Das Buch ist kompliziert. Es gibt keine klar rechtschaffenen Menschen, keine wirklich Guten, kein Schwarz und weiss. Alles was ich im ersten Teil gelesen habe, habe ich im zweiten wieder angezweifelt und der dritte Teil nimmt dann auch den Glauben an das, was im zweiten Teil steht.
Es ist nun schon eine Weile her, dass ich mir „Die rechtschaffenen Mörder“ von Ingo Schulze als ungekürztes Hörbuch bei Spotify anhörte, aber immer noch habe ich Schwierigkeiten die richtigen Worte für diesen ungewöhnlichen Roman zu finden. Denn er ist in drei Teile gegliedert und jeder Teil hat mich aus der Welt des vorherigen herausgerissen und vor völlig neue Tatsachen gestellt, mit denen ich beim Lesen so nicht gerechnet habe. Die Form, wie sich dieser Roman dem Leser erschließt fühlte sich für mich überraschend und neu an, war aber auch sperrig und ließ mich am Ende etwas ratlos zurück. Und doch macht dies das Buch zu etwas Besonderem, weil es mit einer unzuverlässigen Erzählweise konfrontiert, die eine gewisse Spannung beim Lesen erzeugt.
Im ersten Teil lernen wir den Antiquar Norbert Paulini kennen – und lieben. Norbert Paulini ist ein hoch geachteter Dresdner Antiquar, bei ihm finden Bücherliebhaber Schätze und Gleichgesinnte. Auch in den neuen Zeiten, nach der Wende, als die Kunden ausbleiben, versucht er, seine Position zu behaupten. Als bücherbegeisterter Leser lässt man sich von dieser Person, die für die Literatur lebt, vollends begeistern und ist durch die angenehme Erzählweise gänzlich in einer Geschichte, die einen mitnimmt und umgarnt und immer weiter erfahren möchte. Es ist eine (fast) schöne heile Welt des Lesens, der Bücher und des völligen Aufgehens in der Literatur. Ein gefundenes Fressen für jeden leidenschaftlichen Leser.
Im zweiten Teil lernen wir hingegen den Antiquar aus einer anderen Perspektive erzählt und von einer völlig anderen Seite kennen. Und der dritte Teil wird aus einer weiteren Perspektive präsentiert und offenbart dem Leser neue ‚Wahrheiten‘ und Sichtweisen auf das bisher gelesene und erfahrene. Ich mag an dieser Stelle nicht mehr verraten, um nicht die Überraschung zu verderben, die durch diese Erzähler entsteht. Es sei hier nur ausgeplaudert, dass diese Wendungen dazu anregen, sich Gedanken über das Geschichten erzählen, beziehungsweise schreiben zu machen und dabei den Wahrheitsgehalt, die Ausschmückung und die jeweilige Erzählperspektive auf den Prüfstand stellen. Die Geschichte Norbert Paulinis entblättert sich hier ganz allmählich auf unterschiedliche Weisen und konfrontiert den Leser mit literarischem Wunschdenken bis hin zu kalter ungeschönter Realität, deren Glaubwürdigkeit allerdings wiederum angezweifelt werden darf, weil man als Leser irgendwann in diesem Roman gelernt hat, dass sich alles Gelesene in subjektiver Einfärbung präsentiert.
Eingesprochen wurden die ersten beiden Teile des Hörbuchs von Sylvester Groth und der dritte Teil leider von Victoria Trauttmannsdorff. Dabei ist es mir erstmals so ergangen, dass mir in eine Sprecherstimme, beziehungsweise in diesem Fall die Stimme der Sprecherin derart unangenehm war, dass ich aufgrund dessen Probleme hatte der Geschichte zu folgen. Auch das kann dazu beigetragen haben, dass ich das Buch zum Ende hin als immer schwächer werdend empfunden habe. Daher würde ich in diesem Fall doch eher dazu raten diesen Roman selbst zu lesen oder sich vorab mit den Stimmen der beiden Sprecher vertraut zu machen.
Insgesamt ist es aber bei diesem Buch eher das Wie diese Geschichte erzählt wird und sich dem Leser erschließt, das mich überraschen und beeindrucken konnte, als die erzählte Geschichte selbst. Dennoch war dies eine besondere Lese-, beziehungsweise Hörerfahrung für mich.
Zu diesem Buch habe ich zunächst wegen des schönen Covers gegriffen - wurde aber von einer sehr guten Erzählung mit starkem Nachklang überrascht.
Norbert Paulini lebt für Bücher - mit seinem Antiquariat wird er im Dresden der 80er Jahre zur Instanz, als Leser, als Literat, als Kulturschaffender. Sein Salon Paulini wird zum Treffpunkt für Büchermenschen und Gelehrte. Der Fall der Mauer allerdings zerstört Paulinis Welt. Seine Kundschaft bleibt aus, er muss das Antiquariat schließlich ganz schließen und seine Bücher umlagern, dem Elb-Hochwasser von 2002 fällt sogar ein Teil seiner Bibliothek zum Opfer.
Die Geschichte Paulinis im ersten Teil wird von einem seiner Kunden geschrieben, der in den 80ern zum ersten Mal als Student in Paulinis Antiquariat kommt und später Autor wird. Der zweite Teil dreht sich um die Geschichte dieses Autors, der Schultze heißt, und der Paulini später quasi die Frau ausspannt. Ab da beginnt eine Menage a Trois mit ungutem Ausgang. Der dritte Teil ist aus Sicht von Schultzes Lektorin geschrieben und sehr überraschend, es gibt plötzlich Tote und eine sehr bedrohlichen Stimmung, obwohl die Geschichte vorher hunderte Seiten gemütlich dahinplätscherte.
Die rechtschaffenen Mörder ist eine Geschichte über die Liebe zu (alten) Büchern und die Klassiker der (deutschen) Literatur und über das Lesen, aber auch eine Liebes- und Lebensgeschichte, und am Ende verwandelt es sich in einen Mini-Krimi mit krassem Sog. Das Buch thematisiert den Osten zur Wendezeit und heute. Es geht um die Identität von Menschen aus der ehemaligen DDR, ihr Verhältnis zum Westen, Unterlegenheitsgefühle, Veränderungen, politisches Abdriften. Ich empfinde den Roman als sehr gelungen und konnte ihn am Ende nicht mehr zur Seite legen. Büchermenschen (und alle anderen) werden viel Freude an dieser außergewöhnlich komponierten Erzählung haben.
Was ist dieses Buch? Nachdem ich diesen Roman innerhalb von ein paar Tagen verschlungen habe, finde ich immer noch keine Antwort. Dreh- und Angelpunkt ist das Antiquariat vob Norbert Paulini, dessen Lebensgeschichte zunächst von einem ihm vertrauten Leser wiedergegeben wird. Die Lesenden werden zum einen durch die Leidenschaft des Antiquars für Literatur - wenn man auch nur ein bisschen literarisch bewandert ist - mitgerissen, aber zum anderen nach kurzer Zeit seines romantisches Bildes durch die Erzählung über eine mal mehr mal weniger sympathischen, aber immer komplexen Figur Norbert Paulini konterkariert. Wir folgen danach der Erzähler- Figur, die während ihrer Arbeit an dem Werk über den Antiquar immer wieder an ihre künstlerisch-literarischen und privaten Grenzen stößt. Zuletzt folgen wir der Verlegerin des Erzählers, die versucht eine Katastrophe zu ergründen. Ingo Schulze spielt gekonnt die Klaviatur der Postmoderne: man wird mit einer vermeintlich bekannten Struktur gelohnt, denkt sich, den Weg zu kennen, nur um nach etlichen teils subtilen teils deutlicheren Brüchen verschiedenste Ansätze entwickelt zu haben, die aber keine Universallösung bieten. Man fasst es als Ode an das Papierbuch auf, als Porträt über das Schreiben und den Kulturbetrieb, aber auch die Probleme in der Identitätsfindung Ostdeutschlands, es huldigt die deutsche Literatur, nur um einem Bosnier Peter Handkes wohl bekanntestes Zitat in den Mund zu legen. Schulze schafft es, die Leserschaft gleichzeitig zu loben, sie für ihre Arroganz zu ohrfeigen und dennoch einem das Gefühl von Verständnis gegenüber zu bringen. Wer eine einzigartige literarische Herausforderung sucht, die jedoch wie ein Sonntagsspaziergang wirkt, ist mit "Die rechtschaffenen Mörder" in jedem Fall gut bedient.
...und das gelingt ihm auch. Er macht eine Ausbildung zum Antiquar und eröffnet kurz darauf mit den Büchern seiner verstorbenen Mutter sein eigenes Antiquariat in Dresden. Zuerst läuft es gut, doch nach der Wende bleiben die Kunden aus, Paulini muss sein Geschäft aufgeben, hat mit Geldsorgen zu kämpfen, sein soziales Umfeld ändert sich und er findet keinen Halt mehr im Leben.
Dieser erste Teil des Buches, also Paulinis Jugend, seine Entdeckung der Literatur, seine leidenschaftliche Betätigung als Antiquar und die Zeit der Wende waren durchaus gelungen und lasen sich leicht.
Doch in den letzten beiden Teilen wird die Geschichte plötzlich aus der Sicht des Biographen von Paulini erzählt und aus der Sicht von dessen Lektorin. Mit diesem Perspektivbruch geht auch eine Langatmigkeit einher. Die dem Leser unbekannten und neuen Figuren tragen kaum etwas bei und ziehen stattdessen die Geschichte nur unnötig in die Länge. Was schade ist, weil eine anfangs einnehmende Erzählung zu keinem ihr angemessenen Ende findet.
Der Roman von Ingo Schulze ist in drei Teile gegliedert, in denen jeweils ein anderer Erzähler die Geschichte des Dresdner Antiquars Norbert Paulini entfaltet. Über das Leben und Wesen dieses Buchliebhabers erfährt man nur wenig Sicheres: Man weiß, dass er in der Wahrheit der klassischen Literatur den einzigen Sinn des Lebens erkennt und vom Verteidiger geistiger Werte bald zum vermeintlichen Rechtsextremen stilisiert wird. Alles andere bleibt im Unklaren. Die drei Erzähler werfen abwechselnd Licht und Schatten auf Paulini und lassen ihn so nie eindeutig fassbar werden. Plötzlich begreift man: Norbert Paulini ist gar nicht die eigentliche Hauptfigur, sondern eine Figur innerhalb der Geschichten der fiktiven Autoren. Der wahre Protagonist des Romans ist vielmehr die Frage nach der Wahrheit, und wie sie in einer Gesellschaft verhandelt wird, in der Werte rasch wechseln, Menschen schnell vergessen werden und die mediale Realität eine immer stärkere Macht darüber gewinnt, wer wir sind.
Ein spannendes Buch, das ich nur ungern aus der Hand gelegt habe. Mir gefallen besonders der Stil und die Details, die die Stimmung in der Wendezeit lebendig beschreiben. Leider konnte ich mit der Verknüpfung der beiden Themen Liebe zu Büchern und Rechtsextremismus nichts anfangen. Wenn meine Erwartungen an das Buch nicht vorher durch Pressekritiken und den Klappentext - „Wie wird ein aufrechter Büchermensch zum Reaktionär - oder zum Revoluzzer?(...)“ - in die falsche Richtung gelenkt worden wären, hätte ich wahrscheinlich fünf Sterne gegeben.
Liebevoll und zugleich mit tiefer Einfühlung erzählt Schulze die Geschichte derer, die die deutsche Einigung als Bruch ihrer Biographie erlebten. Während sich die einen auf eine neue Welt einließen zerbrachen andere an dem Druck zur Veränderung. Die tragische Frage, die bleibt: Konnten der Antiquar Paulini, sein Bewunderer Schultze und seine Geliebte Elisa denn je ein anderes Schicksal wählen? Oder musste ihr Leben in eben diesen tragischen Bahnen fortlaufen… Eine berührende Geschichte mit einem zutiefst bewegenden Ende.
Wunderbarer Blick auf einen ostdeutschen Antiquar. Die liebevolle Beschreibung seiner Welt in Dresden und im App Sandsteingebirge hat mich sehr an eigene Aufenthalte dort erinnert. Seine Liebe zu seinen Büchern im Konflikt mit dem beginnenden Kapitalismus hat mich beeindruckt. Die Wenden am Ende mit drei Perspektivwechsel in der Erzählung fand ich anstrengend nachzuvollziehen....