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Kinder von Hoy: Freiheit, Glück und Terror

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Die Autorin Grit Lemke, die schon mit ihrem Grimmepreis-nominierten Film Gundermann Revier einen tiefen Blick in das Leben ihrer Heimatstadt Hoyerswerda geworfen hatte, arbeitet nun die Biografie ihrer komplexen Generation auf. In einem dokumentarischen Roman verschränkt sie virtuos die Stimmen der Kinder von Hoy zu einer mitreißenden Oral History. In den sechziger und siebziger Jahren waren sie mit ihren Eltern nach Hoyerswerda gekommen, eine aus dem Heideboden gestampft, aus Bauelementen zusammenmontiert. Morgens rollen die Eltern in Schichtbussen davon, die Kinder wachsen in einem großen Kollektiv auf. Die Erzählerin wird Teil der Kultur- und Kunstszene um Gerhard Gundermann, den Springsteen des Ostens. Eine Art proletarische Boheme entwickelt nachts im Kellerclub, morgens im Schichtbus. Doch der Wiedervereinigung folgen Massenentlassungen, und ein latent vorhandener Rassismus gegen in der Stadt lebende Vertragsarbeiter sowie eine schnell erstarkende Rechte führen zu Ausschreitungen. Die Kulturszene bleibt tatenlos, doch auch für sie wird danach nichts mehr sein, wie es war. . .

255 pages, Paperback

Published September 12, 2021

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Grit Lemke

7 books

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Displaying 1 - 17 of 17 reviews
Profile Image for Gavin Armour.
612 reviews127 followers
April 6, 2022
Manche Orte haben das Pech, wegen nur eines einzigen negativen Ereignisses in das öffentliche Bewußtsein zu gelangen. Während, wer Brigitte Reimann kannte und ihren Roman FRANZISKA LINKERHAND (1974 postum erschienen) gelesen hatte, die Stadt Hoyerswerda zumindest als Idee auf dem Radar hatte, wurde die Stadt in der Nähe von Cottbus einem breiteren Publikum erst durch die pogromartigen Ausschreitungen bekannt, die dort zwischen dem 17. und dem 23. September das Stadtbild beherrschten. Ein Mob, angestachelt auch durch nicht in Hoyerswerda ansässige Rechtsradikale und Skinheads, sammelte sich vor einem Wohnblock in der sogenannten „Neustadt“, einem sozialistischen Musterprojekt, das seit Mitte der 50er Jahre dort betrieben wurde, um Arbeiter für die Schwarze Pumpe, einem Veredelungswerk für Braunkohle, anzusiedeln, in dem vor allem Vertragsarbeiter aus Afrika – „sozialistischen Bruderländern“ wie Mosambik – wohnten. Es wurden einzelne Anwohner angegriffen, immer wieder Steine und Brandsätze geschmissen. Die Angreifer zogen, nachdem die Polizei, wenn auch langsam und scheinbar unwillig, das Gelände vor dem Haus halbwegs geräumt hatte, zu einem Flüchtlingswohnheim und machten dort weiter. Schließlich wurde das Flüchtlingsheim evakuiert und die Angegriffenen aus der Stadt gebracht.

Hoyerswerda, für das sich zuvor niemand interessiert hatte und das danach lange Zeit nur noch in Verbindung mit den Ausschreitungen genannt wurde, wurde zu einem Symbol für „den Osten“ einerseits – Abwanderung, Arbeitsplatzverlust, rückwärtsgerichtetes Denken – aber auch für die Probleme, die es bedeutet, eine Wirtschaft abzuwickeln, eine überdimensionierte „Musterstadt“ – ähnlich vergleichbaren Projekten in westlichen Ländern – rückzubauen, neue, völlig andere Konzepte zu entwickeln, um aus „abgehängten“ Regionen blühende Landschaften hervorgehen zu lassen. Mittlerweile sind die sogenannten WK, die Wohnkomplexe, derer es zu Beginn der 90er Jahre und dem Ende der DDR immerhin zehn gab, fast vollständig verschwunden, aus den Baggerlöchern des Tagebaus sind Seenlandschaften geworden, Hotelinfrastruktur hat sich angesiedelt. Allerdings sind die Konzepte, eine Art Naherholungsgebiet für die nicht allzu weit entfernten Regionen Cottbus und Dresden zu schaffen und darüber hinaus auch als Urlaubsgebiet zu reüssieren, bisher nicht wirklich aufgegangen. So wird die Stadt mittlerweile auch als Beispiel für mißlungene Projekte in den neuen Bundesländern herangezogen.

Nun ist es als Großstädter, vor allem als urbaner Mensch aus dem äußersten Westen dieses Landes, natürlich ein Leichtes, sich über eine Stadt wie diese zu echauffieren. Übrigens gilt das auch für Städte wie Duisburg oder Mannheim, die hierzulande ebenfalls gern als „failed cities“ betrachtet werden und rein westliche Entwicklungen spiegeln. Doch wer ehrlich ist, der weiß, daß jede Region, jede Stadt, jedes Dorf, solange man sich dafür interessiert, seine ganz eigene Magie hat. Man sollte auch verstehen, daß diejenigen, die mit dem Stigma leben, „aus…“ zu kommen, das Bedürfnis haben, ihre Heimat zu rehabilitieren oder zumindest ein wenig gerade zu rücken, was das Klischee vereinfacht erzählt.

Grit Lemke versucht genau das in ihrem Band KINDER VON HOY. FREIHEIT, GLÜCK UND TERROR (2021). Die Autorin wurde Mitte der 60er Jahre in Spremberg geboren und zog in sehr jungen Jahren mit ihren Eltern nach Hoyerswerda. Damit teilt sie das Schicksal vieler ihrer Altersgenossen der ersten und zweiten Generation von Kindern und Jugendlichen, die in der Stadt aufwuchsen. Sie waren Zugezogene, die in der Stadt Bedingungen vorfanden, wie sie in der DDR eher selten waren. Es gab vor allem gute, neue Wohnungen. Arbeit war in der DDR kein Problem, doch hier entstand etwas, das hohen symbolischen Wert für das Regime hatte, wollte man doch beweisen, daß es auch im Sozialismus möglich ist, erfolgreiche Industriepolitik zu machen. Lemke erzählt also von den frühen Jahren, erzählt dabei auch von Vielem, das der interessierte West-Leser bereits kennt, beschreibt aber auch immer wieder subtil, wie gewisse Haltungen und Aversionen auch früh schon unter den Bewohnern um sich griffen. Doch seien wir ehrlich – wer nicht gerade aus der Stadt kommt, liest auch dieses Buch im Hinblick auf die Vorkommnisse 1991.

Es ist ein Verdienst der Autorin, diese nicht einmal besonders herauszustellen. Sie werden hier in eine Geschichte eingebettet, die lange vor der Wende begann und wahrscheinlich bis heute nicht überwunden oder gar beendet ist. Lemke erzählt vom Widerstand in dieser Stadt, der lange nicht sonderlich politisch war, sondern seinen Antrieb eher aus Langeweile und Stillstand bezog. Ähnlich, wie Jenny Erpenbeck es in ihrem letzten Roman KAIROS (2021) in Romanform einfing und genial zu vermitteln verstand, gelingt es Lemke, diese letzten Jahre der DDR und diese lähmende Perspektivlosigkeit in dem Wissen darum, daß es so nicht wird weitergehen können, einzufangen und zu vermitteln. Der Stillstand jener Jahre muß fürchterlich gewesen sein, der Druck, der dabei entstand, irgendwann nicht mehr beherrschbar. Aber die Revolution, die dann das Land im Jahr 1989 erschütterte, begann eben nicht in Hoyerswerda. Mehr noch – sie kam erst vergleichsweise spät nach Hoyerswerda.

Lemke war an verschiedenen Initiativen beteiligt, mischte in Kultur- und Jugendclubs oder bei diversen Theaterprojekten mit. Dabei kam sie auch in den Kreis um Gerhard Gundermann. Gundermann galt und gilt als einer der wesentlichen Liedermacher der DDR, der durchaus kritisch auf Mißstände hinweisen konnte, der aber keine grundsätzliche oder systematische Opposition gegen das Land und seine Staatsform einnahm. Gundermann war authentisch, da er bis zu seinem viel zu frühen Tod mit 43 Jahren als Baggerfahrer im Braunkohlebergbau arbeitete. Gelegentlich wirkt Lemkes Bericht wie eine Hommage an den Liedermacher. Allerdings spielte er für linke Kreise, die sich kritisch mit dem Staatssozialismus der DDR auseinandersetzten, eine enorme Rolle, wodurch ihm diese Rolle wie von selbst zuwuchs. Es erstaunt dann etwas, wie wenig Lemke auf die spätere Entdeckung seiner Stasi-Verbindung als IM eingeht. Aber natürlich ist das auch nicht das offizielle Anliegen des Buchs. Klar wird so oder so, wie wesentlich, wie wichtig Gerhard Gundermann auch und gerade für die Oppositionellen in Hoyerswerda gewesen ist. Eine Art Fixstern.

Durch wiederholte Einschübe von O-Tönen, offenbar Interviews mit den damals Beteiligten in der eher linken Szene, erhält Lemkes Bericht selbst eine hohe Authentizität. Und man kann durch die unverfälschten Wiedergaben heraushören, wie sich nach der Wende und in jenem ominösen Jahr 89/90, einer Zwischenzeit, einer Passage im eigentlichen Sinn, die Bedingungen verschoben, wie sich etwas breitmachte, was man zuvor erahnen, jedoch nicht sehen konnte. Wohltuend enthält sich die Autorin tiefgreifenden Erklärungen. Sie lässt die Entwicklungen – in ihren Schilderungen wie eben auch in den eingeschobenen O-Tönen – für sich selbst sprechen. Damit wird dem Leser zwar nicht klar, weshalb es ausgerechnet Nazi-Chic und rechte Ideologie waren, die sich als eine Art Jugendkultur durchsetzen konnten, doch kann er nachvollziehen, wie es auf die gewirkt haben muß, die diese Entwicklung eben nicht mitmachten. Und die die Stadt zum Teil nach den Pogromen verließen. Wie die Autorin selbst eben auch.

Sie ist zurückgekehrt, hat nicht weggeschaut und hat sich der damaligen Ereignisse immer wieder angenommen. Und hier nun unternimmt sie einen – geglückten – Versuch, ihre Heimatstadt in dem Sinne zu rehabilitieren, daß sie nichts beschönigt, jene Ereignisse, wegen derer die Stadt im neuen Deutschland nach 1990 bekannt wurde, klar benennt und auch ihre Auswirkungen zeigt, sie aber in eine größere Geschichte, ein weiteres Panorama einbettet, die gerade dem westlichen Leser en Bild davon vermittelt, wie es dort gewesen ist, in dieser kleinen Stadt am äußersten östlichen Rand des Landes. Allerdings ist es auch ein Buch der Selbstvergewisserung, ein Buch, das sich deutlich auch und gerade an jene richtet, die dabei waren, die sich wiederfinden können in diesen Seiten und Zeiten.
Profile Image for Rike.
12 reviews
January 15, 2023
Absurd gutes Buch, könnte 1:1 so auch über Schwedt sein. Aber: reproduziert rassistische Sprache, das fand ich sehr schade.
Profile Image for Thorben.
107 reviews7 followers
March 3, 2022
Die Autorin lässt die Kinder des Hoyerswerdas der späten DDR in einem einzigartig komponierten Oral History-Chor zu Wort kommen. Auf diese Weise werden mehrere Perspektiven deutlich, der Großteil davon ist einer künstlerisch-bohèmehaften Szene zuzuordnen, die man in der sozialistischen Arbeiterstadt nicht erwarten würde. Doch darin liegt auch die meiner Meinung nach einzige Schwäche des Romans: Im Mittelteil verliert sich dieser in zahlreichen Beschreibungen der avantgardistischen Kunst- und Musikinszenierungen in diversen Jugendclubs.
Umso stärker ist dann der Schluss des Romans. Die Einschübe der verschiedenen Stimmen werden häufiger, lassen die Leser:innen auf diese Weise unangenehm nah an den rassistischen Progromen von 1991 teilhaben und liefern auch ungeahnte neue Antworten auf die Frage nach den Gründen der Radikalisierung. Fassungslosigkeit lösen dabei vor allem die Berichte des mosambikanischen Vertragsarbeiters David aus. Es zeigt sich ein mal mehr: die Baseballschlägerjahre der 90er werfen noch immer ihre Schatten.
7 reviews
September 3, 2025
Dokumentarischer Roman.
Super interessant. Anhand von Zeitzeug*innengesprächen wird die Geschichte von Hoyerswerda erzählt.
Reproduziert leider rassistische Sprache.
17 reviews
September 8, 2025
mega spannend, aber mit dem Schreibstil konnte ich mich nicht so richtig anfreunden bis zum Ende
Profile Image for Malu.
54 reviews
March 31, 2025
Vom Leben in der sozialistischen Vorzeigestadt und der Zukunft zugewandt, bis zur Verzweiflung um die Wende. Na und warum sind’se alle Nazis geworden?
Profile Image for Gustav Gutschke.
64 reviews2 followers
May 12, 2025
Hat starke Passagen, insgesamt war es für mich aber eine eher leichtgewichtige Lektüre, die keinen bleibenden Eindruck hinterlassen wird. Autobiographisch verhandelt wird das Aufwachsen und Leben in der aus dem Boden gestampften Plattenbau-Neustadt Hoyerswerda.

Während dieser Ort anfangs Großes verspricht - ein Abenteuerspielplatz für Kinder ist, Wohnkomfort bietet und jeder Gebäudekomplex individuell gestaltet werden soll - wird die kleinbürgerlich-triste Atmosphäre zunehmend deutlich, je älter die Erzählerin wird. Der Alltag ist durch die Schichtarbeit im Braunkohle-Tagebau „Schwarze Pumpe“ bestimmt, die sozialistische Lebensweise ist homogen und diszipliniert, die versprochenen Kulturangebote werden nicht gebaut.

Das sind an sich wertvolle, spannende Einblicke in die Lebensrealität der 60er und 70er-Jahre. Wie gesagt weiß ich allerdings nicht, ob etwas hängenbleiben wird, denn das Erzählte plätschert so dahin, stellenweise fand ich es geradezu belanglos. Verstärkt wird das dadurch, dass es keine Identifikationsfigur gibt, obwohl es autobiographisch geschrieben ist. Die Erzählerin bleibt recht konturlos und die Personen hinter den häufig eingeschobenen Interviewschnipseln anderer Bewohner - spannendes Konzept! - sind weitgehend irrelevant und wechseln zu häufig. Es sind eben alles sehr normale Leute; das Leben scheint wenig stilisiert - aber ein Tatsachenbericht ist es auch nicht.

Überraschend fand ich die Schilderungen einer entstehenden Kunst- und Kulturszene neben dem grauen Alltag. Die kleinen Bühnenstücke werden zunehmend dadaistisch, nihilistisch, sinnbefreit. Irgendwie oppositionell, aber ohne Programm.

Zuletzt noch: Es werden auch die fremdenfeindlichen Ausschreitungen kurz nach der Wende geschildert. Hier kommt David, ein betroffener Arbeiter aus Mosambik, häufiger zu Wort. Bezeichnend ist, dass die eigentlichen Ausschreitungen wenig Raum einnehmen und stattdessen der Alltag mit aggressiven Glatzen in einer durch Wegzug und Abriss geprägten Stadt geschildert wird. Auch, wie sich die Menschen politisieren und die Kategorien links und rechts plötzlich Bedeutung gewinnen. Das waren die für mich stärksten Szenen, ein Störgefühl bleibt aber. Immerhin wird das Gedenken der Stadt kritisch beleuchtet.
131 reviews
May 27, 2024
Teilweise sehr persönliche Chronik aus dem Blickwinkel der Gruppe, der Grit Lemke in Hoyerswerda offenbar angehörte - oft in "wir"-Form geschrieben; das "wir" bezieht sich jedoch auf verschieden große Kreise. Mal sind alle Gleichaltrigen damit gemeint, mal die gesamte Bevölkerung Hoyerswerdas, mal nur die Kulturschaffenden aus dem "Laden", dem Club in dem der Freundeskreis aktiv war und Kunst, Konzerte und "Spaßrebellentum" gepflegt hat.

Es kommen immer wieder die Freunde und Bekannten aus dieser Zeit zu Wort, so dass ein vielstimmiges Portrait der Stadt und der Zeit, seit ca. den 80er Jahren bis rund 2020 entsteht. Die Erinnerung an die Angriffe auf die zwei Wohnheime im Jahr 1991 zeigt ziemlich authentisch, dass die "Ladanier" eher ein bunter Haufen Spinner waren, als die Linken Zecken, für die sie in den nächsten paar Jahren gehalten werden und entsprechend den Überfällen durch die Neo-Nazis ausgesetzt sind. Sie hatten als Anlaufstelle für eine Gegendemo aus Berlin fungiert - und waren dann, fast ebensosehr wie die Normalos aus Hoyerswerda selbst - von der Aggressivität des angereisten Schwarzen Blocks überrascht worden.
Immer wieder geht es um Worte, die neu gelernt werden mussten (Personalanpassung, Rutschung, Immobilie), um Anpassungsleistungen (in der DDR, der Wendezeit und danach), um das eigene Selbstverständnis.

"Seit wir denken konnten, wurde um uns herum ständig etwas aufgerissen und umgeschichtet, neu gebaut und wieder abgerissen. Nie konnte hier etwas bleiben, wie es war. Nicht in der Stadt, die gestern noch Landschaft war, heute WK [Wohnkomplex] und morgen schon wieder Wald. Und nicht in der Lausitzer Landschaft, wo gestern noch Dörfer standen, heute eine Grube war und morgen ein See sein würde." (S. 227)

Die jüngste Generation, die ganz zu Ende zu Wort kommt, spricht von Destroyerswerda. Da ist der Alltag der Grubenarbeiter vom Werk Schwarze Pumpe schon so weit weg, "wie wenn meine Oma gesagt hat: 'Da drüben war das Ballhaus, da waren wir früher tanzen'" (S. 220). Man kann dieses Abriss der Stadtgeschichte von Hoy auch als eine Metapher zur DDR als Ganzes lesen.
Profile Image for Mel.
2 reviews
September 3, 2024
Ein wirklich wichtiges Buch.

Grit Lemke erzählt die Geschichte der ostdeutschen Stadt Hoyerswerda auf eine ehrliche und packende Art, mit und durch Freunde, Kulturschaffende und Betroffene der Pogrome von 1991. Menschen mit unterschiedlichen Lebenswegen und Schicksalen kommen zu Wort, immer im Wechsel mit Grit Lemke selbst. Es handelt sich um keine Sammlung von Interviews, trotzdem entsteht durch die Verwendung von Dialekt und Spitznamen eine persönliche und emotionale Bindung zu den Personen. Die Lebensrealität in der DDR, die Entwicklung der rechten Szene in Ostdeutschland, die Folgen der Wende, die Entwicklung und der Zerfall der Jugendsubkulturen in Hoyerswerda und viele weitere Themen werden aufgegriffen und von Anwesenden und Agierenden selbst unbeschönigt erzählt.

Mich hat das Buch wirklich gepackt und beeindruckt. "Kinder von Hoy: Freiheit, Glück und Terror" sollte in meinen Augen jeder junge Mensch mal gelesen haben.
Profile Image for Billie‘s Books.
23 reviews1 follower
January 12, 2023
Ehrlich, authentisch und interessant. Voller Details über eine Zeit, über die man so viel weiß und gleichzeitig so wenig. Hoyerswerda: beschrieben als grau in grau und gleichzeitig bunt, verrückt, experimentell und nicht verzweifelt. Was nach der Lektüre zurückbleibt, ist das Gefühl, vieles zu verstehen und gelernt zu haben über diesen Ort und dessen Menschen, ihre Erwartungen, Träume und Enttäuschungen. Dennoch ist für mich immer noch das Fragezeichen des großen ‚Warum‘ im Raum, da die Autorin sowie die vielen Stimmen im Buch zwar viele Antworten geben, aber diese nicht immer die sind, die man hören will, die man sich erhofft. Doch genau das schafft das Buch darzustellen: unsere Handlungen in der Vergangenheit und Gegenwart kennen oftmals ihre Bedeutung für die Zukunft noch nicht.
32 reviews
May 18, 2025
Buch der Selbstvergewisserung.Hoyerswerda als stinkendes Bsp. für DDR Hochhäuser in totaler Langeweile, aber warm.
Jedermacht was er will, solange er die Schichtarbeiter schlafen lässt?! 4 Uhr aufstehen zur schwarzen Pumpe (Braunkohleabbau)
Jugendzentrum Laden oder Punk/Depeche Mode
Skinheads hatten weiße oder rote Schnürsenkel?
Gundermanns IM Tätigkeit wird nicht angesprochen.
keine Demos
Nach der friedliche Revolution verlieren 20000 Hoyerswerda die Arbeit
1990werden Mosambikaner und Vietnamesen angegriffen mit Steinen "Negerklatschen". Sie wohnen in der Polenmauer ?(?) sind fast unsichtbar, während Glatze, Bomberjacken und Nazisymbole überall sind

S.135 Orbeet? Dialektwort?
HBE?
besetztes Haus, werden als Außenseiter von Rechtsradikalen angegriffen
Profile Image for Danny Schmidt.
3 reviews
December 30, 2023
Spannende Einblicke in das Aufwachsen in Hoyerswerda. Und Blick auf die Probleme in so gut wie allen Regionen im Osten, doch mit besonderem Blick auf das Pogrom und die Folgen in Hoyerswerda. Immer wieder beeindruckend, wie viel Kunst, (Sub)Kultur und Politik in der durchpolitisierten DDR-Gesellschaft lag und sich teilweise bis heute durchsetzen/ erhalten konnte - wenn auch unter schwierigsten Bedingungen.
Hab’s gern gelesen, hat Spaß gemacht. Habe immer wieder einige Zeit das Buch zu Seite gelegt und dann Wochen später weiter gemacht - das geht, man bleibt trotzdem an der Geschichte dran. Der Erzählstil ist etwas eigen, aber spannend.
43 reviews
July 3, 2025
Bücher mit Originalsound, ihrer Zeit, ihres Ortes, lese ich sehr gern, und das ist hier toll gelungen. Gibt einen guten Einblick in eine vergangene Welt. Irritierend war zur Mitte des Buches, dass aus dem „Wir“ aller Kinder von Hoy ein sehr kleines Wir nur der Kulturszenen-Jugendlichen wird, ohne das explizit zu thematisieren. Der Teil zu den Rechten ist so ratlos, und obwohl gesagt wird, dass sie nicht von außen/Nachbarn/frühere Kumpel sind, bleiben sie fremd und unverstanden. Das ist etwas unbefriedigend, aber vermutlich ehrlich, und das Buch ist ja auch keine wissenschaftliche Studie.
Profile Image for Michael.
83 reviews1 follower
September 13, 2023
Eindrucksvoll sind sicher die zahlreichen Wortbeiträge, die das Buch zu einer Oral History machen sollen, aber die Auswahl erscheint mit zu beschränkt, so dass die Sicht auf die Dynamik in Hoyerswerda ebenfalls sehr eingeschränkt wirkt. Im Vergleich ist Steffen Mau's "Lütten Klein" sicherlich analytischer und erkenntnisreicher.
Profile Image for Paul.
50 reviews
May 30, 2023
Vor und nach der Wende in der sozialistischen Planstadt. Faszinierend, schockierend, traurig
Profile Image for Martha.
10 reviews
October 23, 2024
Reconnecting mit meiner Mutti und ihrer oatdeutschen Jugend… Gutes
Profile Image for Khlavkalash.
10 reviews4 followers
January 20, 2025
Grit Lemkes Buch über Hoyerswerda ist eine Desillusionierung. Eine Oral History über den Aufstieg und Fall der Industriestadt im Osten Deutschlands. Vor allem aber ist es ein Buch über das Scheitern einer Generation.

Vermeintlich unbeschwert wachsen sie auf, die Kinder von Hoy. Der erste Teil des Buchs widmet sich ihrem Alltag und Leben in der DDR, dem Schulsystem und der Arbeit der Eltern im Gaskombinat Schwarze Pumpe. Immer wieder wird auf Gerhard Gundermann und Brigitte Reimann verwiesen. Die beiden sind die leuchtenden Ikonen der Stadt. An ihnen orientieren sich die literatur-, musik- und kunstinteressierten Kinder von Hoy, die später selbst im Kulturbetrieb der Stadt tätig sein werden.

Auf die Pogrome des Jahres 1991 angesprochen, schweigen sich die Kinder im zweiten Teil des Buches aus - man konnte nichts tun, wusste es nicht besser, war überfordert. Den Schlüssel zum Verständnis dieser starren Haltung liefert Lemke selbst: Es ist das Hufeisenmodell, gepaart mit einem konsequent geforderten Pazifismus. Beklemmend werden in jenem Teil des Buches Pogrome, Gewalttaten und Tötungen von Rechts beschrieben. Der Forderung nach dem Ende der Gewalt folgt häufig eine Gleichsetzung mit antifaschistischen Gegenaktionen. Kombiniert mit der ungefiltert reproduzierten rassistischen Sprache ließ mich dieser Teil irritiert zurück. Die rassistischen Äußerungen sollen genügen einen Ist-Zustand zu beschreiben. So müssen erst die Kinder der Kinder von Hoy erwachsen werden und ihren Eltern mit unliebsame Fragen löchern, ehe diese über ihr Scheitern sprechen können.

Glücklicherweise lässt Lemke in ihrer Oral History auch einen mosambikanischen Vertragsarbeiter zu Wort kommen. Für mich die wichtigste Stimme im Buch. An ihm zeigt sich das komplette Ausmaß der gesellschaftlichen Verrohung und die katastrophalen existenziellen Folgen, die die Pogrome mit sich zogen. Anfang der ‘90er muss er das Land verlassen. Die Anteile seines von der DDR einbehaltenen Lohns werden ihm nie ausgezahlt.

Übrigens: Wer mehr über die mosambikanischen Vertragsarbeitenden erfahren will, lese Madgermanes von Birgit Weihe.
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