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Dschinns

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Dreißig Jahre hat Hüseyin in Deutschland gearbeitet, nun erfüllt er sich endlich seinen Traum: eine Eigentumswohnung in Istanbul. Nur um am Tag des Einzugs an einem Herzinfarkt zu sterben. Zur Beerdigung reist ihm seine Familie aus Deutschland nach. Fatma Aydemirs großer Gesellschaftsroman erzählt von sechs grundverschiedene Menschen, die zufällig miteinander verwandt sind. Alle haben sie ihr eigenes Gepäck dabei: Geheimnisse, Wünsche, Wunden. Was sie jedoch vereint: das Gefühl, dass sie in Hüseyins Wohnung jemand beobachtet. Voller Wucht und Schönheit fragt „Dschinns“ nach dem Gebilde Familie, den Blick tief hineingerichtet in die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte und weit voraus.

368 pages, Hardcover

First published February 14, 2022

767 people are currently reading
15148 people want to read

About the author

Fatma Aydemir

12 books439 followers
Fatma Bahar Aydemir (* 1986 in Karlsruhe) ist eine deutsche Journalistin und Schriftstellerin.
Fatma Aydemir wuchs in einem Vorort von Karlsruhe auf. Ihre Großeltern kamen als kurdisch-türkische Gastarbeiter nach Deutschland, als ihre Eltern Teenager waren. Sie studierte Germanistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main. Seit 2012 lebt Aydemir in Berlin und arbeitete bis 2023 als Redakteurin bei der Tageszeitung taz, wo sie sich mit den Themen Popkultur, Literatur und der Türkei beschäftigte. Ihr 2017 erschienener Debütroman Ellbogen, der von einer Gewalteskalation in einer U-Bahn-Station handelt, spaltete die Kritik. Aydemirs 2022 erschienener zweiter Roman Dschinns lobte die Literaturkritikerin Meike Feßmann als „ein Wunderwerk an Präzision und Einfühlung.“ In der ZEIT kritisierte Iris Radisch dagegen, das Buch sei in einem „stereotypen, politaktivistischen Jargon“ geschrieben; „Literatur, auch überzeugende engagierte Literatur, die immer einen Sinn für die Form und die gesellschaftliche Dialektik hat, klingt anders“.

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Community Reviews

5 stars
10,697 (64%)
4 stars
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1,041 (6%)
2 stars
145 (<1%)
1 star
33 (<1%)
Displaying 1 - 30 of 1,418 reviews
Profile Image for Elena.
1,030 reviews408 followers
February 14, 2022
„Vielleicht sind das die Dschinns, die Wahrheiten, die immer da sind, die immer im Raum stehen, ob man will oder nicht, aber die man nicht ausspricht, in der Hoffnung, dass sie einen dann in Ruhe lassen, dass sie im Verborgenen bleiben für immer.“ - Fatma Aydemir, "Dschinns"

30 Jahre harte Arbeit hat Hüseyin in Deutschland hinter sich - höchste Zeit, sich seinen Traum einer eigenen Wohnung in Istanbul zu verwirklichen. Doch in den Tagen des Einzugs passiert das Unvorstellbare: Er stirbt. Seine Frau und seine Kinder reisen nach und nach nach Istanbul, um sich von ihrem Baba zu verabschieden. Sie alle haben ihre eigenen Hintergründe, ihre eigenen Geschichten und Geheimnisse im Gepäck - und stehen sich teilweise wie Fremde gegenüber.

Fatma Aydemirs Roman "Dschinns" ist ein berührendes und mitreißendes Familien- und Gesellschaftsporträt, das Ende der 90er Jahre zwischen Deutschland und der Türkei spielt. Sie befasst sich mit sechs Menschen, deren einzige Gemeinsamkeit ihr Verwandschaftsgrad zu sein scheint und die alle mit ihren eigenenen Problemen zu kämpfen haben - und im größeren Kontext dann dennoch alle miteinander zusammenhängen.

Jeder Figur widmet die Autorin ein eigenes Kapitel, die wie Puzzleteile in einander greifen und am Ende ein Bild ergeben, das von familiären und gesellschaftlichen Zwängen geprägt ist und dabei doch absolut überrascht, vor allem beim großen Finale am Schluss. Die vielen Wendungen in Kombination mit den Perspektivenwechseln haben dem Roman eine ganz eigene Dynamik verliehen, die mich beim Lesen mitgerissen und teilweise Atemlos zurückgelassen hat.

Migration, sexuelle Identität, Generationenkonflikte, Erziehung, Erwachsenwerden, Religiosität, Heimat(losigkeit), Gewalt und Zugehörigkeit - all diese Themen vereint Fatma Aydemir in "Dschinns". Trotzdem wirkt der Roman nie überladen, die Autorin schreibt kein Wort zu viel - und vor allem in ihre Worte habe ich mich regelrecht verliebt. Ihr Stil ist so zugänglich und eindringlich, dass man sich nur darin verlieren kann.

Für mich ist "Dschinns" schon jetzt eines der besten Bücher des Jahres und ich erhoffe mir dafür alle Preise, die die Literaturbranche zu bieten hat. Der Roman spukt mir noch heute, fast vier Wochen nach dem Lesen, täglich im Kopf herum - eine Geschichte, die mich nicht mehr loslässt und die mich in Gedanken noch ganz lange begleiten wird. Großartig!
Profile Image for Meike.
Author 1 book4,943 followers
September 26, 2022
Shortlisted for the German Bok Prize 2022
This book is a less-than-subtle, slightly clunky, unelegantly structured novel about a German-Turkish family - but I really, really enjoyed finally reading a captivating text about "guest workers", meaning migrant workers who came to Germany under a formal program that intended to attract foreigners for temporary low-skill labor (but of course, many people and their family stayed, and today, the problematic assumptions under which the program was run are widely acknowledged). Aydemir opens the story with Hüseyin, who spent his whole life working hard in German factories to build a better life for his family, only to die right after being able to fulfill his dream and purchase a flat in Istanbul where he intended to live during his upcoming retirement. In the next chapters, we meet his four children and his widow, and we learn about their experiences and relationships.

Every chapter is dedicated to the point of view of one character, and these family members, while being interesting, are also tools to discuss different aspects of the migrant experience, which does not only encompass racism, but also the alienation that comes with being socialized in different circles and contexts when it comes to culture and class: We have, for instance, a gay teenage son, a feminist first-generation college-student, a young man struggling with police violence and toxic masculinity, and the oldest daughter, who spend most of her childhood without her parents, but with her grandparents in a Turkish village. The conflicts that arise feel mostly real and urgent, and all characters are ascribed agency, which does not only give them dignity, but also raises questions about responsibility, especially regarding the parents who are directly addressed ("you") in the first and last chapters.

An important topic is also the Kurdish-Turkish conflict and how it has affected the family. The title-giving "Dschinns" are spirits that, as the text tells us, stand for what we experience as strange, foreign and what we cannot understand and thus fear - a strong metaphor that applies to many instances shown in the book. But it is also true that the book is overwritten in the sense that Aydemir wanted to discuss too many topics, and towards the end, the whole novel gets off the rails: The second-to-last chapter about one of the sons, Hakan, is too simplistic, and the last chapter about the mother suddenly ventures into fantastical theory: The whole story becomes highly implausible and stuffed, some additions feel a little too zeitgeisty, whereas the strength of the text in the beginning was its social realism when it comes to portraying the 90s in Germany from a migrant perspective.

So all in all, I had fun reading this smart novel, but the disappointing ending and the intermittent clunkiness were distractions.
Profile Image for Cule.Jule.
91 reviews84 followers
April 9, 2022
beeindruckender intensiver Familienroman, sprachlich wunderbar eingefangen, sehr empfehlenswert
Profile Image for Ebru.
27 reviews7 followers
January 8, 2023
Als türkische Person, deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, war dieses Buch nichts anderes als die Realität meiner Eltern, meiner Familie, meiner Freunde und natürlich meiner selbst. Es war so herzzerreißend, Dinge zu lesen, die sich so real anfühlten, weil niemand über unsere Erfahrungen auf eine Art und Weise zu sprechen scheint, die kein Mitleid erregt. Am meisten haben mir die Vielfalt und die Schwächen der Charaktere gefallen. Und die Art und Weise, wie das Buch so viele Teile von mir selbst und denen, die ich liebe, repräsentiert. Alles kam mir so vertraut vor, von Schuld bis Scham. Dieses Buch ist für mich eine Zusammenfassung von Menschen, die ich sehr gut kenne, und der Geschichten, die sie mir erzählt haben.
Profile Image for Anna Carina.
682 reviews338 followers
October 6, 2022
Alter Schwede, das Buch hat mich voll erwischt.
Hölle, ist das gut, dicht und einnehmend erzählt.
Ich hätte das nicht gelesen, wenn’s nicht auf der Longlist stehen würde. Mit Familiengeschichten kannst mich eigentlich jagen.
Zu Beginn hatte ich Herr der Ringe Vibes. Wie der Dschinn mit Hüseyin spricht, hat mich hart an Galadriel erinnert, die mit oder über Frodo spricht. Gänsehaut!
Außerdem hat das Buch eine Wissenslücke von mir aufgedeckt. Hab erst mal über Kurden, die PKK und den lebenslänglich inhaftierten Abdullah Öcalan recherchiert.
An sich ist die Geschichte sehr ernst erzählt. Lediglich in Hakans Part musste ich doch schmunzeln. Die Autorin hat den Ton der Kids mega gut getroffen.
Ich hab das Hörbuch gehört, das zudem wahnsinnig gut eingesprochen ist.
Literarisch ist bisher Spitzweg mein Favorit. Aus emotionaler Sicht belegt Dschinns jetzt Platz 1.
Profile Image for Kai Spellmeier.
Author 8 books14.7k followers
August 13, 2023
Das war schon großartig. Gute Literatur macht Spaß, und dieses Buch hier hat mich sowas von abgeholt. Ich bin jemand, der vor allem greifbare, glaubhafte Figuren braucht, sonst geht ein Roman für mich den Bach runter. Verstehe auch, wenn andere Leser:innen sagen, dass hier und da einige Klischees zu viel waren, und dass es sich für eine Geschichte, die hauptsächlich in den 80ern und 90ern spielt, dann doch etwas zu zeitgeistlich anfühlt, aber darüber kann ich glücklich hinwegsehen. Klar, irgendwie wurde die queere Repräsentation ziemlich modern angegangen, aber lieber so und gut gemacht, als kacke oder gar nicht erst vorhanden. Das Argument, dass die Autorin versucht, zu viele Themen in ein einziges Buch zu packen, funktioniert für mich nicht. Hallo, schon mal ne Mehrgenerationen-Großfamilie getroffen? Da ist es nur realistisch, dass einem die Dramen nur so um die Ohren fliegen. Anyway, bin froh, dieses Buch endlich gelesen zu haben und mitreden zu können.
Profile Image for Babywave.
348 reviews130 followers
September 18, 2022
Für mich ein weiteres Highlight dieses Jahr.

Fatma Aydemir hat einen Familienroman geschrieben, der mich persönlich hat demütig werden lassen. Ich bin mir meiner Privilegien wieder einmal bewusst geworden. Dies passiert in den letzten Monaten sehr häufig.
Man wird in ein Umfeld, eine Gesellschaft hineingeboren und trifft es entweder sehr gut, weniger gut oder wirklich schlecht.

Das Buch startet mit Hüseyin, der Ende der 90’ er endlich in Istanbul eine Eigentumswohnung erworben hat um wahrscheinlich zum Lebensabend hin, dort mit seiner Ehefrau Emine, aus Deutschland, in das er 1971 als Gastarbeiter letztlich mit der ganze Familie migrierte , in das Heimatland Türkei zurückkehren zu können.

In dieser neuen Wohnung begegnen wir Hüseyin zum ersten und zum letzten Mal. Denn dort erleidet er einen Herzinfarkt und verstirbt. Dieses extrem tragische Ereignis lässt die Familie in Istanbul wieder aufeinandertreffen und wir erfahren dabei in jedem Kapitel etwas über die 4 Kinder Hüseyins und im letzen Kapitel auch etwas über dessen Ehefrau Emine.

Die Kinder leben bis auf Ümit, der noch zu Hause wohnt, alle ihr eigenständiges Leben und reisen nun aus Deutschland nach Istanbul an. Dabei wird klar, dass jedes Familienmitglied seinen eigenen Dschinn hat.

Aydemir macht in den einzelnen Kapiteln viele Themen auf.
Hierbei behandelt sie Herkunft, Familie, Emanzipation, Fremdenhass, Schweigen, Familienhistorie , den türkisch-kurdischen Konflikt, Sexualität und auch Mutterschaft.

Manch einem mag das vlt. zu viel sein, aber für mich hat sie das gut umgesetzt.
Ich mochte, dass sie jedem/ jeder Protagonist:in eine eigene Sprache gegeben hat. Für mich hätte allerdings Hakan noch etwas tiefgründiger und schärfer gezeichnet werden können. Ihn konnte ich am Wenigsten greifen. Jedoch weiß ich, dass ihr dieser Charakter beim Schreiben etwas schwer gefallen ist und sie zunächst ihrer Figur selbst nicht glaubte. Ich finde, dass das spürbar war beim Lesen. Er erschien mir zu stark klischeebehaftet.

Am stärksten verbunden fühlte ich mich Emine und Sevda. Dadurch, dass die Figuren ihre Geschichten erzählen konnten, konnte ich beide Frauen verstehen. Vieles ließ mich sprachlos zurück . Wir haben hier mit Emine einen Charakter, der sich aufgrund der gesellschaftlichen Umstände unterzuordnen hatte. Man kann hier eigentlich nur mitfühlend sein, aber gleichzeitig auch Sevda Verständnis entgegen bringen, die es sehr schwer hatte, sich zu emanzipieren aufgrund des gesellschaftlichen und familiären Korsetts.

Ich habe Aydemirs Sprachgewalt und Wucht geliebt. Auch hat sie mir innerhalb Deutschlands eine Welt eröffnet, die ich zuvor nie betreten konnte.

Für mich steht sie zu Recht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.
Profile Image for Till Raether.
406 reviews220 followers
October 20, 2022
4.5

Ich finde das Buch sehr klar und entschlossen, Fatma Aydemir holt wirklich raus was rauszuholen ist aus der Textform Familienroman. Das Ende hat mir besonders gut gefallen, ich mag diesen konzeptionellen Maximalismus sehr, wenn man das so nennen kann.
Profile Image for Kristina Dauksiene.
280 reviews56 followers
August 23, 2025
Identitetas, šeima, laisvė...Per daug talpinantys savyje žodžiai, veiksmai, būsenos kuriuos galima būtų išlieti čia...

Norėčiau rašyti apie svetimą šalį, kuri gesina gyvybes, įpūčia bejėgiškumo, apvelka išankstinės nuostatos rūbu..

Norėčiau rašyti apie tėvus, dovanojančius vaikams "geresnį" - nepritapėlių gyvenimą, pačius besislepiančius po nuolankumo, tylos, bejėgiškumo kauke, eilę visų imanomų "kas būtų"...

Norėčiau rašyti apie mus, paverčiančius Juos mikroskopiniais, nereikšmingais, bevardžiais...

Norėčiau rašyti apie šeimą, kuri nuolatos kalba nieko neatskleisdama, kur artuma- labiau grėsmė, nei meilė... Šeimą, kur tyla 🖋️spengia, kaip garso signalizacija, kaip riedančio tanko triukšmas... Kur tylėjimas yra vaikystės garso takelis...tylejimas- vienintelis testamentas...
...ir apie ilga, klaidų kelią savęs link...

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Identity, family, freedom... Words, actions, and modes that contain too much within themselves to be poured out here...

I'd like to write about a foreign country that extinguishes lives, instills helplessness, and clothes people in the garments of prejudice.

I'd like to write about parents who give their children a "better" life—the life of an outcast—while they themselves hide behind a mask of humility, silence, and helplessness, in every possible way...

I'd like to write about us, who turn Them into microscopic, insignificant, nameless beings...

I'd like to write about a family that constantly speaks without revealing anything, where intimacy is more of a threat than love... A family where silence 🖋️pierces like a sound alarm, like the noise of a rolling tank... Where silence is the soundtrack of childhood... silence—the only testament...
...and about the long, winding path toward oneself.
Profile Image for Sandra.
201 reviews49 followers
February 21, 2022
Das Buch beginnt mit dem Tod des Familienvaters Hüseyin, der in seiner neu in der Türkei erworbenen Wohnung plötzlich an einem Herzinfarkt verstirbt. Er hatte es sich so schön ausgemalt. Endlich, nach Jahrzehnte langer fleißiger und unermüdlicher Arbeit in Deutschland, wollte er in die Heimat zurückkehren. Hier seinen wohlverdienten Ruhestand genießen, mit Erholung und Frieden. Nun sollte alles gut werden... Stattdessen stirbt er, eine Woche bevor der Traum Realität hätte werden können. Nun kommen seine vier Kinder und seine Frau in der Türkei zusammen, um sich vom verstorbenen zu verabschieden. In der Begegnung miteinander, begegnen sie sich jedoch vor allem selbst und nehmen die Leserin dabei mit.

Im Laufe des Buches wird die Perspektive jedes einzelnen Familienmitglieds einmal in personaler Erzählform eingenommen. So erfährt die Leserin die persönliche Geschichte aller vier Kinder und auch der Mutter. Zum einen wird die Perspektive der jeweiligen Person in der Gegenwart, also nach dem Tod des Vaters geschildert. Darüber hinaus erinnern sich die ProtagonistInnen aber auch an prägende Ereignisse in der Vergangenheit, so dass ein bezeichnendes Bild des jeweiligen Charakters entsteht. Die Autorin bedient bei der Figurenzeichnung kein einziges Klischee und erzeugt bei jedem einzelnen, durch Ambivalenzen und Empathie, die sie der Figur entgegen bringt, enorme Glaubwürdigkeit.

Die titelgebenden Dschinns tauchen in dem Buch metaphorisch gesehen an jeder Ecke auf. Jeder Charakter kämpft mit seinen eigenen inneren Dämonen und die persönlichen Tragödien sind naturgemäß zum Teil eng mit denen der anderen Familienmitglieder verknüpft. Die Autorin fügt die einzelnen Schicksale sehr gekonnt und kunstvoll in das Gesamtbild der Familie und deren Dynamiken ein. Was der Leserin im Leben der Familie begegnet, ist weitgehend deprimierend. Jedes mal, wenn es scheint, als wäre der größte Dschinn aus der Flasche gelassen worden, kommt das Buch mit einem noch schlimmeren um die Ecke, der bei der Leserin nochmals mehr Zorn, Frustration und Ratlosigkeit auslöst, angesichts der himmelschreienden Ungerechtigkeiten.

Nicht unerwähnt darf bleiben, dass die Autorin in die spannende Familiengeschichte wichtige gesellschaftliche Themen, wie Rassismus, Queerness, Selbstbestimmung von Frauen und Herkunft, auf sehr geschickte Art und Weise, einbringt.

Zum Schluss baut Aydemir einen sagenhaften Plot-Twist in die Geschichte, der die geniale Konstruktion des Romans zum leuchten bringt.

Unbedingte, dringende Leseempfehlung!!!
Profile Image for Max.
275 reviews520 followers
September 18, 2022
Weiß (oder vermutet) eigentlich jemand, warum das Buch in den 90ern spielt?

Es gibt dafür doch eigentlich keine Notwendigkeit, oder übersehe ich etwas?
Bin noch immer unschlüssig, wie ich es bewerten möchte.
Profile Image for Lesereien.
257 reviews23 followers
April 11, 2022
Hüseyin hat jahrzehntelang in Deutschland gearbeitet. Sein Traum war dabei stets, eines Tages eine Wohnung in Istanbul zu besitzen und dort seine Familie zusammenzuführen. Als er in der neuen Wohnung steht und sich seine Zukunft ausmalt, erleidet er einen Herzinfarkt und stirbt.
Im folgenden hören wir als Leser die Stimmen seiner Kinder Ümit, Sevda, Peri und Hakan sowie seiner Ehefrau Emine. Sie erzählen von der eigenen Familie, von ihrem Leben in Deutschland, von Heimat, Identität und Zugehörigkeit. Was dabei stets im Mittelpunkt steht ist ein Aufeinanderprallen von Generationen, von Erwartungen, Lebensentwürfen und Zukunftswünschen.

Sevda repräsentiert dabei die älteste Tochter, die ganz besonders unter dem Schicksal der Familie gelitten hat, weil sie nicht zur Schule gehen durfte und erst spät nach Deutschland gebracht wurde. Ihre Schwester, Peri, studiert hingegen als Erste der Familie an einer Universität und ihr Blick auf die eigene Familie ist daher oft ein durch Theorie und Bildung geprägter. Schließlich sind da die Brüder Ümit und Hakan, die beide unter der Last eines Männlichkeitsideals leiden und es ganz unterschiedlich umsetzen. Eingerahmt werden die Perspektiven der Kinder von ihrem Vater und, ganz zum Schluss, von der unter Depressionen leidenden Mutter.

Während der Beginn des Romans überzeugt und dabei besonders das erste Kapitel, drängt sich ab der Mitte des Romans beim Leser zunehmend das Gefühl auf, dass die Dramatik überhand nimmt und dass sie sich in gewissen Momenten sogar der Grenze des Kitschigen annähert. Das Erzählte ist dann zu konstruiert und vermag nicht mehr zu fesseln.
Im Allgemeinen ist das Problembehaftete der Familie zu gewollt und zu sehr herbeigeschrieben. Sie haben mit allen nur erdenklichen Schwierigkeiten zu kämpfen und das wirkt ab einem gewissen Punkt unglaubwürdig, auch weil sich einiges wiederholt und das führt dazu, dass der Roman sein anfängliches Potential nicht vollständig zu entfalten vermag.

Das bedeutet nicht, dass der Roman stellenweise nicht durchaus klug ist, dass sich gewisse Szenen und Zitate nicht einprägen. Insgesamt ist „Dschinns“ daher ein Roman, der nicht enttäuscht, der seinem Ruf aber leider auch nicht ganz gerecht wird.
Profile Image for Sophie.
30 reviews20 followers
January 31, 2023
Habe das Buch gestern Abend zu Ende gelesen und lag anschließend noch 2 Stunden wach, weil es so intensiv war. Definitiv eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe.
Profile Image for Marion.
164 reviews58 followers
November 1, 2023
4,5 🌟Ein Familienroman von außerordentlicher Intensität. Hüseyins Tod wird zum Anlass genommen, weshalb sich alle Familienmitgliedern innerhalb von 48 Stunden in der Türkei einfinden sollten.
Die Geschichte wird aus den Perspektiven der einzelnen Familienmitgliedern erzählt.
Präzise, intensiv, voller Einfühlungsvermögen und bedrückend. Konventionen, Unterdrückung und Angst, die keine freie Meinung zulassen und fehlende Bildung. Ich konnte mich in jeden der Protagonisten/innen sehr gut einfühlen und die Geschichte lässt mich noch immer nicht los.
Profile Image for Lotte.
631 reviews1,132 followers
May 15, 2022
4.5/5. The hype is very much justified. Ein eindringlicher Roman über Familiengeheimnisse, Heimat(losigkeit), sexuelle und kulturelle Identität und vieles mehr. Absolute Empfehlung!
Profile Image for Julia (wortknistern).
317 reviews160 followers
January 26, 2022
Auf keine Neuerscheinug 2022 habe ich mich so sehr gefreut, wie auf diesen Roman. Vor einiger Zeit habe ich nämlich ihr Debüt „Ellbogen“ gelesen und GELIEBT und seitdem habe ich sehnsüchtig auf einen weiteren Roman gewartet. Die Erwartungen waren demnach auch ziemlich hoch – und ich wurde nicht enttäuscht.
Deutschland, Ende der 90er Jahre. Hüseyin hat dreißig in Deutschland als Gastarbeiter in einer Fabrik geackert um sich seinen großen Traum, eine Wohnung in Istanbul leisten zu können, doch direkt nach dem Einzug stirbt er an einem Herzinfarkt. Seine restliche Familie – Frau Emine, und die Kinder Sevda, Hakan, Peri und Ümit – reisen zur Beerdigung in die Türkei, die Geschichte wird durch die Perspektiven der Familienmitglieder erzählt.
Und hier zeigt sich für mich auch schon die große Stärke von Fatma Aydemir: Sie kann einfach wahnsinnig reale Charaktere schreiben. Die Familienmitglieder sind alle so komplexe Individuen und es gab keine Perspektive, nicht ich nicht großartig fand. Ohne irgendwie in kitschige oder blumige Sprache zu verfallen hat der Roman so viel Emotion transportiert und mich total gefesselt. Am liebsten hätte ich ihn in einem Rutsch gelesen, ich war so gefesselt.
Auch das „zusammenführen“ der einzelnen Perspektiven ist hier sehr gut gelungen. Durch den Romanaufbau lernen die Lesenden ein Familienmitglied nach dem anderen kennen, erst am Ende können alle Puzzleteile zusammengesetzt werden und auch bisher für unbedeutend gehaltene Kleinigkeiten ergeben plötzlich einen Sinn. Bitte lest alle den Roman, ich brauche Dringend jemanden um über das Ende zu reden! :D Wie auch schon bei ihrem ersten Roman ist auch Dschinns zutiefst politisch, es werden Fragen nach Identität, Sexualität und Feminismus behandelt. Ihr merkt schon – ich bin einfach begeistert. Definitiv ein Jahreshighlight und eine riesengroße Empfehlung!
Profile Image for Hens Books.
144 reviews24 followers
March 25, 2022
Ein wichtiges Buch: Es greift so viele gesellschaftliche Themen der Zeit auf. Und genau darin liegt dann, aus meiner Sicht, leider auch die literarische Schwäche des Romans.
Auf so wenigen Seiten derart viele Themen bearbeiten zu wollen: Migrationshintergrund, Familienkrisen, Feminismus, kurdisch sein, Homosexualität, Tod und und und, schwierig. Mitunter wird das dann doch sehr knapp, klischeehaft und oberflächlich abgewickelt.
Auf so wenigen Seiten 6/7 Familienmitglieder*innen Kontur zu geben, schwierig. Besonders Hakan und Ümit gehen unter (gewollt?).
Teilweise verläuft die Autorin sich in literarischen Widersprüchen: Beschrieben wird die Familie als eine, die alles totschweigt, die alles unter den Teppich kehrt. In den Dialogen und Rückblenden erleben die Leser*innen eine Familie, die offen streitet und Konflikte und Meinungsverschiedenheiten unglaublich rigoros ausfechtet, sehr hart miteinander ins Gericht geht.

Bei „Dschinns“ muss man Kirschen pflücken, denn die gibt es unbedingt! Dem Hype kann ich mich so vollends aber nicht anschließen.
Profile Image for All My Friends Are Fictional.
363 reviews45 followers
March 23, 2023
Noch besser beim zweiten Lesen.

Erstes Review:
“Du findest die Wohnungstür auch ganz ohne Licht, du kennst den Weg, das hier ist dein Zuhause, Emine. Dein Platz in der Welt. Der Ort, an dem alle Menschen zusammen sind, die du liebst und die dich lieben. Der Ort, an dem man einander immer vergeben wird. Weil Vergebung das Einzige ist, was gegen unsere Einsamkeit hilft. Weil anderen zu vergeben der einzige Weg ist, dass auch dir vergeben wird. Dass du dir selbst vergeben kannst.”

Diese Zeilen zu lesen, nachdem ich so viele persönliche Geschichten von Menschen aus der Ukraine gehört habe, die kein Zuhause und keinen sicheren Ort in dieser Welt mehr haben, bereitet mir so viel Schmerz und Machtlosigkeit. Mir fehlen einfach die Worte. Ich kann nur sagen, dass dieses Buch für mich zum richtigen Zeitpunkt kam.
Profile Image for Erlesenes.Zerlesenes [Berit] .
219 reviews37 followers
April 20, 2022
Was für ein großartiges Buch. Angefangen bei der Konzeption bzw. beim dramaturgisch perfekt inszenierten Aufbau über die authentischen Figuren bis hin zum emotional mitreißenden Inhalt - Dschinns ist zu Recht eines der großen Highlights 2022 und nimmt auch in meinem Regal einen Ehrenplatz ein 🥰
Profile Image for Sarah Salazar.
156 reviews2 followers
August 23, 2022
Begann großartig, wenn auch sprachlich ungewöhnlich. Dann driftete das Ganze aber in phasenweises Bashing ab, wirkte zu überladen, bot nur noch Klischees an, wollte queer, wollte politisch korrekt, wollte kurdisch, wollte modern und grotesk mit Gossensprache rüberkommen. Und da hat es mich leider nicht mehr abholen können, auch wenn die Thematik für mich absolut interessant gewesen wäre. Aber teils wirkte die überladene Aneinanderreihung traumatischer Erlebnisse und Unglücks einfach schon surreal. Die Umsetzung war daher für meinen persönlichen Geschmack überhaupt nichts und ich verstehe den Hype um diese Story nicht. Nun noch weniger nach dem ich weiß, dass es auf der Longlist steht. Schade!
Profile Image for Wandaviolett.
467 reviews68 followers
November 15, 2023
Eine liebevolle Abrechnung
Kurzmeinung: Diese Autorin weiß, was man mit einer Spannungskurve macht.
Der dritte Roman Fatma Aydemirs dürfte die türkische Gemeinschaft, so sie ihn den läse, mitten ins Herz treffen. Denn er ist eine liebvolle Abrechnung mit der türkischen Gesellschaft und deren spezifischen Vorurteilen. Aber "Dschinns" ist natürlich nicht nur eine Abrechnung. „Dschinns“ ist in erster Linie ein stinknormaler Familienroman und somit gute Unterhaltung. Ein Familienroman ist ein Familienroman ist ein Familienroman. Es ist ein türkischer Familienroman, sicher, aber die Unterscheidungen zum Beispiel zu einem deutschen Familienroman sind marginal, schließlich haben fast alle Familien ein paar Gespenster im Schrank oder Leichen im Keller.
Ich glaube sie heißen Yildiz, aber Nachnamen spielen keine große Rolle in dem Roman. Die Eltern sind Emine und Hüseyin. Sie haben vier Kinder, wovon noch eines im Haushalt lebt, nämlich der dreizehnjährige Ümit und drei sind erwachsen und leben so gut es geht ihr eigenes Leben. Sich von der Herkunftsfamilie und ihrem Einfluss freizuschwimmen nennt man Emanzipation; das gibt es in jeder Famile ganz gleich in welcher Nationalität und Emanzipation verursacht Geburtsschmerzen. Davon handelt der Roman.

Der Kommentar:
Die Autorin schreibt flüssig, fesselnd, spannend, ohne Füllwörter und Phrasen. Ich mag ihre Bilder und ihre Sätze. Und ich mag ihren Aufbau. Als Erzähl-Mittelpunkt dient eine Wohnung in Istanbul, in der sich entweder schon einige Protagonisten befinden oder sie sind auf dem Weg dorthin. Von hier aus entwickelt die Autorin ihre Geschichte. Jedes der vier Kinder bekommt einen eigenen Erzählpart in der Geschichte. Und eines geistert quer durch alle Erzählparts. Den Auftakt bildet die Story des Vaters, der die Wohnung in Istanbul von seinem gesamten Ersparten gekauft hat. Zum Schluss erzählt die Mutter. So sind die Kinder in die Familie eingeschlossen wie in eine Klammer. Und so empfinden sie es auch, dass sie eingeschlossen sind. Werden sie sich Platz verschaffen können für ein eigenes Leben ohne die Familie zu zerstören?
Was den Roman besonders macht, ist die Einbettung der Erzählung in die Historie; Thema ist sowohl der Gastarbeiterstatus der Eltern und die beginnende Intergration der zweiten und dritten Generation, aber auch die ungelöste Kurdenfrage in der Türkei, zwar am Rande, aber immerhin und der Generationenkonflikt. Tradition und Moderne stoßen aufeinander, die Menschen sind orientierungslos, mal entscheiden sie sich falsch, mal richtig, alle tun ihr Bestes, aber das Beste reicht nicht immer.
Ein Generationenkonflikt ist natürlich übergreifend und international. Insofern eine alte Kiste. Es gibt ihn in jeder Gesellschaft. Das ist nichts Besonderes, auch wenn eine türkische Familie marginal anders aufgestellt sein mag als eine deutsche. Was aber Fatma Aydemir richtig macht, ist, dass sie die Spannungskurve ihres Roman hoch hält, ich habe mich keine Sekunde lang gelangweilt, konnte mich in alle einfühlen und sogar der Schluss hat mich überzeugt. Es gibt kein Absinken der Spannungskurve in dem Romans, nicht ein einziges Mal und so verpasse ich den „Dschinns“ als gelungenem modernen türkischen Roman die üblichen fünf Sterne.

Fazit: Ich sollte die ersten zwei Romane der Autorin (Ellbogen und Eure Heimat ist unser Albtraum) ebenfalls lesen. Sie hat mich neugierig gemacht.

Kategorie: Gute Unterhaltung
Verlag Hanser, 2022
Profile Image for Rike.
138 reviews21 followers
January 23, 2022
Nachdem Hüseyin 30 Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hat möchte er sich zur Rente seinen großen Traum einer Eigentumswohnung in Istanbul erfüllen, stirbt jedoch bereits am Einzugstag an einem Herzinfarkt. Für die Beerdigung reist ihm seine Familie aus Deutschland nach, wodurch alte Wunden wieder aufgerissen werden.

Nachdem das erste Kapitel aus der Sicht von Hüseyin bereits sehr sprachlich sehr intensiv und packend Teile seines Lebens Revue passieren lässt widmet sich der Hauptteil des Buches in 5 Abschnitten seinen Kindern und seiner Ehefrau, die zur Beerdigung nach Istanbul reisen.
Jedes Kapitel befasst sich zunächst damit, wie unterschiedlich die einzelnen Personen damit umgegangen sind, nach Deutschland ausgewandert zu sein, wie verschieden die Wege sind, die jeder einzelne im Leben gegangen ist und welche Traumata sie davongetragen haben. Durch den großen Altersunterschied von Hüseyins Kindern unterscheiden sich auch ihre Erfahrungen mit dem Leben im Deutschland sehr stark. Während Hakan immer wieder mit der Polizei in Konflikte gerät und bloß nicht wie sein Vater werden möchte, versucht seine ältere Schwester Sevda ihren beiden Kindern eine möglichst chancenreiche und glückliche Kindheit ermöglichen und hat den Kontakt zu den Eltern abgebrochen. Ihre jüngere Schwester Peri studiert mittlerweile und ist Feministin, während der jüngste Bruder mit der unerwiderten Liebe zu einem Freund aus dem Sportverein und den daraus resultierenden Folgen zu kämpfen hat. Allen gemeinsam sind jedoch das Unverständnis ihrer Eltern für viele ihrer Entscheidungen und ihre Gefühlswelt, die kurdische Herkunft, die sie verheimlichen und die Suche nach der eigenen Identität und einem Platz in der Gesellschaft.

Der letzte Abschnitt des Buches ist aus der Perspektive von Emine, der Ehefrau von Hüseyin verfasst und vereint viele Aspekte der vorherigen Kapitel zu einem stimmigen Ganzen, klärt bestimmte Lücken, die zuvor vorhanden waren auf und wirkt im Gesamtbild als besonders bedeutsam, da sie viele Ereignisse aus ihrem Leben Revue passieren lässt und sich einige Familiengeheimnisse lichten.

Dschinns hat mich von Beginn an komplett fesseln können. Jeder einzelne Charakter wurde umfassend beleuchtet und die jeweiligen Probleme gleichwertig aufgezeigt. Das Gesamtbild konnte mich emotional sehr berühren und hatte genau die richtige Dynamik, um es zu einem packenden Leseerlebnis zu machen. Insgesamt ist Dschinns ein unheimlich beeindruckender Familienroman, den ich jedem nur ans Herz legen kann.
Profile Image for Babette Ernst.
343 reviews83 followers
December 4, 2023
Das Familienoberhaupt einer Familie türkischer Gastarbeiter hat sich am Ende seines Berufslebens einen lang gehegten Traum erfüllt und von seinem in Deutschland mühsam ersparten Geld eine Wohnung in Istanbul gekauft. Er reist zunächst alleine hin, um die Wohnung einzurichten, erleidet dort einen Herzinfarkt und stirbt. Nach einem kurzem Kapitel über Hüseyin, den Familienvater, erhalten die vier Kinder und die Ehefrau je ein eigenes Kapitel, in dem ihr persönlicher Blick auf die Familie sichtbar wird und die Probleme aufleuchten, die jeder einzelne mit sich herumschleppt.

Fatma Aydemir beschreibt sehr gekonnt unterschiedliche, dabei aber glaubhafte Charaktere, deren Schwierigkeiten ihre Ursache in der Familiengeschichte haben. Natürlich bringt jeder türkische, in diesem Fall kurdische Einwanderer seine persönliche Lebensgeschichte mit nach Deutschland, die keine Erfolgsgeschichte war, denn sonst hätte er die Arbeit in einem anderen Land nicht in Erwägung gezogen. In Deutschland trifft er keinesfalls auf offene Arme, sondern auf Misstrauen, Verachtung, Ausbeutung, nur sehr selten auf ein wenig Anerkennung. Die Kinder wachsen in einer Art Zwischenwelt zwischen Tradition und Moderne auf. Die Darstellung dieser Konflikte gefiel mir besonders gut. Da ist z. B. das männliche Ideal des starken Beschützers und das weibliche Vorbild der sorgenden Mutter, die sich zugunsten der Familie völlig zurücknimmt. Aber Aydemir reizt diese Konstellation nicht bis in die Extreme aus, die Mädchen werden nicht gegen ihren Willen verheiratet, zumindest eine Tochter darf studieren, die Religion spielt keine alles dominierende Rolle. Dadurch kommt diese Zwickmühle der Achtung vor den Eltern und ihren traditionellen Werten und einem anderen Leben in Deutschland gut zur Geltung. Manche Denkweisen stecken so tief, dass sie unbewusst wirken, manches lässt sich verändern. Der Konflikt zwischen der sehr zielstrebigen Sevda, die gegen alle Widerstände ihren ganz eigenen Weg geht und der Mutter, die ihr verpasstes Leben in Sevda sieht, war besonders stark. Dabei ist Sevda durchaus nicht die erfolgsverwöhnte Karrierefrau, sondern lebt einen Alltag, der kaum zu bewältigen ist. Fatma Aydemir ist weit davon entfernt, Typen zu beschreiben, umschifft Klischees überwiegend gekonnt und erschafft eine sehr lebendige Familie, die mit ihren ganzen Schwierigkeiten, mit ihren Dschinns, sympathisch wird.

Ein paar kleine Abstriche muss ich an meinem Loblied noch machen: ein paar Problemfelder weniger hätten dem Buch gut getan. Nicht jedes erdenkliche Thema dieser Zeit muss sich in einer Familie wiederfinden. Der Sprachstil gefiel mir überwiegend gut, an einigen Stellen jedoch schwand wohl die Aufmerksamkeit, dann kam es z. B. vor, dass in einem Satz zweimal das Wort „überhaupt“ verwendet wurde. Es gelingt der Autorin wirklich gut, sich in das Leben einer deutsch-türkischen Familie einzufühlen, weniger gelungen ist die Darstellung der wenigen Deutschen im Buch. Sie sind zwar nur Nebenfiguren, erfüllen aber jedes denkbare Vorurteil, das man von Deutschen haben kann (z. B. der Psychotherapeut, die bayrischen Polizisten usw.)

Ich habe das Buch wirklich sehr gerne gelesen und kann es durchaus empfehlen. Über die kleinen Schwächen lässt sich leicht hinwegsehen.
Profile Image for Zuzulivres.
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September 14, 2024
Moje dovolenkove citanie, ktore naplnilo moje ocakavania na 200%. Niektore pribehy nam skratka sadnu viac ako ine a niektore postavy nam prirastnu k srdcu a vytlacia z nas i slzu. Striedanie rozpravacov a sledovanie udalosti z roznych uhlov vnimania, prezivania a generacnych stretov ma neuveritelne strhlo, pribeh sa rozvijal a rozuzloval, tajomstva a boliestky sa postupne rozbalovali, odporucam vsetkymi desiatimi. Takto sa pise sucasny generacny roman!
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Read
November 24, 2024
Abbruch nach wenigen Seiten
Profile Image for Frau Becker.
221 reviews49 followers
March 9, 2025
Ich habe lange nichts mehr gelesen, das so flüssig durch ging – extrem geschmeidiger, gut lesbarer Stil, der sich zuweilen etwas abgedroschener Bilder bedient und dem Leser nicht allzuviel zumutet. Das Buch kam mir dabei nicht als Familienroman im eigentlichen Sinne vor, zu isoliert erschienen mir die Geschichten, Erfahrungswelten und Persönlichkeiten zumindest der Kinder; allein Mutter Emine und die älteste Tochter Sevda bilden einen innerfamiliären Reibungspunkt, während die anderen Kinder weniger mit den konkreten Charakteren und Entscheidungen ihrer Eltern hadern als vielmehr mit ihrer Herkunft und den äußeren Umständen ihres Aufwachsens. Das Problem mit Ümits Homosexualität etwa entlädt sich nicht im Konflikt mit den Eltern, die davon nichts wissen, sondern in der Fußballmannschaft, deren Trainer ihn in eine dubiose Konversionstherapie nötigt. Diese Außenseitererfahrung ist also nicht primär durch seinen Migrationshintergrund bestimmt, wird aber verstärkt durch ein Elternhaus, das, nicht zuletzt bedingt durch Kultur und Tradition, aber auch durch die Mühsal der „Gastarbeiter-“ Existenz wenig emotionalen Halt bietet. Die Erfahrung der Haltlosigkeit ist bei der ältesten Schwester Sevda am stärksten. Ihr Schicksal hat mich zwar am meisten berührt, doch trägt Aydemir hier auch ziemlich dick auf: Ersatzkind für die verstorbene, innig geliebte ältere Schwester, Schreibaby, bei der Auswanderung der Familie nach Deutschland in der Türkei zunächst zurückgelassen, ohne Schulbildung, noch als Teenager in die Ehe genötigt, nach einem Trennungsversuch zum Ehemann zurückgeschickt. Die emotionale Nähe, wie sie in der mitteleuropäisch-bürgerlichen Familie propagiert wird, sucht man hier vergebens; zwar betont Emine immer wieder, sie wolle nur, dass es ihren Kindern „gut geht“, aber darüber, was das heißt, bestehen sehr unterschiedliche Vorstellungen.
Anhand der Kinder entwirft Aydemir eine Typologie der verschiedenen Fremdheitserfahrung der zweiten Generation türkischer Einwandererkinder. Jede einzelne Geschichte wäre wohl ein eigener Roman wert, in dem vielleicht die innerfamiliären Beziehungen noch etwas mehr Raum hätten einnehmen könnten. Die Zutaten sind hier reichlich, doch dass zu der ohnehin schon komplexen Frage der kulturellen Identität und dem Verlust als zentralem Motiv für alle Figuren noch die Problematik der kurdischen Herkunft sowie die Genderfrage aufgeworfen wird, lässt den Roman am Ende etwas zerfasern. Die abschließende Aussprache zwischen Emine und Sevda brauchte sehr viele Seiten, um das fundamentale Unverständnis der Figuren zu verbalisieren – hätte ich in diesem Maße nicht gebraucht, ich finde solche Aussprache-Dialoge immer schwierig, weil sie so viel psychologisieren und nur deutlich machen, was bei einem guten Text implizit schon klar wurde.
Profile Image for Ulla Scharfenberg.
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July 3, 2023
Hüseyin hat sich eine Wohnung in Istanbul gekauft, für die er sein Leben lang als sogenannter "Gastarbeiter" in Deutschland geschuftet hat. Kaum sind die Möbelpacker gegangen, hat Hüseyin einen Herzinfarkt und stirbt. Er hinterlässt seine Frau Emine und die vier Kinde: Sevda, Hakan, Perihan und Ümit, die zwar eine Familie sind, aber vor allem durch ihre Einsamkeit verbunden scheinen.

"Dschinns" erzählt die Geschichten der Familienmitglieder. Jede für sich, jede mit ganz eigener Stimme. Wir lernen sie kennen, erfahren, was sie einsam macht, was sie stärkt, wen sie lieben und was sie träumen. Wir fühlen mit ihnen und schaffen ihnen Platz in unseren Herzen, diesen Romanfiguren, die so dreidimensional sind, dass wir sie nicht mehr vergessen werden.

"Dschinns" erzählt aber auch die Geschichte von Deutschland der 90er Jahre. Es erzählt von Brandanschlägen auf die Wohnhäuser derer, die als "Ausländer" beschimpft werden. Es erzählt die Geschichte von Arbeiter*innen, die einst so dringend gebraucht, nun zur Konkurrenz werden im wiedervereinigten Land.

"Dschinns" erzählt von Geschlechterrollen, von Sexualität und Konversionstherapie. Von häuslicher Gewalt und der schweren Entscheidung, Kinder allein großzuziehen. Von den Ideen weißer Feministinnen und dem Unverständnis der Töchter darüber, dass sich ihre Mütter nicht ebenso sehr dafür begeistern können wie die Kommilitoninnen im Lesekreis.

"Dschinns" erzählt von scheinbar Unverzeihlichem, von Schmerz und Trauer und vom Zurückgelassen werden.

Es geht um Sprache, um Muttersprache, neue Sprache, verbotene Sprache, verlorene Sprache und Sprachlosigkeit.

"Dschinns" erzählt uns die Geschichte einer Familie mit all ihren Geheimnissen und offenen Wunden.

Es ist ein großer deutscher Familienroman, so fesselnd, dass wir ihn nicht aus der Hand legen können und so berührend, dass wir zwischendurch innehalten und einfach nur fühlen.
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