„wir werden die detonation rückwärts lesen.“ Die Wörter können viel im langerwarteten ersten Gedichtband Ronya Othmanns. Sie kennen keine Grenzen für Zeiten, Begehren und Nationen. Sie bergen und betrauern die verschütteten Geschichten des Lebens zwischen allen Konventionen und Kulturen. Widerständig und zugleich an jeder Stelle ungeschützt und intim tragen diese existenziellen Gedichte einen neuen Ton in die Gegenwart. Die menschenverachtenden Verbrechen der Welt und das pure Glück, die Fremde des eigenen Lebens und das nie endende Heimweh finden zusammen in all dem „wovon du weißt, wenn du deine augen schließt“.
Ronya Othmann, geboren 1993 in München, studiert seit 2014 am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sie arbeitet als Autorin und Journalistin, schreibt Lyrik, Prosa und Essay. Mit Cemile Sahin schreibt sie zusammen die Kolumne OrientExpress in der taz. Sie war Mentee im Mentoring-Programm der Neuen deutschen Medienmacher*innen.
Für ihre Arbeit wurde sie vielfach ausgezeichnet u.a. mit dem Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Lukas 2015, den MDR-Literaturpreis 2015. 2017 gewann sie den Caroline-Schlegel-Förderpreis für Essay und den Open Mike für Lyrik, 2018 erhielt sie mit Beliban zu Stolberg und Eser Aktay zusammen das Grenzgängerstipendium für die Türkei der Robert-Bosch-Stiftung. 2019 erhielt sie den Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb für ihren Text„Vierundsiebzig“ über den Genozid an den Ezîden und den Gertrud Kolmar Förderpreis für ihr Gedicht „Ich habe gesehen“.
Veröffentlichungen u.a. in edit, Text+Kritik, Taz am Wochenende, Literaturbeilage von DER SPIEGEL, Zeit Online, Jahrbuch der Lyrik, edit und glitter.
2015 organisierte sie die kurdischen Filmtage Leipzig und 2018 war sie in der Jury des Internationalen Filmfestivals in Duhok, Kurdistan, Irak.
"du gehst, schreibst dich ab, du sagst du, könntest du ich sagen, sagtest du ich, hätte ich all das gesehen, und du sagst du, als hättest du alle leben dreimal gelebt."
Gedichte über eine zerstörte Stadt und melancholische Verse, um eine ausgelöschte Landschaft wieder zum Erblühen zu bringen. Othmanns Gedichtsbuch liest sich wie eine Trauerrede an eine Heimat, die so nicht mehr existiert. Der erste Teil des Bandes konzentriert sich stärker auf eine verlorengegange Vergangenheit und Erinnerung, während gegen Ende des Bandes die gegenwärtige Probleme einer heimatlosen Person ins Zentrum rücken. Thematisch eine sehr starke Zusammenstellung. Sprachlich hatte ich jedoch öfters Schwierigkeiten mit der hypotaktischen Form vieler Gedichte, sodass sie nicht wirklich meinem persönlichen Geschmack entsprachen.
Die Verbrechen war der erste Gedichtband, den ich vollständig auf Deutsch gelesen habe, und was für eine herausfordernde Einführung das war. Als Costa Ricaner war mir die Flora, die Landschaften und das kulturelle Vokabular, die viele von Othmanns Gedichten prägen, völlig fremd. Anfangs wirkte die Sprache verschlossen, fast undurchdringlich.
Doch in den letzten Seiten entfalteten sich Rhythmus und Farbe dieser Sammlung. Hier ist Poesie, die Einsamkeit, Exil und existenzielles Vakuum einfängt, nicht in großen Gesten, sondern in flüchtigen, scheinbar unbedeutenden Momenten der Reflexion.
Ein eindringliches Porträt der stilleren Nachwirkungen moderner Konflikte: Die Verbrechen zeigt Zerbrechlichkeit, Entwurzelung und Verletzlichkeit in einer poetischen Sprache von schlichter, berührender Schönheit.