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Die Utopie des Sozialismus: Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution

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Nachhaltig kann eine Gesellschaft nur sein, wenn sie den Zwang zu immer neuen Landnahmen bricht, der im kapitalistischen Besitz als Strukturprinzip angelegt ist. Eine Gesellschaft, die dieses expansive Prinzip auf demokratische Weise überwindet, muss eine sozialistische sein, argumentiert Dörre in diesem grundlegenden Buch.

Um wieder Strahlkraft zu gewinnen, muss der Sozialismus jedoch von seinem dogmatisch erstarrten Anspruch abrücken und nochmals zu einer attraktiven Utopie werden. Inhalt dieser Utopie kann nicht mehr die Befreiung der Produktivkräfte aus den Fesseln hemmender Produktionsverhältnisse sein. Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts, der die eigene Geschichte und sein vielfältiges Scheitern reflektiert und mitdenkt, steht für die Suche nach einer Notbremse, die den mit Hochgeschwindigkeit auf einen Abgrund zurasenden Zug zum Halten bringt. Noch aber ist Zeit, die Weichen so zu stellen, dass andere Auswege aus der epochalen ökonomisch-ökologischen Zangenkrise möglich werden. Im Mittelpunkt von Dörres Gesellschaftsentwurf steht eine grundlegend veränderte Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur, die feministische, ökologische und auch indigene Strömungen kapitalismuskritischen Denkens miteinbezieht.

345 pages, Hardcover

First published January 1, 2021

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About the author

Klaus Dörre

49 books2 followers
Klaus Dörre is Professor of Sociology at the Friedrich-Schiller-University of Jena (Germany) where he chairs the Department of Labor, Industrial and Economic Sociology. He specialises in the Sociology of Labour as well as industrial and economic sociology. His areas of research include the theory of capitalism, finance capitalism, flexible and precarious employment, labour relations and strategic unionism, and the Green New Deal, among others. He is the current director of the German Research Foundation research group Post-Growth Societies.

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588 reviews120 followers
January 28, 2022
Klaus Dörre nennt sein Buch einen Essay, was angesichts des Umfangs und des Anmerkungsapparats untertrieben scheint. Fakt ist aber, dass er auf der „Suche nach einer neuen »großen Erzählung« für einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ (S. 152) kein Theoriegebäude entwickelt, sondern vorhandene Gedanken dreht und wendet, sie kritisiert, kommentiert und gelegentlich um eigene Perspektiven erweitert. Das ist gewiss essayistisch zu nennen und aus meiner Sicht ein Nachteil, denn einerseits wird auf Wissenschaftlichkeit und bisweilen umständliche Ausführlichkeit mit Blick auf gut bekannte Tatsachen nicht verzichtet, andererseits fehlt aber dort, wo man es sich gewünscht hätte, eine systematische und in die Tiefe gehende Analyse bzw. Begründung der als produktiv erachteten Vorschläge.
So bietet das Buch über weite Strecken eine kommentierte „Auflistung“ theoretischer Standpunkte, die in der Tat zeigen, „dass es einem ökologischen, demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts weniger an Konzepten als am politischen Willen mangelt, das Wünschenswerte auf seine Praxistauglichkeit und Durchsetzbarkeit hin zu testen.“ (S.240). Mit dem „Testen“ geht das aber nicht so einfach, denn „innerhalb der Linken regiert die Hermeneutik des Verdachts. Wer auch nur andeutet, die imaginäre Revolte der radikalen Rechten habe etwas mit sozialen Verwerfungen zu tun, sieht sich sogleich mit dem Vorwurf der Rassismusverharmlosung konfrontiert.“ (S.8) Damit ist Dörre ganz auf der Sahra- Wagenknecht- Linie und beschäftigt sich folgerichtig mit der Frage nach dem Subjekt der notwendigen Veränderungen. Dieses erscheint ihm zunächst nicht klar umrissen und ist nicht in einer definierbaren Gruppe auszumachen, sondern erfordere wechselnde Bündnisse mit Menschen, die in einer gegebenen Situation das Richtige wollen. Insofern stimmt, dass „ohne Freiheitsgarantien auch für Nichtsozialist:innen […] jede Alternative zum Kapitalismus ihre Glaubwürdigkeit ein[büßt].“ (S.14) So weit, so selbstverständlich. Aber stimmt wirklich, dass Sozialist/innen für ihre Botschaft keine eigene politische Partei brauchen? Sie verfügten nach Dörre „über solidarische Netzwerke und damit über Organisiertheit, doch man findet sie in unterschiedlichen Strömungen und Bewegungen.“ (S.245). Schön wäre es. Aber die Realität sieht anders aus, wie auch Klaus Dörre weiß: „Sofern man überhaupt von einer ökologisch-sozialistischen Strömung sprechen kann, repräsentiert sie selbst innerhalb des linken Flügels der Klimabewegung allenfalls eine Minderheit.“ (S.24).
Diese Gegenüberstellung zweier Zitate aus dem Buch verdeutlicht nicht weniger als die innere Widersprüchlichkeit des Textes, der zwischen Hoffnung und Resignation schwankt, immer wieder Ansätze aufzeigt, um sich dann deren Scheitern eingestehen zu müssen. Positiv gewendet meint das: Klaus Dörre hat ein ehrliches Buch geschrieben, das sich und den Leser/innen nichts vormacht, sondern an deren Vernunft und Verstand appelliert. Leider sind solche Appelle weder neu noch originell. Wir haben schon zu viele davon. Sie nützen und bewegen nichts, denn, hier zitiert Dörre völlig zutreffend den zu Unrecht vergessenen Georg Lukács, mit der Ausbreitung der kapitalistischen Warenform erscheint dem Menschen »seine eigene Tätigkeit, seine eigene Arbeit als etwas Objektives, von ihm Unabhängiges, ihn durch menschenfremde Eigengesetzlichkeit Beherrschendes« und »dies sowohl in objektiver wie in subjektiver Hinsicht«. (S.44-45) Damit zerfällt die Gesellschaft in Teilsysteme, deren Zusammenwirken von Einzelnen subjektiv nicht mehr nachvollzogen werden kann, woraus sich die Hilflosigkeit der Appelle wie aller auf die Änderung individuellen Verhaltens zielenden Überlegungen ergibt. Es ist nun mal Unsinn, „zu Hause“ aus Umweltgründen auf Fleisch zu verzichten und dann mal eben nach Dubai zu fliegen.
Folgerichtig kommt auch Dörre bei den von ihm eigentlich als Rest altsozialistischen Denkens kritisierten „Reformen von oben“ an, „die von oppositionellen oder gar revolutionären Bewegungen erzwungen werden“. Sie „können noch immer eine erfolgversprechende Strategie sozialistischer Handlungsfähigkeit sein.“ (S.49) Schreibt er, um gleichzeitig zu erklären, warum in Chile zwei aufeinander folgende Mitte- Links- Regierungen aufgrund ihrer Bindung an die geltende Verfassung nichts an der neoliberalen Agenda des Landes ändern konnten. Angesichts der konkreten Machtverhältnisse wirkt sein Vorschlag, die rechtsförmige Verfasstheit von Kapital durch deren stärkeren Bezug auf das Gemeinwohl zu ändern, hilflos, denn wieder stellt sich die Frage: Wer soll das durchsetzen? Die an angloamerikanischen Eliteeinrichtungen zu eben jener Codierung von Kapital als „privatem Eigentum“ ausgebildeten Juristen? Wohl kaum. Bleibt die »die Rolle des Faktors der technischen Revolution« (S.129). Nach klassisch marxistischem Verständnis würde schließlich eine Produktivkraftrevolution zwingend eine Veränderung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse erforderlich machen und Dörre deutet auch an, dass er den Kapitalismus angesichts der globalen Ressourcenkrise für nicht überlebensfähig hält.
Es spricht für die intellektuelle Redlichkeit des Autors, nicht an die Versprechungen eines „digitalen Sozialismus“ à la Morozov zu glauben. Zu deutlich sieht er die Begrenztheit digitaler oder allgemein wissenschaftlich- technischer Revolutionen, die gesellschaftlich nichts verändern werden, „wenn ihr Wahrheitswert“ nicht allen zur Verfügung steht. „Die kapitalistische Landnahme von Wissen und die Metamorphose, die es in Form von Eigentumstiteln, Patenten und Waren durchläuft, schränken den gesellschaftlichen Gebrauchswert der vormaligen kognitiven Allmende ein“ (S.160), wobei ich den Vergleich von Wissen mit „Allmende“ schlagend finde. Unter kapitalistischen Bedingungen führt Digitalisierung eben nicht zu dem versprochenen individuellen Freiheitsgewinn, sondern vielmehr zur „Industrialisierung geistiger Arbeit“ und damit „zur Ausbreitung prekärer Beschäftigungsformen in der Plattformökonomie“, was zur weiteren „Polarisierung der Arbeitsgesellschaften bei[trägt].“ (S.186-187). Klar an die Adresse des von Sahra Wagenknecht als selbstgerecht“ charakterisierten links-grünen intellektuellen Selbstverwirklichungs- Milieus von Salon- Sozialisten ist denn auch die Feststellung gerichtet: „Nicht die Einmaligkeit künstlerisch-intellektueller Arbeitskraft bestimmt die betrieblichen Nutzungsformen von Wissensressourcen, sondern die Austauschbarkeit ihrer Träger:innen.“ (S.192). Besser und zugespitzter ist diese Tatsache kaum zu formulieren, womit Dörre auch seine Differenzen zum ehemaligen Mitstreiter Hartmut Rosa benennt: „Das verbreitete Streben nach Selbstwirksamkeit, aus dem Hartmut Rosas Resonanztheorie ihre Überzeugungskraft bezieht, kollidiert mit erlebten Kontrollverlusten und Selbstinszenierungen im digitalen Raum, die in immer neue Enttäuschungserfahrungen münden.“ (S.235)
Letztere Bemerkung zielt auf ein düsteres Zukunftsszenarium, das Dörre nicht beschreibt, das aber nahe liegt. Was aus enttäuschten und um ihre Lebenserwartungen betrogenen Kleinbürgern und prekarisierten Schichten werden kann, haben die Jahre vor 1933 und danach gezeigt. Heute ist es gut sichtbar in den Querdenker- Bewegungen, die sich nicht zuletzt auch aus esoterischen links- grünen Quellen speisen. Von daher ist Dörres „Klammer“ (das Essay beginnt und endet bei klimabewegten Student/innen an der Universität Leipzig) kaum mehr als eine Hoffnung, allerdings die einzige verbleibende: Wenn künftige Eliten sich mit den Gewerkschaften verbünden und… Ja, wenn! Die Chancen stehen schlecht, gleichwohl sind es die zutreffenden Einsichten eines Alt- 68ers, der weiß, woran damals die Bewegung gescheitert ist. Ist das Bündnis der Intellektuellen mit dem neuen Dienstleistungsproletariat die einzig reelle Möglichkeit, mit Marx »eine künftige menschliche Wirklichkeit nach Maßgabe der im Bestehenden angelegten realen Möglichkeit« (S.247) zu denken? Mir fällt auch nichts Besseres ein und es wäre schön, ich wüsste, wie das ins Werk zu setzen ist. Vielleicht, indem man immer wieder hoffnungsvoll Bücher darüber schreibt? Größe des Anspruchs und Versagen liegen hier – wie in Dörres Buch – dicht beieinander. Wer freilich noch Defizite in Sachen moderner sozialistischer Theoriebildung hat, dem sei das Buch als Einstieg empfohlen. Es steht, soweit ich das sehe, weder Falsches noch bloß Borniertes oder Rechthaberisches drin. Für ein Buch über einen möglichen künftigen Sozialismus ist das nicht wenig.
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