Um 1700 ist London eine wüste, gesetzlose Welt, in der viele Menschen vor die Wahl gestellt sind, entweder sich selbst zu verraten oder ihr Leben zu verlieren - bis ein verwegener Journalist namens Daniel de Foe und ein visionärer Verbrecher diese Welt und damit den Lauf der Geschichte für immer verändern.
Duster, ergreifend und komisch, voll unvergesslicher Charaktere und dramatischer Wendungen: Markus Gassers „Die Verschwörung der Krähen“ ist ein historischer Abenteuerroman über unsere Gegenwart.
Markus Gasser, geboren 1967 in Österreich, ist Romancier, Essayist, Universitätsdozent und Schöpfer des beliebten YouTube-Kanals "Literatur Ist Alles". Zuletzt erschienen von ihm u. a. "Das Königreich im Meer", "Die Launen der Liebe", "Das Buch der Bücher für die Insel" und "Eine Weltgeschichte in 33 Romanen". Der Autor lebt mit seiner Frau und einer labyrinthischen Bibliothek in Zürich.
Aufgrund seines YouTube-Kanals wusste ich, was Markus Gasser an Literatur schätzt und welche Autor/innen von ihm regelmäßig gehuldigt werden. Insofern habe ich während des Lesens immer wieder Vergleiche mit Daniel Kehlmann oder Umberto Eco gezogen, die ähnlich historische Romane geschrieben haben und zu Gassers Favoriten zählen. Ich erwartete auch gar nicht, den Humor aus der Vermessung der Welt oder die Atmosphäre einer Name der Rose wiederzufinden. Aber ich hatte mir zumindest eine spannende Unterhaltung bei dieser fiktionalen Biografie über Daniel Defoe und das Leben in London zu Beginn des 18. Jahrhunderts erhofft. Die kam leider nicht auf. Als Bild einer kriminellen Gesellschaft von der Unterwelt bis zur Königin taugt der Roman schon. Aber gute Geschichten zu erfinden, ist halt doch schwerer als ein historisches Sachbuch zu schreiben.
Ich hatte mit dieser als Abenteuergeschichte angepriesenen Lebensgeschichte von Daniel Defoe so meine Schwierigkeiten.
Markus Gasser erzählt zwar das Leben von Daniel Defoe von seiner Geburt bis zu seinem Tod, aber da das 230 Seiten dünne Buch unmöglich die vollständige Geschichte fassen könnte, wirft der Autor nur immer hin und wieder Schlaglichter auf Ereignisse, die ihm wohl besonders erwähnenswert erschienen.
Trotz der Knappheit der Erzählung kommen unglaublich viele Charaktere vor, die ich des öfteren mal verwechselt habe oder gar nicht zuordnen konnte.
Was für mich als Leserin aber am schwierigsten war, war dass man entweder sehr fundierte Kenntnisse der damaligen Periode und Personen haben musste, oder sich diese Kenntnisse durch tiefgreifende Recherchen erarbeiten musste, um dieses Buch mit Gewinn und Genuss lessen zu können.
Leider fehlte es mir an den entsprechenden Kenntnissen und der Schreibstil des Autors war so weit von der versprochenen Abenteuergeschichte entfernt, dass ich nur zu sehr oberflächlichen Recherchen bereit war. Ich konnte Daniel Defoe in diesem Buch nicht nahekommen und seine Geschichte hat mich nicht erreicht, obwohl der Autor ungemein kenntnisreich schreibt.
Ais meiner Sicht daher leider nur 2 Sterne.
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I had my problems with this life story of Daniel Defoe, which was advertised as an adventure story.
Markus Gasser tells the life of Daniel Defoe from his birth to his death, but since the 230-page thin book could not possibly contain the complete story, the author only occasionally highlights events that seemed particularly worth mentioning to him.
Despite the compactness of the story, there are an incredible number of characters that I have often confused or could not assign at all.
What was most difficult for me as a reader, however, was that you either had to have very thorough knowledge of the period and people at that time, or you had to acquire this knowledge through in-depth research, in order to be able to read this book with benefit and enjoyment.
Unfortunately, I lacked the relevant knowledge and the author's writing style was so far removed from the promised adventure story that I was only willing to do very superficial research. I couldn't get close to Daniel Defoe in this book and his story didn't get through to me, despite the author's immensely knowledgeable writing.
From my point of view, unfortunately only 2 stars.
Der Literaturwissenschaftler Markus Gasser ist mir vor allem von Booktube bekannt. Sein Roman „Die Verschwörung der Krähen“ hat für mich genau die richtigen Zutaten: London im 18. Jahrhundert als Setting und mit Daniel Defoe oder auch „De Foe“ einen von mir geschätzten Schriftsteller als Protagonisten. Defoe ist ein streitbarer Essayist und ist sowohl in der Londoner Unterwelt als auch in höchsten Kreisen zu Hause, er muss gar für Queen Anne arbeiten, was seiner politischen Einstellung eigentlich absolut widerspricht. In dem Roman geht es vor allem um Defoes Kontakte und Zusammenarbeit mit Kriminellen, darunter einige zwielichtige Gestalten, die Gasser lebhaft darstellt. Mir hat dieser Abenteuerroman um den bekannten Schriftsteller wirklich Spaß gemacht, auch stilistisch ist das Buch durchaus mein Ding, mir gefielen zum Beispiel auch die Personifikationen von Tieren und Gegenständen, die allerdings nicht bei allen Leser*innen gut ankommen. Gelungen sind die Bezüge zu unserer Gegenwart, die sich schon durch Kapitelüberschriften wie „Fake News“ offenbaren. Ich kann verstehen, wenn jemand nicht so viel mit dem Buch anfangen kann oder mehr Tiefgang erwartet hat, mir hat es jedoch gefallen. Der Sprecher Omid Efthekari macht seine Sache gut, sodass ich das Hörbuch empfehlen kann.
Markus Gasser in seiner Begeisterung für Literatur zuzuhören, ist immer eine Freude. Mir gefällt sein Verzicht auf das Verreißen von Büchern. Seinem eigenen Buch in einer Einschätzung einigermaßen gerecht zu werden, wird schwer sein. Obwohl ein Verriss unnötig ist, es handelt sich aus meiner Sicht um ein gutes Buch, so sind Begeisterungshymnen andererseits unangebracht. Dabei kann ich gar nicht genau benennen, woran es lag, dass dieses Buch nicht mehr Sterne erhalten hat. Ich habe einiges erfahren über die Verhältnisse in London etwa von 1700 bis 1730, über Daniel Defoe, seine Familie, sein Engagement für die Gesellschaft, über Queen Anne und King George sowie einige Minister bei Hof, über die Romeville genannte Unterwelt Londons und manches mehr. Das alles auf etwa 230 Seiten. Darin lag zum Teil mein Problem, denn jedes der angesprochenen Themen hätte mehr Tiefgang verdient, immer wenn ich mich in eine Szene endlich einfand, spielte die Handlung schon wieder ganz woanders. Es hätte mich auch zufriedener gestellt, wenn es einen durchgehenden Handlungsfaden, möglichst mit Spannungsbogen gegeben hätte, aber den konnte ich nicht ausreichend erkennen. Daniel Defoes Leben kann man als verbindendes Element begreifen, aber dann war das letzte Kapitel überflüssig. Gasser baut immer wieder etwas Spannung auf, um auf einer der nächsten Seiten das Geheimnis sofort zu verraten.
Es klingt kritischer als ich es beabsichtigte, denn ich habe das Buch gerne gelesen. Besonders mochte ich Anspielungen mit aktuellem Bezug, z. B. „Alle Wahrheit ist langweilig und hässlich. Der Mob aber, der will unterhalten werden, und Unterhaltung wirkt wie Weihrauchqualm, der die Wahrheit verschleiert.“ oder „Wenn echte Nachrichten immer und überall und für jeden zu haben sind, gibt es keine Geheimnisse mehr, keinen Spaß und keine Diplomatie…“ oder „Wer keine Maske trug, dem drohte die Exekution.“
Größtenteils gefiel mir auch der Stil, bei dem ich Markus Gassers Stimme im Ohr hatte. Ein paar kleine Ungenauigkeiten hätte ein Lektor bemerken können, z. B., wenn der Novembersturm Mohnblüten abreißt oder eine Größe im metrischen System benannt wird.
Insgesamt ist es ein gutes Buch, das wissenswerte geschichtliche Ereignisse in einen Roman einbettet.
Wohl ganz bewusst vernachlässigt Gasser in diesem Roman um Daniel Defoe ein paar wichtige Episoden im Leben Defoes, wie die parallele Lektüre der kleinen rororo-Monographie zeigt. Dass sich Defoe nicht erst von Queen Anne für - nennen wir es mal PR-Arbeit, einspannen ließ, sondern bereits sehr bereitwillig für ihren Vorgänger King Wilhelm, wird nicht erwähnt. Auch die Pest wird nur kurz gestreift, obwohl Defoe diese ausführlich beschrieben hat. Dagegen werden „Nebenfiguren“ so lebhaft beschrieben, dass man gerne (und vergeblich) mehr über sie erfahren möchte, wie die sehr toughe Frau Defoes, Mary, oder sein bücherliebender Onkel Henry.
Andererseits strotzt die Geschichte nur so von historischen Figuren: Queen Anne, ihre Beraterin Sarah Churchill, Robert Harley; auf der Gauner-Ebene Jonathan Wild, Jack Sheppard und gerne mal jemand wie die Hellseherin Mother Shipton, die viel früher lebte. Aber es handelt sich nun einmal nicht um ein Sachbuch, eine Biografie; ich würde nicht einmal sagen, dass es ein biografischer Roman ist, denn Gasser nimmt sich einige Freiheiten bei der Gestaltung der Geschichte.
Ich habe beim ersten Roman des bekannten Literaturwissenschaftlers und Booktubers mehr Tiefgang erwartet (und befürchtet) und bin ganz froh, dass es sich doch um einen flüssig zu lesenden Roman handelt, der natürlich Anspielungen enthält und ein bisschen Namedropping betreibt, aber eben in sehr überschaubarem Maße. Ich verstehe aber auch, dass manche Leser*innen mehr erwartet haben. Ich vermute, die Freude, die dieser Roman mir bereitet, hat viel mit vorangegangenen Lektüren und bekannten Filmen zu tun. Als großer Fan von Peter Ackroyds Sachbüchern und Romanen finde ich sehr vieles wieder, was ich aus seinen Büchern kenne und liebe: Die Begeisterung für die Armen, Kriminellen, Künstler, Prostituierten, die Vorliebe für dunkle Orte wie Gefängnisse, dunkle Gassen und unterirdische Räume. Und bei mir werden Szenen aus Filmen wieder wachgerufen, wie dem über Queen Anne mit Olivia Colmes (The Favourite – Intrigen und Irrsinn).
Ein kleiner Wermutstropfen bleibt aber am Ende doch. Etwas zusammengeklebt wirken mir die Passagen über die Intrigen am Königshaus und den Intrigen der kriminellen Unterwelt, auch wenn es sich natürlich um zwei Pole der Gesellschaft handelt. Und ja, der Roman ist, wie der Klappentext berichtet, irgendwie aktuell. Oder wie Gasser es in einem Interview sagte: So kommt es, dass Daniel de Foe zwar der Begründer des investigativen Journalismus ist. Zugleich ist er aber auch Begründer der Fake News, die er für die Krone verbreitet. Das ist natürlich nicht falsch und irgendwie eine interessante Beobachtung, aber war für mich beim Lesen nicht das Auffälligste. Auch wenn mir die Figur Defoe ambivalenter erscheint als zuvor.
Wortgewaltig und nur mit Konzentration und wenig Pausen zu lesen/zu hören. Erst am Ende werden alle vorigen Passagen mit Sinn aufgeladen. Vorher begrüßt man die bildgewaltige, intelligente, verschachtelte Sprache, aber fragt sich doch, was mir erzählt wird und ob ich etwas verpasst hätte. Mehr Dokumentationsstil als Drama mit viel wörtlicher Rede schildert die (unbekannte?) Geschichte Daniel Defoes und spiegelt unsere Gegenwart der Fake News, Intrigen, Korruption und „wer am lautesten schreit, gewinnt“. Ein ungewöhnlicher historischer Roman, mehr lesens- als hörenswert, da da einiges verlorengeht und man nicht zurückblättern kann.
ENGLISH VERSION BELOW -------------------- Ich tue mir sehr schwer damit, dieses Buch zu bewerten. Die Sprache war ausgeklügelt, sehr fein, genial. Der Inhalt war strukturiert, fordernd, teils herausfordernd und an einigen Stellen durchaus unterhaltsam. Zeitgleich war er sehr dicht, atmosphärisch intensiv und düster (passend zu London um 1700). Was ich bis dato immer noch nicht herausgefunden habe, ist, wie viel Wahrheitsgehalt hinter diesem historischen Roman steckt. Die Zeit konnte Markus Gasser auf jeden Fall auferstehen lassen. Mich hat das Buch dennoch weder gepackt, noch kam ich gut voran. Ich habe auch viel darüber nachdenken müssen, um überhaupt sicher zu sein, was nun der genaue Plot des Buches ist, worum es eigentlich im Detail geht und worauf die Geschichte hinaus lief. Es wirkt auf jeden Fall so, als ob Markus Gasser viel Zeit in die Recherche gesteckt hätte sowie in das Ausklügeln der Figuren und der Details. Im Mittelpunkt steht Daniel Defoe (ja, DER Daniel Defoe), ein Mann mit Visionen und Vorstellungen, welcher als Art Journalist auch veröffentlicht, sehr zum Missfallen der feinen Gesellschaft und der Queen. Er kritisiert Kirche und Politik. Er gilt als Verbrecher, aber auch als heimliches Genie, er soll die Geschichte verändern. Auf dem Weg dorthin, wird er festgenommen, flieht aus dem Kerker, legt sich mit mächtigen Leuten an, wird Geheimagent von Queen Anne, kämpft für die Wahrheit, baut sich immer wieder ein neues Leben auf, hilft anderen, liebt seine Frau, möchte etwas erreichen.
-------------------- -------------------- I find it very difficult to rate this book. The language was sophisticated, very fine, ingenious. The content was structured, demanding, challenging in parts and thoroughly entertaining in some parts. At the same time it was very dense, atmospherically intense and dark (fitting for London around 1700). What I still haven't found out is how much truth there is behind this historical novel. Markus Gasser was definitely able to bring the time to life. Nevertheless, the book neither gripped me nor did I progress well. I also had to think about it a lot to be sure what the exact plot of the book was, what it was actually about in detail and what the story was leading up to. It certainly seems as if Markus Gasser has put a lot of time into the research and into figuring out the characters and the details. At the centre is Daniel Defoe (yes, THE Daniel Defoe), a man of vision and imagination who also publishes as a journalist of sorts, much to the displeasure of fine society and the Queen. He criticizes the church and politics. He is considered a criminal, but also a secret genius, he is supposed to change history. Along the way, he is arrested, escapes from prison, messes with powerful people, becomes Queen Anne's secret agent, fights for the truth, keeps building a new life, helps others, loves his wife, wants to achieve something.
~ «Darf man?» «Was denn?», fragte De Foe fassungslos. Bodenham Rewse hatte den Wein aus Schwiegervater Tuffleys Eichenfässern in teure Flaschen abfüllen, wie Champagner verkorken, mit rotem Wachs versiegeln und einkühlen lassen. An ihnen beiden sei nie wirklich etwas Heldenhaftes gewesen, nichts Nobles, aber auch nichts Gelecktes, Verkommenes, darum schlürfe man aus einem gehörigen Schluck dieses Château Trompette jenes kleine Stück Leben, das einem noch bleibe. ~
Naja, ich denke richtig gut wird es, wenn man es ein zweites mal liest.
Es fiel mir nicht leicht das Buch zu lesen, das hatt mich gestört. Aber ich denke es ist sprachlich einfach ziemlich hochwertig gestaltet (zu schwere kost für mich).
Die Geschichte hatt mich am Ende aber tatsächlich noch gepackt :)
Während die Geschichte nicht uninteressant war, kam ich mit dem Schreibstil nicht zurecht. Kaum Beschreibungen oder direkte Rede lassen eher an ein Schulbuch denken. Der Autor hat außerdem eine Vorliebe dafür das Resultat eines Handlungsstranges vorwegzunehmen. Ein Stilmittel das in einem Buch meiner Meinung nach nur einmal angewendet werden sollte.
„Seine Todfeinde nannten De Foe einen «Muschelöffner», «Austernlecker», «Dan den Trickster», den «Hexer» und «die Krähe» - hinterlistig, schwatzhaft, aasgierig, teuflisch. Besser wäre, es gäbe ihn nicht.“
Dieses Buch ist überfrachtet mit Exkursen, so dass ich kaum etwas über die Hauptfigur Daniel Defoe erfahren habe.
DaFoe als früher Journalist und vlt „Erfinder von fake news“ - eine schöne Idee, diesen Schwerpunkt zu setzen, und auch, dass hier keine biografisch-chronologische Geschichte geschrieben wurde, muss nicht stören, aber leider versinken hier alle guten Ideen rund um die Darstellung des Englands dieser Zeit in viel zu vielen Nebenfiguren und Nebengeschichten, allzuviel Gewolltem, einer Schreibweise, die irgendwie zu verkopft wirkt. Der Stoff ist so klasse, und die flotte Erzählweise könnte total spannend sein, wenn die Story sich nicht immer wieder selbst verlieren würde - obwohl da soviel zu erzählen ist, erzeugt das am Ende reine Langeweile. Die Charaktere bleiben Schablonen, mir fehlt das Lebendige, der ganze Mensch - Tempo und komplexe Sätze alleine bewirken noch keine echten Figuren, keine wirkliche Lebendigkeit. Sehr schade.
Ich habe das Gefühl, das mein Intellekt nicht ausreicht, um diesem Buch eine gerechte Rezension zu geben. Trotzdem war es ein gutes Buch, die Charaktere waren sehr gut und interessant, plot twists gab es auch :)
Es geht um Daniel Defoe, vor allem bekannt als Verfasser von Robinson Crusoe, aber allgemein auch um die Zeit um 1700, um Queen Anne, Hofschergen, es geht auch um London in Zeiten der Pest. Ich will jetzt gar nicht süffisant auf Gassers Forderung eingehen, Werke nicht zu kritisieren und möchte auch nicht schreiben, dass ich auch meinen Schülern und Kollegen verbiete, meine Arbeit zu kritisieren, also zu beurteilen. Ein Unding, wirklich.
Um ganz beim Werk zu bleiben und es kurz zu gestalten, weil ich mich zuletzt zu lange mit dem Buch und dem Autor beschäftigte: Es fiel mir schwer, in die Geschichte zu kommen, was in meinen Augen mit einem zu komplizierten und verkopften Aufbau zusammenhing.
Die einzelnen Szenen werden von Rückblenden und allgemeinen Aussagen geprägt, sodass die eigentliche Szene untergeht. Ein Beispiel zu Beginn im Knast, der, wie das Buch sagen möchte, fürchterlich brutal für den zwischenzeitlich inhaftierten Defoe ist. Allerdings wird dabei ein Mithäftling wie ein Dandy eingeführt, es werden ein paar kluge Worte über untragbare Haftbedingungen gewechselt, die Dissenter-Bewegung wird erläutert und ein Vorsprechen von Defoes Frau im Knast zusammengefasst. Was dabei komplett auf der Strecke bleibt ist... der Knast. Wie sieht es aus, wie groß ist es, was denkt Defoe konkret, was fühlt er, wie lange vermutet er, bleiben zu müssen, hört man Schreie etc.? Nichts dazu. Das Gefängnis wirkt wie eine Jugendherberge mit angepissten Matratzen.
Dieses Buch will viel zu viel zu schnell, zu viele Personen und Fakten. Es vergisst dabei das allmähliche Erzählen. So oft stimmten für mich Tempo und Aufbau der Szenen nicht, weil auf 230 Seiten ein Heer an Personen und Orten durchgedrückt wird, sodass der Nebensatz - ja sogar der Einschub- noch zur Stoffvermittlung genutzt wird.
Der Mangel an Stimmung, kohärenten Szenen und plastischen Figuren hat mich von Anfang an gestört.
Nie hört man Defoe denken, nie sieht man ihn länger, kann ihn kennenlernen. Wir werden einfach durchgeschleust durch diese episodische Reihe an Szenen. Defoe dient als Pinnwand zur Anheftung einiger Diskurse, die Gasser spannend findet: Fake-News, Religion und True Crime. Die Übertragungsforderung auf die Gegenwart ist oft so plump, dass ich diese Zeilen kaum mit dem so glühenden YT-Menschen zusammenbringen konnte. Das Fehlen von Bedeutungs-Ebenen wird in meinen Augen durch eine oft verwirrende Chronologie nicht ausgeglichen. Plötzlich ist er verheiratet, erst ein Shakespeare-Fan, was der Vater nicht gut findet, eine halbe Seite später ein Kaufmann mit ganzer Seele, wie vom Vater gewünscht. Ist das ein Sachbuch?
Das letzte bisschen Szenen-Immersion wird geopfert für diffuse Aussagen wie: Irgendwann würden Kritiker Morde begehen, richtige Morde in Schriften. Auch in Jahrhunderten würden Politiker noch korrupt sein. Wer spricht da? Und wozu? Ist das der kritische Exkurs des Autors?
Einige Szenen sind grotesk wirr, etwa wenn ein Sekretär in einem leeren "Saal" genannt wird, der plötzlich Suppe oder Tee im Kessel umrührt und damit die Bildebene über den Haufen wirft. Spannung kam bei mir nie auf. Wörtliche Rede geht oft nach einem Satz in die indirekte Rede über, was zur Distanz von allem beitrug. Einmal ist Defoe mit seinem Freunde Smite in Schottland, im Auftrag ihrer königlichen "Quatschlichkeit" (Hoffentlich ein Defoe-Orginal-Wort!!!) . Dort in Schottland kaufen sie, wie es heißt, alle großen Zeitungen auf und irgendwann später reisen sie wieder ab. Hallo? Wie kauft man denn mal eben die wichtigsten schottischen Zeitungen? Das ist doch absurd. Wenn diese vermutlich langwierigen Vorgänge aus Zeitgründen nicht halbwegs romanhaft erläutert werden können, müssen sie halt aus dem Roman raus. Denn so konnte ich auch einen folgenden Satz von Smite während er Rückreise nach London nicht deuten: Er sagt, er vermisse Schottland, seine zweite Heimat, sofort. Da die Schottland-Episode so trocken runtererzählt wird, wusste ich nicht, ob es sich um ernst gemeintes Gefühl oder Ironie handelte.
Auch Erzählerkommentare sind mitunter schwer zu enträtseln. Oder wie versteht ihr Folgendes, als Defoe aus einem Haus tritt: "[...] schoss die Sonne auf De Foe nieder und hätte ihn fast wieder in das Fundament zurückgestoßen. Sie nahm ihm den Schatten weg, brütete die Pest aus, blinzelte, wenn er die Augen schloss, schwarz." In der Sonne ist der Schatten weg, klar. Kein Plan. Weird.
Eine positive Ausnahme bildete für mich ein längeres Kapitel zum Ende hin, in dem es um zwei historisch verbürgte Diebe und deren Konkurrenz in der Unterwelt ging. Hier schafft es Gasser, in hohem Tempo eine aufregende Episode zu erzählen. Das hat zwar mit Defoe nur am Rande zu tun und trägt also zur Hauptfigur wenig bei, aber immerhin. Leider habe ich dann aus Interesse bei Wiki nachgeschaut und habe dort teilweise dieselben Sätze gefunden. Quellengestützt schreiben liegt dem Autor aber sicher eher.
In Nuce: Gasser spricht in einem Video von der jungen Midge als der heimlichen Hauptfigur. Im Buch erhält sie wenige (leider auch inkohärente) Absätze. Mein Eindruck: Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander.
Gasser wagt sich an einen Auszug des Lebenslaufes von Daniel Defoe (dem Autor von „Robinson Crusoe“) heran, und steigt mit uns hinab in die Unterwelt des alten London. Defoe wird zum Feind der Monarchie und der katholischen Kirche erklärt, verbringt dadurch einige Zeit hinter Gittern und nutzt seine Schreibkünste zugunsten der Queen, um der Hinrichtung zu entgehen. Mit seinem literarisch etwas konfusem Stil wird das Verfolgen der Handlung und das Einfinden in die Story zur Herausforderung. Die Figuren bleiben bedauernswert leblos und das zu gering genutzte Potential des Geschehens bleibt bitterst spürbar.
Gasser gelingt hiermit ein toller Historienkrimi und gleichzeitig ein biografischer Abriss des Lebens Daniel Defoes, des Schöpfers von Robinson Crusoe und Moll Flanders. Was mir weniger gefiel war der mitunter arg auffällige Fingerzeig auf heute noch akute Gesellschaftsprobleme und die Verwendung sehr offensichtlicher Überschriften wie Fake News oder True Crime, welche mich durch ihren übertrieben belehrenden Gestus und Anachronismus aus dem Lesefluss rissen.
Großer Fan des YouTube-Channels daher habe ich das Buch angefangen und auch zu Ende gelesen. Die Grundidee der Biografie über Daniel Defoe gefiel mir auch. Allerdings habe ich sowohl eine spannende Geschichte als auch Charaktere vermisst, die irgendwie interessant sind. Das Buch hat keine Freude beim Lesen bereitet, hätte es jemand anderes geschrieben, hätte ich es nicht zu Ende gelesen.
Edit: Nach einigen Abstand zum Buch glaube ich, dass mir alle Charaktere im Buch zu über-aktiv sind. Keinem passiert etwas, sondern alle wollen weltbewegend etwas passieren lassen. Vielleicht hat es mir das schwierig gemacht, mich in die Charaktere hineinzuversetzen.