3,5 Sterne. „Ich bin krank von dem Heimweh, das du nie hattest“ S.257 Für mich eine Kombination aus Sachbuch ( mit sehr vielen Fakten zur Fluchtroute und politischem Weltgeschehen der damaligen Zeit ) und persönlicher Familiengeschichte der Autorin. Sie verbindet beides zu einem lesenswerten Bericht, der nie nur sachlich bleibt, sondern immer die Menschen im Fokus behält. Ganz zum Schluss bin ich ihrer Familie wirklich gefühlt sehr nahe gekommen. Flucht hat so viele Facetten.. nicht nur die Ungewissheit wohin, wie lange man unterwegs ist, auch die Entbehrungen, die Ängste, die Sprachlosigkeit, die Grausamkeiten, die Menschen, die verschwinden und verloren gehen.. und das Erbe, das an die nächste Generation weiter gegeben wird. Dies schildert die Autorin sehr eindrucksvoll. „Du willst mich schützen, mich vor der Vergangenheit bewahren, auch deshalb vergisst du sie so gründlich. Aber du lädst sie mir trotzdem auf, ungewollt, sie lastet auf mir wie der Rucksack, der immer schwerer wird gegen Abend“ S 256
4 bis 5 Sterne, es wurden dann 5, weil es mich einfach persönlich tief berührt hat. Auch mein Papa musste als Kind flüchten. Es gibt unendlich viele ähnliche Schicksale. Unbeantwortete Fragen und Schweigen. Der Schmerz von Krieg und Flucht verschwindet nicht einfach, er hat Auswirkungen sogar noch in folgende Generationen. Ich möchte nun unbedingt das Kriegsenkel Buch von Sabine Bode lesen.
Meine Oma wurde im 2. Weltkrieg im Alter von 16 Jahren aus Schlesien vertrieben. Mein Opa war Kriegsgefangener auf der Krim. Haben Sie darüber gesprochen? Nein. Beide sind tot und haben ihre Geschichte mitgenommen.
Die Autorin schreibt, die Generationen tragen die Flucht der Eltern und Großeltern im Leib. Nein, dass tue ich nicht. Weil ich davon kaum etwas weiß. Keine persönlichen Erzählung. Lediglich sachliche Informationen aus externen Quellen. Eigentlich geht es ihr nicht anders. Deswegen begibt sie sich auf die Reise der Vertriebenen. Ihrer Großeltern und ihres Vaters.
"Kein Gefühl prägt das menschliche Verhalten und seinen Charakter so sehr wie die Angst. [...] Aus ängstlichen Säuglingen werden häufig ängstliche Kinder. Aus ängstlichen Kindern überdurchschnittlich häufig Erwachsene, die besonders viel leisten. Angst kann ein großer Antreiber sein. Wer ängstlich ist glaubt mehr leisten zu müssen und dann vielleicht in Sicherheit zu sein."
Mit einer ähnlichen Familiengeschichte wie die Autorin, ging mir das Buch recht nahe und hat mich auch stark zum Nachdenken gebracht. Sie arbeitet das Thema sehr interessant und reflektiert auf und gibt tiefe persönliche Einblicke in ihre Familie und deren Geschichte. Vor allem der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen.
Ein inspirierendes Buch für alle, die sich mit dem Thema Flucht und Schuld auseinandersetzen wollen (vor allem natürlich bezogen auf Flucht im 2. Weltkrieg, aber auch im Hinblick auf aktuelle Flüchtende gibt es vielleicht Denkanstöße und hilft zumindest ein bisschen zu verstehen, was geflüchtete Personen durchmachen).
Rosenthal. So hieß der Ort in Schlesien, aus dem Christiane Hoffmanns Familie stammt. Sie selbst ist in Wedel bei Hamburg geboren, doch Rosenthal spielt von Beginn an eine große Rolle in ihrem Leben. Immer wieder reden die Verwandten am Tisch über Rosenthal, eine Handvoll Mal reisen sie sogar dort hin. Rosenthal, das klingt schon so schön. Rosenthal, die Heimat.
Seit dem 13. Jahrhundert lebte die Familie dort - doch als 1945 die Rote Armee immer näher rückt, müssen die Rosenthaler Hals über Kopf fliehen und alles zurücklassen: ihre Habseligkeiten, ihre Tiere, ihr Haus und den Hof. Über einen Monat lang laufen sie 550 km in einem Treck, mit Pferd und Wagen, mitten im eisigkalten Januar durch das Deutsche Reich in Richtung Westen. Am Ende erreichen Olga (die Großmutter der Autorin) und ihr Sohn, der neunjährige Walter (und Vater der Autorin), Klinghart im heutigen Tschechien. Doch der Weg ist noch nicht zu Ende, wird es noch lange nicht sein.
2018 stirbt Christiane Hoffmanns Vater, der damals neunjährige Walter. Und sie realisiert, dass die Vergangenheit ihrer Familie sie nicht loslässt. 2020 macht sie sich auf den Weg nach Różyna (ehemals Rosenthal) in Polen - um den Fluchtweg ihres Vaters noch einmal selbst zu laufen. Zu Fuß, allein. Hier beginnt das Buch.
Auf ihrem Weg durch Polen und Tschechien begegnet die Autorin verschiedenen Menschen und versucht, mehr über die Vergangenheit zu erfahren. Kann sich noch jemand an die Flüchtlinge erinnern, die damals von Osten nach Westen zogen? Und was denken und fühlen die polnischen und tschechischen Menschen, die nun in dem damals deutschen Gebiet wohnen? Wunderbar wird die Gegenwart (die Reise der Autorin) mit der Vergangenheit (die Reise der Flüchtenden) verwoben, eindrucksvoll das tragische Schicksal ihrer Familie erzählt, das stellvertretend für das Schicksal so vieler Schlesier*innen steht, und ohne zu beschönigen die Komplexität von Politik und Gesellschaft aufgezeigt.
"Alles, was wir nicht erinnern" erzählt von Flucht und Vertreibung, Heimat und Familie, Verlust und Schmerz, Schuld und Sühne, Leid und Trauma. Das Buch ist wirklich wunderschön geschrieben und hat mich tief bewegt. Für mich persönlich eines der besten Bücher, die ich bis jetzt gelesen habe.
Hoffmann’s book is a personal reflection on her family history. Her family left a small village in Silesia at the end of the Second World War as the Red Army advanced. In the book, Hoffmann takes the same route that her father took by foot—from what is now south-west Poland to the western tip of the Czech Republic. Along the way, she speaks to Poles and Czechs about their views on the Vertreibung of the Germans. Hoffmann finds that this is oddly distant from people’s minds. She never finds the negative attitude towards the Germans that she feels they deserve, and that might help her to come to terms with her complex emotions of guilt and loss. For the people she meets, the Russians and the Iron Curtain are much fresher in the mind.
This is a terrific read, mixing history, politics, travel, and memoir. It has concise, yet evocative prose, and marks a great beginning for my German reading adventures. It’s hard to find a lot about this in English.
Das Buch hat mir gut gefallen. Ich fand es ergreifend, dass die Autorin den Fluchtweg ihres Vaters nachgegangen ist und über ihre Begegnungen schreibt. Es ist somit ein ziemlich persönliches Buch, das die Familiengeschichte ihres Vaters aufgreift. Ich bin davon ausgegangen, dass mich dieses Buch auch mitnehmen wird, weil in meiner Familie eine ähnliche Geschichte vorliegt. Da passt es auch, dass ich das Buch heute beendet habe. Christiane Hoffmann verwebt die Vergangenheit mit ihrer Reise und der Gegenwart, in der sie nach ihrer Reise wieder in Deutschland ist. Diese Verknüpfung gelingt ihr meiner Meinung nach gut und ich finde sie auch sinnvoll gesetzt, da man so besonders auf die Bedeutung für die Autorin hingewiesen wird. Also ein Buch, das sich meiner Meinung nach sehr lohnt.
„… und so lernten wir die Heimat als etwas immer schon Verlorenes kennen, etwas, das nur unsere Vorfahren kannten, das wir selbst aber nie gehabt hatten und niemals haben würden. Die Heimat war ein Sehnsuchtsland, ein Paradies, aus dem wir schon immer vertrieben waren.“ (S. 13)
Eine Familiengeschichte, die mehr ist als eine Familiengeschichte. Was immer wieder im Buch wiederholt wird, ist vielleicht am bezeichnendsten: die Autorin wird immer wieder auf ihrer Reise gefragt, wenn sie erklärt was sie tut: „Allein?“-„Allein.“ „Zu Fuß?“-„Zu Fuß.“ Es geht Schritt für Schritt, die Nähe zur Vergangenheit wird nicht im Verstehen, sondern vor allem im Fühlen hergestellt. Und damit wird klar, dass Vergangenheit nicht vergangen, sondern lediglich weiter verflochten ist. Ich habe meine eigene Familiengeschichte immer wieder in Stücken des Weges mit abgelaufen, war sehr berührt von dem Mut der Autorin, Nähe zu den Schmerzen der Vergangenheit, und damit Nähe zu den Menschen, die diese Schmerzen verwunden und uns im Schweigen vermacht haben, herzustellen. Und dabei mit der nötigen Portion Ambiguitätstoleranz immer wieder differenzierte Fragen über Schuld und Leid, Verantwortung und Bewältigung unserer individuellen, gesellschaftlichen, deutschen, europäischen Geschichte aufzuwerfen. Ein ganz besonderes und bewegendes Buch.
„Und so lauert das Dunkle überall unter der Oberfläche meiner lichten Kindheit. Ich spüre es, aber ich verstehe es nicht, habe keine Chance, es zu begreifen, weil auch Ihr, die Ihr es einzig erklären könntet, es nicht begreift, weil Ihr nicht wisst, was Krieg und Flucht mit euch gemacht haben. […] Wie kann man die Vergangenheit hinter sich lassen? Du vergisst, aber du gibst mir den vergessenen Schrecken weiter, Du willst das nicht, Du willst mich schützen, mich vor der Vergangenheit bewahren, auch deshalb vergisst Du sie so gründlich. Aber Du lädst sie mir trotzdem auf, ungewollt, sie lastet auf mir wie der Rucksack, der immer schwerer wird gegen Abend.“ (S.253 ; S.256/257)
„Ich gehe den Weg meines Vaters. ‚Zu Fuß?‘ ‚Zu Fuß.‘ ‚Allein?‘ ‚Allein.‘“ In dem Buch „Alles, was wir nicht erinnern“ beschreibt Christiane Hoffmann beeindruckend die Flucht ihres Vaters aus Schlesien und die damit einhergehenden Einflüsse auf ihr eigenes Aufwachsen. Sie beschließt den Weg ihres Vaters zu gehen. Im Januar. Genauso wie es ihr Vater einst tun musste. Hervorragend recherchiert verwebt sie historische Fakten mit Erinnerungsstücken der Zeitzeugen.
Für mich ist diese Buch mehr eine Liebeserklärung an den Vater der Autorin, als ein Buch über Flucht und Vertreibung und mir damit ein bisschen zu persönlich, sehr emotional und zu intim. Vor allem die Krankengeschichte des Vaters. So richtig interessant finde ich das nicht. Die drei Sterne deswegen, da mich die Erzählweise doch in einen gewissen Lesesog gezogen hat.
Heartbreaking, tender, delicate. A contemplation on the fate of German refugees at the end of the WWII, on the loss of homeland, war, guilt, family and home. Brilliantly read by Martina Gedeck
„Die Flucht des Vaters – eine Nachwanderung nach 75 Jahren
»Zu Fuß?« »Allein?« Christiane Hoffmanns Vater floh Anfang 1945 aus Schlesien. 75 Jahre später geht die Tochter denselben Weg. Sie kämpft sich durch Hagelstürme und sumpfige Wälder. Sie sitzt in Kirchen, Küchen und guten Stuben. Sie führt Gespräche – mit anderen Menschen und mit sich selbst. Sie sucht nach der Geschichte und ihren Narben. Ein Buch über Flucht und Heimat, über die Schrecken des Krieges und über das, was wir verdrängen, um zu überleben.
Christiane Hoffmann verschränkt ihre Familiengeschichte mit der Historie, Zeitzeugenberichte mit Begegnungen auf ihrem Weg. Doch es ist vor allem ein sehr persönliches Buch, geschrieben in einer literarischen Sprache, die Suche einer Tochter nach ihrem Vater und seiner Geschichte.
Ein berührendes, emotionales Buch über ein bis heute schwieriges Thema
Ein Fünftel der deutschen Bevölkerung erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg Flucht und Vertreibung
Was bedeutet der Verlust von Heimat, auch für die nachfolgenden Generationen?“
Christiane Hoffmann ist einen besonderen Weg gegangen, ein Pilgerweg der ganz anderen Art - sie ist dem Vertreibungsweg ihres Vaters zu Fuß gefolgt um dort gewisse Antworten zu erhalten aber auch eigenen Gedanken schweifen zu lassen über alles was ihr Vater erlebt hatte. Es ist schwer diese Zeilen zu bewerten, denn die Erlebnisse sowie Gedanken der Autorin können so einfach nicht gewertet werden. Ich fühlte tiefe Verbundenheit mit der Geschichte ihres Vaters, da auch ich eine Vertriebene aus Polen in meinem engsten Familienkreis zählte und auch wir eine Fahrt in die alte Heimat dieser Person unternommen haben. Das sind schwere Fahrten, komplizierte Gedanken die man dabei hatte. Was wird einen erwarten? Was erhofft man sich davon? Viele Fragen und noch weniger Antworten erfolgten. Hoffmann geht ihren Weg in Gedanken mit ihrem Vater auf besondere Weise, nämlich zu Fuß. Per Pedes kommen manchmal noch ganz andere Dinge in den Sinn und damals war eine Flucht nur so möglich.
Ja, der Schreibstil der Autorin ist wirklich gewöhnungsbedürftig. Manchmal etwas wirr, manchmal etwas langatmig aber fest steht, der roten Faden ist zwar erkennbar aber ganz verworren zusammen gesetzt. Es fällt schwer in den Zeiten zu wechseln und allem zu folgen, es fällt schwer zwischen Hoffmanns Gedanken und die ihres Vaters zu unterscheiden. Vielleicht ist es so gewollt aber ich hatte damit wahrlich Mühe. Dennoch gibt es gute 3 Sterne von mir!
Książka spełnia wymogi książki wybitnej. Historia ma miejsce jednocześnie w dwóch bardzo innych epokach historycznych, wspołcześnie oraz w roku 1945, ale jednocześnie przesuwa się po mapie, co nadaje całej akcji pewnej młodocianej ruchliwości. Narracja płynie bardzo naturalnie, w tempie które nie jest ani za wolne ani za szybkie, rozkład materiału jest dokonany po mistrzowsku. wszystko co ma miejsce odbywa się we właściwej chwili, a przecież jest tyle w tej bolesnej kwestii do wypowiedzenia że można było bardzo łatwo sprawe zawalić. Autorka umie niedopowiedzieć i wniosek zostawić czytelnikowi. Dla polskiego czytelnika jest w tej książce wiele paraleli z wygnaniem Polaków z Kresów, podobne doświadczenia z dzieciństwa, jeżdżenie na Wschód na wieś, szukanie czegoś czego już nie ma. Milczenie starszych, unikanie pytań, zmagania starszych z pamięcią. Fizyczne aspekty wojennej traumy, tajemnicze bóle i zchorzenia, niekończące się nocne zmary. Rodzice którzy nigdy się nie otrząsną z tego co doświadczyli. Odmowa brania pod uwagę jakichkolwiek dalszych przeprowadzek. Na Ukrainie obecnie rośnie zainteresowanie polską historią Kresów, a na Ziemiach Odzyskanych niemiecka historia powoli powraca. Tymczasem w Polsce zainteresownie Kresami maleje, choć na pewno proces ten jest wolniejszy niż kompletnie zanikające w Niemczech zainteresowanie Sląskiem czy Pomorzem. Autorka ma tyle ciekawych myśli, nie osądza ludzi, pozwala im być kim są w danym momencie, nie ma do nikogo pretensji, choć bardzo rzadko udaje jej się spotykać osoby rozumiejące szerszy aspekt tamtej wojny. Bardzo byłem przyjemnie zaskoczony gościnnością Polaków i Czechów, choć jednocześnie niektóre ich wypowiedzi były naprawdę dogłębnie szokujące. A cała książka to piękny hołd dla ojca autorki, który jako dzieciak przeszedł tą całą trasę wygnania pieszo.
Gekauft, weil die Flucht aus Schlesien 1945 auch Teil meiner Familiengeschichte ist. Warum nicht lesen, was andere darüber zu sagen haben? Einfühlsam, wenig wertend und sehr persönlich nimmt einen die Autorin mit auf ihren Weg des Verstehens.
Und so habe ich die eine oder andere dicke Träne geweint, ohne vorher gewusst zu haben, dass ich sie weinen möchte.
Ich weiß herzlich wenig aus erster Hand darüber, war ich doch zu jung, meine Oma dazu zu befragen, bevor sie starb. Ich habe nur lange nach ihrem Tod einen Schulvortrag dazu gehalten und dafür alte Aufzeichnungen und Briefe gesichtet, mit denen mein Vater unverhofft um die Ecke kam. Und so kamen beim Lesen auch ganz schnell Bilder meiner Oma in den Kopf, die im Januar/Februar 1945 mit einem Neugeborenen im Arm den Weg ins Ungewisse antrat, auf deren Kaffeetafel NIEMALS ein Stück Mohnkuchen fehlte, den bis heute alle Familiensprosse inhalieren, was scheinbar genetisch ist und die kurz vor ihrem Tod im Geiste zurückkehrte nach Fraustadt (Wschowa). Schon eine intensive Leseerfahrung.
Christiane Hoffmann wandert die Route entlang, auf der ihr Vater im Zweiten Weltkrieg aus Schlesien nach Hamburg geflohen ist und arbeitet so nicht nur ihre eigene Familiengeschichte auf, sondern schreibt auch unendlich wichtige Sätze über Schuld, generationales Trauma und Verantwortung. Lediglich die wiederholte (natürlich subjektive und emotionale) Aussage, die Schlesier hätten im WW2 am meisten zu leiden gehabt, gibt den Memoiren ein gewisses Geschmäckle, wenn auch nur ein kleines.
"Alles, was wir nicht erinnern" präsentiert ein interessantes schriftstellerisches Konzept, die Reise des Vaters nachzumachen. Die Autorin neigt jedoch zu übermäßiger Gefühlsbetonung und pathetischer Darstellung. Auch die Tendenz zu überinterpretieren wirkt gelegentlich störend. Eine sachlichere, emotional ausgewogenere Herangehensweise hätte dem Buch sicherlich zugutekommen können.
Ein wunderbares Buch über Herkunft, Wurzeln und kulturelle Identität. Hoffmanns Vater ist Ende des zweiten Weltkriegs als kleines Kind vor der sowjetischen Armee geflohen und konnte lange nicht nach Rosenthal zurückkehren, wo früher Deutschland war und heute Polen ist. Sie wandert den Fluchtweg nach und erzählt über ihre Erkenntnisse zu dieser Flucht und ihre Folgen. Ein Satz fasst alles zusammen: Rosenthal ist keine Heimat, eher ein Ursprung. Die lange Trennung von der Heimat des Vaters verhindert eine emotionale Bindung der Tochter. Für sie ist Rosenthal als Ursprung von Interesse, aber als Heimat würde sie den Ort nicht bezeichnen. Seit der Invasion der Ukraine sind wieder Millionen Europäer auf der Flucht. Je länger der Krieg dauert, umso wahrscheinlicher wird es, dass ihnen das gleiche Schicksal wie Hoffmanns Vater ereilt: der Verlust der Heimat. Hoffmanns Buch gefällt, weil sie nicht jammert, vergangenen Zeiten nicht nachtrauert, die nicht zurückkommen werden. Das Leben geht weiter, nimmt einen anderen Weg, prägt die Menschen. Die Generationen ihres Vaters und ihrer Grosseltern haben gelitten, ihre Generation fühlt eine Leere und für die Generation ihrer Kinder wird Rosenthal der Geburtsort des Grossvaters sein.
Die Wehmut über die verlorene Heimat wird auf jeder Seite spürbar und hat mich sehr berührt, weil auch mein Großvater nach Kriegsende nicht in seine schlesische Heimat zurückkehren konnte. Meine Urgroßmutter musste allein mit einem Handkarren aus Schlesien fliehen, weil alle anderen Verwandten noch im Krieg oder schon in Gefangenschaft waren. Viel mehr wurde mir dazu aber nie erzählt, die Einzelheiten bis zum Schluss totgeschwiegen.
Die Autorin hat die Auswirkungen von Flucht, Vertreibung und Heimatlosigkeit sehr nahbar, detailliert und differenziert geschildert, und ich habe beim Lesen oft darüber nachgedacht, ob meine Vorfahren Ähnliches erlebt und dabei ähnlich empfunden haben. Durch seine Mischung aus Reisebericht, Familienchronik und historischer Geschichtsstunde hat mir das Buch sehr gut gefallen, wenn der Aufbau auch etwas sprunghaft und und der Schreibstil etwas wirr waren.
Als Kriegsenkel und Kind eines Flüchtlingskinds hat mich dieses Buch sehr angesprochen.
Sehr interessant die Enblicke der Autorin, studierte Slawistin und Osteuropa-Historikerin auf die polnische und tschechische Perspektive auf den Krieg, die Gräueltaten der Deutschen im Osten, auf Flucht und Umsiedlung ... und auf den russischen Krieg in der Ukraine.
Und besonders berührt hat mich diese Passage, unten auf Seite 213:
"Wenn wir wieder fliehen müssen, werde ich die Alte sein, um die sich die Jungen kümmern. Ich werde die Last sein, zu alt, um zu helfen, ich werde volller Sorge zusehen, wie die nächsten Generationen in den Kampf ziehen."
3.75 ★★★ Ein sehr gutes Buch, das sich mit dem Thema Flucht, Vertreibung, Heimatverlust und (deutsche) Schuld auseinandersetzt und wie diese noch in die zweite und dritte Generation vererbt werden und sie tief beeinflussen.