Man hat Mascha Kaléko neben Kästner, Tucholsky, Ringelnatz genannt - gleich diesen wollte auch sie keine Literatur für weni- ge sublime Geister, sondern eine zugängliche, unverkrampfte »Gebrauchspoesie«, vom Alltag für den Alltag, keck, gegen- wartsnah, voller Ironie und doch auch Gefühl. Dergleichen war um 1930, als Mascha Kaléko begann, im Zeichen der »neuen Sachlichkeit« modern und gefragt. Eine Welle des Erfolgs trug die junge Autorin empor. Aber die »Machtergreifung« von 1933 brachte sie um alle weitere Wirkungsmöglichkeit - totale Isolation und die Entfremdung des Exils folgten. Dunklere, schmerzlichere Akkorde schlägt die Lyrikerin jetzt an, immer aber befreiend durchbrochen, wieder aufgehoben vom unsenti- mentalen, scheinbar saloppen Parlando-Stil ihrer früheren Ge- dichte, aus dem nun eine erstaunliche Souveränität sich selbst und ihrem harten Schicksal gegenüber spricht.
Mascha Kaléko war eine deutschsprachige, der Neuen Sachlichkeit zugerechnete Dichterin.
Charakteristisch für Mascha Kalékos Arbeit ist die Großstadtlyrik mit ironisch-zärtlichem, melancholischem Ton. Als einzige bekannte weibliche Dichterin der Neuen Sachlichkeit wurde sie häufig mit ihren männlichen Kollegen verglichen, so bezeichnete man sie als „weiblichen Ringelnatz“ oder nannte sie einen „weiblichen Kästner“. Die auch Montagsgedichte genannten Strophen rühren durch ihre schnörkellose und direkte Sprache an. Ihre Gedichte wurden – als Chansons vertont – von Diseusen wie Hanne Wieder gesungen oder werden von Sängern wie Rainer Bielfeldt noch heute vorgetragen.
Ich bin ja, und das gebe ich offen zu, wirklich keine Lyrik-Leserin. Epische Gedichte vielleicht noch, aber ein Band mit Gedichten ist normalerweise nicht etwas, das mich fesselt. Außer es geht um Mascha Kaléko: bei ihr muss ich mich dazu zwingen, nicht zu viel auf einmal zu lesen, mich selbst nicht zu überfrachten. So viele wunderbare Gedanken und Gefühle! So viel Wahrheit! Aber auch so, so, so viel Schmerz.
Auch wenn ihr sonst keine Gedichte lest (und um so mehr, wenn doch!): schaut euch eins ihrer dünnen Bändchen an, es sind ja leider nicht viele. Sie sind es wert.
Mascha Kaléko remains one of my favorite poets. Her work is deceptively simple, sometimes fun and playful, sometimes affecting and moving.
I couldn't pick just one favorite, so you get the two poems that spoke to me the most:
Sogenannte Mesalliance
Die Herren offerierten Hof und Haus, Um mir die Zukunft „rosig“ zu gestalten. Sie hielten sie mir hin wie einen Strauß. Ich lachte mir mein Teil und lief hinaus: Da saßen sie mit ihren Bügelfalten.
Die klugen Nachbarn schüttelten das Haupt: Die wird es nie zu etwas Rechtem bringen. Und Zeiten gab’s, da ich es selbst geglaubt. Da aber kam der Wanderer, bestaubt, Und als er sprach, begann mein Herz zu singen.
Er hatte nichts als seine wilden Träume, Auch war der Kindheit ferner Widerschein In seiner Art – wie Tiere oder Bäume - So ganz und unverhüllt er selbst zu sein.
Er glich in keinem Atemzug den andern, Denn ihn besaß nicht Haus noch Hof und Feld. Das Ufer jenseits war sein Ziel beim Wandern Und nachts das Sternbild über seinem Zelt.
- Wer tauschte nicht des Krösus Scheckbuch ein, In seiner Nähe bettelarm zu sein …
Bleibtreu heisst die Straße
Vor fast vierzig Jahren wohnte ich hier. ...Zupft mich was am Ärmel, wenn ich So für mich den Kurfürstendamm entlang Schlendere - heißt wohl das Wort. Und nichts zu suchen, das war mein Sinn. Und immer wieder das Gezupfe. Sei doch vernünfig, sage ich zu ihr. Vierzig Jahre! Ich bin es nicht mehr. Vierzig Jahre. Wie oft haben meine Zellen Sich erneuert inzwischen In der Fremde, im Exil. New York, Ninety-Sixth Street und Central Parl, Minetta Street in Greenwich Village. Und Zürich und Hollywood. Und dann noch Jerusalem. Was willst du von mir, Bleibtreu? Ja, ich weiß. Nein, ich vergaß nichts. Hier war mein Glück zu Hause. Und meine Not. Hier kam mein Kind zur Welt. Und mußte fort. Hier besuchten mich meine Freunde Und die Gestapo. Nachts hörte man die Stadtbahnzüge Und das Horst-Wessel-Lied aus der Kneipe nebenan. Was blieb davon? Die rosa Petunien auf dem Balkon. Der kleine Schreibwarenladen. Und eine alte Wunde, unvernarbt.
Viele der Gedichte von Mascha Kaléko treffen (unerwartet) mitten ins Herz. Einige Sätze haben mich komplett geflasht und ich kam mit dem Markieren kaum hinterher. Die Dichterin versteht es, auf unaufdringliche Weise alltägliche Gedanken wunderschön und ergreifend zu formulieren, dass sie aus dem Alltäglichen herausbrechen.
Ich denke auch, dass Leser, die sich bisher nur an Texte von Julia Engelmann getraut haben, hier unter Umständen leicht einen Zugang zu anspruchsvollerer Lyrik finden können. Mascha Kaléko ist nämlich in ihren schlechtesten Gedichten schon grandioser als die Poetry Slammerin in ihren besten Sätzen.
》Nacht ohne Schlaf
Ich weiß, daß du jetzt wachst in deiner Nacht, So wie ich schlaflos wache in der meinen. Der gleiche Mond, der mich so kühl verlacht, Wird wohl auch jetzt dir Ruhelosem scheinen.
Ich weiß, das Leid, das ich dir nicht geklagt, Wird mir im stillen Vers zur Ruhe gehen. So mag dein Weh, das du mir nicht gesagt, Dich tröstend wie ein Morgenwind umwehen.《
Found this quite randomly in a bookshop; it's one of those gems of which I'll always remember the exact moments of finding and reading them. Mascha Kaléko is not too famous in Germany, either (her work was forbidden literature in the Nazi-Germany she fled from), which is both an outrageous shame and bestows a mystic air on her as her poems suddenly and unexpectedly hit me (a wave out of nowhere) in the most wonderful, self-deconstructing Sylvia Plath manner.
Nun sind das wohl die schönsten Gedichte, die ich jemals las. Sie kommen ganz leise und unspektakulär daher und knallen dich dann mit voller Wucht und Schwere um. Wenn man, so wie ich, ein melancholisches Herz hat, kann man mit diesem Stoff so richtig hart in Resonanz geraten.
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ICH UND DU
Ich und Du wir waren ein Paar Jeder ein seliger Singular Liebten einander als Ich und als Du Jeglicher Morgen ein Rendezvous Ich und Du wir waren ein Paar Glaubt man es wohl an die vierzig Jahr Liebten einander in Wohl und in Wehe Führten die einzig mögliche Ehe Waren so selig wie Wolke und Wind Weil zwei Singulare kein Plural sind.
ZEITGEMÄSSE ANSPRACHE
Wie kommt es nur, daß wir noch lachen, Daß uns noch freuen Brot und Wein, Daß wir die Nächte nicht durchwachen, Verfolgt von tausend Hilfeschrein.
Habt ihr die Zeitung nicht gelesen, Saht ihr des Grauens Abbild nicht? Wer kann, als wäre nichts gewesen, In Frieden nachgehn seiner Pflicht?
Klopft nicht der Schrecken an das Fenster, Rast nicht der Wahnsinn durch die Welt, Siehst du nicht stündlich die Gespenster Vom blutigroten Trümmerfeld?
Des Tags, im wohldurchheizten Raume: Ein frierend Kind aus Hungerland, Des Nachts, im atemlosen Traume: Ein Antlitz, das du einst gekannt.
Wie kommt es nur, daß du am Morgen Dies alles abtust wie ein Kleid Und wieder trägst die kleinen Sorgen, Die kleinen Freuden, tagbereit.
Die Klugen lächeln leicht ironisch: Ça c'est la vie. Des Lebens Sinn. Denn ihre Sorge heißt, lakonisch: Wo gehn wir heute abend hin?
Und nur der Toren Herz wird weise: Sieh, auch der große Mensch ist klein. Ihr lauten Lärmer, leise, leise. Und laßt uns sehr bescheiden sein.
AN MEINEN SCHUTZENGEL
Den Namen weiß ich nicht. Doch du bist einer Der Engel aus dem himmlischen Quartett, Das einstmals, als ich kleiner war und reiner, Allnächtlich Wache hielt an meinem Bett.
Wie du auch heißt - seit vielen Jahren schon Hältst du die Schwingen über mich gebreitet Und hast, der Toren guter Schutzpatron, Durch Wasser und durch Feuer mich geleitet.
Du halfst dem Taugenichts, als er zu spät Das Einmaleins der Lebensschule lernte. Und meine Saat, mit Bangen ausgesät, Ging auf und wurde unverhofft zur Ernte.
Seit langem bin ich tief in deiner Schuld. Verzeih mir noch die eine - letzte - Bitte: Erstrecke deine himmlische Geduld Auch auf mein Kind und lenke seine Schritte.
Er ist mein Sohn. Das heißt: er ist gefährdet. Sei um ihn tags, behüte seinen Schlaf. Und füg es, daß mein liebes schwarzes Schaf Sich dann und wann ein wenig weiß gebärdet.
Gib du dem kleinen Träumer das Geleit. Hilf ihm vor Gott und vor der Welt bestehen. Und bleibt dir dann noch etwa freie Zeit, Magst du bei mir auch nach dem Rechten sehen.
Epigramme
DAS KLEINERE ÜBEL Wenn du schon hassen mußt und kannst es noch nicht lassen, dann üb’ nach Herzenslust, den Haß in dir zu hassen.
SUBLIMIERTES WEHWEH Wie in der kranken Auster nur sich eine Perle rundet, so formt sich auch des Dichters Lied im Herzen, das verwundet. - Und beiden stockt die Produktion, wenn der Patient gesundet.
MANGELWARE »NORMALMENSCH« Einst hieß das »gesunder Menschenverstand«: Verstand, der gesunde Menschen verstand. Der kam uns abhanden, und nicht ohne Grund: Die wenigsten Menschen sind heut noch gesund.
DREI SCHRITTE VOM LEIBE Selbst dem, der einst in meinem Sieb trotz aller Vorsicht hängen blieb, erlaub ich nicht, durch meinen Zaun ins Schneckenhaus hineinzuschaun. Doch hab ich wen von Herzen lieb, so gelten weder Zaun noch Sieb.
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Mein schönstes Gedicht? Ich schrieb es nicht. Aus tiefsten Tiefen stieg es. Ich schwieg es.
For me, poetry has to be an emotional thing. Touching you at your core. The way you see the world. The way you love. The way you hate. The way you ignore, suffer, eat, drink, sleep, dream, laugh, cry.
This poetry is just that. It's a breeze complimenting your soul. It's a walk through the forest of your own mind. It's purely touching.
Ein Gedichtband der vieles Versucht und auch vieles schafft. Vor allem wird eine Person (ob man Sie jetzt Autor*in oder Lyrisches Ich nennen will) geschaffen. Beim lesen der verschiedenen Abschnitte und zusätzlich beim Zusammensetzen der Empfindungen und Eindrücke danach, ergibt sich eine Person, die dort in den wenigen Zeilen gesprochen hat. In Epigrammen oder Variationen von Sonetten. Sie spricht von Liebe und herrlich sarkastisch und Ironisch von Hollywood und pessimistisch von der Zukunft der Welt. Sie spricht von Gott als eine Zuflucht, einen stetigen Rückzugsort, wenn sonst nichts stetig bleibt, doch Sie spricht von Gott ohne dabei predigend zu sein. Viel mehr offenbart sich dem Leser die Frage, wo solle Sie auch sonst hin gehen? Irgendwann fühlt es sich an, wie ein Gespräch mit einer fremden Person, die man doch irgendwo her kennt oder zumindest sofort ins Herz schließen will. Man versteht ihre Sicht auf die Welt und will diese nicht bekämpfen. Die Lust zu zuhören ist viel größer. Es ist angenehm und wohlig, nicht hochtrabend. Manchmal vielleicht etwas zu hochdosiert, aber trotzdem schön.
Wechselhaft, sehr melancholisch bis depressiv, ein paar großartige Gedichte (einem Freund, der sich dem Trunk hingab), einige mittelmäßige. Teilweise etwas zu kitschig oder wehleidig, vorallem die anfänglichen Liebesgedichte.
Mascha Kalékos Gedichte haben eine wunderschöne Melodie an sich. Sie singen von Einsamkeit und Fremdheit und Schmerz. Eine bittersüße Lektüre, die bewegt und berührt.
Hat mich sehr auf Weiteres von Kaléko neugierig gemacht und mir mit „Der Eremit“ ein neues Lieblingsgedicht gezeigt. Weitere Lieblinge sind: -Signal -Die Dritte Sinfonie -Ich und Du -Dachkammermusik -Der kleine Unterschied -Nachts -Einer von jenen Träumen -Aus der Vogelperspektive -„Die Leistung der Frau in der Kultur“ -Die frühen Jahre
Und aus den Epigrammen: -Unerfreudliche Zeitgenossin -Das -Was man so braucht…
Zusätzlich will ich noch darauf hinweisen, dass in meiner Ausgabe (dtv, 39. Auflage, 2021) auf Seite 43 das N-Wort steht.
Manche Dichter sagen die Lyrik ist ihr Zuhause. Für Mascha Kaléko, vielleicht ein Zufluchtsort, oder ein stiller Raum des Nicht Vergessens. Was sie liebt, was war, die Traurigkeit, die Einsamkeit, die Heimatlosigkeit. Schmerz. Hoffnung? … und viele unbeantwortete Fragen. Krieg. Schweigen. Vielleicht war es ihr Raum zum Atmen. Ich habe “In meinen Träumen läutet es Sturm” gelesen,Vers für Vers. Gestern als die Sterne leuchteten, mitten in der Nacht!
In meinen Träumen läutet es Sturm hat mit sehr gut gefallen! Es hat mir den Magen umgedreht, und ‚aus der Seele sprechen‘ wäre eine Untertreibung für die Präzision, mit der Mascha Kaléko meine persönliche Gefühlswelt zu beschreiben vermag.