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Das Vorkommnis

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Lebenslinien – Liebeslinien – Liebesmuster

Eine Frau wird von einer Fremden angesprochen, die behauptet, sie hätten beide denselben Vater. Die überraschende Begegnung bleibt flüchtig, löst in ihr aber eine Welle von Emotionen aus. Fragen drängen sich auf, über Ehe und Mutterschaft, über Adoption und andere Familiengeheimnisse, über Wahrheit überhaupt. In ›Das Vorkommnis‹ erzählt Julia Schoch – eine der eindrücklichsten Stimmen autofiktionalen Erzählens in der deutschen Literatur – von einem Leben, das urplötzlich eine andere Richtung bekommt. Fesselnd und klarsichtig, so zieht sie hinein in den Strudel der ungeheuerlichen Dinge, die gleichzeitig auch alltäglich sind. Ein Roman von großer literarischer Tiefe und Schönheit, im Werk von Julia Schoch ein neuer Höhepunkt.

187 pages, Kindle Edition

Published February 16, 2022

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Julia Schoch

30 books22 followers

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108 (18%)
1 star
27 (4%)
Displaying 1 - 30 of 71 reviews
Profile Image for Isa ◡̈ .
232 reviews40 followers
March 15, 2022
«Das Vorkommnis: Biografie einer Frau» ist der erste Teil der neuen Trilogie der Autorin Julia Schoch. Die namenlose Protagonistin ist Schriftstellerin und Dozentin sowie Mutter von zwei Kindern als sie auf einer Lesung eines ihrer Bücher von einer fremden Frau angesprochen wird: „Wir haben übrigens denselben Vater.“ (S. 7) In 72 kurzen Sequenzen wird das Gedankenspiel der Protagonistin das zwischen diesem Vorkommnis, ihrer Kindheit, ihrer Familie, dem Aufwaschen in der DDR, ihrer aktuellen Lebenslage und Alltag sowie ihrer Zeit in Amerika als Dozentin mit ihren Kindern und ihrer Mutter wechselt. Gedanklich setzt die Protagonistin sich mit der Verschiebung des Familiengefüges durch die neue Stief-Schwester auseinander und kehr immer wieder gedanklich zu dem sog. Vorkommnis, dem Aufeinandertreffen nach der Lesung zurück. Unbewusst und bewusst nehmen die Gedanken daran immer mehr Raum ein und verändern die Perspektive, das Denken und Empfinden der Protagonistin. Die Denkweise der Protagonistin wird reflektiert, kritisch und intellektuell dargestellt. Auffällig ist, dass bis auf eine relativ unbedeutende Mutter eines anderen Kindergartenkindes alle Personen namenlos bleiben und die Gedanken sehr sachlich-nüchtern und distanziert dargelegt werden.

Meine Meinung | Mich hat die sachliche-Nüchternheit des Buches und die damit verbundene Distanz der Protagonistin zu ihrer Familie, ihrer Geschichte, ihrem Leben und letztlich ihrem Selbst nicht begeistern können. Der Schreibstil der Autorin ist sehr wortgewandt und reflektiert, dennoch fehlt es mir an Emotionen und Namen, die Nähe zu lassen könnten. Ein interessantes Buch, das das Innenleben einer Frau sehr wortgewandt und stilistisch ausgearbeitet porträtiert.

2.5 ⭐️
Profile Image for Lesereien.
257 reviews23 followers
February 6, 2022
„Wir haben übrigens denselben Vater.“
Bei einer Lesung wird die Protagonistin des Romans mit diesen Worten von einer fremden Frau angesprochen und sieht zum ersten Mal in ihrem Leben die Halbschwester, mit der sie den Vater teilt. Spontan umarmt sie die Frau. Das Vorkommnis, wie sie das Aufeinandertreffen im Folgenden nennt, nimmt sie ein und löst ein emotionales Chaos in ihr aus, das von nun an ihr Leben mitbestimmt.

Es entsteht eine Verschiebung im Familiengefüge, obwohl die Protagonistin von der Halbschwester durchaus wusste. Denn einst fand die Mutter einen Zettel über gezahlte Alimente in der Jackentasche des Vaters. Dieser hatte während des Krieges ein sogenanntes „Bratkartoffelverhältnis“ zu einer älteren Frau. Die Tochter aus dieser Beziehung, von der er gar nicht mit Sicherheit wusste, ob sie seine war, wurde zur Adoption freigegeben.

Es ist dieses Schicksal der unbekannten Frau, das Bilder der eigenen Vergangenheit hervorruft. Aus dem Leben der Eltern, der Großeltern und schließlich aus der eigenen Kindheit in der DDR. Die Protagonistin beginnt, vieles mit neuen Augen zu betrachten, zu überdenken. Die Halbschwester, deren Schicksal und das Verhältnis der Protagonistin zu ihr, nehmen unbewusst und bewusst einen Platz in ihrem Alltag, in ihrem Denken und Fühlen ein. Das Schreiben dient dabei als Bewusstwerdung und Aufarbeitung der Ereignisse.

Julia Schoch erzählt auf reflektierte, kluge und sprachlich gewandte Art und Weise von Einzel- und Familienschicksalen, von Nähe und Entfremdung, von dem Aufwachsen in der DDR und von den Gräben, die der Krieg in die Leben der Menschen geschlagen hat.
Das Buch bildet den Auftakt zu einer Trilogie, in der es um das Leben einer Frau geht, und man kann auf die beiden noch folgenden Bände nur gespannt sein.
Profile Image for Sternenstaubsucherin.
653 reviews2 followers
January 25, 2025
Fand ich besser als "Mit der Geschwindigkeit des Sommers". Trotzdem blieben mir die Autorin und auch ihre Protagonist:innen irgendwie fern.
Frau Schoch schreibt sehr distanziert, so dass ich zu den Figuren meist auf Abstand blieb.
Ab und an aber schaffte es Frau Schoch, mich in die Geschichte zu ziehen. Und da entfaltete sich der Stoff und lies einen Blick auf tiefere Ebenen zu.

Aber so richtig "umgehauen" hat mich dann die Beschreibung ihres "Alptraums"!
Auch ich träume diesen Traum immer und immer wieder, mal weniger oft, mal regelmäßig.
Und egal, wem ich diesen Traum erzählte, niemand konnte damit etwas anfangen.
Und nun lese ich hier in diesem kleinen Buch von genau so einem furchtbar ähnlichen Traum!

Bin gespannt auf den nächsten Teil "Das Liebespaar des Jahunderts"
Profile Image for Lucie.
32 reviews1 follower
May 12, 2025
"Aber das war doch nur Fiktion"
Durch das Auftauchen einer bisher unbekannten Halbschwester verliert die Ich-Erzählerin den Glauben an das Konzept Familie.
Sprachlich hat mich der nüchterne Ton sofort überzeugt, inhaltlich manches mehr, manches weniger. Das allerletzte Kapitel dabei umso mehr.
Ich bin sehr gespannt auf die nächsten beiden Teile der Trilogie.
Profile Image for miss.mesmerized mesmerized.
1,405 reviews42 followers
February 16, 2022
Die Erzählerin wird auf einer Lesung von einer Zuhörerin überrascht. Diese kommt auf sie zu mit der Aussage, dass sie beide denselben Vater hätten. Sie wird überrumpelt, von einer Fülle an Emotionen übermannt, weiß nicht, wie sie reagieren soll. Nach dem ersten Schock kommen die Fragen, zahlreiche, vielfältige, die Wesentliches, was sie über ihre Familie zu wissen glaubte, plötzlich auch anders deuten lassen. Eine Flucht in die USA, wo sie an einem College deutsche Literatur lehrt, ermöglicht ihr Distanz und Reflexion und die Möglichkeit, ihre Gedanken und ihr Leben zu ordnen.

Julia Schoch ist vielfältig schreibend unterwegs, neben Romanen verfasste sie zahlreiche Essays, Kolumnen und vor allem auch Übersetzungen aus dem Französischen. Ihre Arbeiten wurden wiederholt ausgezeichnet, jüngst erhielt sie die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung. In „Das Vorkommnis“ greift sie einen einschneidenden Moment im Leben ihrer Protagonistin auf, der unerwartet über den Alltag hereinbricht und etwas in Wanken bringt, was vorher, wenn vielleicht auch fragil, immer noch fest auf dem Boden stand.

„Als ich darüber zu schreiben begann, dachte ich, ich würde ihre Geschichte erzählen, aber das kann ich nicht, ich schreibe nicht über sie“

Durch die Perspektive der Ich-Erzählerin, die zu dem Leser spricht oder eher fast tagebuchartig ihre Gedanken niederschreibt, taucht man unmittelbar und tief ein in die Emotionen, die durch die Begegnung ausgelöst werden. Die vordergründige Handlung läuft chronologisch weiter, spannender jedoch das Innenleben der Figur, das sich in einer Abwärtsspirale befindet und zunehmend abbaut. Eine Enttäuschung führt dazu, weitere zu erahnen, zu erwarten und schließlich auch ohne Beweise als gegeben anzunehmen.

Es fällt nicht schwer, sich selbst in der Erzählerin zu spiegeln. Jede Familie hat ihre Geheimnisse, hat ungesagte Dinge, die doch alle wissen und die sich bisweilen über Generationen verlieren, bisweilen aber auch weitergetragen werden. Dank der Erzählperspektive ein intensiver Roman, der auch viel über die Erzählerin offenbart, ihre Unsicherheiten hervorholt und auch das Verhältnis zum Schreiben immer wieder thematisiert. Vielschichtig wie eine Zwiebel nähert man sich Schicht um Schicht dem eigentlichen Kern, der entweder Abkehr oder Versöhnung heißen muss.
Profile Image for Sandra.
139 reviews65 followers
February 16, 2022
Das war nicht meins...

Eigentlich ist das Vorkommnis, nach welchem Julia Schoch den Auftakt ihrer Trilogie benannt hat, ein maßgebliches Ereignis in jedem Menschenleben. Es sollte die Protagonistin durchrütteln, verändern und zu revolutionären Reflexionen über die Grundstrukturen ihrer Existenz bringen.

Andererseits ist es nichts weiter als ein Moment in ihrem Alltag, dem weitere Alltage folgen.

Einen tick zu sachlich, zu distanziert, zu nüchtern beschreibt Schoch für meinen persönlichen Geschmack diejenigen Ereignisse, die ihr, ihrer Mutter, ihrer Schwester widerfahren.

Ihre distanzierte Haltung zu ihren Kindern, ihre Konzentration auf Karriere und Schreiben sind nachvollziehbar. Dass Schoch allerdings durchgehend eine sachlich-nüchterne Haltung auch stets zu ihren Leser:innen und zu allen Aspekten ihres Materials behält, nimmt diesem Text die potentielle Sogwirkung Fähigkeit zu begeistern.

Schade!
Profile Image for Co_winterstein.
146 reviews10 followers
December 15, 2022
Das Vorkommnis

Der autofiktionale Roman "Das Vorkommnis" von Julia Schoch handelt von einer Schriftstellerin, die bei einer ihrer Lesungen auf eine Frau trifft, die behauptet ihre Halbschwester zu sein, also den gleichen Vater zu haben. Dieses Vorkommnis - ein Eindringen in das feste Familiengefüge - beschäftigt sie lange Zeit. So bilden die Gedanken über die Halbschwester inhaltlich den Hauptteil des schmalen Buches, Schoch versetzt sich in ihre Perspektive, wie lange hatte sie das Geheimnis mit sich herumgetragen und vesucht den gemeinsamen Vater zu kontaktieren?
Im Mittelteil, in dem die Ich-Erzählerin ihren mehrmonatigen Arbeitsaufenthalt in den USA beschreibt, das Leben dort mit ihrer Mutter und den beiden Kindern im Studentenwohnheim und das Nachdenken über die Begegnung mit der neuen Schwester, nimmt die Spannung in meinen Augen etwas ab.
Wie schon bei Knausgård und bei Ernaux wundere ich mich über die detaillierten Beschreibungen des Alltags, des Alltäglichen, des Banalen, z. B. welchen Guss, die von ihr gekauften Donuts haben.
Schoch selbst gibt die Antwort, so schreibt sie:
„Ich erwähne diese alltäglichen Verrichtungen, weil die meisten überraschenden Vorfälle in unserem Leben gleichsam nebenbei passieren. Wir setzen nicht aus. Wir halten nicht inne. [...] Wir bauen, was uns überrascht hat, in unser gewohntes Leben ein. Wir gehen unserer Arbeit nach. Wir funktionieren."
Vielleicht ist das ein wichtiger Punkt des autofiktionalen Schreibens?

Gut gefallen haben mir auch die Reflexionen der Ich-Erzählerin über ihr Schreiben. Wann, wo, wie es geschieht und warum, z.B die Stelle über das Notizbuch, das sie während des USA-Aufenthalts geführt hat und ihre Gedanken zum Schreiben als Verarbeitung von Erinnerungen:
„Aber selbst wenn man es schafft, wenn man die passenden Worte findet, ist das Schreiben eine Art Verdrängung, immer. Da es die Dinge in einem neuen Licht erscheinen lässt. Man lebt fortan mit einer neuen Version seiner selbst (S. 164)."

Ich würde gar nicht sagen in "neuem Licht", sondern in anderem Licht. Durch das Schreiben fällt es leichter eine andere Perspektive einzunehmen und die Dinge mit anderen Augen zu betrachten, es erweitert im wahrsten Sinne den Horizont.

"Das Vorkommnis" ist Band 1 der Triologie
"Die Biographie einer Frau", sicherlich werde ich auch den im Frühjahr erscheinenden zweiten Teil "Das Liebespaar des Jahrhunderts" lesen.


Leseempfehlung für Fans von autofiktionalen Texten!
Das tolle Gemälde auf dem Cover stammt von der Künstlerin Tina Berning.
This entire review has been hidden because of spoilers.
Profile Image for mirlangts.
7 reviews3 followers
July 25, 2022
Eher 2.5

Für mich persönlich war die Erzählweise leider zu nüchtern, ich konnte zur Erzählerin keine wirkliche Verbindung aufbauen. Wahrscheinlich hatte ich auch einfach eine andere Erwartung an das Buch, dass es mehr um das Zusammenfinden der beiden Schwestern gehen würde.
This entire review has been hidden because of spoilers.
Profile Image for herrzett.
100 reviews5 followers
June 15, 2022
Manchmal können Begegnungen eine ganze Reihe an Handlungen, Gedanken, wenn nicht sogar Veränderungen herbeiführen. Dabei ist es fast egal, ob man sich mit jemanden verabredet hat, sich eher zufällig über den Weg läuft oder sich mit Unvorhersehbarem auseinandersetzen muss, alles zieht seine Kreise und führt zu einem kleinen Wandel in uns und häufig kehren wir gedanklich immer wieder zu diesem Ausgangspunkt zurück - sei es aufgrund von Wut, Aufregung, Euphorie, Unverständnis...
Das ist dann ungefähr auch das, was der Autorin Julia Schoch passiert ist. Auf einer Lesung in Lübeck (zumindest deutet sehr viel darauf hin, dass es sich um diese Stadt handelt) machte sie die Bekanntschaft mit einer Frau, die zu ihr nach einer Lesung, fast schon nebenbei, sagte: "Wir haben übrigens denselben Vater." Einerseits im Schockzustand, andererseits emotional aufgewühlt fiel sie der fremden Frau sofort um den Hals. Was weiter geschehen ist, oder was weiter zwischen den beiden Frauen besprochen wurde, erfahren wir nicht, nur, dass dieses Ereignis noch sehr lange die Gedankenwelt der Autorin im Griff haben wird und dass dieses Aufeinandertreffen Ausgangspunkt für den ersten Roman ihrer dreiteiligen Biographie einer Frau sein wird. "Das Vorkommnis" von Julia Schoch behandelt nun die Gedankenwelt einer Frau, die sich plötzlich mit einer Halbschwester auseinandersetzen muss und sich mit Fragen konfrontiert sieht, die viel weiter reichen und sich tief aufs eigene familiäre Gefüge, die Vergangenheit und das sich nun irgendwie veränderte Leben beziehen.

"Was meinen Fall anging, so hatte ich keine Todesnachricht erhalten. Bei mir handelte es sich um Zuwachs, nicht um einen schrecklichen Verlust. Trotzdem war es eine Art Verschiebung. Etwas an dem gewohnten Bild stimmte nicht mehr."

Als Leser*in begleitet man die Autorin nun durch ihren Alltag, sie versucht das Geschehene zu vergessen, aber das Treffen mit der Unbekannten lässt sie einfach nicht mehr los und stellt alles infrage. Selbst wie genau sich das Treffen ereignete, warum sie der Fremden sofort glaubte, ihr um den Hals fiel, weiß sie nicht mehr so richtig. Wie ist das eigentlich mit der Erinnerung? Was ist mit ihrer Familie geschehen? Und muss man die Frau nun auch über den Zustand des Vaters informieren? Welche Beziehung haben sie nun eigentlich zueinander? Der Gedankenstrudel treibt sie immer weiter und führt sie zeitgleich immer wieder zum Treffen zurück; zum Vorkommnis. Und so beschäftigt sie sich auch mit der Wahrheit, der Ehe, Mutterschaft, philosophiert über das Leben, Familiengeheimnisse, Adoption. Zwischenzeitlich reicht es sogar so weit, dass sie denkt: "Das hier ist nicht die Geschichte meiner Familie. Die Geschichte meiner Familie gibt es nicht. Das ist nur die Geschichte meiner Verwirrung." Und das führt alles irgendwie dazu, dass sie die Frau noch einmal sehen muss, sie treffen muss, um zu verstehen, um sie in ihrem 'neuen' Leben aufzunehmen, zu reflektieren und irgendwie auch wieder zur Ruhe zu finden.
"Damals wünschte ich, ich würde einen Roman über all das schreiben. In einen Roman konnte ein Satz stehen wie: Die Wochen vergingen, der Sommer kam, und X vergaß die Begegnung mit der Frau im Dezember. Ich sehnte mich nach einem Stoff, dem ich mich spielerisch nähern konnte. Ich wollte mich ein wenig austoben, mehr nicht."

Und irgendwie ist ihr das Spielerische mit diesem Buch auch gelungen, allerdings mehr auf persönlicher und gedanklicher Ebene als erwartet. Und auch wenn für mich der Ausgangspunkt dieser Biographie und die daraus resultierenden Gedanken äußerst interessant und nachvollziehbar waren, so hatte ich auch einige Probleme damit. Julia Schoch nimmt ihre Leser*innen mit in ihre Vergangenheit, erzählt von wirren, beinahe schon Hineinsteigerungen und findet schlussendlich wieder dahin zurück, wo alles begann. Das Zusammentreffen ist quasi die Klammer ihrer Erinnerung und Lebensrückblicke, die innerhalb dieses Romans mit Zweifel an einigen Einschätzungen konfrontiert werden und alles erneut infrage stellen. Gerade das Vertrauensgefüge zum Vater scheint zu bröckeln, die Liebe zu Mann und Kindern, sowie der Blick auf die Welt bzw. ihre Erinnerung steht im Fokus ihrer Betrachtungen. Daraus entstand eine sehr reflektierte Auseinandersetzung mit sich und der Welt und eben jenen Folgen des Zusammentreffens, das sie auch noch Jahre später beschäftigt.
Dennoch muss ich sagen, dass gerade die Abfolge vom Zusammentreffen, gedanklichen Folgen, Rückblick, Beziehung hin zu weiteren Gedanken über das Zusammentreffen, für mich am Ende dann doch recht konstruiert schienen. Auch die Übergänge fand ich nicht gerade schön, aber das ist dann womöglich auch eine Geschmacksfrage. Fragen... da haben wir es wieder. Fragen, philosophische Auseinandersetzungen und Deutungen des eigenen Handels mag ich sehr, aber irgendwie habe ich in diesem ersten Teil keine wirkliche Antwort auf irgendwas gefunden, ich könnte nicht mal sagen, dass mir vieles in Erinnerung geblieben ist, aber die Frage wie man selbst auf so etwas reagieren würde, was an Julia Schochs Gedanken nun überzogen, was ähnlich ist, das hat mich recht lange beschäftigt. Ich bin mal gespannt, ob und wann mir der nächste Teil in die Hände fällt und ob ich weiteres lesen möchte, denn einerseits interessiert es mich nun sehr, wie die Autorin weiter vorgehen wird mit ihrer Biografie einer Frau, andererseits denke ich, dass mir grade diese autofiktionale, schon eher sachliche Auseinandersetzung mit dem lebensverändernden Ereignis (irgendwie auch ein sehr beliebtes 'Ding' in der Literatur) doch auch gereicht hat.


"Dann aber wurde mir klar, dass ich schon vieles nicht mehr wusste, ja an bestimmte Dinge hatte ich mich schon am nächsten Tag kaum mehr erinnert. [...] Andere, scheinbar unwesentliche Details hingegen sind mir bis heute sehr genau im Gedächtnis. [...] Vor allem scheint sich erst jetzt, mit dem Abstand von Jahren, in großer Klarheit zu zeigen, wie Dinge, die in den Monaten und Jahren danach passiert sind, miteinander zusammenzuhängen. [...] Es waren Monate und Jahre, in denen sich alles zu verändern schien, meine Sicht auf die Welt, die Liebe, auf meinen Mann und meine Kinder."
Profile Image for Michelle.
19 reviews
December 20, 2025
„Wir sind nicht immer aufnahmebereit für das, was uns betrifft. Ich meine das, was uns wirklich betrifft.“

An für sich fand ich das Buch gar nicht schlecht. Es war sehr ehrlich und sehr alltagsnah und real. Allerdings war es auch sehr anonym, dazu gehörten auch ausschließlich namenlose Charaktere. Durch diese Anonymität ist es mir sehr schwer gefallen, richtig ins Buch reinzukommen, was bei den aufgegriffenen Themen in dieser Geschichte, sehr schade ist.

Es war jedoch auch relativ anspruchsvoll, evtl. war ich auch einfach nicht aufnahmefähig dafür hahaha
Profile Image for Floriane.
89 reviews8 followers
July 28, 2025
der Schreibstil ist auch hier wieder sehr sehr schön! Die Erzählerin verwirrte mich oft aber das war nicht besonders schlimm. Es fühlte sich alles sehr random an aber es hatte auch irgendwie Bedeutung. Bis kurz vorm Ende hab ich es noch nicht so gefühlt - das Ende hab ich dann sehr gefühlt.
Profile Image for Inge.
223 reviews5 followers
December 6, 2022
Der Anfang weckt Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Über die geheimnisvolle Frau erfährt man so gut wie nichts. Stattdessen muss man seitenweise darüber lesen, was das Erlebnis bei der Ich-Erzählerin an Spekulationen über ihre Familie und an paranoiden Gedanken über ihren Ehemann auslöst.
Das ganze vor der faden Kulisse einer anscheinend leblosen amerikanischen Hochschule.
Auf die beiden angekündigten Fortsetzungen bin ich nicht neugierig.
Profile Image for Uralte  Morla.
365 reviews112 followers
September 19, 2023
Eigentlich hat sie längst von ihr gewusst. Von der Halbschwester, die nach einer Lesung plötzlich vor ihr steht und ihr offenbart, dass sie den gleichen Vater haben. Ihre Mutter hat davon erzählt. Irgendwann mal. Doch die Ich-Erzählerin in Julia Schochs Roman "Das Vorkommnis" hatte es wieder vergessen.
Deswegen wirft sie diese "Enthüllung" auch ziemlich aus der Bahn. Zumindest innerlich. Äußerlich bleibt sie - bis auf die stürmische Umarmung, mit der sie die Halbschwester überfällt- eher ruhig.
Zwar stellt sie ihren Vater zur Rede, doch eine dramatische Auseinandersetzung oder ein emotionaler Ausbruch bleibt aus.
Ihr Blick jedoch ändert sich. Der Blick auf ihre Kindheit, das Verhältnis zu ihren Eltern und der älteren Schwester, mit der sie aufwuchs und die sie in einem Roman sterben ließ. Der Blick auf ihre eigene Familie, vor allem auf ihren Mann, die Ehe (eventuell eine kleine Vorausdeutung auf den, in diesem Jahr erschienenen zweiten Teil). Sie wühlt in alten Erinnerungen, betrachtet sie misstrauisch, überprüft sie, ordnet sie neu an. Reflektiert über ihre Lehrtätigkeit in Bowling Green (Kentucky, USA), über die Wendezeit und auch über das eigene Schreiben.
Julia Schoch schreibt all diese Reflektionen sehr nüchtern auf. Immer scheint eine große Distanz über dem Erzählten zu liegen und trotzdem (oder gerade deshalb?) hat sie mich emotional voll erwischt. Ich habe das Gefühl gehabt, mitten im Kopf ihrer Ich-Erzählerin zu sitzen. Ihr Blick war mein Blick, ihre Gedanken meine Gedanken.
Nachdenklich philosophisch sind die, verfasst in einer Sprache, in der ich gerne ertrinken würde, in Sätzen, die sich tief eingegraben haben.
Ich bin ein bisschen verliebt gerade und spreche eine dicke Leseempfehlung aus!
Profile Image for Elsbie.
29 reviews1 follower
July 7, 2025
Bookbeats:
Also ein stream of consciousness ist etwas, das ich tendenziell echt feier bc i can relate und die Sprecherin hat es echt sehr solide gecarried, aber: man muss halt schon bisschen Schokolade unter den Teig mischen.

Nur ein ewiger Fluss an Gedanken, die mir die Welt zwar schön erörtern, aber jetzt auch nicht absolut magische Erkenntnisse sind, kann schon eine Zumutung sein, denn ich lerne meine Protagonistin doch erst richtig kennen wenn ich ihren Innenbezug zu ihrem Außenauftreten abgleichen kann.

Mir fehlte echt eine aktive gegenwärtige Storyline, in der Menschen interagieren und die dem stream of consciousness mehr Dimensionen gibt.
Ich fand es war schon solide geschrieben, hab ja auch das letzte Buch von ihr gelesen (Liebespaar des Jahrhunderts), aber man muss halt Bock auf diesen Flow haben und ich glaub die Sprecherin hat‘s echt ausgemacht für mich. Inhaltlich war ich am Ende nach einer Hörpause echt was raus und hab tatsächlich das erste Mal leicht die Geschwindigkeit erhöht.

Basically: es passiert was, sie reflektiert über ihr Leben, und dann auf den letzten Seiten kommt‘s erst back to that original happening.
Profile Image for Stefanie.
154 reviews3 followers
April 18, 2025
Das "Vorkommnis" - die Begegnung mit einer Frau, die behauptet, die eigene Schwester zu sein - nimmt die Protagonistin im gleichnamigen Roman zum Anlass, die eigene Geschichte/Identität/Vergangenheit genauer zu betrachten und zu analysieren. Dabei wirkt sie nüchtern und distanziert, sodass ich zu keinem Zeitpunkt in die Erzählung eintauchen konnte. Und auch wenn ich beim Lesen über so manch wunderbaren Satz bzw. über einige zum Nachdenken anregende Überlegungen gestolpert bin, so blieben diese für mich doch die Ausnahme. Der Roman bzw. die "Biografie einer Frau" las sich für mich eher wie ein Rapport, wies keine nennenswerten Höhepunkte auf und blieb somit weit unter meinen hohen Erwartungen.
178 reviews10 followers
August 31, 2023
Ausgehend von einem Aufeinandertreffen der Protagonistin und ihrer Halbschwester erzählt die Protagonistin von Familie, Zugehörigkeit, Vertrauen und Nicht-Vertrauen. Der Stil von Julia Schoch ist poetisch und pointiert. Sie trifft einen Nerv bei mir, indem sie Situationen in Worte fasst, die ich nicht finden könnte. Jedoch passiert in dem Roman absolut nichts. Erzählt wird episodenhaft aus dem Leben. Die Episoden bauen nicht zwangsläufig aufeinander auf, mal stehen andere Episoden zwischen zusammengehörenden Szenen, mal werden Nebensächlichkeiten erzählt. Sprachlich ein tolles Buch, mit fehlte nur die Handlung.
188 reviews2 followers
February 22, 2025
Das Buch lässt mich etwas verwirrt zurück. Es hat keine wirkliche Handlung, keinen roten Faden, der sich durch den Text zieht. Trotzdem hat der Text einen Sog entwickelt, der mich das Buch zu Ende lesen ließ. So eine Art "Geschichte" habe ich bisher noch nicht gelesen. Es ist eher eine Aneinanderreihung an Gedanken. Die Lektüre selbst war eine besondere Erfahrung, obwohl die Themen selbst alltäglich, "normal" sind. Was ich insgesamt aus dem Buch mitnehme, kann ich nicht genau sagen. Ich behalte eher einzelne Fragmente in Erinnerung als ein umfassendes Fazit.
Profile Image for franzi.
48 reviews1 follower
April 18, 2025
Hohe Erwartungen gehabt, die leider nicht getroffen wurden. Die Erzählung hat nie wirklich an Fahrt aufgenommen, die Ich-Erzählerin hat sich so oft ablenken lassen und kam nie zum Punkt. Am Ende des Buches frage ich mich, was ich Neues erfahren habe. Trotzdem beschreibt Julia Schoch sehr gut die Zerfließung der eigenen Gedanken und des beginnenden Wahnsinns. Naja.
Profile Image for Sara Budarz.
900 reviews36 followers
July 30, 2025
A short German novel that was so enjoyable to read,l! It is in part the story of an academic spending a semester as a visiting fellow in Ohio and in part the story of someone who in midlife finds out they have a half-sibling they never knew anything about. The writing style is lovely - especially as an audiobook.
Profile Image for Maria.
252 reviews29 followers
May 30, 2022
Wer Annie Ernaux mag, wird dieses Buch auch mögen, auch wenn ich lieber mehr über das Bratkartoffelverhältnis erfahren hätte, und mehr aus Sprachfreude (es ist schön geschrieben) als aus Protagonistinneninteresse weitergelesen habe.
Profile Image for Lisa.
23 reviews
November 3, 2025
Zerrissen, depressiv, neblig. Ein Vorkommnis, welches eine Frau zum Nachdenken bringt. Während die Geschichte linear voranschreitet, schweift die Protagonistin immer wieder aus, in Erinnerungen versunken an ihre Kindheit in der DDR, über ihre Mutter, ihren Vater, ihre Kinder, ihren Mann. Bruchstückhafte Erinnerungen, Gedankenfetzen wechseln sich mit Erlebnissen ab. Offen, ehrlich, aber depressiv.
805 reviews7 followers
February 21, 2022
Eine Familiengeschichte spezieller Art
Im Rahmen einer Lesereise in Norddeutschland kommt es zu einem besonderen Vorkommnis während des abschließenden Signierens von Büchern im Gemeindehaus: Eine weibliche Person stellt sich ihr zaghaft als ihre Halbschwester vor. Insgesamt folgt ein Plädoyer für die Familie als ein Ort des Verzeihens, frei von moralischen Erwägungen.
Es geht sehr oft um Gefühle, z. B. um Gefühle der Verschiedenheit als Kind beim Besuch der Verwandten in Westdeutschland und deren luxuriösem Leben im Vergleich zu ihrem in Ostdeutschland.
Nachträgliche Gedanken zur Brieffreundschaft mit einer Schülerin im Ural, Russland erwägen einen heimtückischen Betrug eine Hinterlist des ostdeutschen Spitzelsystems, um in solchen kindlichen Briefen vielleicht hinterlistig an Informationen über ihre Familie zu gelangen.
Politisch motivierte Gedanken zur Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976, zur offenen Bespitzelung von Christa Wolf 1979 durch die Stasi reihen sich ein neben Erinnerungen an den Herbst 1989, dem Jahr des Umbruchs, den täglichen Meldungen über Rücktritte von Politikern, über Spitzeltätigkeiten bestimmter Personen, denen man vertraute.
Das Loslösen von dieser eigenen Vergangenheit scheint im Erwachsenenalter nicht zu glücken, denn viele solcher Gedanken führen den Leser in eine DDR-Vergangenheit, in eine an sich sorglose Kindheit. Jedoch hat sich die Ordnung dieser alten Welt des Kindes durch die Wende verflüchtigt. Daran ändert auch ein Aufenthalt an der Universität in Bowling Green, Ohio nichts, an der sie Lehreinheiten zur deutsch-deutschen Literatur abhält.
Profile Image for Julia Modde.
464 reviews23 followers
March 15, 2022
Auf der Suche nach dem verlorenen Motiv… oh man, das war eine zähe Lektüre. Die Protagonistin fühlt sich aus der Bahn geworfen von einem Vorkommnis, das am Ende durch ein bisschen Small Talk aufgelöst wird. Dazwischen viel jada jada um Verdächtigungen, Misstrauen, Verschwinden und Ahnungslosigkeit. Das Problem: nichts passiert, nichts kommt vor, nichts ereignet sich. Der Roman ist ein einziger Gedankenpalast der Hauptfigur mit nahezu keiner äußeren Handlung. Und das wäre wunderbar, wenn nicht alle Gedanken nur oberflächlich gestreift würden, nur als Bonmot dahin geworfen.
Auch nach der letzten Seite kenne ich die Protagonistin nicht wirklich, obwohl sie so viel von sich erzählen möchte. Schade, denn sie hat wunderbare Ideen, spannende Themen… mich als Leserin haben ihre Gefühle und Probleme aber nicht erreicht, was zum Großteil der distanzierten und verknappten Sprache verschuldet ist. Ich habe mich einfach nicht für die Hauptfigur interessieren können.
🫂📚

„Schon damals musste ich mir eingestehen, dass ich offenbar mit falschen Vorstellungen gelebt hatte. Die Vergangenheit war längst zu einem unberechenbaren Gewässer geworden, dessen Wellen von hinten angerollt kamen und mich jeden Moment zu überspülen drohten. Ich versuchte, nach vorn zu steuern, und dabei blickte ich unaufhörlich zurück, wie gelähmt von der beständigen Gefahr.“
713 reviews1 follower
June 20, 2022
Der Anfang: «An dem Tag, einem Dienstag im Dezember, war ich zu Gast im Kulturhaus einer norddeutschen Stadt und las aus meinem neuen Roman vor. Nach der Veranstaltung trat eine Frau zu mir an den Tisch, an dem ich noch sitzen geblieben war, um das eine oder andere Buch zu signieren. Sie schob mir ihr Exemplar hin. Während ich mich darüberbeugte und meinen Namen hineinzuschreiben begann, sagte sie:

Wir haben übrigens denselben Vater.»

Eine Schriftstellerin wird am Ende einer Lesung von einer Fremden angesprochen, die behauptet, sie hätten beide denselben Vater. Kommunikation zu Ende. Es gibt keinen Austausch zwischen den beiden, aber die Begegnung löst in der Autorin eine Welle von Emotionen aus. Fragen drängen sich auf, über Ehe und Mutterschaft, über Adoption und andere Familiengeheimnisse, über das Thema Wahrheit an sich.

Die Autorin zweifelt nicht am Wahrheitsgehalt der Aussage der Frau, denn sie weiß, dass es irgendwo ein anderes Kind gibt; ihre Mutter hatte davon berichtet – der Ausrutscher des Vaters. Die Mutter hatte durch Zufall den Beleg zu einer Unterhaltszahlung gefunden, damals noch in der DDR. Doch das Thema hatte sich erledigt, da die Mutter das Kind zur Adoption freigab, wohin auch immer, jeglichen Verpflichtungen war der Vater nun entbunden. Die Autorin ruft ihre Schwester an, doch die will davon nichts von der dritten wissen. Soll sie die Geschichte ruhen lassen oder recherchieren, Kontakt aufnehmen? Letztendlich entscheidet sich die Autorin, alles beim Alten zu lassen. Doch innerlich ist sie aufgewühlt.

«Ich erwähne diese alltäglichen Verrichtungen, weil die meisten überraschenden Vorfälle in unserem Leben gleichsam nebenbei passieren. Wir setzen nicht aus. Wir halten nicht inne.»

Autofiktional überdenkt die Icherzählerin das Konzept Familie, geht episodenhaft zurück in die ihre Familiengeschichte, die sich als brüchig erweist. Familie, Ehe, Mutter zu sein, DDR-Geschichte – ihre Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben geht über in eine fast hysterische Ablehnung gegenüber ihrem Ehemann. Die Autorin erhält nun einen Gastvertrag in den USA, wo sie an einem College deutsche Literatur lehrt. Mit Mutter und Kindern zieht sie sich dorthin zurück und die Distanz ermöglicht ihr, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, sich über ihre Zukunft klar zu werden.

«... in der es üblich war, dass die Eltern abends ausgingen, während die Kinder in der Wohnung zurückblieben.
In der es außerdem üblich war, dass ein Kind allein mit dem Rad zum Kindergarten fuhr. Einen Weg von beinah zwei Kilometern, der am Wald entlangführte und im Sommer durch den Zuckersand beschwerlich war, man musste absteigen und schieben.»

Interessant sind Kindeserinnerungen der Protagonistin, «der Klang dessen, was üblich ist». Ein privilegiertes Kind, das glaubte, die Familie sei reich – nach dem Mauerfall erst begriff sie, «was wirklich Reichtum ist». In diesen Strängen war ich bei der Autorin, Rückblicke in die Vergangenheit. Es ist keine fließende Erzählung, sondern eher eine essayistische Ansammlung von inneren Ansichten, teils recht sprunghaft, manches wirkt wie ein Tagebucheintrag. Ich war etwas erstaunt, weshalb die Autorin die kurze Begegnung völlig aus der Bahn geworfen hat. Nachvollziehbar, wenn sie von der Existenz der Halbschwester nichts gewusst hätte. Aber die Sache wurde eingehend in der Familie diskutiert, war detailliert bekannt – dann jedoch unter den Teppich gekehrt.

«Immer gibt es etwas, das mich zurückzieht, der Vergangenheit zu, einem Sumpf, dem ich vergeblich zu entkommen versuche.»

Die Ich-Erzählerin spricht den Lesenden direkt an, blättert sich auf. Der Lesende fühlt sich fast als stummer Therapeut, der geduldig den inneren Ängsten einer Frau lauscht, nicht weglaufen kann. Schriftstellerisch erstklassig geschrieben und mit klugen, präzisen Gedankengängen der Selbstreflexion hat mir der Roman gut gefallen. Inhaltlich konnte ich der Hysterie, in die sie sich hineinsteigert, nicht immer ganz folgen; die Protagonistin blieb mir weitgehend fern mit ihrem depressiven Sound. Sie nähert sich sich selbst durch das Schreiben; hält sich aber auf Distanz: spricht von ihrem Mann, dem älteren Kind und dem jüngeren Kind – Menschen, die ihr plötzlich fremd werden. Durch das Schreiben findet sie zur Struktur ihres Lebens zurück, kann sich gestärkt neu aufstellen. Ein interessanter Roman einer schonungslosen Selbstreflexion.

«Der Konjunktiv brach in mein Leben ein. Ich fing an, in einer Welt der Möglichkeiten zu leben, der Welt der Verdächtigungen und des Misstrauens.»


Julia Schoch, 1974 in Bad Saarow geboren, aufgewachsen in der DDR-Garnisonsstadt Eggesin in Mecklenburg, lebt nach Aufenthalten in Bukarest und Paris als freie Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihr von der Kritik hochgelobtes Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, auch für ihre Übersetzungen französischer Literatur. Nach ihrem Erzähldebüt «Der Körper des Salamanders» veröffentlichte sie Romane. Für ihr schriftstellerisches Gesamtwerk wird ihr 2022 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung verliehen.


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February 1, 2022
„Das ist nicht die Geschichte meiner Familie. Die Geschichte meiner Familie gibt es nicht. Da ist nur die Geschichte einer Verwirrung.“

Eine Schriftstellerin wird nach einer Lesung von einer Fremden angesprochen, die behauptet, sie hätten denselben Vater. Die Begegnung bleibt flüchtig, löst bei der Erzählerin aber eine Welle von Emotionen aus. Zunächst scheint der Vorfall keinen größeren Eindruck auf sie auszuüben: Sie geht ihren alltäglichen Tätigkeiten nach und fliegt kurz darauf zu einer Reihe von Gastvorträgen nach Ohio. Erst dort fängt das Erlebte an, in ihr zu arbeiten, sie setzt sich mit ihren familiären Beziehungen – und der Struktur der Familie im Allgemeinen – auseinander, beleuchtet die einzelnen Verknüpfungen und analysiert diese: Ihre Beziehung zu ihrer Schwester, zu der Mutter, dem Vater, dem Ehemann und den Kindern, aber auch der Eltern zueinander, der Halbschwester zu dem Vater und der Mutter. „Jahrelang habe ich über das Vorkommnis nachgedacht. Hin und wieder unternahm ich den Versuch, darüber zu schreiben. Ich ermahnte mich, dass ich nicht noch mehr Zeit verlieren dürfe, wenn ich darüber schreiben wollte. Dass mir die Erinnerungen daran sonst abhandenkämen. […] Erst jetzt kann ich mich zurückfallen lassen in jene Zeit, den Winter in Ohio, der der Anfang einer langen Phase war, in der ich unfähig wurde, etwas zu empfinden, zu denken und auf unbeschwerte Art zu leben, ja mir sogar die Sprache wegblieb, sodass ich mein Leiden einem Neurologen gegenüber nur mit den Worten beschreiben konnte, ich säße in einem „schwarzen Loch“, dem gewöhnlichsten aller Bilder, wenn man versucht zu erklären, dass man in einen ausweglosen Zustand geraten ist.“

Was die Erzählerin in den vorgehenden Sätzen beschreibt, ist eine Sinn- und Sprachkrise, in die sie nach der Begegnung mit ihrer Halbschwester fiel. Während des Lesens musste ich immer wieder an den fiktiven Chandos-Brief aus der Feder des österreichischen Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal denken – gleichsam wie der fiktive Lord Chandos in seinem Brief an Francis Bacon von einem Sprachverlust klagt – „Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen“ – schreibt hier eine Schriftstellerin über ihren Verlust der Sprache. Die Entwicklung der beiden Figuren ist dabei in drei Phasen einzuteilen: Die erste, vorkritische Phase, die als Schaffensphase bezeichnet werden kann; die zweite, krisenhaften Phase, die einen Bruch, eine Pause im Schreiben darstellt; und die dritte, quasi nachkritische Phase, in der das Erlebte und die eigene Reflexion wieder in Worte gefasst werden kann. Um die zweite Phase, die sinnsuchende Phase kreisen die Gedanken der Erzählerin in „Das Vorkommnis“.

So sucht sie in der Literatur nach Antworten – „Was meine jetzige Suche betraf, so schien das Thema Halbgeschwister vornehmlich in den Bereich der Groschenromane zu fallen. Deutete das Schweigen der Literatur an, dass ich es übertrieb? Suchte ich nach etwas so Gewöhnlichem, dass es gar nicht der Rede wert war?“ – in ihrer eigenen Vergangenheit, sowie in der Reflexion über ihre eigene Familie und die familiären Strukturen im Allgemeinen. „Damals schien mir das, was ich tat oder dachte, nicht Ausdruck einer Verwirrung zu sein. Im Gegenteil. In meinen Ausbrüchen und Grübeleien und geheimen Plänen sah ich eine größtmögliche Logik.“ Sie empfindet eine Art Unbehagen, je mehr sie über die Vorstellungen von Verwandtschaft und Herkunft nachdenkt. Auch muss sie feststellen, dass sie ihre eigene Geschichte revidieren muss, was sich als ein schmerzhafter Prozess herausstellt. Dabei geht es nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern auch die deutsch-deutsche Geschichte – bezeichnenderweise ist die deutsch-deutsche Trennung auch das Thema ihrer Gastvorträge in Ohio – und die damit verbundenenen Generationenkonflikte.

Obwohl ich mir viele Sätze aus diesem äußert dichten Roman herausgeschrieben habe, hat mir der folgende Satz wohl am besten gefallen: „Der Konjunktiv brach in mein Leben ein. Ich fing an, in einer Welt der Möglichkeiten zu leben, der Welt der Verdächtigungen und des Misstrauens.“ Die Erzählerin verlässt quasi ihren vorkrisenhaften Zustand, der von Harmonie und Akzeptanz geprägt war, um durch Leid und Erkenntnis in einen neuen desillusionierten und doch erfüllteren Zustand überzugehen. „Das Vorkommnis“ ist ein vielschichtiger und komplexer Roman, der zu eigenen Reflexionen animiert. Er ist zudem der erste Band einer Trilogie – ich freue mich schon auf die Folgebände!
Profile Image for Monika Caparelli-Hippert.
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February 10, 2025
Dieses Buch ist gerade die Monatslektüre in meinem Instagram-Lesekreis und daher habe ich es mir angeschafft. Insgesamt ist das eine Trilogie, ich hab erst mal nur hier den ersten Band gekauft, und war gespannt. Es gibt hierzu ja unglaubliche Lobeshymnen der Presse. »Ein literarisches Kunstwerk, ein virtuoses Meisterstück.« sagen Elke Heidenreich und die FAZ, und obwohl ich Elke Heidenreich toll finde – sorry, ich teile hier die Meinung ganz und gar nicht.
Okay, aber erst mal zurück zu dem knapp 200 Seiten dünnen Büchlein. Lässt sich recht gefällig durchlesen, prinzipiell keine allzu anspruchsvolle Lektüre, hab ich jetzt an 2 Tagen durch. Was soll ich jetzt zum Inhalt sagen? Das Vorkommnis ist schon im ersten Kapitel bzw. im Klappentext enthüllt. Ein Frau - eine Autorin – hält eine Lesung, und im Anschluss kommt eine fremde Frau vorbei, die den einen Satz sagt: „Wir haben denselben Vater.“. Die Begegnung selbst dauert wohl auch nicht allzu lange an, aber wird in den kommenden Jahren von der Autorin seziert bis zum geht-nicht-mehr. Ich habe in einer andere Rezension hier einen so guten Vergleich gelesen, dass ich ihn mir ausborgen muss: Der Ketchupflaschen-Effekt. Mit einem Schwung ist das Ketchup raus geflutscht aus der Flasche, und dann liegt es da auf dem Teller und dann kommt dann nix mehr groß. Das war es. Keine großen Nachforschungen, keine Familienzusammenführungen, nur endlose Betrachtungen und Sezieren dieses „Vorkommnisses“. Kurz nach diesem Ereignis hält sich die Autorin mit ihrer Mutter und 2 Kindern zu einer Gastprofessur in den USA auf, wo sie nicht so wirklich produktiv ist, weil sie permanent ebenjenes Vorkommnis beleuchtet. Das macht sie aber so distanziert, sorry, ich hab da keinerlei Nähe zur Frau gespürt.
Das Ganze war so distanziert, es war tatsächlich namenlos. Kein einziger Protagonist hat einen Namen. Es gibt die Mutter, den Vater, die erste Schwester, die zweite Schwester, und für mich ganz schlimm, das ältere Kind (etwa 6 Jahre) und das Baby. Das ist so gruselig wie diese Mode, auf social Media von seinen Kindern als „K1“, „K2“ etc zu sprechen. Wenn meine Eltern von mir als K1 gesprochen hätten, ich wäre mehr als nur ein wenig irritiert, aber das nur nebenbei.
Also ja, hier passiert nicht viel. Man kriegt ein paar fragmentarische Einblicke in das Leben der Autorin, die in den 70ern in der ehemaligen DDR groß wurde, und ja, das war teils durchaus interessant, aber niemals wirklich in die Tiefe gehend.
Kurze Kapitel, kurze Sätze, und ich hatte ständig den Eindruck, hier will jemand intellektuell sein. Wo kommt diese ganze Begeisterung der Presse her? Haben die das Buch überhaupt gelesen? Von einem „Sprachkunstwerk“ spricht die SZ – ich frag mich wo, ich hab es nicht gefunden, und ja, ich habe durchaus auch Literaturwissenschaft studiert, lang ist es her. Damals ist mir wirklich noch sprachliches Kunstwerk untergekommen.
Nun ja, sei es drum. Die beiden Nachfolgebände werde ich mir schenken. Der nächste Band heißt „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ - dieser Satz ist in diesem ersten Buch schon einmal gefallen in Bezug auf die Ehe der Autorin mit dem Vater ihrer Kinder. Nachdem ich aber jetzt hier schon ein paar Eindrücke in das eheliche Leben der beiden bekommen habe, denke ich, ich habe da andere Vorstellungen von.....die beiden vertrauen sich nicht so wirklich...ähem...sollte mit dem Liebespaar des Jahrhunderts tatsächlich die Lovestory dieser beiden gemeint sein, dann gute Nacht, da erwarte ich durchaus – nun ja, irgendwie mehr positive Emotion.
Okay, war definitiv nicht meins, hätte ich mir auch schenken können.
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February 18, 2022

Es gibt manchmal Texte, die einen leer und zugleich übervoll zurücklassen. "Das Vorkommnis" gehört dazu. Der Roman fordert den Leser auf einigen Ebenen heraus und thematisiert Probleme und Gedanken, die einem nur allzu bekannt vorkommen, denen man sich aber nur sehr bedingt in dieser Intensität aussetzen möchte.
Die Erzählerin wird durch das Vorkommnis - ein wunderbares Wort, das sowohl Zäsur als auch Banalität suggeriert - aus der Bahn geworfen. Sie trifft ihre Halbschwester, von der sie irgendwie ahnte, aber nicht wirklich wusste, und deren Zugehörigkeit zu ihr nur dadurch besteht, dass der Vater der Erzählerin sich auf der Geburtsurkunde hat eintragen lassen. Bewiesen ist die Verwandtschaft also nicht. Dennoch beginnt die Erzählerin durch die Existenz dieser möglichen neuen Schwester alles zu hinterfragen, ein auf der Spitze fast paranoides Misstrauen sich selbst und anderen gegenüber zu empfinden, den Wert von Erinnerungen auszutesten und ein Leben in Gedankenspiralen und Grübeleien zu führen.

Im Alltag der Erzählerin passiert eigentlich nichts Spektakuläres. Auslandsmonate in den USA ziehen an ihr vorüber, aber sie scheint nur zu funktionieren, während sie sich ihrem eigenen Denken immer stärker annähert, ihr Dasein und ihre Beziehungen in Zweifel zieht.

Als Leser hat man es mit der Erzählerin schon recht schwer, denn sie ist so in sich selbst verstrickt, in einer konstanten Auseinandersetzung mit sich, dass kein Raum für "normales Leben" bleibt. In ihrem Hadern und Hinterfragen schwankt sie zwischen Teilnahmslosigkeit und Selbstzerstörung. Auch wenn auf diese Weise eine Identifikation mit der in ihrer Selbstwahrnehmung schonungslosen und fast schon brutalen Erzählerin ausgeschlossen wird, der Leser konsequent auf Distanz gehalten wird, kann man sich doch einer Betroffenheit nicht entziehen, denn der Roman bewirkt auch beim Leser eine Auseinandersetzung mit den Konzepten von "Vergänglichkeit" und "Erinnerung", mit der Fragestellung, was passiert, wenn alles, worauf man vertraut, umgestoßen wird.

Der Text ist mitnichten positiv oder fröhlich, im Gegenteil, es handelt sich um einen extrem intensiven, sehr dichten und (emotional) fordernden Text, dessen Schluss für den aufmerksamen Leser eine unglaublich gelungene Überraschung im Hinblick auf Lesererwartungen und Gattungszugehörigkeit bietet. Ich bin nicht restlos begeistert, es ist einfach kein schönes Buch, aber trotzdem ein gutes. Ein Lesetipp für alle, die viel Nachdenken, intensive Auseinandersetzungen und Selbstsektion zu schätzen wissen und sich auf das Abenteuer der Autofiktion einlassen wollen.
Profile Image for Franzi.
181 reviews1 follower
January 30, 2022
Auf einer Lesung wird eine Frau, eine Autorin, von einer ihr fremden Frau angesprochen. Sie eröffnet ihr, dass sie den gleichen Vater haben. Noch am gleichen Abend trennen sich ihre Wege wieder, ohne das sie länger miteinander gesprochen haben. Diese Begegnung wird von der Protagonistin als "das Vorkommis" bezeichnet. Es ist ein Auslöser für ein sich drehendes Gedankenkarrussel. Jeder in der Familie hat eine eigene Meinung dazu, wie mit der veränderten Situation umzugehen ist. Jeder hat eine andere Strategie um das vor langer Zeit Geschehene für sich zu verarbeiten. Auch eine berufliche Reise in die USA stellt für die Protagonistin eher eine Flucht dar. Fliehen, Abstand bekommen, nicht daran denken müssen.

Die Protagonistin, ihre Kinder, ihre Familie - alle bleiben namenlos. Und für mich auch irgendwie konturlos. Es ist mir nicht gelungen, diesen Figuren für mich ein Gesicht zu geben. Sie werden auch eher abstrakt beschrieben, z.B. "das ältere Kind". So sehr auch über das vorliegende Gefühlschaos berichtet wird, in dem die Erzählerin sich befindet, so bleibt bei mir trotzdem eine gewisse Distanz erhalten. Ich habe das Gefühl, die Autorin möchte mir zwar ihre Geschichte erzählen, mich aber gleichzeitig trotzdem nicht zu nah an sich heranlassen.
Dabei ist das Erzählte alles andere als belanglos. Die Protagonistin lässt ihr Leben gedanklich Revue passieren und stellt dabei auch ihre familiären Beziehnungen auf den Prüfstand. Für meinen Geschmack schießt sie dabei in Bezug auf ihren Mann allerdings gewaltig übers Ziel hinaus.
Dabei schreibt sie einige sehr schöne und vor allem sehr kluge Sätze, die mich als Leser unwillkürlich inne halten lassen. Und darüber nachdenken lassen, wie es denn in der eigenen Familie so ist. Oder wir man selbst gehandelt bzw. gefühlt hätte.

Allerdings hatte ich im Verlauf das Buches das Gefühl, dass sich die Gedanken wiederholten und man sich im Kreis drehte. Manche Einwürfe aus ihrer Kindheit oder Begebenheiten aus ihrem Leben konnte ich nicht so recht in Zusammenhang mit den aktuellen Situation bringen. Wobei das auch daran liegen mag, dass ich um einiges jünger als die Autorin bin und mir schlicht und ergreifend die für das Verstehen notwendige Lebenserfahrung fehlt. Ein Umstand, für den die Autorin absolut nichts kann.

"Das Vorkommnis" bildet den Auftakt einer Trilogie. Ich hatte mir aber etwas anderes versprochen. Es ist ein gutes Buch. Tiefgründig und authentisch, subtil und nachdenklich machend. Aber es hat mich leider nicht restlos begeistern können.
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