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Dry

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Dry handelt vom Trinken und wie es ein Leben bestimmt. Und es handelt vom Aufhören. Dass sich eine Frau aus der Abhängigkeit ins Schreiben begibt. Klar tritt sie eine Reise in die Kindheit, zum früh verstorbenen Mann, zu den eigenen Rollen als Mutter, Geliebte, Tochter an.

Christine Koschmieder scheint immer alles geschafft zu Sie hat den Tod ihres Mannes verarbeitet, drei Kinder großgezogen, Karriere im Kulturbetrieb gemacht. Heimlich geholfen hat ihr dabei der Alkohol. Doch mit Ende 40 weiß sie nicht mehr weiter und liefert sich in eine Suchtklinik ein. Dort begibt sie sich auf Spurensuche. Ist der Krebstod ihres Mannes wirklich der Grund für ihre Abhängigkeit, oder liegen die Wurzeln nicht viel tiefer?

Christine Koschmieder hat einen mutigen autofiktionalen Roman geschrieben, der unter die Haut geht. Radikal ehrlich und mit literarischer Meisterschaft erzählt sie von sich und von uns. Dieses Buch ist eine Mutprobe.

300 pages, Hardcover

Published August 17, 2022

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Christine Koschmieder

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Displaying 1 - 14 of 14 reviews
Profile Image for Elena.
1,031 reviews413 followers
August 21, 2022
"Weil eine Abhängigkeit sich nicht an Menge, Häufigkeit oder Regelmäßigkeit des Alkoholkonsums festmachen lässt. Und schon gar nicht an seiner Auffälligkeit. Weil er viel hinterlistigere Schäden anrichtet. Schäden, die sich oft erst Jahre später zeigen, die viel mit Ehrlichkeit und Beziehungsgestaltung und Vertrauen und Verlässlichkeit und Bindungsfähigkeit zu tun haben." - Christine Koschmieder, "Dry"

Christine Koschmieders Buch beginnt und endet in der Suchtklinik. Es soll ein Zeitstrahl angefertigt werden, an der horizontalen Achse sollen alle Ereignisse vermerkt werden, die im Leben der Protagonistin eine Bedeutung hatten, oberhalb der Achse soll der jeweilige Alkoholkonsum zu dem Zeitpunkt markiert, am Ende die Punkte verbunden werden. Das tut die Autorin dann auch - über ein ganzes Buch hinweg. Sie schildert ihre traumatische Kindheit mit zwei alkoholkranken Eltern, erzählt von deren Scheidung, ihren eigenen drei Kindern, ihren Wohnortwechseln, ihrer großen Liebe und dem alles verändernden Verlust. Immer mit dabei: Der Alkohol.

"Dry" ist die literarische Auseinandersetzung in Romanform der Autorin mit ihrer eigenen Alkoholsucht. Es ist ihre Geschichte, wie sie dem Roman voran stellt - und das hat mich sehr beeindruckt. Ihre Offenheit zieht sich durch das gesamte Buch, sie scheut weder Traurigkeit noch tiefes Leid, trotzdem zeugt der fiktionalisierte Bericht ihres Lebens auch von vielen Träumen sowie Hoffnungen - und vor allem von ihrem Mut. Trotz der eindrucksvollen Ehrlichkeit von Christine Koschmieder hat mich das Buch letztlich nicht ganz erreichen können. Vielleicht lag es an der Art des Erzählens, an der Romanform, oder auch am Stil Koschmieders, dass mich die Lektüre irgendwann im Laufe ihrer 250 Seiten verloren hat. Für mich bleibt "Dry" damit ein durchaus wichtiges Buch, das ein Problem unserer Gesellschaft auf individuellster Ebene aufgreift und ein guter, sehr persönlicher Text, der zum Nachdenken anregt, aber in seiner Ausführung nicht das, was ich mir von einem Roman erhoffe - dass er mich mitnimmt, berührt und fesselt.

Hinweis: Es wird das I-Wort verwendet.
Profile Image for Julia Modde.
464 reviews23 followers
February 22, 2023
Die Erzählerin hat ein Nähe-Problem, sagt sie über sich selbst. Und das Betörende an diesem Text ist: für uns schält sie sich aus dem Problem heraus und holt uns Seite für Seite näher an sich heran. Verletzlichkeit und Authentizität saugen in diesen autofiktionalen Roman hinein, dazu eine tolle Sprache - klar und schön.

„Kein wildes Leben mehr, keine Betrunkenen Straßenbahnfahrten weit nach Mitternacht, keine rauschhaften Gespräche, die die Verzweiflung über die eigene Trägheit und die Unwandelbarkeit der Dinge ins Wanken bringen könnten, die mir einen rettungsanker in dje beschissene Beliebigkeit würfen. Ach, Karl, wach auf und mach, dass das Mutterglück meine Ansprüche wegschwemmt und ich mich vorwurfsfrei mit dir vor den Fernsehfilm der Woche legen kann.“

„[…] und irgendwann nackt waren und im Bett lagen und uns gegenseitig ineinander untergebracht haben auf eine Art und Weise, die sich gut anfühlte und das Vertrauen wachsen ließ, damit wir miteinander weitermachen und weiter gehen zu wollen.“

„Drei Monate lang lebe ich mit Simon Bedingungslosigkeit und Ewigkeit und trinke den Chardonnay mit der Schlange auf dem Etikett und dem gelben Schraubverschluss und verschließe die Augen vor der Realität, weil ich das so sehr will, die Bedingungslosigkeit und die Ewigkeit und die Fiktion. Und als ich die Augen aufmache, ist Simon weg und nur noch der Chardonnay mit der schwarzen Schlange auf dem Etikett da.“

„Genauso verhält es sich mit dem, was im Therapiejargon >>erlaubnisgebende Gedanken<< heißt. >>Es ist ein Brauch von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör<<, hat schon Wilhelm Busch erlaubnisgebende Gedanken in Versform gegossen: die Kombination eines Zustandes mit der Notwendigkeit, zu trinken. Auf den Social-MediaKanälen von Müttern heißt das heute >>Mommy needs Vodka<<.“

„es fühlt sich ein bisschen so an, als würde ich eine neue Sprache lernen, eine, bei der ich nicht mehr ständig in die Metaphern-Tüte greifen muss wie in eine Tüte mit Karamellbonbons.“
41 reviews2 followers
August 25, 2022
Jetzt habe ich keine Lust mehr Alkohol zu trinken! Und es bestätigt meine Einstellung schon seit einiger Zeit: der Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft wird verharmlost, man erhält ihn viel zu leicht und Alkohol zu trinken ist viel zu sehr gesellschaftlich akzeptiert. Leute, Cannabis wird verteufelt und eine Flasche Korn wird mir bei Aldi für 6 Euro hinterher geworfen! Da läuft was schief!
Profile Image for Estrelas.
931 reviews
May 14, 2023
Christine Koschmieder verarbeitet ihre eigene Geschichte in Romanform. Die frühesten Erinnerungen stammen aus ihrer Kindheit ab 1982, die jüngsten sind kaum drei Jahre her.
Es geht um die persönlichen Kämpfe, wie den gegen die Krebserkrankung des Partners, um Emanzipation, um Alkoholabhängigkeit. „Mein Leben, das ich bisher als griechische Tragödie mit hohem Hollywoodanteil gelesen habe, so eine, in der die Götter ständig im Drehbuch rumpfuschen.“
Das Buch ist unterteilt in Abschnitte, die bestimmte Zeiträume abdecken, aber nicht chronologisch aufeinanderfolgen. In kleinen Episoden lernen wir die Ich-Erzählerin ausreichend kennen, um zu verstehen, welche Umstände sie in die Entzugsklinik bringen. Die dort verbrachten drei Monate bilden sowohl tragischen Höhepunkt als auch Versöhnung mit der Vergangenheit.
Die Tragikomik des Lebens erhält durch die Protagonistin eine authentische Stimme, der ich gerne zuhörte; Koschmieders geradliniger Erzählton, der ganz ohne Effekthascherei auskommt, geht ans Herz und überzeugt.
Profile Image for Redbugbooks.
9 reviews2 followers
August 29, 2022
“Dry” von Christine Koschmieder

“Dry ist ein Roman, kein Memoir, kein Sachbuch”, schreibt Christine Koschmieder in einer Vornotiz zum Buch und weist ausdrücklich darauf hin, dass die Kinder – die in den Roman sehr viel Raum einnehmen – nicht Oleg, Tillie und Karl heißen. Und widmet es Karenin, Lotta und Mattis. Mit dem Zusatz: Ein paar mehr Antworten, ein paar mehr Fragen.

Dry von Christine KoschmiederDer Verlag sagt über das Buch: “ein mutiger autofiktionaler Roman”. Autofiktion interessiert mich, uns hier auf dem Blog. Die Vermischung von Realität, Memoir, Autobiographie und dem Schreibprozess. Denn Leben und Schreiben sind für Autor:innen in der Regel eng miteinander verbunden.

Das Buch liest sich extrem gut und flüssig. Koschmieder hat einen eigenen Sound, knapp, ohne jede Eitelkeit. Manchmal ein wenig harsch sich selbst gegenüber, aber so ehrlich, wie man ehrlich sein kann, wenn man sich selbst beobachtet. Ein gut geschriebenes Buch von einer Autorin, die das Schreiben versteht. Dieses Buch kann ich sofort empfehlen, insbesondere, wenn einen das Thema interessiert. Und doch bleiben für mich einige Fragen offen, die sowohl die Ausführung, den Umgang mit dem Thema als auch die Einordnung in die Gegenwartsliteratur betreffen. Das mag nur etwas für Literatur-Nerds wie mich sein, wer mir hier weiter folgen mag – gerne.

Was für ein Buch

“Wild poetisch, cool, politisch, persönlich und heilsam. Was für ein Buch!” Isabel Bogdan

Was für ein Buch!, sagt Isabel Bogdan und ich habe mir eine ähnliche Frage gestellt, nur anders betont: Was für ein Buch – ist das eigentlich? Wo gehört es hin, wo würde man es einordnen? Denn nach dem Lesen, weiß ich sicher, was es alles nicht ist. Oder nicht so ist, wie man es erwartet. Und das macht das Buch in gewisser Weise aus. Dass es sich nicht einordnen lässt, sich gegen alles sperrt, was man aus ihm herausziehen will: Informationen, Gefühle, Antworten, Erkenntnisse, Ausblicke. Koschmieder nennt es einen Roman – Ist es ein Roman?

Was macht sie anders. Was lässt sie weg? Und einmal ganz naiv gefragt – worum geht es in diesem Roman? Nicht nur oberflächlich, sondern tiefer gehend. Und – ich sage es noch einmal – allein, dass diese Fragen bei mir aufpoppen, ist schon eine große Leseempfehlung.

Handelt DRY vom Trinken?

“Dry handelt vom Trinken und wie es den Lebenslauf bestimmt. Und es handelt vom Aufhören.” (Klappentext)

Hm. Handelt das Buch wirklich vom Trinken? Eigentlich nicht. Das ist eine Erleichterung, denn den Alltag und dann meist Abstieg oder Absturz von Süchtigen zu verfolgen, ist schmerzhaft. Ich denke an Panikherz, den autobiografischen Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre, der 2016 bei Kiepenheuer & Witsch erschien. Man ist nicht wirklich gerne dabei, auch wenn auch von Stuckrad-Barre so gut schreiben kann, dass man dranbleibt, eintaucht.

Christine Koschmieder DryUnd doch macht es das “Genre”(Suchtbücher?) aus. Die Schilderung des schillernden, überhöhten oder deprimierend eintönigen Alltag, in dem Alkohol oder eine andere Droge anfangs zum Spaß konsumiert werden. Der Wunsch nach Aufmerksamkeit, das Gefühl der Überforderung, es gibt viele Gründe. Bücher zum Thema Alkoholsucht handeln von den Krisen, in denen der Alkohol zum Betäubungsmittel wird. Den Weg in die Sucht, mehr und mehr, bis zum endgültige Tiefpunkt, der dann die Umkehr, den Entzug möglich macht.

Doch das ist hier anders. Ich könnte sofort etliche Bücher nennen, in denen mehr getrunken wird, “man” ständig betrunken ist, ohne, dass es ein Thema wäre. Und ich muss dafür noch nicht mal bis in den Norden zu Espedal, Fosse und Lindstrøm gehen. Kurz gesagt: Ich habe hier überhaupt kein Suchtverhalten entdecken können. Hier und da mal ein Glas Wein mit der Freundin, was sehr normal in die Handlung eingefügt wurde.

Wenn dies also ein Buch über “Das Trinken” ist – dann ist die Frage, wo und wann es stattgefunden hat? Doch vielleicht ist genau das gewollt. Es wurde mehr oder weniger vor der Außenwelt verborgen, es wurde vor dem Selbst verborgen – bis es nicht mehr ging. Das konsequente Verschweigen der Präsenz von Alkohol in diesem Buch, das den Alkohol oder das “Trocken werden” thematisiert, hat mich trotzdem bis zum Schluss irritiert.

Worum geht es in Dry?

Dry hat eine besondere Gliederung, Komposition und Kapitelaufteilung, die mir gut gefällt. Es gibt drei Teile, die sich mit Jugendzeit, Kindheit/Mutter sein und dem Aufenthalt in einer Suchtklinik beschäftigen. Dem ersten Teil ist ein kurzes Kapitel, der Einblick in den Alltag der Klinik, vorangestellt, sodass eine Art Rahmenhandlung entsteht. In diesem vorangestellten Kapitel wird die Aufgabe beschrieben, die man den Insassen/Kranken/Süchtigen – hier fehlen eindeutig ein paar bessere Worte in der deutschen Sprache – aufträgt: Schreibt eure Lebenslinie. Was so viel heißt wie: Tragt auf der horizontalen Linie eure wichtigen Lebensereignisse ein und auf der Vertikalen den Alkoholkonsum. Alles klar, da könnten wir wohl alle mitzeichnen, egal ob wir süchtig sind oder nicht. Denn in schwierigen Lebenssituationen entgleitet einem das Leben leichter.

Christine Koschmieder erzählt uns nicht, was sie auf der Lebenslinie eingetragen hat, das erfahren wir in den folgenden Kapiteln. Diese machen große Sprünge, gehen auch mal zurück in die Kindheit oder vor in die Gegenwart. Sehr dankbar bin ich daher für die Kapitelüberschriften, die mir immer die gleichen Informationen geben: Um welches Jahr es sich handelt, in welcher Straße die Protagonistin gewohnt hat, in wie vielen Zimmern und mit wem. Beispiel:

Totale Sonnenfinsternis (1999) Lützowstraße, 4 Zi, mit Nina, Luc und Karl

Die Kapitelüberschriften machen auch gleich klar, wo hier und im ganzen Roman der Schwerpunkt liegt. In den Lebensumständen/Wohnorten und Lebensbegleiter:innen: Partner, Freundinnen, Eltern, Kinder. Bevor ich diesen Gedanken weiterspinne, ein kleiner Einschub:

Alkohol, Frauen, Arbeitswelt

Kristi CoulterSchon seit ein paar Jahren – und wie immer sind uns die angloamerikanischen Länder ein wenig voraus – gibt es eine Debatte um Alkoholkonsum bei Frauen und ein Outing von Frauen, deren Alkoholkonsum stark mit ihrer Arbeit, der Arbeitswelt, in der sie sich befinden und ihrem Arbeitsverhalten zusammenhängen. Vielleicht konkreter gesagt: Mit dem Wunsch oder dem Versuch, in einem Patriarchat zurecht zu kommen, mit allen Ups and Downs.

Ich habe eine gute NDR-Dokumentation darüber gesehen. Alkohol: Erfolgreiche Frauen und die Sucht.

In der Doku erklärt ein Arzt: Frauen, die in die Arbeitswelt eintreten, bekommen jetzt die Probleme, unter denen viele Männer schon länger leiden. Einsamkeit, viel unterwegs sein, sich an der Bar mit Kollegen betrinken, Deadlines nur mit Alkohol bewältigen. Alkohol wird zum Tröster, später zum Problem.

Hier möchte ich auch ein paar Bücher empfehlen, obwohl der Markt gerade überflutet mit Erkenntnisse ist – doch für Kreative ist es eben immer ein wenig anders, daher von mir:

Holly Whitaker: Quit Like a Woman: The Radical Choice to Not Drink in a Culture Obsessed with Alcohol Bloomsbury Publishing. 2020)
Kristi Coulter: Nothing Good Can Come from This: Essays MCD x FSG Originals. 2018
Kristi Coulter: Klar im Kopf: Warum ich aufgehört habe, mir das Leben schönzutrinken. Goldmann Verlag. 2019
Kristi Coulter wird in Koschmieders Buch erwähnt, also vielleicht der beste nächste Tipp nach diesem Buch, wenn das Thema relevant ist.
Das Leben dazwischen

Zurück zu Koschmieder, zu ihrem Buch. Und der Widmung. Ein paar mehr Antworten, ein paar mehr Fragen. Diese Fragen und Antworten, möchte sie den drei Menschen geben, denen sie das Buch widmet (vielleicht ihren Kindern). Das erinnert mich an das 12 Stufen-Programm von Alkoholikern.

8. Auflistung aller Personen, denen man Unrecht getan und Schaden zugefügt hat, und die Bereitschaft und den Willen zur Wiedergutmachung entwickeln.
9. Wo immer möglich, diese Personen entschädigen, außer, wenn sie oder andere dadurch verletzt würden.
Der zumeist private Weg, sich mit allen Menschen auseinanderzusetzen, den man durch sein Suchverhalten Schaden zugefügt hat. Ein paar mehr Antworten …

Das ist interessant, denn ich als Leserin – habe erstmal keine Fragen. Wieso auch? Für mich ist Christine Koschmieder – okay. Totally fine. Wenn ich in ihren Wikipedia-Eintrag gehe, dann finde ich ein interessantes Leben:

Koschmieder studierte Intercultural Communication and European Studies sowie Theater-, Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig. Seit 2003 betreibt sie die Literaturagentur Partner + Propaganda für zeitgenössische Literatur aus Deutschland, (…) Koschmieder ist Mitglied im Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren. Außerdem macht sie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Non-Profit-Organisationen.[3] 2013 war sie Stipendiatin der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.

Ihr Debütroman Schweinesystem war 2014 unter den sieben Finalisten für den aspekte-Literaturpreis[4][5] und für den Hallertauer Debütpreis nominiert.[6] Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung stellte es im Herbst 2014 unter den sechs wichtigsten deutschen Debüts vor.[7]

Ich zitiere das hier so lange, weil all das, nichts von dem, in ihrem Roman vorkommt. Und das ist tatsächlich ungewöhnlich für einen Roman, der vom Verlag autofiktional genannt wird. Das kennen wir so gut von Knausgård, Melle und Lehn und und und. Dass es in ihren autofiktionalen Bücher so direkt um den Alltag geht, so ehrlich und so offen, und dass das Schreiben – das ja offensichtlich gerade stattfindet – immer mit thematisiert wird. Schriftsteller:innen schreiben, bekommen Preise, haben Lesungen. Besonders, wenn sie wie Koschmieder ein Teil des Kulturbetriebs sind. Koschmieder hat sogar eine eigene Literatur-Agentur. Nichts davon?

Doch, doch, sie redet schon manchmal von Studium oder dem Schreiben – aber nicht so. Es ist nie der Mittelpunkt ihres Lebens. Also habe ich doch eine Frage: Wieso geht es in Koschmieders Roman nie um das Schreiben, die Freude über Preise, Anerkennung, die Arbeit in ihrer Agentur, andere Schriftsteller:innen, den Verlag?

Das Leben dazwischen

Eine Antwort – die ich nicht unbedingt mag – könnte sein: So ist das eben für Frauen. Ihr Leben spielt sich häufiger dort ab, wo keine Preise vergeben werden, keine Deals geschlossen werden, wo Kinder zu versorgen sind, besonders, wenn man alleinerziehend wie Koschmieder ist. Immer noch?, mag man hier fragen? Tatsächlich fehlt vielen Frauen, die in die Alkoholabhängigkeit abdriften, gerade das. Ein familiäres Umfeld, eine Partner:in, Geborgenheit, Freund:innen.

Christine Koschmieder hatte das, beschreibt das. Freund:innen, Kinder, Partner. Wieso hast du – Christine Koschmieder – angefangen zu trinken? Nicht wie von Stuckrad-Barre, weil dir der Fame über den Kopf gestiegen ist, der Glamour, die Umgebung von anderen, die ständig trinken und sich besaufen, sondern eher, weil dein Privatleben so fordernd war? Mit drei Kindern von drei Männern und einer großen Liebe, die mitten im Leben gestorben ist?

Ich sehe zu “Dry”, dem Buch, das gerade neben mir liegt. Hardcover, farbige Banderole, 24,70 Euro. Ein guter Kandidat für einen weiteren Preis, weitere Stipendien.

Ich lese den Dank am Ende des Buches, der mit Klinikinsassen und Familienmitgliedern beginnt, dann an Suchtberaterin und einem Psychologen geht. Dann an befreundeten Schriftsteller:innen und Vorableserinnen und schließlich, im letzten Abschnitt, an den Verlag und die Mitarbeiter dort gerichtet ist.

Das ist sie wohl die Antwort. Die Reihenfolge, in der Koschmieder ihr Umfeld, ihre Leben sortiert. Das Private, die Menschen in der unmittelbaren Umgebung vorweg, das Hilfssystem danach und ganz zum Schluss, das, was einige Arbeit nennen, andere Bestimmung, Kreativität, Selbstverwirklichung,

Es folgt eine Liste mit Literatur und ein Tipp, wo man Hilfe findet.

Ich mag das Buch. Ich finde, es ist weder ein Roman, noch ein autofiktionales Buch. Kategorien langweilen mich, also ist das keine Wertung. Koschmieder sagt, es ist kein Sachbuch, es ist kein Memoir. Im Internet finde ich:

Ein Memoir ist ein erzählendes Sachbuch, also keine fiktionale Erzählung. Menschen – in der Regel Frauen – schreiben ihre ungewöhnliche Lebensgeschichte auf. Memoirs sind immer Ich-Erzählungen von nicht Prominenten.

Ich stimme zu, Dry ist mehr als ein erzählendes Sachbuch. Es sticht aus den Büchern über das Trinken und Aufhören hervor, mit einem anderen Ansatz. Es geht um Selbstwert und Selbstvertrauen. Um das Leben außerhalb von Arbeit und Öffentlichkeit. Um Familie, Freunde:innen, das Leben an unterschiedlichen Orten und in Wohnungen, mit mehr oder weniger Zimmern. Es geht um das, was Menschen unabhängig von Ruhm und Prominenz, Arbeit und Arbeitswelt zum Trinken bringt.

Bücher von Christine Koschmieder

Dry, Roman. Kanon Verlag, Berlin 2022
Trümmerfrauen. Ein Heimatroman. Edition Nautilus, Hamburg 2020.
Schweinesystem. Roman. Blumenbar, Berlin 2014.


Profile Image for fyrtorn .
101 reviews1 follower
October 19, 2022
Die Besprechung im literarischen Quartett und das Thema des Buchs haben mich neugierig gemacht, sodass ich mir das Hörbuch anhörte.
Die Autorin verarbeitet hier sehr persönlich ihre Alkoholsucht, doch der Fokus liegt mir viel zu oft auf vermeintlichen Details, die für den Lauf ihrer Geschichte kaum Relevanz haben, gerade die Schilderungen aus ihrer Kindheit und Jugend. Sehr eindringlich beschrieben ist dafür der Tod ihres Mannes, das hat mich wirklich berührt. Wie aber schon gesagt hält sich die Erzählung für meinen Geschmack deutlich zu oft an Kleinigkeiten auf, und das eigentliche Hauptthema, ihre Sucht, wird lediglich im letzten Drittel wirklich in der Vordergrund gerückt. Am Ende war ich regelrecht erleichtert, es hinter mich gebracht zu haben.
Profile Image for Diana (buecher.berge).
150 reviews12 followers
January 17, 2023
»Wir liegen auf dem Holzpodest, das die ganze Breite unseres schmalen Schlafzimmers einnimmt, und beweinen das Kind, das nicht zu kriegen wir uns entschieden haben, damit ich nicht in sechs Monaten ein durch die Chemokonzentration in deinen Zellen möglicherweise schwerstgeschädigtes Kind zur Welt bringe, das seinen Vater vielleicht nicht mehr kennenlernen wird.«
In ihrem autofiktionalen Roman verarbeitet Christine Koschmieder die Geschichte ihres Lebens. Auf den ersten Blick hat sie so viel erreicht hat: Sie hat den Tod ihrer großen Liebe verarbeitet, drei Kinder großgezogen und eine erfolgreiche Karriere als Selbstständige im Kulturbetrieb aufgebaut. Dennoch begibt sie sich mit Anfang 40 für Monate in eine Suchtklinik, der Alkohol die Droge ihrer Wahl, der ihr durch jede schwere Zeit in ihrem Leben geholfen hat. Ihre Entscheidung löst Verwirrung bei ihren Kindern und Bekannten aus, ihr Problem blieb all die Jahrzehnte unentdeckt. In der Klinik arbeitet sie ihr Leben auf, auf der Suche nach der Ursache, der den Alkohol zu ihrem längsten, engsten, innigsten Partner gemacht hat. Sie spricht über den Krebstod ihres Mannes, den sie am Ende doch nie verwinden konnte. Ihre große Liebe, die sie im Verlauf des Buches immer als Du adressiert. Eine Intimität, die einen nicht unberührt lässt. Über den Verlustschmerz, der immer noch ihr stetiger Begleiter ist. Über die komplizierte und angeknackste Beziehung zu ihren Kindern, über die Fehler, die sie in der Erziehung nie machen wollte und doch gemacht hat. Über ihre folgenden Beziehungen, über die fehlende Nähe, ihre Unfähigkeit, sich wirklich auf andere einzulassen. Dringt tiefer vor in ihre Vergangenheit. Befasst sich mit ihrer Kindheit, der schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter, der Rolle, die der Alkohol im Leben ihrer Eltern spielte. Über Wunden, die ihr in frühen Jahren zugefügt worden und sie noch im Erwachsenenalter nachhaltig prägen. Erforscht Ursachen, Zusammenhänge, Konsequenzen. Und schließlich reflektiert sie über ihre Zeit in der Suchtklinik, über ihre Erkenntnisse, die kleinen Erfolge und Rückschritte. Nimmt sich endlich die Zeit, sich auf sich selbst einzulassen. Herauszufinden, wer sie ist, was sie will, was sie fühlt und wünscht.

»Dry« war ganz anders als ich erwartet hatte. Ich bin ziemlich schnell in diese Geschichte versunken, der Erzählstil hat mich mitgetragen. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie es Menschen schaffen, derart reflektiert über ihr eigenes Leben zu berichten. Schonungslos, ehrlich, ohne Auslassung oder Beschönigung. Über dieses Leben, das von Beginn an kein einfaches war. Von Kindheit an wurden ihr Steine in den Weg gelegt, haben ihre Fähigkeit, andere und sich selbst zu lieben, langfristig beeinträchtigt. So viel Schmerz, so viel Verlust, so viel Notwendigkeit zum stark sein. So viele Selbstzweifel, so viel Angst. So wenig Schönes, so viel Hoffnung und so viel Enttäuschung. Und das Glas Rotwein am Abend, das die Rettung war. »Dry« hat mein Verständnis von Alkoholismus grundlegend geändert. In erster Linie denkt man wahrscheinlich immer an die nicht-funktionierenden Alkoholiker*innen, die, die morgens anfangen zu trinken und erst aufhören, wenn die Besinnungslosigkeit eintritt. Die, die nicht mehr lebensfähig sind, deren Leben vom Alkohol bestimmt wird, für alle offensichtlich. Danach denkt man wahrscheinlich an die funktionierenden Alkoholiker*innen, die die ihr Leben augenscheinlich im Griff haben. Doch die Varianz, die Vielfalt ist so viel facettenreicher. Die Personen, die nicht täglich trinken, die, wenn sie trinken, dies nicht bis zum Vollrausch tun. Sondern für die der Alkohol schlicht und einfach als Rettungsanker dient. Die abends ein Glas Wein trinken wie so viele Menschen auf der Welt und die trotzdem ein Suchtproblem haben. Ich habe größten Respekt von Menschen wie der Autorin, die sich Hilfe suchen, wenn sie merken es geht nicht mehr weiter. Die es schaffen, aufzuarbeiten, sich den hässlichen Wahrheiten stellen und versuchen, zu kitten was zu kitten geht. »Dry« ist wirklich keine angenehme Geschichte, sondern geht unter die Haut. »Dry« ist ehrlich und mutig und schmerzvoll. »Dry« ist ein Leben und ist der Wunsch nach Besserung.
Profile Image for Christiane Fischer.
512 reviews6 followers
February 12, 2023
TW: Alkoholmissbrauch

DRY
Christine Koschmieder
gelesen von der Autorin

''Der Alkoholiker, das ist doch bitte der, der vom Stuhl kippt, torkelt, das Gleichgewicht nicht halten kann, Gläser umschmeißt, ausfällig wird, mit rotgeäderten Gesicht auf der Parkbank rumhängt, sein Leben nicht in den Griff kriegt. Alkoholiker, das sind diejenigen, die sichtbar ein Problem haben, dem alle anderen ausweichen können.
Nur das mein Problem nicht die Sichtbarkeit ist. Das die bei mir nicht vorhanden ist, sagt nämlich weniger über mein vermeintlich nicht vorhandenes Suchtproblem aus, als mehr über das fehlende Wissen über Sucht und ihre Erscheinungsform. Wenn eine Abhängigkeit sich nicht an Menge, Häufigkeit oder Regelmässigkeit des Alkoholkonsums festmachen lässt und schon gar nicht an seiner Auffälligkeit, weil er viel hinterlistigere Schäden anrichtet. Schäden, die sich oft erst Jahre später zeigen, die viel mit Ehrlichkeit und Beziehungsgestaltung und Vertrauen und Verlässlichkeit und Bindungsfähigkeit zu tun haben. Dinge, die weiter gereicht werden in Partnerschaften und in Familien an Karl, Tilly und Olek, die ich viel zu selten gefragt habe, wie ihr Tag war …’’ (Section 80)

Christine Koschmieder erzählt hier ihre Geschichte: Von ihrer Jugend, diversen Umzügen, von der Scheidung ihrer Eltern, Episoden über die rechthaberische und alkoholkranke Mutter, wie sie ihre drei Kinder von drei Männern bekam, ihr Mann den Kampf mit dem Krebs verlor und zwischendurch wird getrunken, hier und dort, mal mehr und mal weniger. Doch die Lage Zuhause spitzt sich zu: Immer öfter ist Christine überfordert, mag nicht um Hilfe bitten, bekommt trotzdem irgendwie alles geregelt, doch die Kinder haben Angst etwas Falsches am Tisch zu sagen oder ihr die falsche Antwort zu geben, so wird besser am Tisch geschwiegen, damit Mutter nicht gleich wieder ausflippt.
Am Ende weist sich Christine in eine Suchtklinik ein.

Nicht immer war mir Christine sympathisch, zu oft hat mich ihre Geschichte an ‚Die Legende von Paul und Paula‘ erinnert.
Dennoch: Ein ehrliches Buch, das mich doch ab und zu zur Selbstreflexion animiert hat. Eine interessante Geschichte von einer starken Frau, die den Mut hatte sich als Alkoholikerin zu bekennen. Hochachtung von mir.

Lese-/Hörempfehlung von mir.
Profile Image for Ena.
202 reviews
December 13, 2024
Drei Sterne für die Offenheit diese Geschichte als die eigene, private zu beschreiben, den Witz, der immer wieder unterhaltsam durchblickt und das Glaubhafte, Realistische.
Ich sehe, daß Alkoholismus nicht immer die weit sichtbaren Anzeichen trägt und es ist wichtig, darüber zu hören. Dennoch finde ich es nicht ein Buch über Alkoholabhängigkeit, sondern über ein Leben mit vielen tragischen Ereignissen. Es hält für mich nicht ganz, was es verspricht und läßt mich am Ende mit der Verunsicherung zurück, was es mir sagen wollte.
Vielleicht sind diese autofiktionalen Bücher auch einfach nicht mein Ding? Ein ähnliches Gefühl hatte ich dieses Jahr schon mal bei einem hochgelobten Buch, das mich nicht so stark berühren konnte wie andere offensichtlich.
Profile Image for Clarissa.
695 reviews20 followers
October 13, 2023
Sprachlich sehr stark und berührend. Es ist eine Lebensgeschichte, in der Alkohol meiner Meinung nach eher eine Nebenrolle spielt, für mich hat es eher die Essenz der menschlichen Erfahrung erzählt. Es geht um generationelles Trauma, Liebe, Verlust, Sucht, Veränderungen, Tod, Schmerz und wie ein Individuum Wege findet, um mit all dem zurechtzukommen und sich dann mit der Sucht und sich selbst auseinanderzusetzen beginnt. Diese Stärke, immer weiter zu machen, hat mich echt beeindruckt. In der Hörbuchversion ausdrucksstark von der Autorin gelesen.
Profile Image for Stefan Meyer.
10 reviews
September 27, 2025
Die Geschichte einer Generation, einer Stadt und wieder mal: die Kälte in der dritten Generation. Der Alkohol ist (nur?) ein Zeichen.
2 reviews
December 29, 2025
Super starke interssante story, Alkoholkonsum zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch drängt sich aber nie wirklich in den Vordergrund
Profile Image for Julebu.
182 reviews3 followers
December 26, 2022
3.5.
Warnung vor diesen grässlichen Mütter Sätzen. Sind davon auch aus meinem Mund schon welche gefallen??
Displaying 1 - 14 of 14 reviews

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