Madrid, in der Zwei Menschen begegnen einander im Beichtstuhl einer kleinen Pfarrkirche am nordöstlichen Rand der Stadt, der eine ein Priester, der andere ein junger Mann, der offenbar schwer unter einer Sünde leidet, die er kaum auszusprechen vermag.
Er flieht aus dem Beichtstuhl, kehrt aber am Folgetag zurück. Die immer intensiver werdenden Gespräche der beiden zeichnen allmählich ein Bild dessen, was diesen ›Sünder‹ tatsächlich quält. Die doppelte Abgründigkeit seiner Beichte zieht auch den Priester in die Kluft zwischen Wort und Tat und den Leser unweigerlich in einen Sog aus Fragen, die jeden einzelnen von uns Ist unsere Liebe wirklich so selbstlos, wie wir glauben? Wie stark bedingen traumatische Ereignisse der Kindheit unsere Gefühlswelt? Wie sehr leiten ungelöste Probleme unser Handeln? Welche Macht übt die Gesellschaft aus, indem sie bestimmte Wirklichkeiten tabuisiert?
Mit Genauigkeit und Einfühlungsvermögen widmet sich Steven Uhly einer Thematik, die seit Jahren weltweit für Schlagzeilen sorgt. Doch anders als die gängigen Litaneien von Schuld und Sühne zeigt seine äußerst persönliche Herangehensweise Räume auf, die auch denjenigen zugänglich sind, die viel zu früh ihre Unschuld verloren haben und deren gesamte Existenz dadurch zutiefst bedroht ist.
Steven Uhly was born in 1964 in Cologne and is of German-Bengali descent, and partially rooted in Spanish culture. He has studied literature, served as the head of an institute in Brazil, and translated poetry and prose from Spanish, Portuguese, and English. He lives in Munich with his family. His book Adams Fuge was granted the "Tukan Preis" of the city of Munich in 2011. His novel Glückskind (2012) was filmed as a primetime production by director Michael Verhoeven for ARTE and the 1st German Channel ARD.
Das war schwierig für mich zu lesen, besonders, weil ich vorher nicht wusste, dass es sich um Pädophilie drehen wird. Im Klappentext wurde lediglich von einer Sünde gesprochen und da mich interessiert hat, wie Moral und Philosophie hier eingebunden werden (plus das Cover!), habe ich es im Laden mitgenommen. Der Stil sowie die Struktur haben mir sehr zugesagt und das Ende hat die Geschichte gut abgerundet. Ein paar Kapitel, in denen die pädophilen Neigungen ausführlicher beschrieben und nicht nur im ethischen Kontext (eher abstrakt) angesprochen wurden, waren unheimlich unangenehm zu lesen. Natürlich mit Absicht, aber sehr unangenehm.
Padre Roque de Guzmán sitzt im Beichtstuhl seiner Pfarrkirche in Madrid und harrt der Sünder und Sünderinnen, die ihn aufsuchen werden. Die meisten von ihnen kennt er und weiß, was sie auf dem Herzen haben. Da ist José María, der immer wieder Bordelle besucht und seine Frau betrügt. Oder Señóra Barros, mit ihrer Wut auf ihren toten Mann. Er legt ihnen Vaterunser und Rosenkränze auf und erteilt die Absolution.
Doch an diesem Tag sitzt ein junger Mann auf der anderen Seite des Gitters, dessen Sünde offenbar so ungeheuerlich ist, dass er sie nicht gleich beichten kann. Erst nach weiteren Besuchen kristallisiert sich heraus, um das es geht. Lucas Hernández fühlt sich zu seinem Nachhilfeschüler hingezogen, der noch ein Kind ist. Und seine Geständnisse erinnern den Padre zum ersten Mal seit langer Zeit daran, dass auch er selbst nicht ohne Sünde ist, wecken Begierden in ihm, die lange unter der Oberfläche schlummerten.
„Die Summe des Ganzen“ von Steven Uhly greift ein wichtiges Thema auf, über das sich schwer sprechen lässt und über das von der katholischen Kirche schon viel zu oft ein Mantel des Schweigens gebreitet wurde. Es ist manchmal fast unerträglich, sich hier in der Gedankenwelt eines Päderasten zu finden, dessen Rechtfertigungen und Verharmlosungen zu lesen. Gleichzeitig wird in Uhlys Roman auch das unerträgliche Leid deutlich, das durch diese Menschen und ausgelöst wird. Und das noch dadurch vertieft wird, dass ihre Taten verschleiert werden und wurden. Trotz der Kürze der Geschichte werden hier auch noch andere Themen verhandelt, wie die Frage ob Rache jemals gerechtfertigt sein kann und wie ein Mensch, der unerträgliches erlebt hat, wieder in ein lebenswertes Leben zurückfinden kann. Was braucht es, damit ein Mensch, dessen Leben bis in die Grundfesten erschüttert wurde, wieder Frieden finden kann? Ich habe den Roman mit großer innerer Anspannung gelesen und muss mich letztlich vor der Kunstfertigkeit verbeugen, mit der die Geschichte aufgebaut wurde und durch die erst nach und nach klar wird, was wirklich die Hintergründe sind. Es macht wütend zu lesen, auf welche Weise Taten vertuscht werden, auch wenn man sich der Gefahr bereits bewusst ist. Meiner Meinung nach ist es eine der Aufgaben von Literatur, mutig auf Missstände hinzuweisen und diese aufzudecken und das geschieht hier in eindrucksvoller Weise. Gleichzeitig eine Geschichte, die mich sprachlich überzeugt hat, und die menschlichen Abgründe, aber auch tiefes Leid mit großer erzählerischer Kraft darstellt. Absolute Empfehlung.
Ich finde die Idee der Geschichte gut, wenngleich man recht früh merkt, dass Lucas‘ Erzählungen eine falsche Fährte darstellen. Auch dass das Thema in den Fokus gerückt wird und darauf aufmerksam gemacht wird; dass Leser damit konfrontiert werden ist eine wichtige Sache finde ich. Vom Spannungsbogen her beurteile ich den Mittelteil als zu langwierig und künstlich in die Länge gezogen. Es gibt irgendwann einfach zu viele Wiederholungen in den Beschreibungen der Gedanken der Figuren und man dreht sich im Kreis. Das Buch hätte in der Hinsicht kürzer sein können und die Idee wäre dadurch fesselnd geblieben. So aber wurde es zwischendurch schon träge. Die Beschreibungen der pädophilen Neigungen waren für mich zumindest schon schwer zu lesen. Allerdings ist es ja auch ein Thema was einen trifft und/oder treffen sollte. Also das Buch macht was mit einem. Hier finde ich jedoch hätte der Schlussteil und somit die Beschreibungen der Auswirkungen auf die Opfer mehr Raum einnehmen können. Sprachlich habe ich einige Punkte abgezogen; auch hier wegen dem sehr lang gezogenen, sprachlich eher unauffälligem Mittelteil. Gegen Ende hin wird es wieder etwas dynamischer. Insgesamt werde ich das Buch eher nicht nochmal lesen. Und als Empfehlung für andere nicht unbedingt ansprechen. Für das Thema denke ich gibt es sicherlich informativere Literatur. Als interessanten Denkanstoss nehme ich aber die Frage mit, wodurch der Wunsch eines Opfers zum Täter zu werden, um die Opferrolle loszuwerden, ersetzt werden kann. Wie können Opfer (verschiedener Verbrechen) einen wirklichen Abschluss finden?
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Das ist so ein Buch, bei dem ich wieder einmal überhaupt nicht mehr weiss, wie es auf meine Wunschliste gekommen ist – aber ich bin sehr froh, dass ich es dort irgendwann entdeckt und entschieden habe, es zu kaufen und zu lesen.
Ein sehr raffinierter Roman über Opfer, Täter, Pädophilie, Kirche, Religion, Moral, Gewissensfragen, Traumata, Vergangenheit, Vergebung … Ohne furchtbare Details in irgendwelchen Beschreibungen kommt die Geschichte mit pointierten Andeutungen aus, bei denen sich mir die Haare aufgestellt haben. Und am Ende sind es genau diese raffinierten Unklarheiten, die den Dreh der Handlung bestimmen und mich aufatmen gelassen haben. Wenn auch die Geschichte des Leidens nicht für alle Beteiligten beendet sein wird.
Zu viel darf und möchte ich nicht vorwegnehmen. Die Spoiler-Gefahr ist gross. Nur so viel:
Ein wirklich überraschender, intensiver und verstörend packender Roman, der mir Lust auf mehr von Steven Uhly gemacht hat.
„Padre, glauben sie, dass man Sünden lernt? Oder ist es vielmehr so, dass wir sündig geboren werden und zur Reinheit finden müssen?“ (S.27)
DIE SUMME DES GANZEN Steven Uhly
Selten habe ich ein Buch an einem Tag durchgesuchtet und beendet. Gestern war so ein Tag, wo ich nicht aufhören konnte zu lesen. Dieses Thema, was aktueller nicht sein könnte, das mich dermassen einsog und in seinem Besitz nahm, bis ich Stunden später wieder erwachte. Ich hatte das Gefühl soeben noch mitten in Madrid, in einem Beichtstuhl, gesessen zu haben. Lauschte über Stunden den unfassbaren Bericht des Lucas Hernández. Konnte nicht glauben was ich hörte. Wäre am liebsten aufgestanden, hätte in der Kirche laut geschrieen, und mit dem Finger auf ihn gezeigt. Aber dann kam es ganz anders.
„Doch er kann sich nicht bewegen. Er muss sitzenbleiben und Priester dieser Kirche sein, weil er sonst niemand mehr ist, weil er sonst jemand ist, dessen Antlitz er nicht zu schauen wagt.“ (S.93)
Es geht um pädophile Neigungen der Priester, geduldet und vertuscht von der Katholischen Kirche. Das Buch ist eine Anklage auf 156 Seiten, durch die ich nur so geflogen bin. Ein Buch mit einer unglaublichen Dynamik. Lest dieses Buch!
Ich wusste lediglich, dass es um die Beichte im Allgemeinen und auch im Philosophischen gehen soll. Mehr aber auch nicht.
Was mich dann aber hier erwartet hat, hat alle Erwartungen übertroffen.
Die philosophischen Ansätze, zu den unterschiedlichen Themen einer Beichte, sowie zur Beichte selbst, fand ich wirklich großartig. Es wurden essentielle Frage zum Leben und zu verschiedenen Lebensweisen gestellt. Fragen, die mich lange zum Nachdenken gebracht haben.
Der Plot kam unglaublich überraschend. Gerade die letzten 40 Seiten waren so spannend und fesselnd, so augenöffnend und ekelerregend. In diesem Buch steckt leider viel Wahrheit und gerade die Uneinsichtigkeit des Padre, lässt mich nicht mehr los.
Immer wieder geht es um die Summe des Ganzen und auch ich sitze jetzt hier und frage mich, was denn die Summe des Ganzen eigentlich ist.
Ein absolut lesenswertes Buch, dass mich die nächsten Tage und vermutlich auch die nächsten Wochen begleiten wird.
Thematisch bedingt eine Tortur. So unwohl habe ich mich beim Lesen glaube ich noch nie gefühlt. Wie das Ganze dann aber aufgelöst wird, ist große Erzählkunst. Selten hat man das Bedürfnis, ein Buch gleich nochmal lesen zu wollen, weil man plötzlich ganz andere Perspektiven wahrnimmt. Dieses Buch schafft genau das. Mehr will ich gar nicht verraten, unbedingt lesen!
Dieses Buch ist in seiner Kürze intensiv, verlockend und verstörend. Langsam lockt es in das Thema, ergreift Besitz von den Fantasien, nimmt Tempo auf, bis der Strudel mich wütend, aber befreit für den Moment, ausspuckt. TW: Missbrauch
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Die „Summe des Ganzen“ besteht „zwar“ aus teils sehr philosophischen Dialogen, jedoch endet die Geschichte mit einem unvergleichlichen Plottwist. Behandelt wird außerdem ein höchst brisantes Thema unserer Zeit - ohne zu spoilern!