Eine neue Perspektive auf die Geschichte der Gastarbeiterinnen
Die 22-jährige Nour kommt in den siebziger Jahren nach Deutschland, um zu arbeiten. Sie ist eine der vielen Gastarbeiterinnen, sie ist jung, motiviert und optimistisch. Nour kommt aus Istanbul und lebt nun in einem Wohnheim in der Oberpfalz, mit Frauen aus Spanien, Italien, Griechenland, Jugoslawien, Marokko, Tunesien oder der Türkei. Während Nour Minirock trägt, tragen die oberpfälzischen Frauen im Dorf Kopftuch. Die Arbeitsbedingungen in der Fabrik sind fragwürdig, die Entlohnung ist nicht gerecht. Als Nour vom Frauenstreik im Thüringen der zwanziger Jahre erfährt, ist sie inspiriert und stellt sich diesem Land: Gemeinsam mit all ihren Freundinnen wird sie für die Rechte der Arbeiter und vor allem der Arbeiterinnen kämpfen.
Mit ihrem Debüt »Die Optimistinnen« feiert Gün Tank die vielen Frauen, die dieses Land mit aufbauten und veränderten, und die sich doch in der deutschen Geschichte kaum wiederfinden. Starke Frauen, mutige Frauen: unsere Mütter. Unsere Großmütter.
Gün Tank's debut novel about her mother's generation of female migrant workers focuses on a part of history that tends to be overlooked: That of women who left their home countries to become so-called "Gastarbeiterinnen" ("guest workers") in Germany during the 60's and 70's. The book alternates between the story of 22-year-old Nour from Turkey, who comes to Germany in 1972 and first works in a porcelain factory in Bavaria and later in Berlin, and that of Nour's daughter (apparently an autofictional alter ego of the author), who reflects about her heritage in order to understand her present and future. A central concern for Gün Tank is to show the migrant women not as victims, as weak and helpless, but as pioneers who fought their marginalization and the unjust treatment they received in an oh-so-modern Germany during a time when women still needed their husband's permission to work.
In intentionally simple language and short sentences, Tank shows the strong spirit, optimism and solidarity of migrant women who wear mini skirts and go on strike, while the majority of German women were housewives. I would love to read more of these stories, to hear a multitude of voices representing female immigrants in the second half of the 20th century, as this is central to understanding today's Germany. Still, Tank fell into a trap that probably stems form her being one of the pioneer's of telling these stories: She tries to cram in too much.
The plot tends to read like an enumeration of historic events that miraculously all somehow relate to Nour and her friends: There is them always meeting up at a grave in Bavaria where a woman is buried that in the 1920's was involved in the strikes in a porcelain factory in Thuringia (probably Metzler & Ortloff) and, at 22, died from the fumes she inhaled, so the same age Nour is now. There are also numerous other strikes and historic events, like the women's strike at Pierburg in Neuss, where one of the characters super-coincidentally gets involved. The description (and it is VERY descriptive) of the familial constellations and destinies of family members also remain highly enumerative, and the alternation between the timelines is clumsy.
Because there is so much information forcibly connected, there is a lack of immersion and a problem with uneven pacing: When Nour gets married, it's fully enigmatic why the hell she chooses this guy. The baseball bat years after the fall of the wall, a crucial time period, are shortly and unsatisfactorily mentioned. Nour's daughter lives between Berlin and Istanbul, and her search for identity remains theoretical. The dialogue between the characters reads as unnatural, more like a political agenda, an ad for the possible power of union(s). And one might also argue that none of the migrant characters are allowed to be bad, although the humanity of them shouldn't be connected to them being model migrants: They deserve rights as human beings, as workers equal to their male German counterparts.
But of course I see that it is Tank's whole agenda to write against racist hate, stereotypes and cliches that persist particularly against Muslim women, and she is fighting the good fight. But political agitation is not the same as good literature, and in this case, I feel like the impetus, the message sometimes takes precedent over writing a truly riveting, complex novel. I want to read more novels about the topic, also some that take a different aesthetic approach.
„Tochter, egal was geschieht, vergiss eines nie: Bir elin nesi war, iki elin sesi var. Nicht die einzelne Hand, zwei machen Lärm.“ (S. 37)
Nour kam Anfang der 1970er aus Istanbul nach Almanya, um zu arbeiten. Es war nötig das Land zu wechseln, um die Familie in der Heimat finanziell zu unterstützen und weil sie sich auch erhoffte vieles zu (er-)lernen. Gelandet ist sie einer Fabrik für Arbeitsmigrantinnen, mit denen sie sich auch ihr Zimmer im Wohnheim teilen muss; kein Raum für Rückzug, keine Geheimnisse. Die Frauen unterstützen sich so gut es geht, doch wo viele Köpfe sind, fängt frau an, Dinge zu hinterfragen. Für die gleiche Arbeit erhalten sie schlechtere Bezahlung. Sie sind Akkordarbeiterinnen, den ganzen Tag auf Vollgas. Sie haben keine Rechte, dürfen nicht aufmucken und müssen alles so hinnehmen, wie es ihnen der deutsche, weiße Mann, ihr Chef, vorschreibt. Nour findet schließlich ihren Rückzugsort am Grab von Koyungözu, namentlich Stein Margarete. Eine junge Frau, die in den 1920er Jahren starb, aufgrund einer Lungenkrankheit, welche sie arbeitsbedingt niederrang. Doch Koyungözü ist wie ein Vorbild, denn sie kämpfte für die bessere Bezahlung von Frauen, für bessere Bedingungen am Arbeitsplatz. Und so fühlt Nour, dass auch sie und die Frauen sich auf die Füße stellen müssen, dafür kämpfen müssen, denn von nichts kommt nichts. Und so planen die Frauen einen Streik und stellen sich dem ausbeuterischen Gefüge in den Weg.
„Der Ehemann kam am Morgen und habe für Birgit die Kündigung eingereicht. Sie müsse jetzt für die erkrankte Schwiegermutter und den Haushalt da sein. Seine Unterschrift wird vom Bürgerlichen Gesetzbuch der Bundesrepublik getragen, […]. Der Mann sei der Ernährer […]. Während die Frau für den Haushalt zu sorgen habe […].“ (S. 58)
Wir lesen hier ein Stück Geschichte, welches mir wieder mal niemals im schulischen Kontext „gelernt/erzählt“ wurde. Wie auch von den chinesischen Arbeitsmigrantinnen in Amerika ist auch dieses Deutsche Stück Historie offensichtlich unter den Tisch gekehrt worden. Gün Tank @guen_tank hat zwei Erzählstränge miteinander verwoben und so pirscht sich die Geschichte langsam und heimlich an. Die Perspektive der Vergangen aus Sicht von Nour, die zweite aus der Gegenwart, mit der Stimme von Nour’s Tochter, Cebraili Su (mit dem 29.12 als bestes Geburtsdatum überhaupt ;-) )
Die Kapitel von Su starten immer mit „Heute, eingetaucht im Gestern“ und liefern eine alternative Sichtweise auf das Geschehene; die subjektive Wahrnehmung der Tochter. Über das Fortgehen aus der Heimat, über das Gefühl des Nicht-erwünscht-Seins, der schwierigen Sprachbedingungen und „nicht-verstehen-können“ bis hin zu verbalen Übergriffen und dem Heimweh nach ihren Eltern, dede und nene; überhaupt nach IHRER Heimat. Diese Rückblende unterstreicht Su mit den Geschichten aus der Heimat, von den Großeltern, den Cousins und Cousinen, den Träumen und was dies alles für ihre Mutter bedeutete. Der inneren und äußeren Rebellion ihrer Mutter, wie sie und ihre Freundinnen sich dem System entgegenstellten und Forderungen stellten, um in Deutschland gleich leben zu dürfen, wie andere.
Das Buch hat mich auf eine Reise mitgenommen … eine lehrreiche Reise und mir viele Denkanstöße gegeben (ich würde Nour’s Vater gerne kennenlernen!!, er ist ein wunderbarer Mensch in diesem Buch).
Ein nachdrücklicher Roman und ein feines Debüt mit einer großen Leseempfehlung von mir!
Kraftvoll und emotional schildert Gün Tank die Geschichte ihrer Mutter - einer türkischen Gastarbeiterin in Deutschland. Eine Geschichte voll Ungleichheit und Empowerment, voll Hingabe und Heimweh.
Die titelgebenden Optimistinnen sind in Gün Tanks Debütroman eine Bevölkerungsgruppe in Deutschland, über die bislang wenig gesprochen wurde: Arbeitsmigrantinnen (Betonung auf die weibliche Form), die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angeworben wurden, um in deutschen Fabriken unter widrigen Bedingungen zu arbeiten.
Nour ist 22 und träumt von der großen Welt, findet sich aber bald in einer oberpfälzischen Porzellanfabrik wieder mit anderen Frauen verschiedenster Herkunft. Wenige Stunden schlafen sie in engen Mehrbettzimmern, den Rest der Zeit arbeiten sie für einen mickrigen Lohn, den sie fast vollständig nach Hause zur Familie schicken. Dabei verdienen Frauen noch wesentlich weniger als ihre männlichen Pendants, in der sogenannten Leichtlohngruppe.
Die Autorin versucht anhand der Protagonistin ein Bild der mitnichten passiven, sondern für Gerechtigkeit einstehenden Frauen und Arbeitsmitgranten im 20. Jahrhundert zu zeichnen - so ist Nour inspiriert von der Geschichte der jung verstorbenen thüringischen Porzellinerin Margarete Steinmann, die Vorreiterin in einer gewerkschaftlichen Vereinigung war und für bessere Arbeitsbedingungen einstand, oder trifft auf die westberliner Hausbesetzerin Rosa aus der 1968er-Zeit. Da ihr Bruder in Kopenhagen lebt, nimmt sie in den 1980er Jahren auch an den Protesten gegen den Abriss eines Abenteuerspielplatzes teil - Byggeren - der zur Begegnungsstätte insbesondere eingewanderter Familien geworden war.
Die Episoden aus Nours Leben werden jeweils von Einschüben mit der Aufschrift “Heute, eingetaucht im Gestern” unterbrochen. In diesen kursiv gedruckten Textpassagen erzählt Nours Tochter von ihrer Mutter, vom Aufwachsen in Westdeutschland und den Besuchen der Großeltern in der Türkei.
Offensichtlich möchte Gün Tank in ihrem Werk den sogenannten Gastarbeiterinnen eine Stimme und Gestalt geben und ein Denkmal setzen. Dafür, wie sie proaktiv und kämpferisch, doch immer friedlich gegen die Arbeitsbedingungen protestierten und wie es im Laufe der Geschichte immer wieder weibliche Vorbilder gab für das Aufstehen gegen Ungerechtigkeit. Das Arbeitsleben in der Fabrik und in den Wohnheimen wird interessant und aufschlussreich beschrieben - womit die Frauen zu kämpfen hatten, was sie benötigt hätten und wie sie trotz oder gerade wegen der Widrigkeiten fest zusammenhielten.
Allerdings bleibt der Roman an diesem Punkt stehen und konnte mich darüber hinaus nicht überzeugen. Die Charaktere sind vornehmlich herzensgut und aufopfernd, hier fehlt der Facettenreichtum menschlicher Persönlichkeiten. Die zusätzlichen Passagen der Tochter bringen zwar ergänzend die Sichtweise der “zweiten Generation” ein, bleiben aber weit hinter ihrem Potential zurück. Gefühlt wahl- und ziellos eingestreute Anekdoten wechseln sich mit sachlichen Schilderungen von historischen oder (fiktiven) familiären Gegebenheiten ab, ohne dabei in die Tiefe zu gehen. Innere Konflikte werden, wenn überhaupt, nur angedeutet.
Auch sprachlich hat der Text leider wenig zu bieten und bleibt beschreibend, nüchtern, teilweise ungelenk.
Das Buch hätte perfekt für mich sein können, bleibt jedoch in weiten Teilen hinter den Erwartungen zurück. Am Ende hätten hier wahrscheinlich ein gut recherchiertes Sachbuch oder ein Memoir besseren Dienst getan.
Durch die Kürze wirkt der Roman stellenweise abgehackt (insbesondere die Perspektivwechsel zwischen Mutter und Tochter kommen mir zu schnell und häufig), aber insgesamt er doch schön geschrieben und handelt von einem ungeheuer wichtigen, aber leider sehr übersehenen Thema: Wie migrantische Arbeiterinnen in den 1970er-Jahren gemeinsam für ihre Arbeitnehmerrechte kämpfen. Ich finde es traurig, bisher kaum davon gehört zu haben und bin sehr froh, dieses Buch gefunden zu haben. Gerade als in der Industrie arbeitende Frau bin ich stolz auf und dankbar für die Leistungen dieser Vorkämpferinnen, von denen ich heute als Arbeitnehmerin profitiere, und ich hoffe, dass dieses Thema noch öfter aufgearbeitet wird.
das buch hat mich mitgerissen wie kein anderes. die stärke, die stimmen, die kraft, die liebe, die ängste, die geborgenheit, das vertrauen, die wut und auch die trauer wurden in tanks buch auf eine einzigartige art und weise be- und geschrieben. lange habe ich nicht mehr so ein schönes und inspirierendes buch in meiner hand gehabt. danke dafür.
Die vertraute Umgebung, seine Familie und Freunde zurückzulassen, um in ein fremdes Land mit einer unbekannten Sprache und einer neuen Kultur zu gehen, weil die Umstände es erfordern und es heißt, Geld nach Hause zu schicken, ist eine Entscheidung, die nicht leichtfertig getroffen wird. Die Mut und Tatendrang erfordert. Für mich eine Tatsache, die unvorstellbar in meiner gegenwärtigen Situation ist. Ins Ausland, weil ich es gerne möchte? Das kann ich mir vorstellen. Vorher würde ich wahrscheinlich die Sprache lernen und mir dann einen Job suchen wollen, der meinen Interessen und Kenntnissen entspricht. Nicht weil ich es muss, sondern weil ich es will. Hätte ich Kinder würde ich sie mitnehmen, wenn dies nicht möglich ist, würde ich mir ein anderes Land aussuchen. Ich habe die Wahl. Ich kann entscheiden. Andere konnten und können es nicht. Und dennoch machten und machen sie das beste daraus. Genauso wie viele Frauen aus den unterschiedlichsten Ländern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Familie und Kinder zurückließen, um in Deutschland zu arbeiten. Nach eigenen Interessen ging es meistens erstmal nicht, sondern nur darum zu arbeiten und Geld nach Hause zu schicken.
Ihre Geschichten werden oft nicht erzählt. Gün Tanks Roman „Die Optimistinnen“ gibt ihnen eine Stimme. Sie erzählt von den Frauen aus den vielen verschiedenen Ländern, die als Gastarbeiterinnen nach Deutschland kamen. Wie sie sich um ein besseres Arbeitsverhältnis bemühten, die Rechte von Frauen - ob eingewandert oder einheimische - verbesserten und unermüdlich dafür einstanden, dass sie genauso zu diesem Land, in das sie kamen, gehörten wie alle anderen. Ein Einblick in die Geschichte unseres Landes, was gerne mal verdrängt wird. Wobei es so wichtig ist, dies zu erzählen.
Seit Jahrzehnten leben in Deutschland Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturkreisen. Deutschland ist bunt und vielfältig. Wir sind alle Teil davon. Trotzdem wird diese Geschichte verdrängt und so getan, als wären Menschen, die nicht stereotypisch „deutsch“ aussehen oder deutsch klingende Namen haben, nicht Teil der Gesellschaft. Wann wird es endlich so weit sein, dass dies nicht mehr passiert? Gerade deshalb sind Bücher von Autor:innen wie Gün Tank meiner Meinung nach eine Bereicherung. Ein Buch, was jeder und jede lesen sollte!
„„Akkord“ gehörte, neben „schnell, schnell“ zum Erstvokabular der Frauen“
Ich versuche seit Tagen die richtigen Worte zu Gün Tanks „Die Optimistinnen“ zu finden und lasse jetzt einfach mein Herz sprechen.
Es ist großartig, dass endlich ein Buch geschrieben wurde, das Einblick in das Leben der „Gastarbeiterinnen“ gibt - in das Leben der Frauen, die ihre Familien und auch ihre Kinder zurückgelassen haben, um in Deutschland zu arbeiten.
Mit Anfang 20 ganz allein in ein Land reisen, dessen Sprache man nicht beherrscht, um dort zu arbeiten - ohne Familie, Freunde oder einen Partner? Das haben Anfang der 1970er Jahre viele Menschen aus der Türkei und anderen Ländern gemacht und sind nach Deutschland als „Gastarbeiter“ gekommen.
In Gün Tanks Roman begleiten wir Nour, die 1972 mit 22 aus Istanbul nach Deutschland kommt, um in einer Porzellanfabrik zu arbeiten. Das Geld, das sie hier verdient, schickt sie ihrer Familie. Schon bald merkt sie, dass sie und ihre Kolleginnen viel weniger Lohn erhalten als die männlichen Kollegen und diese wiederum weniger als die deutschen Kollegen - obwohl alle die gleiche Arbeit verrichten. Dieser Ungerechtigkeit setzt sie sich mit ihren Freundinnen und Kolleginnen entgegen.
Viel zu oft wurden und werden Frauen, die nach Deutschland kamen, als unselbstständig oder schwach bezeichnet - Gün Tank beweist hier mit ihren Romanfiguren das Gegenteil. Dabei wechselt sie die Erzählperspektive und man erfährt Nours Gedanken, aber auch die ihrer erwachsenen Tochter in der Gegenwart.
Etwas enttäuscht bin ich, weil ich erwartet habe, dass tiefer auf die Sehnsucht, das Heimweh und das Ankommen in Deutschland eingegangen wird. Diese Themen kommen im Roman häufig zur Sprache, aber bleiben doch etwas oberflächlich. Auch auf die Tatsache, dass viele von diesen Jobs bzw. dem Geld abhängig waren und große Angst hatten, ihre Arbeit zu verlieren, wird nur kurz eingegangen. Viele Frauen hätten sich nicht getraut zu streiken oder dem Chef Paroli zu bieten, obwohl sie wussten, dass sie sich unter Wert verkaufen. Sie haben sich hier den Rücken kaputt gearbeitet, am Fließband gestanden, Überstunden um Überstunden geackert. Viel zu häufig war von diesem einen Gehalt eine gesamte Familie abhängig - über diese unvorstellbare Last, die diese jungen Schultern getragen haben, hätte ich gerne mehr gelesen.
Gün Tanks Schreibstil ist flüssig und leicht zu lesen. Der Titel ist so passend gewählt, da trotz der schwierigen und teils bedrückenden Thematik Optimismus vermittelt wird. Der Roman ist empfehlenswert, besonders aufgrund der Tatsache, dass Literatur zu diesen Frauen auf dem deutschen Buchmarkt fast nicht existent ist und man so die Möglichkeit hat, etwas über die Umstände und Empfindungen zu erfahren. Ich möchte mehr über unsere Mütter und Großmütter lesen, denn wenn wir diese Geschichten jetzt nicht schreiben, bleibt uns bald keine Gelegenheit mehr dazu.
«Ich schwimme durch ein Meer von Geschichten, tauche nach den nicht erzählten Worten und Sätzen unserer Frauenmünder. Das Gestern formt mein Heute. Kenne ich das Gestern nicht, so werde ich mein Heute oder zukünftiges Heute nicht verstehen, denke ich. Die vielen Frauen, die dieses Land mitaufbauten und veränderten, finden sich in der deutschen Geschichte kaum wieder. Starke Frauen, mutige Frauen: unsere Mütter. Unsere Großmütter.»
Wenn wir von den sogenannten Gastarbeitern reden, sprechen wir in der Regel über Männer. In den meisten Köpfen ist nicht bewusst, dass fast genauso viele Frauen nach Deutschland kamen, um am Fließband zu stehen. Dieser Roman richtet eine neue Perspektive auf die Geschichte der Migration – die Sicht der Frauen. Die 22-jährige Nour kommt in den siebziger Jahren aus Istanbul in die Oberpfalz, um zu arbeiten. Sie ist jung, motiviert und optimistisch. Doch die Arbeit in der Porzellanfabrik ist schwer, sie ist ständig Dämpfen ausgesetzt, und im Wohnheim müssen sie sich zu viert 10 Quadratmeter teilen, Kochmöglichkeit ist kaum vorhanden. Neben den Türkinnen gibt es Kolleginnen aus Spanien, Italien, Griechenland, Jugoslawien, Marokko, Tunesien. Nour hatte gedacht, sie würde einen Arbeitsplatz in einer Großstadt erhalten. Die lockeren Türkinnen aus Istanbul die Miniröcke, das Haaren offenen tragen, sind verwundert über die oberpfälzischen Frauen im Dorf, die sich mit kniebedeckenden Röcken und Kopftücher kleiden.
«Durch das zu der Zeit geltende Ausländergesetz konnten die Frauen, die keine Arbeit fanden, direkt ausgewiesen werden. Wegen politischer Betätigung hieß es offiziell. Uns war gar nicht bewusst, dass wir politisch waren. Wir wollten Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Keine dachte an Politik oder Ausweisung. Du zählst einfach nicht als Mensch, und Rechte hast du auch keine.»
Die Arbeitsbedingungen in der Fabrik sind fragwürdig, die Entlohnung ist nicht gerecht. Die Wohnbedingungen sind eine Zumutung, und die Frauen wollen Deutsch lernen. Als Nour durch einen Grabstein vom Frauenstreik im Thüringen der zwanziger Jahre erfährt, denkt sie, das kann kein Zufall sein. Die Streikführerin wurde hier begraben – ganz in der Nähe der Porzellanfabrik. Gemeinsam mit all ihren Freundinnen und Kolleginnen kämpft sie nun für bessere Arbeits- und Wohnbedingungen, mehr Duschen und Herdplatten, Deutschkurse. Sie fordern «Sprache! Bildung! Lohn!», schreiben das auf Ostereier, die er engagierte Pfarrer segnet. Die Frauen lassen nicht locker, bis hin zum Generalstreik. Nour zieht nach Berlin, ist gewerkschaftlich aktiv und lernt Martin kennen und heiratet ihn. Ihr zweites Kind erleidet Sauerstoffmangel bei der Geburt und ist behindert. Martin kommt damit nicht klar und verschwindet auf Nimmerwiedersehen.
«Istanbul umarmte mich, Berlin wies mich immer wieder ab.»
Mit ihrem Debüt feiert Gün Tank die vielen Frauen, die Deutschland mit aufbauten und veränderten, und die sich jedoch in der deutschen Geschichte kaum wiederfinden: «Ohne Sprache und ohne Stimme, allein in einem Land». Hier wird ein anderes Bild der Klischee-Gastarbeiterin gezeigt – starke Frauen, die sich zusammenschließen und sich nicht alles gefallen lassen. Kurdische und türkische Frauen gehören zu Nours Freundinnen, ebenso die Spanierin Mercedes und die Westberliner Hausbesetzerin Rosa, die nach Umzügen ein verzweigtes Frauen-Netzwerk bilden. Die Autorin arbeitet mit drei Zeitebenen, die sich abwechseln. Nour, die Mutter der Erzählerin reist 1972 nach Deutschland ein. Zwanzig Jahre später berichtet ihre Tochter Su Gabriele, die zweisprachig in Westberlin aufgewachsen ist und sich erinnert. Unter der Überschrift «Heute, eingetaucht im Gestern» reflektiert die Autorin zwischendurch die Zeitebenen. Denn sie selbst ist gewerkschaftlich engagiert, kämpft gegen gesellschaftliche Ausgrenzung von Migrant:innen. Ihre Liebe nach Istanbul, die Erinnerungen an die Urlaube bei den Großeltern, mit den sie engen Kontakt pflegt, begleiten ihr Leben. Nach dem Abitur studiert sie in Istanbul.
«… über Aicha aus Marokko, die auf ihrem Pass 19 Jahre alt ist, in Wirklichkeit aber erst 17. Deren Arme vom vielen Heben der Planken schmerzen, und die deshalb nachts kaum schlafen kann … die 24-jährige Celandia aus Griechenland, die einen Deutschen geheiratet hat und mit ihm keine Wohnung findet, weil sie sich nicht kirlich trauen ließen.»
Interessant sind auch kleine Nebengeschichten: Eine deutsche Kollegin, mit der Nour sich in der Porzellanfabrik angefreundet habt, hört auf zu arbeiten. Ihr Mann hatte die Kündigung geschrieben. Denn zu dieser Zeit, 1972, durfte die Frau nur arbeiten, wenn der Vater / Ehemann das erlaubte, die auch den Arbeitsvertrag unterschrieben. Dieser Kollegin ging es wie vielen Frauen. Der Mann hatte das Recht, für zu kündigen, wenn die Ehefrau im Haushalt gebraucht wurde; in diesem Fall zur Pflege der Schwiegermutter. Zu dieser Zeit war nicht Mal die Hälfte der Frauen in Deutschland beschäftigt – und wenn, oft nur in Teilzeit. Von 1960 bis 1973 reisten über 700.000 Arbeitsmigrantinnen in die Bundesrepublik ein, die oft an gesundheitsschädlichen Arbeitsplätzen eingesetzt wurden und in den sogenannten Leichtlohngruppen circa ein Drittel weniger verdienten als die Männer am gleichen Arbeitsplatz. Am Anfang wurden Widerstände und Streiks von Gastarbeiter:innen (denn auch die Männer kämpften für ihre Rechte) mit Kündigung und Ausweisung bestraft, bis hin zu Massenentlassungen. Das wurde als politische Aktion eingestuft und somit konnte man diese Arbeiter:innen fristlos entlassen und ihnen die Arbeitsgenehmigung entziehen, die ja für diesen Betrieb ausgestellt wurde. 1973 streikten 275.000 Beschäftigte in 335 Betrieben der Bundesrepublik für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn. In diesem Roman kämpfen Nour und ihre Kolleginnen 1973 mit im Streik beim Neusser Automobil-Zulieferer Pierburg für die Abschaffung der Leichtlohngruppe II (historisch belegt). Es sind die Arbeitsmigrantinnen, die den Betrieb lahmlegen; das für mehrere Tage. Die Polizei knüppelt fest auf die streikenden Frauen, die Anführerin wird verhaftet. Doch sie geben nicht nach, sie haben es kapiert: Alle Bänder stehen still, wenn der Arbeiter es will. Der Betrieb muss nachgeben. Die Leichtlohngruppe II, in der bis dahin nur Frauen beschäftigt waren, wird in diesem Unternehmen abgeschafft. Und damit setzen sie etwas in Bewegung! Ein knappes Jahrzehnt später wird das Bundesarbeitsgericht die Leichtlohngruppen verbieten.
«Gastarbeiter, dieses Wort kommt von Gast. Ein Gast, der sich nicht so beträgt, gehört vor die Tür gesetzt.»
Die Migrationsforschung geht heute davon aus, dass das Wirtschaftswachstum und der durch Migranten mitfinanzierte Aufbau der Sozialsysteme die Bundesrepublik nicht nur stützte, sondern rund zwei Millionen Deutschen den sozialen Aufstieg von Arbeiter- in Angestelltenpositionen ermöglichte. Gün Tank erinnert an die Frauen, die das u. a. erzielten, an die Frauen, die für ihre Rechte kämpften und so unser Arbeitsrecht besser machten. Ein schöner Roman, der uns in das letzte Jahrhundert versetzt, aber auch Vergleiche zu heute zieht. Er zeigt ein stockkonservatives Kleinstadt-Deutschland, zeigt ein frauenfeindliches Land, Frauen, die für ihre Rechte noch kämpfen müssen; etwas, was wir heute gern vergessen. An manchen Stellen wirkt mir der Text zu sachlich in der Tonalität, zu tief recherchiert, eher als Reportage geschrieben. Eine Mischung aus Fiktion, rauer Wirklichkeit und Zeitdokument. Insgesamt sehr lesenswert – ein wichtiger Beitrag zum Zeitgeschehen.
Gün Tank ist Autorin und Moderatorin. Sie war Kuratorin der Ausstellung »22:14 ...und es kamen Frauen« (2011), zu den ersten Arbeitsmigrantinnen der Bundesrepublik und der Veranstaltungsreihe CrossKultur, eine jährliche Kulturreihe mit Lesungen, Ausstellungen, Konzerten, Theater, Film und Konferenzen. Heute ist sie im Bezirk Tempelhof-Schöneberg Beauftragte für Menschen mit Behinderung. 2015 und 2021 erhielt sie vom Land Berlin das Arbeits- und Recherchestipendium Literatur. »Die Optimistinnen. Roman unserer Mütter« ist ihr Debütroman.
Eine kurze 3-Generationen-Saga, deren Zentrum die 1972 als Arbeitsmigrantin nach Deutschland gekommene Nour ist. Berührend, erhellend, gleichzeitig unterhaltsam.