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208 pages, Kindle Edition
First published September 1, 2022
For better or worse, this is a far-fetched intellectual intervention. The political questions are left open, as [are] the moral ones. What does it look like when we turn from your theoretical inquiry into the origin of universalism back to politics? You don’t get your hands dirty discussing the actual identity debates; how does this defense of the humanism of Kant and the prophets look in the real world?
Boehm liefert in diesem kurzen Band 1) eine Herleitung des radikalen Humanismus aus Kants Kritiken, dem er mehrere philosophische Strömungen (Naturalismus, Nihilismus, Liberalismus, Identität) entgegensetzt, 2) eine Perspektive auf den amerikanischen Bürgerkrieg, in der er liberalen und radikalen Humanismus gegenüberstellt, und 3) eine Analyse und Interpretation mehrerer Texte aus Genesis, Exodus sowie Hiob in Bezug auf ihre universalistischen Implikationen. Boehm nimmt klar Stellung für (radikal-)universalistische Werte und gegen identitäre und liberalistische Strömungen und begründet dies nachvollziehbar. Er räumt auf mit fehlerhaften Interpretationen Kants und der biblischen Propheten.
Obwohl ich Einiges mitgenommen habe, fehlt mir im Buch die kritische Auseinandersetzung mit dem radikalen Universalismus. Wenn niemand das Recht hat zu gehorchen, welche Stellung können Gesetze dann einnehmen? Wie unterscheide ich, auch in schwierigeren Fällen, zwischen ungerechten und gerechten Gesetzen? Wie unterscheide ich, wenn sich Menschen auf unterschiedliche Vorstellungen absoluter Moral berufen? Kann uns Universalismus überhaupt bei Fragen helfen, bei denen es um etwas weniger geht als gleich um die menschliche Würde als solche?
Auch bleiben die logischen Übergänge von Kant und Bibelkritik zu modernen Phänomenen wie Cancel Culture und dem Israel-Konflikt m.E. viel zu schwammig. Klar ist nur, dass Alles auch irgendetwas mit universellen Werten zu tun hat. Was uns diese Einsicht nützt, muss sich erst noch zeigen.
Hochinteressant und z.T. neu waren für mich die Sichtweisen auf Abraham, Moses und Hiob, insbesondere natürlich die Reinterpretation sonst der sehr schwer verständlichen "Bindung des Isaak". Allerdings lässt Boehm hier einige Fragen offen, z.B. warum Abraham denn überhaupt loszieht und seinen Sohn festbindet, wenn er ihn nicht opfern will. In Bezug auf die Verhandlung Abrahams mit Gott über das Schicksal Sodoms und Gomorrhas übersieht Boehm, dass Gott zwar mit sich feilschen und Abraham so einen kleinen Sieg davontragen lässt, der Ausgang der Geschichte diesen Sieg aber relativiert: es finden sich nämlich nicht genügend Gerechte, um die Städte zu retten. Gott wird Recht behalten und Abraham seine Wette verlieren. In der biblischen Erzählung, in der Gott immer wieder herausgefordert wird, am Ende aber gewinnt, passt sich diese Episode gut ein. In Bezug auf eine universelle, d.h. über Gott stehende Moral, ist sie aber kaum hilfreich.
Für mich zeigt das Buch auch wieder einmal, wie wichtig es wäre, eine zumindest grundlegende philosophische (und ja - auch theologische) Ausbildung in unser modernes Schulprogramm zu integrieren, wenn wir möchten, dass unsere Gesellschaft (nach Kant) selbstdenkende Menschen hervorbringt, die zu einem gesunden Diskurs fähig sind, der nach Wahrheit strebt anstatt in extreme Meinungsbilder zu verfallen.