Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.
Klug und mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Wandel einer Inselwelt, von alten Gesetzen, die ihre Gültigkeit verlieren, und von Aufbruch und Befreiung.
Dörte Hansen (heute Dörte Hansen-Jaax; * 1964 in Husum) ist eine deutsche Linguistin, Journalistin und Schriftstellerin.
Dörte Hansen, born in Husum in 1964, worked as a radio and print editor and author for NDR after completing her linguistics degree. She lives in North Frisia with her family to this day.
Die geheime Kunst des Erzählens lautet die Geschichte frei von Erklärungen zu halten. Die Ereignisse reihen sich aneinander, ergeben ein Bild, schließen sich zu einer Atmosphäre, einem Eindruck zusammen und verstecken sich nicht hinter Meinung, Urteil oder Wertungen. Dörte Hansen schreibt in ihrem Roman „Zur See“, wie alten Seebären wohl der Schnabel gewachsen ist. Sie schreibt, ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen. Sie schreibt mit Seewind im Rücken über die Höhen und Tiefen des Lebens auf einer Nordseeinsel:
Die Fähre zieht durch kabbeliges Wasser, und an Deck riecht es nach Öl. An diesen dunklen Wintertagen sind der Himmel und die See aus einem Guss, das Grau des einen ist vom Grau der anderen nicht mehr zu unterscheiden. Die Insel ist noch nicht zu sehen, und fast rechnet sie damit, dass sie bereits verschwunden ist. Dass diese Fahrt nie enden wird und dieses Schiff nun ewig auf den Wellen bleiben muss, die Insel aufgelöst im großen Grau, die Vogelinsel weggespült, die ganze Welt nur noch ein Himmel und ein Meer. Sie stellt sich vor, auf einem Segelschiff zu stehen, eine Hand am Mast, nach Monaten auf See, kein Land in Sicht. Man kann nie sicher sein.
Im Zentrum des Geschehens steht die Familie Sanders. Hanne Sanders und Jens Sanders haben drei Kinder: Ryckmer, Eske und Henrik. Die Familie ist zerfahren. Jens Sanders entfremdete sich wegen seiner monatelangen Seefahrten von seiner Familie. Ryckmer, der ebenfalls als Kapitän arbeitete, brach während eines finsteren Sturms zusammen und begann zu trinken. Eske arbeitet als Krankenpflegerin auf der Insel, nachdem sie ihr Studium auf dem Festland abbrach, weil sie die Insel doch zu sehr vermisste, und Henrik verdingt sich als Künstler und Erbauer von Figuren aus Treibgut, das er jeden Morgen am Strand sammeln geht. Zwischen den Ereignissen rundum die Familie Sanders herum wird noch das Leben des Inselpastors und das von anderen skizziert. Protagonistin aber von Hansens Roman ist die Insel selbst, die sich gegen das anbrandende, raue Meer zu wehren versucht, aber stets vom Verschlucken und Verschwinden bedroht bleibt:
Ein paar Jahrzehnte noch, dann wird all das verschwunden sein. Die Meeresspiegel steigen, und die Stürme werden härter. Sie braucht die Fluttabellen ihres Bruders nicht, um das zu sehen. Kein Wellenbrecher wird die Nordseeinseln retten und kein Klimadeich, weil sie nicht für die Ewigkeit gemacht sind. Nichts Vertikales hat Bestand in dieser Landschaft, nicht die Kirchen, nicht die Sünden aus Beton, auch nicht die Reetdachhäuser mit den spitzen Giebeln, nicht einmal die Bäume. Es gibt hier nichts Beständiges. Das Fließen, Strömen und Verlanden, Stürmen, Auseinanderreißen hört nicht auf. Land gewonnen, Land zerronnen. Alles will hier Horizont sein.
Dörte Hansen schreibt in einem flüssigen, schnellen Stil über das Leben auf der Insel. Rhythmisch werden Erinnerungen, Rückblicke und Vorblicke in die jeweilige Gegenwart transponiert und abwechselnd aus der Sicht der einzelnen Familienmitglieder berichtet. Sensationslust bedient die Autorin nicht. Sie erzählt bodenständig schlicht. Sie bleibt nahe an der Beobachtung, lässt sich nicht zu Wertungen und plakativen Vereinfachungen herab. Ihr steht das Gewusel des Lebens selbst vor Augen, die Fragen, die Möglichkeiten, das Werden und Vergehen im Gesamtzusammenhang von Natur und Mensch:
Die Sonne steht schon hoch, fällt durch das salzverschlierte Fenster, wärmt das Holz, und aus den Dielenbrettern perlt das Harz. Die frischen Lärchenbohlen bluten noch. Es dauert eine Weile, bis er weiß, woran ihn der Geruch erinnert: Sommerwald. Ein weicher Boden unter seinen Füßen, Laub und Kiefernnadeln und ein Rauschen in den Wipfeln windgekrümmter Bäume, die im Dünensand mehr schlecht als recht die Stellung hielten. Was man als Inseljunge eben unter »Wald« verstand.
Wem der Sinn nach Erzähllust, verdichtender Atmosphäre, bollernden Worten und verschlungenen Lebensschicksalen steht, wem es nach weniger Erklärungen und Anklagen, mehr nach Mystik und Staunen verlangt, wer abschalten und sich auf die Reise machen möchte, kann mit Dörte Hansens Roman „Zur See“ einfach nichts falsch machen. Sie erzählt, wie die Alten erzählen, nämlich so, dass die Zeit stehenzubleiben beginnt, von Wort zu Wort langsamer zu vergehen scheint, bis alles nur noch Insel und See, Himmel und Küste, Seetang und Muschelknacken geworden ist, ein großes, unauflösbares Rätsel über Leben und Tod und alles dazwischen.
Wer Agustina Bessa-Luís‘ „Die Sibylle“, wer Fernando Namora „Im Verborgenen“, oder Alfred Andersch in „Die Rote“ und Helga Schubert „Vom Aufstehen“ mag, wird auch Hansen sehr zu schätzen wissen. Eine ruhige, freundliche, besonnene Literatur voller Pathos, Lebens- und Erzählfreude.
"Zum Schluß stirbt ein Alter und zwei Junge heiraten sich; – das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht." So beschrieb Theodor Fontane die Handlung in meinem Lieblingsbuch „Der Stechlin“. Dies trifft, in Abwandlung, auch auf Dörtes Hanses „Zur See“ zu. Auch in ihm steht im Hintergrund immer ein Gewässer, hier die Nordsee, und der Roman lebt erheblich von seinem Lokalkolorit. Leider verzichtete die Autorin hier, im Gegensatz zur „Mittagsstunde“ auf die Wiedergabe des Dialektes.
Obwohl in dem Buch nicht viel geschieht, sind mir die Hauptakteure nahegekommen. Ihre persönlichen Schicksale sind ein Abbild der Veränderung des Insellebens weg von einer harten, nahezu lebensfeindlichen hin zu einem Touristenzentrum, dem zwar (begrenzter) Wohlstand zugewachsen, aber Authentizität abhandengekommen ist. Der Verlust steht auch über den Beziehungen der Menschen, sie verlieren einander, ihren Beruf, ihren Glauben, ihr Leben. Ein gutes, aber trauriges Buch.
»Man glaubt, wenn man auf einer Insel aufgewachsen ist, an die Gezeiten und den Fahrplan einer Fähre.«
Dörte Hansen hat eine Gabe: Sie setzt nicht nur verschwindenden Kulturen ein literarisches Denkmal, sondern schreibt - zumindest mir - auch direkt in die Seele.
In “Zur See” schreibt sie ganz schlicht über das Leben auf einer Nordseeinsel und deren Bewohner - sowohl die Alteingesessenen, die oft schon ihr ganzes Leben auf, an und mit der Insel gelebt - und an ihr gelitten - haben. Von den Badegästen zu den Kurz- und Tages-Trippern, die immer mehr “einfallen” bis hin zu jenen, die sich ihren “Inseltraum” verwirklichen wollen und dann merken, daß es vielleicht auf Dauer eben doch nicht nur “schön” auf der Insel ist…
»Sie halten es nie lange aus in ihren Inselhäusern. Nach ein paar Tagen fühlen sie sich wie bei ihren alten Eltern zu Besuch: bloß weg, bei aller Liebe, denn die Alten haben Macken, werden eigen und erzählen immer nur von alten Zeiten.«
Hansen tappt aber nie in die Falle romantischer Verklärung: Weder war “früher alles besser”, noch ist “alles im Lot”: In Herrn Pastors Ehe kriselt es, Eske Sander betreut die sterbenden Alten und versucht sich ihre “kleine Liebe” mit Freya zu erhalten.
»Mit ihren Haaren, ihren Piercings, ihrem lauten Lachen fiel sie noch mehr auf als Eske. Nach zwei, drei Wochen kannte sie die halbe Insel, und die ganze Insel kannte sie.«
Was und wie Hansen schreibt, ist geradezu berauschend; sprachlich, stilistisch, inhaltlich. Sie erzählt durchweg unaufgeregt und ruhig, dabei kraftvoll, sprachfertig und sehr persönlich.
Sie erzählt von einem Leben, dem Hansen offensichtlich mit tiefer Empathie nachgespürt hat. Sie erzählt von der Vergangenheit, der Gegenwart und deutet die Zukunft der Insel und ihrer Bewohner an. Gerade diesen aber gehört Hansens Sympathie und das macht ihre wundervollen Romane aus: So komplex und vielfältig Hansens Sujet auch sein mag: Sie erzählt mit traumwandlerischer Sicherheit, großer Empathie und trotzdem leicht und überaus lesbar. Auch in “Zur See” lässt sie die Worte tanzen und die Sätze feiern ein Fest.
Großartig sind auch Hansens sprachliche Bilder:
»Die kühlen, leicht bewölkten Sommertage sind die besten. Seelenhungertage.«
Selbst wenn man jene Sommertage vielleicht so selbst noch nicht erlebt hat: Seelenhunger kennen wir alle.
»Wind. Oft brist er abends auf, streicht brummend um das Fenster, macht sich an der Tür zu schaffen oder wirft sich brüllend an die Holzwand, bis das Haus auf seinen hohen Pfählen schwankt.«
Einmal mehr wird Dörte Hansen nach “Altes Land” und “Mittagsstunde” in “Zur See” zur Chronistin einer verschwindenden Welt, ohne diese dabei jedoch zu glorifizieren. Im Gegenteil: Durch die Gegensätze, die sie aufzeigt, aber nicht beurteilt, versöhnt sie ein Stück weit Gegenwart und Vergangenheit miteinander.
Das Leben jedenfalls versteht Dörte Hansen abzubilden, wie - meiner Überzeugung nach - derzeit nur wenige deutsche Schriftsteller_innen. In seiner gesamten Breite mit Humor, Trauer, Leben und Tod.
Das ist Kunst, das ist Literatur, das ist (auch), warum ich lese.
Fünf von fünf Sternen.
»Und Hanne hängt an diesem Brocken Land, sie weiß nur manchmal nicht, ob dies noch ihre Insel ist.«
Was für ein wundervolles Buch...inspirierend, tiefsinnig und emotional! Ich bin absolut begeistert!
Familie Sander lebt auf einer unbenannten Nordsee Insel. Ihr Haus ist eine Touristen Attraktion....doch die Familie leidet...an ihrer Geschichte, an Schicksalsschlägen.... und am Leben. Doch die Inselleute sind zäh...kämpferisch und gelassen zugleich gehen sie ihr Schicksal an.
Dieses Buch ist unglaublich! Ein ganz großer Wurf und
Wundervoll geschrieben. Am Ende dachte ich zunächst "musste das sein?". Ich habe nachgedacht und mir fiel dieser eine Satz aus einer früheren Szene ein, zu dem am Ende ein Rückbezug hergestellt wird und der mich zu dem Schluss kommen ließ: "Ja, das musste sein", wegen dessen, was ich als Aussage des Buches betrachte. (Ich sage hier nicht, was das ist, könnte leicht spoilery sein.) Das Buch ist keine Romantisierung der See und des Insellebens. Und gerade deswegen vielleicht ihr bisher stärkstes.
Dörte Hansen hat es wieder geschafft die besondere, ernste und bisweilen düstere Stimmung in ihren Geschichten sehr lebendig werden zu lassen. Sie hat einfach ein Gespür für Menschen und hat dieses Mal die Insulaner der deutschen Nordseeinseln aufmerksam beobachtet.
Ich habe mir diese kleine raue Insel mitsamt den vom Wind gekrümmten Bäumen und reetgedeckten Fischerhäusern und deren kauzigen Bewohnern sooo gut vorstellen können.
“Irgendwo in diesem Haus, verborgen unter Deckenbalken, hinter den Mauerankern oder alten Fliesen, in den Ritzen des Knochenzauns vielleicht, müssten auch noch die Geschichten sein, die nicht geschrieben wurden: die Erinnerungen der Ertrunkenen, von einem Mast erschlagenen, Verschollenen, Erfrorenen und an Skorbut Gestorbenen.“ ( Seite 11)
Man entdeckt hier so manches Klischee mit einem Augenzwinkern aufs Korn genommen. Z.B. die Ringelshirt-Familien, die ihre Rollkoffer übers Kopfsteinpflaster ziehen oder die Touristen, die mit leerem Fischbrötchen ungläubig der frechen Möwe nachschauen.. und entdeckt sich selbst auch darin wieder. Den erhofften Einblick hinter die Türen der Insulaner habe ich aber ebenfalls bekommen. Vor Allem begleiten wir die Mitglieder der Familie Hansen, die noch in so einem alten Haus leben ( dürfen) und ihre jeweiligen Probleme und Gefühle. Besonders konnte ich mich in Eske Hansen ( die erwachsene Tochter) hineinversetzen, da sie im Pflegeheim arbeitet und dort die Nachtschichten schiebt. Ihre Gedanken über die alten Menschen und ihre Arbeit mit ihnen kamen mir sehr vertraut vor.
Das Inselleben wird hier ungeschönt dargestellt und auch die Umweltproblematik, Abwanderung der jungen Leute und die beiden Seiten der Medaille des Tourismus sind Themen dieses Buches.
„Alle Inseln ziehen Menschen an, die Wunden haben, Ausschläge auf Haut und Seele. Die nicht mehr richtig atmen können oder nicht mehr glauben, die verlassen wurden oder jemanden verlassen haben. Und die See soll es dann richten, und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr wehtut.“ - Dörte Hansen, "Zur See"
Seit fast 300 Jahren lebt die Familie Sander bereits auf der kleinen Nordseeinsel, ihr Walfänger-Haus ist ein beliebtes Fotomotiv für Tourist*innen, heute zieht es aber nur noch den ältesten Sohn Ryckmer auf die See - genauso wie zum Alkohol. Vater Jens ist vor Familie und Seefahrt in die Einsamkeit des Berufs als Vogelwart geflohen, Mutter Hanne ist rastlos, auf der Flucht vor eben jener Einsamkeit, Tochter Eske pflegt in einem Altersheim alte Seefahrer und Witwen, ist zugleich von einer riesigen Wut und Abwehrhaltung gegenüber der Touristikbranche erfüllt. Nur der jüngste Sohn Henrik scheint sich in seinem Leben wohl zu fühlen, jeden Morgen sammelt er Treibgut am Strand und stellt daraus Figuren her.
Aus dieser zerrissenen Familienkonstellation heraus erzählt Dörte Hansen in ihrem neuen Roman "Zur See" vom Leben auf einer Nordseeinsel, von der Ambivalenz der Abgeschiedenheit der Inselbewohner*innen auf der einen Seite und den nicht abreißen wollenden Urlauber-Strömen in den Sommermonaten auf der anderen. Ein Jahr lang begleiten die Leser*innen die Familie Sander - ein Jahr, in dem sich zuerst fast unmerklich, und dann doch schlagartig alles für sie verändert. Ohne viele Dialoge, aber dennoch voll menschlicher Zwischentöne berichtet die Autorin von vererbten Traumata, von Einsamkeit, menschlichen Abgründen, Sucht und den Schattenseiten des Fremdenverkehrs. Gleichzeitig ist "Zur See" aber auch eine Geschichte über tiefe Verwurzelung mit geliebten Menschen und Orten, der Zuneigung zur Natur sowie der Sehnsucht nach dem Meer, wie immer ganz wunderbar erzählt.
Vom Land auf die See reist Dörte Hansen mit "Zur See" - diese buchige Überfahrt ist ihr sehr gut gelungen, auch wenn mich ihr Debüt "Altes Land" thematisch etwas mehr angesprochen hat als dieses Werk. Beeindruckend finde ich, wie gut es ihr gelingt, eine ganz individuelle Geschichte zu erzählen, die gleichzeitig sehr allgemeingültige, aktuelle Themen behandelt: Klimakrise, Glaube, Konsum, Touristik. Von den Protagonist*innen bis zu den Nebenfiguren sehr lebendig und berührend gezeichnet - mich hat Dörte Hansen erneut überzeugt!
Der dritte Volltreffer. Wie spielend leicht es Frau Hansen gelingt mit kurzen, prägnanten Sätzen und Aussagen das Leser:innenherz zu berühren ist fantastisch. Hier geht nur die Höchstnote.
Mit feinem Humor und ohne Parteinahmen oder Wertung, schildert Dörte Hansen die Menschen auf dieser kleinen Insel. Und dabei behandelt sie starke Themen. Und das Alles sehr atmosphärisch.
Manche mögen sagen, es ist feinfühlig und poetisch geschrieben. Ich fand es einfach nur zäh. Manchmal habe ich mich dabei ertappt, wie ich ganze Seiten überflogen habe, weil ich wollte, dass der Plot endlich irgendwie vorankommt, dass irgendetwas passiert. Die Personen werden wie aus der Ferne beschrieben, man kommt keinem nah. Jeder ist für sich allein, in seiner Welt, traurig und einsam und alle haben sich entfremdet. Die Geschichte tröpfelt so vor sich hin, es gibt weder einen Höhepunkt noch einen roten Faden. Jedenfalls keinen, den ich finden konnte. Vielleicht ging es der Autorin einfach darum, das Leben der Inselbewohner zu beschreiben, ganz unaufgeregt. Für mich war es schlicht und einfach zu langweilig, zu deprimierend und sehr anstrengend zu lesen.
Dörte Hansen beschreibt die Nordsee und ihre Menschen. Es sind gebrochene Menschen, die oft lieber mit Vögeln oder gar ihren Thermoskannen sprechen als mit anderen Menschen. Themen wie Tourismus oder Alkoholismus spielen eine große Rolle. Ein Wal strandet hier und wird zu einem Problem, einer Attraktion und einem Symbol.
Im Zentrum stehen die Mitglieder der Familie Sander. Die Familie ist auseinander gefallen und lebt neben sich her. Für Außenstehende ist es nicht wirklich möglich in diese zerbrochene Gemeinschaft hereinzukommen. Es gibt ein undefiniertes abweisendes Element. Das überträgt sich stellenweise auf mich als Leser. Ich möchte das Buch in diesen Passagen trotzdem gut finden, aber es lässt mich nicht wirklich rein.
Dann gibt es aber Charaktere wie die Heavy-Metal hörende Eske Sander oder den zweifelnden Insel-Pastor Matthias Lehmann, die so gut beschrieben sind, dass das Buch für mich eines der besten des Jahres sein könnte. Da diese hohe Qualität nicht durchgängig gehalten wird, bleibt es aber bei "nur" vier sehr guten Sternen.
Tuli ära see selle aasta esimene viiekas ja kindlalt tänavusse esikümnesse pääseja.
Lihtsalt, siin raamatus on kõik paigas mu jaoks. Sisu ja vorm klapib kokku. Saar ja sealse elu eripärad. Elu hooajal ja väljaspool seda. Selle kõige kohal autori terane pilk, mis (enamasti) hinnanguid andmata vajutab ühiskondlike valupunktidele, muutunud aegadele, inimsuhetele. Ta teeb seda võrdlemisi napilt, see ongi teksti suurim väärtus. Pikalt ja laialivalguvalt oskame kõik heietada, aga katsu sa lühidalt oma asi ära öelda, lisaks veel peita ridade vahele. Siinkohal on kahtlemata suur teene ka tõlkijal - Eve Sooneste -, kes neid lausekompusid on kullatolmus veeretanud.
Dörte Hansen kartographiert in „Zur See“ auf sehr melancholische Weise das Leben auf einer Nordseeinsel, das getaktet ist durch die Gezeiten, vor allem aber durch den zunehmenden Tourismus, dem die Insel unterworfen ist. Dabei geht es schwerpunktmäßig um die alteingesessene Familie Sander, aber auch um den Inselpastor und am Rande um viele weitere Bewohner*innen der Insel. Obwohl es in dem Buch nahezu keine wörtliche Rede gibt, war ich als Leserin ganz nahe bei den einzelnen Personen, was vor allem der feinen Beobachtungsgabe und dem Schreibstil der Autorin geschuldet ist, die mit treffenden Worten und Metaphern tolle Bilder erschafft, dabei aber stets schnörkellos und ungekünstelt schreibt. Eine klare Leseempfehlung!
Familie Sander lebt schon seit Generationen auf der Nordsee-Insel. Eine Seemannsfamilie, deren Männer auf Schiffen unterwegs sind, während die Frauen zu Hause das Inselleben weiter aufrechterhalten. Hanne Sander ist eine dieser Frauen. In den Sommermonaten wurde ihr Haus für viele Jahre zur temporären Wohnstatt von Touristen, die drei eigenen Kinder mussten dafür ihre Zimmer aufgeben. Inzwischen sind die Kinder erwachsen und der Mann fährt nicht mehr zu See - daheim ist er trotzdem nicht. Jens Sander bevorzugt die Einsamkeit, beobachtet lieber Vögel als unter Menschen zu sein. Währenddessen versucht sein ältester Sohn Ryckmer alten und neuen Schmerz wegzutrinken und Tochter Eske pendelt mit einer Wut im Bauch zwischen Festland und Insel hin und her. Der jüngste Sohn Henrik lebt in seiner eigenen Welt: er fertigt Skulpturen aus Treibgut an und verdient damit gutes Geld, das ihm gleichgültig zu sein scheint. Dörte Hansen zeichnet ein Porträt von dieser Familie, beleuchtet jedes einzelne Mitglied mit ruhigem Blick und Worten wie Sandpapier, die sich langsam unter die Haut schubbern. Themen wie Massentourismus, Gentrifizierung und sterbenden Dialekten erzählt sie quasi nebenbei. Viel Plot gibt es nicht in "Auf See", viel gesprochenes Wort auch nicht. Und doch passiert hier ganz viel - sowohl mit den Figuren, als auch mit einem selbst. (Kleine Triggerwarnung: sexueller Missbrauch, wenn auch subtil beschrieben.) Einmal vom Nordseewind durgepustet fühlt man sich am Ende, mit Salzkruste an den Wimpern und kalten Tränen auf den Wangen. Überhaupt fallen mir nur kitschige Bilder zu dem Buch ein ("Ein Buch wie ein Novembertag", "Leicht neblig mit kleinen Lichtdurchbrüchen", "Ich weine nicht, ihr weint" o.ä.), obwohl das Buch gar nicht kitschig ist und ich eine klare Leseempfehlung ausspreche.
Auf einer Nordseeinsel, eine Fährstunde vom Festland entfernt, lebt die Familie Sander. Hanne hat drei Kinder grossgezogen, ihr Mann ging früher zu See. Doch dann hat er sich in die Wildnis zurückgezogen; der älteste Sohn hat ein Alkoholproblem, und Tochter Eske fürchtet die Zerstörung der Inselkultur durch die anwachsenden Touristenströme. Den Jüngsten, Henrik, hat es nie auf ein Schiff gezogen. Er bleibt lieber am Strand und lässt sich treiben. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie von Grund auf – erst kaum merklich, dann aber mit voller Wucht.
«Zur See» ist ein zugänglicher Familienroman, der die Veränderungen des Lebens an der Nordsee bildhaft illustriert. Obwohl gut geschrieben, konnte mich Dörte Hansen mit diesem Buch allerdings nicht wirklich berühren. Die verschiedenen Figuren bleiben skizzenhaft, die Handlung ein wenig langweilig. Da haben mit Altes Land und Mittagsstunde viel besser gefallen.
Ein stilles, ruhiges und wunderschönes Buch. Wie erleben die Inselbewohner einer Nordseeinsel die stetigen Wechsel ihrer Heimat. Touristen, Hotels und Gäste im Haus. Fischer werden zu Kutschenführer. Die Jugend reist aus und selbst der Inselpfarrer hält es nicht mehr aus... Nachdenklich und auch traurig.
Ich werde irgendwie kein Fan von Dörte Hansen. Auch dieses Buch fand ich mehrheitlich langweilig. Eine Handlung gab es eigentlich nicht und das merkwürdige bashing gegen den Tourismus an der Nordsee mutet seltsam an. Auch der Twist am Ende ist zusammenhanglos. Dre Sterne nur deshalb, weil es gut geschrieben ist.
Dörte Hansen erzählt in ihrem neuen Roman „Zur See“ in ihrer unverwechselbaren Sprache von den Bewohnern einer namenlos bleibenden deutschen Nordseeinsel. Im Mittelpunkt ihrer Erzählung steht die Familie Sander, deren Mutter Hanne noch ein altes Kapitänshaus mit Reetdach und Walknochenzaun bewohnt, das als Fotomotiv bei den Touristen beliebt ist.
Hanne heiratete als junge Frau Jens Sander, der genau wie die Generationen vor ihm große Teile des Jahres auf See verbrachte und die Frau allein Zuhause ließ. Doch Hanne wartet nicht gerne. Sie hat das Warten und die Schwermut vertrieben, indem sie ständig in Bewegung blieb, die Hände immer arbeitend, den Blick bloß nicht zum Horizont schweifen lassend. Und wenn der Mann nach Hause kommt, gibt es kein warmherziges Willkommensheißen, sondern bloß stille Wut und unausgesprochene Vorwürfe, weil er sie allein ließ.
Kein Wunder, dass diese Ehe nicht ewig hält. Heute lebt Familienvater Jens Sander als Vogelwart auf einer unter Naturschutz stehenden Insel vor der Insel. Beobachtet und kartiert das Kommen und Gehen der Vögel und merkt gar nicht, wie einsam er ist, bis er auf einmal unerwartet Gesellschaft bekommt.
Ryckmer Sander ist der älteste Sohn der Familie, der zur See fuhr wie der Vater, weil weder er noch seine Eltern auf die Idee kamen, dass ein anderes Leben für ihn möglich wäre. Doch es bekam ihm nicht: Kapitän Ryckmer Sander verlor in einem schweren Sturm die Kontrolle über sein Schiff, geriet in Panik, als er das Wasser wie eine weiße Wand über ihm aufragen sah. Er überlebte, doch seitdem graut ihm vor den Stürmen und er soff sich von der Kommandobrücke seines Frachters zum Decksmann einer Inselfähre hinab. Mit 40 Jahren zieht er wieder bei der Mutter ein.
Auch von der Tochter Eske wird erzählt, Altenpflegerin und Death Metal Fan, und dem jüngeren Sohn Henrik, ein Künstler, der den Strand und die See mehr braucht als jeden Menschen und der aus dem, was er im Spülsaum findet, gefeierte Skulpturen bastelt. Und auch der Inselpastor findet Erwähnung, dessen Frau es auf einmal ans Festland zieht und der von Selbstzweifeln geplagt die Insel- und Tagesränder entlang joggt, als würde er von jemandem gejagt.
Von den Leben all dieser Menschen erzählt Dörte Hansen in wundervollen Bildern und einer Sprache, die mich von der ersten Seite an verzaubert hat. Den ganz eigenen Ton, den sie dabei findet, zu beschreiben, fällt mir nicht leicht, auch wenn ich ihn noch im Ohr habe. Sie setzt wenige, prägnante Worte, nutzt Ellipsen und treffende Metaphern und schafft es irgendwie, zugleich bildhaft und nüchtern zu klingen.
Sie erzählt von einer Insel, die sich wandelt, während die alten Generationen zusammen mit ihrer „Inselsprache“ aussterben. An den Touristen und Wochenendhausbewohnern die die Insel einnehmen und für immer verändern, lassen die Alteingesessenen Inselbewohner, aus deren Sicht erzählt wird, kaum ein gutes Haar. So wird das Buch auch zu der Chronik einer Gesellschaft und eines Ortes im Wandel. Denn noch ehe Klimawandel und Extremwetter die Insel verschlucken werden, so macht die Geschichte glauben, wird das wahre Herz der Insel längst verstummt und verkauft sein, die alten Traditionen vergessen, die Fischkutter zur Ausflugsbooten umgerüstet, die alten Trachten nur noch Kostüme, das Kapitänshaus der Familie Sander eine Touristenattraktion.
„Zur See“ reicht für mich nicht an Hansens Roman „Mittagsstunde“ heran – vielleicht liegt es daran, dass die Erzählung hier Einblick in das Seelenleben so vieler Personen geben möchte und dadurch nicht dieselbe Tiefe erzielt? Dennoch ist es wieder ein wunderbar gelungenes Buch, das ein treffendes Bild des Strukturwandels auf den Nordseeinseln zeichnet und gleichzeitig mit großem Feingefühl persönliche Schicksale auslotet.
Auf einer kleinen Nordseeinsel irgendwo zwischen Jütland, Friesland oder Zeeland: Hier ist das Klima rau - und manchmal auch der Umgang der Menschen miteinander. Viele Familien leben hier seit Generationen. So auch Hanne Sander, ihre drei erwachsenen Kinder und Mann Jens. Aber es gibt auch die Zugezogenen wie der Inselpfarrer.
„Zur See“ ist ein Roman von Dörte Hansen.
Meine Meinung: 14 Kapitel umfasst der Roman, wobei jedes von ihnen den Schwerpunkt auf eine der Figuren legt. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge, allerdings mit diversen Rückblicken. Die Handlung erstreckt sich über etliche Monate.
Sprachlich hat mich der Roman begeistert. Starke, teils ungewöhnliche Bilder, viel Atmosphäre und eindringliche Beschreibungen prägen ihn. Der Schreibstil ist unaufgeregt und dennoch fesselnd. Da lässt es sich auch über die eine und andere allzu pathetische Passage hinwegsehen.
Die Figuren sind eine weitere Stärke des Romans. Die Erzählstimme ist nahe bei den Charakteren und blickt in ihre Seelen. Alle Protagonisten sind mit psychologischer Tiefe ausgestattet. Sie wirken lebensnah und überaus menschlich. Bei ihren Figuren beweist die Autorin, dass sie sich auf Grautöne versteht. Den Finger legt der Roman immer wieder in die Wunden, beleuchtet die Schwächen und Macken. Dennoch: Keine der Personen ist durchweg böse oder missraten.
Thematisch ist die Geschichte sehr facettenreich, ohne zu überladen zu wirken. Es geht um Naturschutz, Tourismus, menschliche Beziehungen, das oft entbehrungsreiche Inselleben und einiges mehr. Erwartungsgemäß nimmt die See breiten Raum ein, jedoch nicht in ihrer romantisierten Version, sondern vielmehr mit ihren Schattenseiten.
Wie schon das Cover vermuten lässt, bietet die Geschichte Tragik und Melancholie. Ein klassischer Spannungsbogen ist nicht vorhanden. Aber mehrere Überraschungen auf den rund 250 Seiten steigern den Lesegenuss.
Der Titel passt hervorragend zum Inhalt. Auch das etwas übertrieben dargestellte Cover spricht mich an.
Mein Fazit: Mit „Zur See“ hat mich Dörte Hansen zum wiederholten Male überzeugt. Ein Lesehighlight 2022 und ein sehr empfehlenswerter Roman, nicht nur für Inselfans.
Ich bin ehrlich entsetzt, dass ich das Buch nicht mag. Ich hatte mich echt darauf gefreut und den Anfang fand ich auch stark. Aber es geht eigentlich nur um Menschen, die unzufrieden mit ihrem Leben sind, denen andauernd nur Mist passiert, die nicht miteinander reden und am Ende verändern sie sich dann alle. Die Stimmung ist einfach nur drückend und ich wollte das Buch gerne mehrfach an die Wand werfen. Schade um die schöne Büchergilde Ausgabe, aber das zieht aus!
Wow, dieses Buch war der Hammer. Ein bisschen traurig, dabei poetisch und vor allem authentisch - ich bin begeistert und hab die nächsten Tage bestimmt einen „Book Hangover“. Der nächste Roman muss einiges mitbringen, um das hier zu toppen. 😁
„Der Glaube ist ein krankes Kind, die Liebe ist ein Biest. Die Hoffnung ist nicht tot zu kriegen.“
Mit ihrem neuen Roman „Zur See“ hat mich die Autorin Dörte Hansen wieder von der ersten Seite an in ihren Bann gezogen. Es ist eine grandios erzählte Geschichte über die Seefahrer-Familie Sander, deren Heimat-Insel und Bewohner und einem Inselpastor, der an Pastoritis leidet.
Bereits mit dem ersten Kapitel, in dem „lediglich“ zwei der Hauptfiguren aus der Familie Sander vorgestellt werden, war für mich klar, dass dieses Buch genau das ist, was ich zur Zeit lesen will und genießen kann. Ein ruhig erzähltes Buch mit wenigen Dialoge und wenig Handlung, aber mit großer Wärme erzählt und mit Charakteren, die im Kopf bleiben, die man nicht vergessen wird, weil sie so lebensnah und echt wirken, so bärbeißig, wortkarg und ungehobelt, verschroben sie auch sein mögen. Das ist kein Buch mit strahlenden Helden, sondern eins mit verkrachten Persönlichkeiten, denen allerdings – im Vergleich zu „Mittagsstunde“ und „Altes Land“ (vermutlich mit purer Absicht) – ein wenig der besondere Charme fehlte, den ich bei Sönke oder Vera so geliebt habe.
„Zur See“ ist anders als die anderen Bücher der Autorin, deutlich ruhiger, ähnlich wortkarg und rau wie die See und die Inselbewohner. Es ist keine einfache Geschichte, es passieren Dinge, die tief traurig, tragisch oder auch erschreckend sind, Dinge von denen man nicht lesen will und glücklicherweise auch nicht in aller Detailtiefe lesen muss. Wie für ihre Figuren findet die Autorin für diese Situationen genau die richtigen Worte ohne pathetisch oder gar kitschig zu werden. Sie fängt Situationen, Menschen, Menschenschläge, Gefühle – das Leben - so unfassbar gut ein, schreibt wunderbar atmosphärisch, mit kraftvollen Bildern und so echt. Ich hatte als Leserin permanent das Gefühl, dass die Autorin ihre Worte mit großer Sorgfalt wählt und sich lieber etwas mehr Zeit lässt, um diese 255 Seiten zu schreiben. Das bedeutet allerdings für mich als Leserin, dass ich viel Geduld aufbringen muss, bis es neues Lesefutter von Dörte Hansen gibt.
Auch wenn „Zur See“ in meinen Augen nicht ganz mit „Mittagsstunde“ und „Altes Land“ mithalten kann, hat sich jedes Wort, das ich hier lesen durfte gelohnt. Leseempfehlung!
Es passiert nicht oft, dass ich einem Roman, der schon beim Erscheinen prompt auf der Bestsellerliste landet, fünf Sterne vergebe. Meistens kann man solchen Büchern entweder massentaugliche Seichtigkeit oder schlicht mangelnde literarische Qualität attestieren, gemacht für ein großes Publikum mit wenigen bis gar keinen literarischen Ansprüchen. Dörte Hansen beweist mit "Zur See" ausnahmsweise, dass es anders geht und es Ausnahmen von der Regel gibt. Ich habe alle drei ihrer Romane gelesen. Ihr Debütroman "Altes Land" war für mich ein gelungenes Debüt. Ihr zweiter Roman "Mittagsstunde" (die Verfilmung mit Charly Hübner ist gerade im Kino zu sehen) war für mich schon eine große Steigerung zum Erstling, nämlich ein wirklich gutes Buch. "Zur See" ist aber schlicht und ergreifend ihr drittes und bestes Werk.
Anders als in den ersten beiden Romanen, die relativ handlungsorientiert einer Hauptfigur folgen, weicht Hansen in "Zur See" von dieser Erzählstruktur ab. Es gibt keine eine Hauptfigur. Die Hauptfiguren sind eine namenlose Nordseeinsel, die gefühlt jede sein könnte, und eine Familie (Mutter, Vater, drei erwachsene Kinder), die seit Generationen auf dieser Insel lebt. Wie mit einer Drohne schreibt sich Hansen an die Insel heran und die ersten fünf Kapitel stellen je eines der fünf Familienmitglieder vor. Gleichzeitig treten aber auch immer wieder Nebenfiguren auf, beispielsweise ein ziemlich komplex gestalteter Inselpastor. Alle kennen einander und doch haben sich alle voneinander entfremdet, seit das ursprüngliche Inselleben von den Touristenströmen und neureichen Zweitwohnbesitzer*innen ersetzt wurde.
Dörte Hansen beschreibt die Kluft zwischen den Menschen, die in allen Jahreszeiten auf einer Insel leben und denen, die dies romantisieren und über die Sommermonate in Beschlag nehmen, wodurch sich die Inselbewohner auf der eigenen Insel fremd fühlen, treffend, nüchtern und ohne Wertung. Noch stärker sind aber die Passagen der Entfremdung der einzelnen Familienmitglieder, die alle unterschiedlich umgehen mit dem Verschwinden einer vergangenen Lebenswirklichkeit. In wenigen Worten schafft es Hansen, Figuren zu erschaffen, zu beschreiben - und das in denkbar kurzen Sätzen und Passagen. Alle Figuren haben ihre Last zu tragen, alle werden mit einer ungeheurlichen Zärtlichkeit und einem schönen lakonischen Humor erzählt. Als Leser*in ist man, trotz aller Makel, von jeder Figur eingenommen, man hofft, ringt und hat Mitleid mit ihnen. Freut sich mit ihnen, wenn sich manche Dinge doch auch zum Guten wenden, was nicht immer der Fall ist.
Dörte Hansen schafft das fast gänzlich ohne Pathos. Ihre Sprache ist schlicht, nüchtern, fast spröde - und trotzdem oder deswegen erschafft sie große poetische Bilder. Dadurch, dass es nicht die eine Hauptfigur gibt, erzählt sie erstmals episodenhafter, ein drohnenhafter Blick von oben auf die Inselbewohner, aber auch tief in sie hinein. Das fand ich tief beeindruckend, gerade weil die ersten beiden Romane in einem doch recht anderem Stil geschrieben waren.
Fazit: Dörte Hansen legt mit "Zur See" ihren bisher besten Roman vor. Ein Familien- und ein Inselportrait, auf beiden Ebenen ohne Einschränkung absolut überzeugend. Ein Roman über das Verschwinden von dem was man kennt, darüber wie sich die eigene Heimat über die Jahre verändert, ohne nostalgisch, pathetisch oder im schlechten / seichten Sinne ein verpönter Heimatroman zu sein. Im Gegenteil: "Zur See" ist ein stiller, unglaublich kraftvoller Roman über Familien- und Heimatstrukturen, poetisch und distanziert, klug konstruiert und wunderbar schlicht und prägnant geschrieben. Für mich eines der besten Bücher 2022.
Leseempfehlung meinerseits? Die Frage stellt sich wohl nicht ;)
Wer selbst in Norddeutschland nahe der Nordsee aufgewachsen ist, wenn auch nicht auf einer Insel, aber stattdessen in einem kleinen Dorf, kann die Atmosphäre in diesem Buch besonders gut nachvollziehen und spüren. Die Unnahbarkeit der Menschen, das Totschweigen von Konflikten, das Tolerieren von Situationen, die wahrscheinlich durch Kommunikation oder selbst kleinste Verhaltensänderungen aufgelöst werden könnten und nicht zuletzt diese allzeit prominente Hassliebe zur Heimat - all das ist so authentisch, dass es mich geradezu in das 2000-Einwohner-Dorf meiner Kindheit und Jugend zurückbefördern konnte. Ja, man möchte diese Menschen manchmal schütteln, aber genau dieses Gefühl ist es wohl, das Dörte Hansen hier erzeugen wollte. Absolut lesenswert, insbesondere für Nordlichter, oder solche, die es werden wollen!
Und auch diesmal ein absolutes Highlight Buch, wie schon Altes Land und Mittagsstunde.
Ruhig erzählt sie, vom Meer, den Inselfrauen und Seefahrermännern. Von den Kindern die in Häusern mit niedrigen Decken und Wahlknochenzaun groß werden.. Von den Stimmen die der Wind in den Köpfen weckt wenn man ihn den lässt, dem Schnaps und Bier als Versuch ihn zum verstummen zu bringen. Und von der See. Der Angst und Liebe zu ihr, der unberechenbaren Naturgewalt und den pünktlichen Gezeiten. Von wallenden Wellen die ständig alles neu formen. Von der ständigen Veränderung die auch vor Wahlfängerhäusern mit Giebelinschrift keinen Halt macht.... Und so unberührbahr, kalt und weit das klingen mag, so warm und tief ins Herz geht das was da erzählt wird.
Un libro che narra della vita in una piccola isola del mare del nord e che si concentra in particolare su una famiglia che da sempre abita sull’isola e la cui vita verrà stravolta da piccoli e grandi cambiamenti, che sono un po’ come i cambiamenti che subisce l’isola stessa nel corso del tempo.
Mi aspettavo un romanzo tradizionale, invece lo stile è quasi documentaristico, corale, passa da un personaggio all’altro. Una scrittura oggettivamente molto valida, con passaggi intensi e suggestivi, però purtroppo non mi ha coinvolta, mi ha fatto percepire come una barriera tra narrazione e storia. A causa di ciò la lettura per me è stata un po’ lenta e difficoltosa da metabolizzare. Peccato, perché altrimenti sarebbe stato un libro da 5 stelline.
Ik heb bepaald niet de indruk zij erg bekend is in Nederland en dat is zeer te betreuren! Ook dit is weer uitstekend. Zij blinkt uit in het beschrijven van het wel en wee in kleine gemeenschappen. In dit geval speelt het op een klein eiland. Het gaat over de lotgevallen van eilandbewoners met de focus op een verscheurd gezin. Er lijkt weinig te gebeuren, veel is min of meer beschrijvend, maar de onderhuidse spanning en de weggestopte emoties zijn zo goed voelbaar! De schimpscheuten aan het adres van de toeristen, tijdelijke bewoners die voor inkomsten zorgen en die je verder maar voor lief moet nemen, maken het feestje compleet.