Der Psychiater und Psychotherapeut Raphael Bonelli erklärt wissenschaftlich fundiert und unterhaltsam, warum wir dem Bauch zuhören, ihm aber nicht unbedingt folgen sollten. Ein faszinierender Blick auf das komplexe Wesen Mensch anhand eines bisher weitgehend unerforschten Themas.
Puh, auf dieses Buch hatte ich mich eigentlich gefreut zumal einer meiner besten Freunde einer der Teamleiter des Verlages ist.
ABER Herr Bonelli hat auf 200 Seiten viel gesagt, ohne überhaupt irgendetwas zu sagen (Entschuldige, Freund).
Beeindruckend war, wie wissenschaftlich genau und doch simpel aufbereitet Raphael Bonelli an das Thema heranging. Bauchgefühle, jeder kennt sie. Das gute oder ungute Gefühl im Magen, wenn man darüber nachdenkt, eine Entscheidung zu treffen, eine Handlung zu begehen oder ob man Person XY mag. „Ich hab ein ganz ungutes Gefühl im Bauch“ hat sicher schon mal der eine oder andere gesagt. Aber so ganz genau hat sich noch niemand damit auseinandergesetzt, was es eigentlich auf sich hat mit diesem Bauchgefühl. Bis jetzt.
Wir gehen nach Griechenland, zu Platos, betrachten in Wien Siegmund Freuds Determinismus und griechische Figuren, die einige der größten Treibstoffe des Bauchgefühls darstellen - damit meine ich Gefühle wie zum Beispiel Aggression. Das war alles ziemlich beeindruckend, denn selten habe ich ein psychologisches Sachbuch gelesen, in welchem der Autor Freuds Determinismus seinen Platz einräumte, obwohl er auch dessen Kontroversität als Variable in der Gleichung akzeptierte bzw. dessen pure Existenz. Manche sind da ja ganz pingelig, solange sie es nicht aktiv aussprechen (oder in diesem Fall schreiben), gibt es nur die eine Wahrheit, die sie doch anerkennen - ist der Determinismus noch aktuell oder überholt?
Pluspunkte gibt es auch für die zwei, drei Fallbeispiele. Kurze, einfache Szenen, die aber alle gleich ablaufen. Jemand geht zum Psychotherapeuten, hat ein Problem und erzählt es. Überhaupt wird alles in Verbindung gebracht mit der Psychotherapie. Ja, Herr Bonelli, wir haben es verstanden. Sie sind Psychiater. Himmelherrgott.
Jetzt aber zu meinen persönlichen Knackpunkten: das Buch dreht sich ja - nicht nur laut Klappentext, sondern sogar laut Untertitel auf dem Buchdeckel! - darum, dass Bauchgefühle nicht immer gut sind und wie man sie am besten nutzen kann.
Aber, bei allem Respekt, am Ende der 200 Seiten hab ich immer noch nicht gewusst, wie ich mein Bauchgrummeln am effektivsten nutzen kann für meine persönliche Entwicklung. Überhaupt ist die gesamte Ergründung des Ursprungs KOMPLETT untergegangen angesichts Bonellis liebevoller, fast schon schmachtender Ausbreitung seiner psychowissenschaftlichen Recherchen. Die Kernthemen seines Excerpts ertrinken darin, wie sehr Bonelli sich in den einzelnen Kapiteln verrennt und sein ursprünglich sehr interessantes und nobles Thema verfehlt.
Ich weiß nicht, ob das Bonellis klassischer Schreibstil ist. Das ist, glaube ich, mein erstes Buch von ihm. Aber was im Titel und im Klappentext noch echt interessant klingt, wird im Buch selbst fast gar nicht beantwortet.
Ich finde es Klasse, wie Herr Bonelli dieses doch komplexere Thema durch die Nutzung seiner Metaphern für alle verständlich macht. Das Buch war, ohne große Absicht, für mich eine Einführung in das Thema freier Wille und Kontrolle der Emotionen. Warum nur eine Einführung? Der Titel sagt zwar "wie wir sie nutzen" allerdings ging es im Buch 90% darum, wie wir uns von ihnen nicht überrennen lassen und selten waren mal ein zwei Worte enthalten, welche sagten "sie warnen uns und sind nicht immer schlecht per se". Als wäre das Buch noch nicht vollständig. Ich mochte allerdings sehr, dass der Autor verschiedene Philosophen miteinbezogen und dessen Idee erklärt hat.