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Hardcover
First published January 1, 1955
'Die glückliche Stunde war ihr zerstört. Alle Blumen schienen ein wenig von ihr abgerückt und durch eine unsichtbare Wand von ihr getrennt. Sie hätte gerne geweint, aber dann schämte sie sich vor den Pfingstrosen und tat so, als sei nichts geschehen.' p.82After reading ‘Die wand’ I heard from my GR friend Markus that Marlen Haushofer suffered from severe depression. This suggests that the wall is a metaphor for depression: Suddenly one finds him- or herself isolated from everyone and not being able to break out. Connecting with nature can offer consolation, as I know from my own experience too. Bearing that in mind, this novel may be read as an explicit description of how depressions arises. This is not a metaphor; this is how it works!
'Das ganze Tal war von der schmerzenden Süßigkeit des späten Frühlings, aber es vermochte nicht, ihr Herz zu rühren. Eine unsichtbare Wand hatte sich zwischen sie und alle Dinge geschoben und ließ ihre Sinne ertauben.' p.168

'Nachdem sich die Tür hinter ihrer Gastgeberin geschlossen hatte, nahm Betty sogleich die dunklen Gläser ab und legte sie auf den Tisch. Immer schon hatte sie Sonnenbrillen verabscheut. Sie veränderten die Welt auf eine kaum merkliche, aber um so unheimlichere Weise. Etwa als ginge man auf dem Meeresgrund dahin oder in einem Land, das nicht von dieser Erde war, auf einem fremden Stern, auf dem das Leben nur noch als schwacher Hauch fühlbar war und langsam in grünblauen Schatten versiegte.' p.25
'Aus der eisernen Truhe begann das Böse in den Raum zu sickern. Es stieg bis an die Knöchel, und Lieserl mußte die Beine hochziehen. Aber es dauerte nicht lange, und es kroch unaufhaltsam höher. Lieserl spürte die drohenden Blicke der Kommoden im Rücken, aber sie wagte sich nicht umzudrehen, denn man durfte die Truhe nicht aus den Augen lassen.' p.36
'Der Wind bauschte plötzlich den Vorhang hoch und strich kühl über Bettys Bett. Wieder hatte sie das Gefühl, es sei klüger, die Karte zurückzuwerfen und das Licht auszuschalten, aber dazu war es zu spät. Die Bilder stiegen auf und fingen ihr gespenstiges Leben an. Betty ließ sich in den Polster sinken und schloß die Augen.' p.43-44
'Käthe trat näher und fuhr mit der festen runden Hand über die weißflockigen Schneeballköpfe. Es tat Elisabeth weh bis in die Zehenspitzen, aber sie beherrschte sich.' p.81
'Käthe roch nach Veilchenseife und darunter nach jungen Kühen, eine Mischung, die Elisabeth immer in sanftes, träges Behagen versetzte. Sie war dann ehrlich überzeugt davon, alles bei Käthe zu finden, was sie brauchte, bis endlich das nagende Gefühl der Leere sie wieder zu Margot trieb, zu den vertrauten Spielen mit Worten und Bildern. Dann konnte sie ihre zeitweilige Abneigung nicht mehr begreifen und beobachtete die Freundin genau.' p.97
'Betty gehörte nicht zu den Leuten, die ihre Opfer im Keller verscharren, sie war daran gewöhnt, auf Schritt und Tritt Gespenstern zu begegnen; nur auf diese Art verloren sie mit der Zeit ihre Schrecken und man konnte auf einigermaßen vertrautem Fuß mit ihnen leben. Wahrscheinlich gab es auch Häuser, in denen sie selber spukte, und Keller, in denen sie vermoderte, von Bergen alten Gerümpels bedeckt. Man durfte Margot nicht mit Gewalt vertreiben, auch wenn sie schwerer wog, als Betty sich vorgestellt hatte.' p.102
'Das war einer der Gründe, daß sie sich immer im Umgang mit Männern sicherer gefühlt hatte. Sie logen zwar auch, aber nur mit dem Mund. Ihre Körper verrieten sie, und Betty wunderte sich manchmal darüber, daß noch keiner auf den Gedanken gekommen war, ebenso wie die Frauen seine Spuren mit fremden Duftstoffen und Schminke zu verwischen. Es gab nichts Ehrlicheres als den Körper eines Mannes, wenn man sich auf diese Sprache verstand.' p.103-104
'Und da war Günther, der zehn Jahre alter war als sie und der so gern und gut über alles mögliche reden konnte, der sie in die Theater. Konzerte und Ausstellungen mitnahm und dessen Hirn mit Zahlen und Namen angestopft schien. Bis er sie eines Tages, vor einem präparierten Reiher, fragte, ob sie ihn gern habe. Elisabeth, peinlich berührt von dieser Frage, sagte ja, um ihn nicht zu verletzen, und war von dieser Stunde an verlobt.' p.116
‘Plötzlich wußte Elisabeth, daß sie gar nicht hiehergehörte, daß die Stimmen von nebenan die eines fremden Mannes und eines fremden Kindes waren. Es war, als habe sie sich in das behagliche Bürgerhaus nur eingeschlichen und warte beklommen darauf, entdeckt zu werden. Die seidene Steppdecke, der Toilettetisch, die Kleider im Kasten, alles gehörte nicht ihr, sondern einer ganz anderen.' p.134
'Es war einfach unmöglich, durch die dicke, ölige Schicht anerzogener und übernommener Vorurteile zu dringen, bis man auf den echten Toni traf, der gar nichts zu tun hatte mit Anton Pfluger, dem Besitzer der Nägelfabrik. Sie wußte, daß es diesen Toni gab, aber in der letzten Zeit bekam sie ihn immer seltener zu Gesicht.' p.137
'Dann hörte Lenart plötzlich zu erzählen auf und Elisabeth mußte auf seinen großen Mund schauen. Mit einemmal fühlte sie sich von aller Welt abgeschnitten in ihrer Fensternische und diesem fremden Menschen ausgeliefert, der jetzt auch noch anfing, sie anzustarren. Ohne es zu merken, zerkrümelte sie die Papierserviette in winzige Stückchen, bis er sie sanft aus ihrer Hand nahm und lächelte.' p.140
'In diesem Winter fing sie an, sich Gedanken über fremde Leute zu machen. Es gab kein Innen und kein Außen mehr. keine Grenze, die sie von den Bettlern und schmutzigen Gassenkindern trennte. Elisabeth war durchlässig geworden, und alle Welt durchströmte sie. Es war, als hätten sich ihr Fleisch und ihre Knochen in Flüssigkeit aufgelöst, die, vom leisesten Anhauch berührt, sich kräuselte, kleine Wellen schlug und langsam wieder verebbte.' p.159
'Dann fiel ihr die violette Hyazinthe ein, die jemand ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Noch einmal stand sie vor der feuchtblauen Blüte und roch den erregenden Duft, ganz verloren an diese gewalttätige Schönheit. Nach drei Tagen wurden die glänzenden Blumenblätter matter und auch der Duft wurde schwächer. Am fünften Tag plötzlich, gegen Abend, strömte die Hyazinthe einen so wilden Geruch aus, daß man die Fenster aufreißen mußte. Die Spitzen der blauen Blüten bogen sich in schamlosem Todeskampf zurück und aus ihrer Mitte kam dieser süße und verzweifelte Geruch, der langsam zum Gestank des Todes wurde. Eine Stunde später stand die Blume welk und erschlafft und Elisabeth trug sie aus dem Zimmer.
An die sterbende Hyazinthe erinnerte sie Lenarts Gesicht. Beide waren geprägt von einer rein animalischen Schönheit, die langsam vom Tod zerstört wurde.' p.170