Liebe ohne Augenhöhe ist möglich, aber sie hat keine Zukunft. Mit dieser These seziert der Autor und Feminist Nils Pickert den Zusammenhang zwischen Liebe und Gleichberechtigung. Dieses Buch ist ein Frontalangriff auf die romantische Liebe mit dem Ziel, die Liebe zu retten. Ein radikales Buch, das ungeschminkte und berührende Einsichten in den Alltag von Beziehungen bietet. Und ein versöhnliches Buch, das zeigt, wie gleichberechtigte Liebe durch Lebenskompliz*innenschaft gelingen kann.Was genau bedeutet es, auf Augenhöhe zu lieben? Das Bild der romantischen Liebe geht im Kern vieler Bücher, Filme, Songs oder Statements in den sozialen Netzwerken nämlich immer noch von Ungleichheit aus. Dieser Ungleichheit hält Nils Pickert das Konzept der gleichberechtigten Lebenskompliz*innenschaft entgegen, die Romantik frei von Klischees zulässt. Er hinterfragt, welche Rolle Sex, Geld, Kinder, Karriere und unterschiedliche Bedürfnisse dabei spielen. Ein tabuloses Buch zur eigenen Standortbestimmung.
"Lebenskompliz*innen" ist ein Ratgeber (Sachbuch?), in dem der Autor sich für gleichberechtigte Beziehungen auf Augenhöhe ausspricht und Tipps gibt, wie man dahin gelangen kann. Er spricht sich für Beziehungsverträge aus, gibt der romantischen Liebe eine Absage, spricht unter anderem über Sex und Kinderplanung. Er gibt Einblicke in seine eigene Beziehung, in der er mit seiner Frau konstant an einer gleichberechtigten Lebenskompliz*innenschaft arbeitet.
Das war nix für mich. Ich lese generell schon sehr ungerne Ratgeber. In diesem Fall habe ich es nur bis zum Ende geschafft, da der Schreibstil sich sehr schnell weglesen lässt - allerdings muss man dabei darüber hinwegsehen, dass alles mehrmals gesagt wird. Vermutlich ist es möglich, die zentralen Inhalte auf 10 Seiten knackig zusammenzufassen. Auch bezüglich des Inhalts war ich ziemlich enttäuscht. Für mich habe ich nichts neues herausgezogen, das in irgendeiner Form hilfreich wäre. Pickert spricht von Dingen, auf die man als halbwegs progressiver Mensch mit etwas gesundem Menschenverstand sicherlich von alleine kommt. Andere Punkte mögen bestimmt für einen Teil der Gesellschaft so gelten, treffen aber auf mich und mein Umfeld einfach nicht zu (z.B. glaube ich nicht, dass in meiner Umgebung ein Paar, dass möglichst nach Gleichberechtigung strebt, von allen mit Argwohn betrachtet wird, und alle ihre Probleme, von kleinsten Meinungsverschiedenheiten bis zur Trennung mit einem gehässigen "told-you-so" auf die Gleichberechtigung geschoben werden). Unterm Strich lässt sich sagen, dass ich wahrscheinlich einfach nicht die Zielgruppe bin - ich zweifle nicht daran, dass es Leute oder Paare gibt, denen das Buch durchaus weiterhelfen kann. Und denjenigen sei ausdrücklich erlaubt, die nächsten paar Absätze gerne zu überspringen, wenn der Autor zum 100. Mal langwierig ausführt, dass er ja nicht die romantische Liebe abschaffen will, aber irgendwie dann doch.
Empfehlung geht raus an alle, die Unterstützung dabei suchen, ihre Beziehung auf Augenhöhe zu kriegen, oder in vergangenen Beziehungen Probleme in diese Richtung hatten.
Zum Teil liefert das Buch echt wertvolle Einsichten und Denkanstöße. Seinem Partner mit Wohlwollen zu begegnen, gemeinsame Wünsche in einem Beziehungsvertrag festzuhalten, sein eigenes, anerzogenes Bild, wie eine romantische Liebe auszusehen hat, zu hinterfragen - für mich persönlich richtig guter Input in meiner Lebenssituation. Der Stil allerdings ist schwierig und inhaltlich wird es (vor allem am Anfang) regelrecht philosophisch. Nach einem anstrengenden Tag mit zwei kleinen Kindern war ich dafür nicht immer aufnahmefähig.
Nils Pickert schreibt in Lebenskompliz*innen (2022) darüber, wie Beziehungsgestaltung auf Augenhöhe funktioniert. Dabei bringt er viele Beispiele aus seiner eigenen (heterosexuellen, monogramen) Beziehung, hat jedoch die Vielgestaltigkeit zwischenenmenschlicher Beziehungen im Blick. Es ist befreiend, wie er die romantische Liebe von ihrem Podest hebt, um sie von überladenen gesellschaftlichen Vorstellungen zu entlasten. Stattdessen ist Liebe nach Pickert eben genau so, wie sie für die Menschen, die an ihr beteiligt sind, ist. Und Beziehungen können und sollten so gestaltet werden, dass die Menschen in ihnen sich darin wohl fühlen. So banal das klingt, braucht es eine Menge an Arbeit, Wohlwollen und Interesse, um eine solche Beziehungsgestaltung zu ermöglichen. Wie das für ihn bislang funktioniert hat, beschreibt Pickert in Lebenskompliz*innen.
Ein wichtiges Buch, das sich mit der romantischen Liebe anlegt, um ihr die gleichberechtigte Liebe als einzig funktionierende, weil ehrliche und menschliche Liebe gegenüber zu stellen. Alle Ideen und Urteile, die Nils Pickert beschreibt, sind wertvoll und wahr, manche wütend, manche verzweifelt, angesichts der Frage, wie ein richtiges Leben im Falschen funktionieren kann. Ich lege es allen ans Herz, die sich dem Abenteuer, aufrichtig zu lieben und der Lüge der Romantik abzuschwören, gewachsen fühlen, alle anderen werden es ohnehin nicht schaffen. Ein Stern Abzug für die Sprache: natürlich ist das Thema philosophisch und komplex, aber das Buch muss es deswegen nicht sein. Ich befürchte, dass Menschen, die sich nicht im Studium durch hochgestochen akademische Texte quälen mussten, an Pickerts Sprache verzweifeln werden und entnervt hinwerfen werden. Das ist sehr schade.