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Meine Schweiz. Ein Lesebuch

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»Ich bin gerne Schweizer«, sagte Dürrenmatt. Damit meinte er nicht die Nation, die sich in Mythen feiert, sondern das Nebeneinander und problematische Miteinander der vier verschiedenen Kulturen. Als Kleinstaat war die Schweiz für den pragmatischen Schweizer eine politische Chance: ein Staatenbund ›en miniature‹ und als solcher durchaus eine Art Modell für Europa. Als Vaterland war sie ihm oft ein Ärgernis.

244 pages, Paperback

First published January 1, 1998

27 people want to read

About the author

Friedrich Dürrenmatt

408 books1,024 followers
Friedrich Dürrenmatt (1921 – 1990) was a Swiss author and dramatist.

Dürrenmatt was born in the Emmental (canton of Bern), the son of a Protestant pastor. His grandfather Ulrich Dürrenmatt was a conservative politician. The family moved to Bern in 1935. Dürrenmatt began to study philosophy and German language and literature at the University of Zurich in 1941, but moved to the University of Bern after one semester. In 1943 he decided to become an author and dramatist and dropped his academic career. In 1945-46, he wrote his first play, "It is written". On October 11 1946 he married actress Lotti Geissler. She died in 1983 and Dürrenmatt was married again to another actress, Charlotte Kerr, the following year.

He was a proponent of epic theater whose plays reflected the recent experiences of World War II. The politically active author gained fame largely due to his avant-garde dramas, philosophically deep crime novels, and often macabre satire. One of his leading sentences was: "A story is not finished, until it has taken the worst turn". Dürrenmatt was a member of the Gruppe Olten.

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Displaying 1 - 3 of 3 reviews
Profile Image for Klaus Mattes.
708 reviews10 followers
March 5, 2025
Das Buch enttäuscht. Eine so von Dürrenmatt niemals intendierte Zusammenstellung seiner Gelegenheitstexte über die angeblich älteste Demokratie der Welt. Sie trägt den Nachteil in sich, großenteils den heutigen Charakter von Volk und Land nicht kennen zu können, dafür im Übermaß mit, schon damals wohl etwas überstrapazierten Fragen der fünfziger und sechziger Jahre aufzuwarten. Blockfreiheit, Réduit-Strategie, Röschtigraben zwischen Welschen und Alemannen, Separatismus im bernischen Jura, Milizarmee.

Zwar hat Heinz Ludwig Arnold (zusammen mit Mitarbeitern des Diogenes Verlags) reichlich „Stellen“ aus Reden, Interviews und der großen autobiografischen Werk-Rückschau „Stoffe“ zusammengetragen und mit einem 40-seitigen, jedes Maß sprengenden Vorwort versehen, das zu großen Teilen die im Original folgenden Dürrenmatt-Statements paraphrasiert, aber leider müssen wir feststellen, dass der große Friedrich Dürrenmatt zwischen 1950 und 1990 anscheinend ziemlich oft die fast identische Rede gehalten, Interviews durchgezogen hat, dabei seine ihm ans Herz gewachsenen drei bis vier makaberen Pointen immer wieder vom Stapel gelassen hat.

Es geht um die (jawohl) undemokratische Verfasstheit der Schweizer Kantone während langer Phasen der europäischen Geschichte, die Schweiz als Zweckverband unterentwickelter Randzonen dreier Kulturkreise, ihre gefährliche Ausgesetztheit, die dazu führte, dass sie einen Elitesoldaten-Kult entwickelte (siehe Schweizer Garde), eine Moderne, die den Hinterwäldlern durch einen Franzosen, Napoleon, aufgezwungen wurde. Für den Schutz der Heimat sei das Militär Jahrhunderte weder eingesetzt worden noch je seiner Zwecklosigkeit überführt, gerade darum sei die Heilige Kuh daraus geworden. Wer bei den Schweizern (Männern) die lebenslang wiederholten Wehrübungen verweigert, landet hinter Gittern. Gegen einen möglichen Überfall Hitlers im Zuge des Zweiten Weltkriegs glaubte man bestehen zu können, indem man das fruchtbare, mit Menschen, Arbeit, Infrastruktur versehene Mittelland schon mal präventiv als in Kauf zu nehmenden Verlust abschrieb, dafür den Unterbau der Alpengipfel zu einer gigantischen Untergrundkaserne umbaute. Ein Bild, das als Groteske noch in Dürrenmatts später Prosa geistert: Das Volk ist tot, das Land verstrahlt, die Hierarchie im Bunker läuft weiter.

Die seinerzeit heftig debattierten Fragen um die eventuelle Neugründung eines Kantons Jura, der die französischsprachigen, katholischen Hinterlassenschaften des einstigen Bistums Basels aus dem deutschen und reformierten Kanton Bern retten sollte, interessieren heute keinen Mensch mehr. Jedenfalls nicht jenseits der Schweizer Grenzen. Diesen Kanton gibt es nun mal eine ziemliche Weile. Es werden keine Denkmäler mehr gesprengt (wie in Dürrenmatts Text).

Auch sonst, versucht uns der Schweiz-Kritiker Dürrenmatt klarzumachen, wäre das kleine Land in der Mitte Europas mitnichten ein Vorbild für Toleranz, Gerechtigkeit und Völkerfreundschaft, sondern für gemeinschaftlich geteilte Gleichgültigkeit gegenüber allem und allen, die man selbst nicht ist. Die Romandie sei drittklassige kulturelle Provinz der Metropole Paris; das Tessin nach wie vor Hinterland der Industrieregion Mailand, vor allem von geheimen Finanztransaktionen zehrend. Die Alemannen in den deutschsprachigen Kantonen täten sich mit ihrer Abhängigkeit von einer deutschen Kultur schwer, von der sie sich am liebsten lösen oder abheben wollten, der sie daher ihre Kultiviertheit, Zivilisation, einen gebildeteren Geschmack vorspielten. Ohne die reich differenzierte Dialektevielfalt und die in jedermanns Alltag benutzte Volkssprache wäre es dazu allerdings nicht gekommen. Dieser Kleinteiligkeit und Provinzialität fühlt Dürrenmatt sich von Kindesbeinen an auch verpflichtet. Da man eine Zweisprachigkeit lebe, habe man eine sprachliche Artistik und Doppelbödigkeit, die weder der Westschweizer noch der Hochdeutsche nachvollziehen könnten.

Falsch sind solche Gedanken ja nicht. Aber wie auch sonst oft in seinen Schriften gibt sich der Berner als genialisch in die Vollen langender Prometheus, der in seinem Zorn die Götter vom Himmel reißen könnte. Alles wird verallgemeinert, wird dämonisiert, maßt sich eine Perspektive von weit oben an. Welt und Menschheit und die Schweiz müssen für einen Dürrenmatt zum Sandkasten werden, zur Modelleisenbahn, wo der Philosoph die kleinen Züge hin und her fahren, tuten und schnaufen lassen kann. Der Mann ist alles andere als Soziologe oder Feldforscher. Er braucht auch nicht jenen gewitzten Taxifahrer, der auf einer kurzen Fahrt vom Flughafen in die Genfer Innenstadt dem Europareisenden (wie Hans Magnus Enzensberger) auseinander legt, warum die Romands weder die Alemannen noch die Pariser wirklich mögen.

Hinzu kommt bei Dürrenmatt dieser rabenschwarze Apokalyptiker des Kleinbürgertums. Alles war gut gemeint und sollte bequem sein, aber bald wird es mit dem planetaren, atomaren Crash, Kannibalismus unter sonnenlosem Firmament enden. Nun, der große Krieg hat mittlerweile noch ein paar Jahrzehnte auf sich warten lassen und die Apokalypse schleicht sich von einer Ecke her an, die Dürrenmatt nie auf seinem Schirm hatte. Aber hätten wir ihn seinerzeit gebeten, uns mal die Lebensweisen seiner Nachbarn droben am Neuenburger Berg an einem schönen Sonntagnachmittag im Sommer zu erzählen, er wäre überfordert gewesen.

Der Gottesdienst war eine Orgie. Die Gläubigen fielen übereinander her in der Hoffnung, noch fürchterlichere Mißgeburten zu zeugen. In Olten waren an großen Gerüsten Tausende von Primar- und Sekundarlehrern aufgeknüpft. Man hatte sie aus dem ganzen Land zusammengetrieben. Das „große Sterben“ dagegen hatte schon in Graubünden eingesetzt. Gaben die Menschen sich zuerst unbeschreiblichen Ausschweifungen hin, plünderten, zertrümmerten, vernichteten, was ihnen in die Hände fiel, entfachten ungeheure Brände und legten jeden Verkehr lahm, wurden sie später apathisch. Sie wurden von einer bleiernen Müdigkeit befallen. Sie saßen vor den Ruinen ihrer Häuser, die sie selber zerstört hatten, und stierten vor sich hin, blieben irgendwo liegen, starben.


Ich versuche eine Liste dessen, was ich in einem „Schweiz-Buch“ vermisst habe. Das sonntägliche Geknalle bei den Schützenhäusern, die Innenstädte, in denen man den Bürgerstolz der prosperierenden Jahre um 1900 noch betrachten kann. Die orthodoxen Juden, die man erkennt, weil sie mit Hüten, Bärten, Löckchen am Gleis stehen. Die Landesflagge als Quadrat. Und dass sie wirklich im kleinsten Dorf gleich mehrfach von Balkonen und in Gärten flattert. Die gelben Wanderwegpfeile mit den alle paar Kilometer wechselnden Kantonswappen. Die Nummernschilder an Fahrrädern und die Autobahneintrittsmarken an den Frontscheiben der Autos. Die im gesamten Land gleich blau ausgeschilderten Vita-Parcours (Trimm-dich-Pfade) eines Versicherungskonzerns. Die Stände für geröstete Kastanien oder Bratwürste, mittlerweile rund ums Jahr, früher nur im Herbst. Der Kaffee mit Kirschwasser, das süße Esskastanienpüree an Meringuen und Sahne. Pferdefleisch als Tagesmenü im Restaurant. Das Zweierli Fendant oder Chasselas, der Apéro, das Cüpli. Die ständig irgendwo mit der Bahn im Grünzeug, ihr Gewehr tagend, zu Wehrübungen reisenden Männer, die sonst an PCs der Versicherungen, Banken und Reisebüros sitzen. Die überfreundlichen, überallhin reisenden Rentner, allerdings nur innerhalb der Grenzen der Schweiz, zwischen Schaffhausen, Poschiavo, Locarno und Montreux; man besitzt sein GA, das Jahres-Generalabo.

Wer Appetit oder Gluscht auf die Schweiz als Reiseland bekommt, der lasse dieses Taschenbuch besser bleiben! „Gebrauchsanweisungen“ gibt es im Zweifel von Piper, Merian, Dorling Kindersley bessere. Auch das, was uns Dürrenmatt als Schweiz erklärt, ist eher was für jene Leser, die sich für den Minotaurus und die raffinierten abendlichen Verschwörungen älterer Juristen interessiert haben.
4 reviews1 follower
January 6, 2019
A bit repetitive, but still relevant and important. Changed my perspective of my home country.
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