Eine starke Geschichte kann die Welt retten – oder sie zerstören. Sie kann Wahlen entscheiden, Menschenleben retten, aber auch Kriege auslösen und Ungerechtigkeit zementieren.
Samira El Ouassil und Friedemann Karig verfolgen diese ambivalente Wirkungsmacht anhand wichtiger Narrative von der Antike bis zur Gegenwart. Und sie zeigen, welche Erzählungen uns heute gefährden und warum wir neue benötigen. Wie gelingt es, den Klimawandel so zu erzählen, dass er zum Handeln drängt? Aus welchen Überlegenheitsmythen entstehen Rassismus und Antisemitismus? Mit welchen Storys manipulierte Trump seine Anhänger, und weshalb verfangen die Lügen der Querdenker und Verschwörungsideologen? Was erzählen wir seit jeher über uns selbst ‒ als Deutsche, als Europäer, als Humanist*innen, über unsere Republik? Gibt es Alternativen dazu? Wie könnte eine wirkungsmächtige neuen Erzählung der Aufklärung aussehen?
Geschichten sind ein maßgeblicher Teil unserer Sozialisation. Sie durchdringen Politik, Medien und Kultur, lehren uns, unterhalten uns, verführen uns, beeinflussen unsere Wirklichkeitswahrnehmung - vom griechischen Drama bis zur Netflix-Serie.
Den Anspruch „narrative(r) Kulturkritik“ erfüllt das Buch wohl, wiewohl das „Ziel, die Hebel hinter den Geschichten zu verstehen und zu verändern“ (S.19-20) nicht ganz erreicht sein dürfte. In der Analyse stark, sind doch die Lösungsvorschläge nicht wirklich überzeugend. Was man alles sollte und müsste, steht auch woanders. Aber das ist eher ein Seitenhieb, denn ein Vorwurf. Wer hätte schon den Stein der Weisen gefunden? Hätte ich ihn, würde ich das hier nicht bloß kritisieren. Für literaturwissenschaftlich gebildete oder interessierte Leser/innen hält das Buch denn auch keine wirklichen Überraschungen bereit, was nicht heißt, dass man es nicht dennoch mit Gewinn lesen könnte, denn hier wird gut zusammengefasst, was sonst über verschiedene Werke hinweg immer mal wieder auftaucht. Manches wusste ich auch nicht bzw. es ist mir nie so deutlich gesagt worden: „Das alte China war narrativ ein so egobefreites Reich, dass es zweitausend Jahre lang praktisch keine Autobiografien gab.“ (S.131) Darüber kann man nachdenken. Den weniger bildungsbelasteten Leser/innen kommt das Werk – inspiriert durch Žižek? - durch unzählige popkulturelle Verweise auf Filme, Comics usw. entgegen, die ich samt und sonders nicht kenne, was mich also gestört hat. Dafür war ich mit den literarischen Herleitungen und Verweisen von der Antike bis zur Gegenwart sehr einverstanden. Zugeben muss ich allerdings, dass der popkulturelle Zugang immer dann Vorteile bietet, wenn es darum geht zu verstehen, wie bestimmte Narrative das Volk verbildet haben und verbilden. Zum Ausdruck kommt das in so trivialen und dennoch wichtigen Einsichten wie: „Die besten Bewertungen bekommen dort im Durchschnitt »Tellerwäscher zum Millionär«-Geschichten.“ (S. 50) Was für ein Elend, aber wie kann man es ändern? Der Versuch, die „Hebel hinter den Geschichten zu verstehen“, führt zwangsläufig zu (durchaus einsichtig dargestellten) sprachpsychologischen Erwägungen, deren Ergebnisse in etwa so zusammenzufassen wäre: „Neben der Sinneswahrnehmung und -verarbeitung, den Steuerungseinheiten für den Körper und dem Gedächtnis gibt es in unserem Gehirn offensichtlich so etwas wie einen inneren Erzähler, der uns und anderen pausenlos unser Leben erzählt.“ (S.87-88) Damit ist nach Auffassung der Autoren das „Selbst“ also „nur eine Geschichte, die ich mir über mich selbst erzähle, weil ich sie durch andere erfahren habe.“ (S.118). Hier wird die geistesgeschichtliche Ausrichtung des Ansatzes deutlich, der vergisst, dass der Mensch als erstes auch ein arbeitendes Tier ist, das seine Selbsterfahrung wesentlich über die Produkte seiner (wenn auch entfremdeten) Selbstwirksamkeit im gesellschaftlichen oder Naturstoffwechsel (Marx) konstituiert. Geschichten erzählen ist viel, aber nicht alles, weshalb die Veränderung der Geschichten, die wir über uns erzählen, die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen wohl begleiten, aber eher nicht hervorrufen werden. Natürlich „nehmen verschiedene Beobachter ein und dasselbe Ereignis schon aufgrund ihrer sprachlichen Prägung anders wahr, und sie behalten deshalb andere Details im Gedächtnis, was durchaus relevant ist, wenn es etwa um Zeugenaussagen und rechtliche Konsequenzen geht.“ (S.150) Aber sie nehmen ein und dasselbe Ereignis auch aufgrund ihrer Stellung in der Gesellschaft, ihrer sozialen und habituellen Disposition usw. unterschiedlich wahr. Sprache ist dabei nicht unwichtig, aber kaum das Entscheidende. Gegenüber dieser Mainstreamposition aus dem Identitätsdiskurs war Bourdieu schon weiter. Implizit wird die eigene Position dann jedoch auch kritisiert, was zu Einsichten führt, deren Herleitung dann auch wieder lesenswert ist: „Die und monetär angetriebene Incentivierung und Provokation von (moralischer) Meinungsäußerung haben es viel einfacher gemacht, online über Meinung und Moral zu sprechen, als tatsächlich moralisch zu handeln.“ (S.208-209) Was in der Tat alles ist, was man dazu sagen kann. Im Text finden sich darüber hinaus auch Sentenzen, die ziemlich zitabel sind. Witzig fand ich z.B. den Satz: „Erzählen heißt Ausreden erfinden.“ (S.224) Wobei das eine tiefe Erkenntnis und mitnichten bloß witzig ist. Sehr aktuell die folgende Erkenntnis, die sowohl für literarische Strukturen der „Heldengeschichte“ als auch für den Journalismus in heutigen Zeiten gilt: „Der Held ist nur so gut, wie sein Antagonist schlecht ist.“ (S.282) Eben deswegen sollte man immer aufhorchen, wenn jemand mit Hitler verglichen wird. Wovon soll das ablenken? Das maximal Böse stellt die ganzen kleinen Schweinereien in den Schatten der Unbedeutendheit, mit denen sich das Volk sonst möglicherweise beschäftigen müsste. Aber wenn es Angst vor Putler hat, dann fragt es nicht mehr viel nach, ob alle Maßnahmen der Regierenden auch das halten, was sie versprechen (oder ob sie nicht ganz anderen Zwecken dienen). Das nur nebenbei. Alles in allem kann man zustimmen: »Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen.« (S.326) Das ist so bürgerlich in der Logik der Aufmerksamkeitsökonomie wie der Abgesang auf „die klassische Heldenreise eines Individuums, welches das Kollektiv rettet“ antibürgerliche Kritik der gängigen Theorie des realistischen Romans ist. Ohne Brecht namentlich zu nennen, folgt daraus dessen Einsicht: „Dass das Kollektiv sich selbst rettet, kommt nicht vor.“ (S.380) Letzteres wäre dann die Narration, die uns die Autoren als zukunftsträchtig empfehlen, wobei sie eindringlich und völlig zu Recht vor den gerade deswegen verlogensten Narrativen unserer Zeit, den „Anti-Heldenreisen“, warnen: „Sie versprechen den Menschen kein Abenteuer, keine Reise, keine Transformation. Ihre ebenso fatale wie verführerische Botschaft lautet: Alles kann so bleiben, wie es ist. Wir müssen uns überhaupt nicht ändern.“ (S.477) Dann blieben wir die Affen, die sich und anderen am Lagerfeuer erzählen, wie toll wir doch eigentlich sind. Wer diesem Trugschluss entgehen und gleichzeitig etwas darüber lernen möchte, wie narrative Verdummung (oder Aufklärung) funktionieren, dem sei das Buch empfohlen. Vorzugsweise Leser/innen, die sich bisher noch nicht sehr tief mit der Materie befasst haben, werden es mit Gewinn lesen. Studierende, die meinen, mehr müsste man dann nicht wissen, seien vor diesem Irrtum dennoch gewarnt. Gut wäre, wenn man das Buch nutzt, um sich den aufgeworfenen Fragen zusätzlich z.B. von soziologischer Warte aus zu nähern (nicht nur mit Reckwitz unterm Arm, dessen Herangehensweise derjenigen der Autoren in diesem Buch sehr ähnelt, weshalb sie ihn auch ausführlich zitieren).
Sehr spannendes Buch, das einem eine neue Art die Welt zu sehen nahe bringt. Vor allem die letzten Kapitel, die sich mit aktuellen Problemen und wünschenswerten Änderungen der heutigen Narrativen beschäftigen, haben mich abgeholt.
Zwei Kritikpunkte hätte ich aber. Zum einen werden oft gewisse Behauptungen als Fakten dargestellt, obwohl sie rein wissenschaftlich alles andere als unumstritten sind (Kapitalismus ist schlecht, Monogamie ist ein rein schädliches Narrativ, ...)
Zum anderen ist das Buch für mein Gefühl oft unnötig kompliziert geschrieben. Natürlich sind Fachbegriffe nötig, aber statt Sätzen wie:
"Im Rahmen einer digitalen Öffentlichkeit haben wir zudem rein technologisch eine inflationäre Fülle an Identifikations- und Affektangeboten einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft, die global vernetzt ist und die ihr Geschichtenerzählen und -verbreiten im Rahmen einer digitalen Öffentlichkeit für viele sichtbar präsentiert." (S. 435)
hätte man meiner Meinung nach ohne viel Bedeutungsverlust auch etwas in der Art von:
"In einer differenzierten, durch Technologie global vernetzten Gesellschaft werden immer mehr Geschichten erzählt, die wiederum von immer mehr Menschen wahrgenommen und verarbeitet werden" (oder irgendwie so ähnlich)
Wir Menschen lieben Geschichten. Wir erzählen sie über uns selbst und andere, sie begegnen uns - natürlich - im Kino, im Fernsehen und in Büchern, aber auch in dem, was unsere Gesellschaft zusammenhält und spaltet. Die beiden Geisteswissenschaftler*innen Samira El Ouassil und Friedemann Karig widmen sich in ihrem Sachbuch "Erzählende Affen" der komplexen Frage, wie Geschichten unser Leben und unsere Gesellschaft prägen. Dabei geben sie in der ersten Hälfte des Buches viel Grundwissen zu modernen Literaturtheorien an die Hand und spezialisieren sich insbesondere auf die Heldenreise, die - wie ich lernen durfte - auf fast alle unsere Geschichten anwendbar ist. Beispiele für die Heldenreise geben sie zuhauf, von antiken Epen wie "Illias" und die "Odyssee" bis hin zu den modernen Sagen wie "Harry Potter" oder "Der Held der Ringe" ist alles dabei, leider spoilern die beiden auch gerne einmal die Enden der Geschichten. In der zweiten Hälfte von "Erzählende Affen" geht es um aktuelle Narrative der Politik, Klimakrise und Gesellschaft - und wie sie anders erzählt werden könnten, um Veränderungen anzustoßen. Ich fand Karigs und El Ouassils Thesen durchaus spannend und habe auch viel aus ihrem Sachbuch mitnehmen können, allerdings leidet das Buch für mich unter seiner Ausführlichkeit. Die zahlreichen Fußnoten und Exkurse haben meinen Lesefluss sehr gehemmt, auch sprachlich habe ich "Erzählende Affen" als viel zu akademisch und schwer zugänglich empfunden. Zudem hatte ich am Ende des Buchs das Gefühl, dass trotz der Seitenstärke und Themenfülle die nötige Tiefe verloren gegangen ist. Von mir gibt es daher nur eine Empfehlung, wenn ihr euch besonders für das Thema Macht von Geschichten interessiert.
Dieses Buch kann man wohl in eine ähnliche Sparte packen, wie Precht‘s „Zur Pflicht“. Zielgruppe ist der Bildungsbürger, der sich ob seiner Schlauheit gerne mal selbst auf die Schulter klopft und diese am besten durch die krasse Abwegigkeit der Narrative von anderen bestätigt. Es geht ja noch ganz gut los. Der historische Diskurs durch verschiedene Erzählstrukturen, die oratorische und geschriebene Menschheitsgeschichte. Da klaffen zwar hier und da Lücken oder einige Zusammenhänge werden etwas schnell überrannt, aber man hat ja auch nur ein paar hundert Seiten der Aufmerksamkeit der Leser:in. Rigoroses Gendern im Text finde ich ganz gut, auch wenn es natürlich trotzdem hauptsächlich der Zielgruppe zuspielt. Je weiter man liest, desto problematischer wird das Buch jedoch. Diskussionen von wissenschaftlichen Abhandlungen Arendts, Reckwitz und den Sozialphilosophen der Frankfurter Schule werden so abgehandelt, als ob die Autoren nur die Cliff Notes dieser Werke gelesen haben. Aber klingt natürlich intelligent. Als wir dann aber zum aktuellen Zeitgeschehen kommen, ging mir so regelmässig das bildliche Messer in der Tasche auf, dass ich das Buch fast weggelegt hätte. Auf den letzten Seiten, unterstützt von hundert der neusten Bücher und akademischen Artikel, wird am Ende genau das gemacht, wogegen das Buch doch angeblich als Antidote dienen soll - nämlich ein simplistischer Narrativ aufgebaut in dem eine andere Wahrheit keinen Platz mehr finden könnte. Ob Trump oder Corona, da wissen die Autoren halt einfach Bescheid. Und tausend akademische Artikel aus den Jahren 2020 und 2021 bündeln ihrer Meinung nach wohl das Wissen der Menschheitsgeschichte. Corona erklärt sich dann durch die logische Erzählkette Mensch grenzt Natur ein, Natur schlägt zurück, es könnten natürlich auch die Chinesen in einem Labor gewesen sein, Italien hat es sich durch starke Verbindung mit Wuhan selbst eingebrockt, und hat es dann dem Rest Europas durch ihre knausrigen (sprich Neoliberalen) Privatkliniken gleich miteingebrockt. Wir haben also eine Erzählung mit den erwartbaren Gegenspielern von Globalisierung, Umweltzerstörung und China. Das Stanford Marshmallow Experiment, welches lustiger Weise in jedem Buch zu Behavioral Economics zu Rate gezogen wird, wird dann auch noch fehlinterpretiert. Nun kann man mit diversen Meinungen in diesem Buch übereinstimmen, aber selektive, schlecht informierte Beweisdarlegung à la newspaper headline gazing ist in der heutigen Zeit, wo man in jeden Text detailliert reingucken kann im besten Falle fahrlässig und im schlimmsten hoch gefährlich, weil es die Meinung von Querdenkern und Konsorten gegenüber der sogenannten Bildungselite nur bestätigt. Deshalb nerven mich solche Bücher auch so sehr. Ich hätte es wissen können, denn es ist wohl schwierig wirklich was mit Staying Power zum aktuellen Tagesgeschehen zu schreiben. Aber es enttäuscht mich trotzdem jedes Mal wieder.
Fabio Genovesi hat (unter vielen anderen Autoren) in „Die Botschaft der Riesenkalmare“ zuletzt anschaulich gezeigt, dass es ohne Geschichten keine Utopien, keine Entdeckungen und auch keine Problemlösungen geben kann.
Samira El Ouassil und Friedemann Karig zeigen, angelehnt an klassische Heldenreisen (stets von Männern) , mit welchen Narrativen die Menschheit aktuell ihre drängendsten Problem zu erklären versucht. Wir erfahren vom Schema aller Legenden aus Reise, Suche, Reifung und Wandlung, über Mentoren, Verbündete und Feinde, von Schätzen, Bewährungsproben und der glücklichen Rückkehr in die vertraute Umgebung. Archetypen von Heldengeschichten kennen wir aus Sagen, Märchen, Filmen, Comics und PC-Spielen, ob ihre historischen Vorbilder in den Masterplots von heute uns bewusst sind oder nicht. Legenden dienten ursprünglich zur niederschwelligen Erziehung für ein Leben im Kollektiv und Vorbereitung auf das Erwachsenenleben; denn nur ein Held, der überlebt, kann uns heute seine Geschichte erzählen. Wer Geschichten liest, hält sich nicht nur geistig beweglich, sondern schafft damit ständig neue Verknüpfungen im Gehirn, die im EEG und MRT sichtbar werden.
Narrative zeigen uns, wer wir sind und wer wir sein sollen, bisher demonstrierten sie jedoch oft nur die WASP-Schablone als Normalität, die das Leben von weißen, christlichen, heterosexuellen Männern als Norm vorgibt und alle anderen Lebensformen als unnormal definiert. Narrative als Darstellungsweise werden in „Erzählende Affen“ mit hochinteressanten Themen verknüpft. Welche Stereotypen durch Bilder zu erzeugen sind, wie Sozialen Medien und Online-Spiele das Erzählen verändert haben, wie mächtige Einzelpersonen sich „alternative Fakten“ schaffen konnten und welchen Einfluss Werbung und Influencer auf uns haben. Besonders interessant fand ich, wie Moderne Medien das Stammesdenken/den Tribalismus stützen können, indem sie ihre Nutzer durch Fan-Kultur und Belohnungssysteme dressieren, „uns“ und „die Anderen“ streng zu trennen.
Wichtige Themen sind die derzeit abnehmende Ambiguitätstoleranz, ebenso wie die aktuell verstörend schwindende Fähigkeit, zwischen Identität und Narrativ zu unterschieden, vereinfacht: Ertragen, dass Personen unterschiedliche Meinungen haben und Diversität menschliche Beziehungen nicht ausschließen muss. Weiter geht es mit „Märchen für Erwachsene“, d. h. Lügen durch Lobbyismus, Profitstreben, korrupte Staatsführer, der Konstruktion von Rasse in der Epoche des Kolonialismus und Verschwörungsmythen. Ähnlich dauerhaft wie der Tellerwäscher-Mythos (Jeder kann durch Leistung Erfolg haben) haben sich zwar die Mythen über das Verhältnis von Mann und Frau halten können, sie scheinen jedoch wenig tauglich zur Lösung aktueller Probleme zu sein.
Spätestens zur Erklärung von Klimakrise, Pandemien, dem Incel-/Lone-Wolf-Phänomen als Teil des Terrorismus und dem rasanten Zuwachs ultrarechter Positionen scheinen mir klassische Narrative nicht mehr geeignet, weil all diesen Phänomenen ein Ursachenbündel zugrundeliegt, das für meinen Geschmack auch hier nicht befriedigend aufgedröselt wird.
„Erzählende Affen“ liest sich - in kleinen Portionen – angenehm, erweitert den eigenen Blickwinkel und bietet eine umfangreiche Literaturliste. Zufrieden bin ich am Ende nicht, weil Narrative zwar für die Zuhörer/ Leser bequeme Transportmittel sind, die drängenden Probleme der Gegenwart jedoch Empirie und kausales Denken erfordern.
Bücher haben mir schon immer dabei geholfen, die Welt und die Menschen um mich herum zu verstehen. Viele Menschen denken, dass ich übertreibe, wenn ich sowas sage, aber es ist so. Und ich habe so das Gefühl, dass die Autoren dieses Buchs diese Aussage durchaus nachvollziehen könnten.
Ich wollte dieses Buch lesen, weil Literatur mein Fachgebiet ist und es mich deswegen Neuerscheinungen in diesem Bereich immer interessieren. Ich war mir daher auch recht sicher, dass mir dieses Buch gefallen würde. Wie gut ich es finden würde, habe ich damals aber noch nicht geahnt. Dieses Sachbuch war in etwa so spannend wie ein gut geschriebener Krimi oder meine liebsten Fantasy-Romane. Und trotz des Themas wurde es auf eine Art geschrieben, die sicher auch für Leute geeignet ist, die sich davor noch nicht wirklich mit Literatur beschäftigt haben. Sogar der Theorieteil liest sich gut und ist unterhaltsam, unter anderem auch wegen der Beispiele, die verwendet werden: Homers "Odysee" findet ihr in diesem Buch genauso wie "Germany's Next Topmodel" oder aber auch Coronaleugner.
Dieser Text hat mich ordentlich zum Nachdenken gebracht. Welche Geschichte erzähle ich mir eigentlich über mein Leben? Ich sehe da bisher eindeutig Elemente einer Coming-of-Age- und Underdog-Story, und zusätzlich gibt es da sicher auch Elemente der "Suche" und der "Metamorphose". Wenn ihr dieses Buch ebenfalls lest, solltet ihr auf jeden Fall mal ausprobieren, euer Leben im Hinblick auf diese Kategorien zu analysieren. Für mich war es interessant zu erkennen, dass Gehirne tatsächlich mit Geschichten arbeitet. Irgendwie klar war mir das zwar davor auch schon, aber ich habe das eher darauf geschoben, dass ich halt sehr viel lese und deswegen natürlich in diesen Kategorien denke. Dass das scheinbar für viele Menschen so ist, egal ob das bei ihnen bewusst oder unbewusst abläuft, war mir nicht klar.
Ab Mitte dieses Texts nahm das Buch dann eine Wendung, die ich so auf keinen Fall erwartet habe. Schon im Zuge meines Studiums musste ich immer wieder feststellen, dass die Theorien und Konzepte, über die wir lernen, enger mit der Realität verknüpft sind, als ich es in der ersten Sekunde erwartet hätte. Auch hier wurden zuvor erklärte Begriffe und Konzepte dann angewendet. Da werden dann die Geschichten ans Tageslicht gebracht, die hinter Sexismus, Rassismus und Antisemitismus stehen, Faschismus wird behandelt, das Denken der Coronaleugner:innen wird erklärt und auch der Klimawandel und warum dagegen nichts geschieht, wird in einem Kapitel genauer behandelt. Ich habe über diese Probleme durch dieses Buch viel Neues gelernt. Es war für mich unglaublich zu sehen, wie logisch das alles wirkt, wenn man mehr über die Geschichten erfährt, die da bei diesen Menschen im Kopf ablaufen. Und gerade beim Klimawandel denke ich, dass die hier genannten Aspekte dabei helfen könnten, endlich mal was weiterzubringen.
Mein Fazit? Unglaublich spannendes und gut geschriebenes Sachbuch darüber, welche Geschichten wir uns selbst erzählen und welche Wirkung das auf uns und unsere Welt hat.
Hmm, ich habe mir etwas anderes von diesem Buch erwartet. Muss ich zugeben. Fast 600 Seiten, das Buch hat's also in sich. Und das nicht nur vom Volumen her. Auf diesen 500-schießmichtot-Seiten kommt geballtes Wissen und das Ergebnis von monatelanger Recherche mit einer Wucht zum Einsatz, dass die Lektüre in etwa so ausschaut, dass man alle 20-40 Seiten mal eine Pause einlegen muss. Ist kein Witz.
Worum geht's denn hier eigentlich? Naja, geredet wird weniger über politische Manipulationssspielchen wie etwa Fake News (was ich mir erwartet hätte), sondern im wahrsten Sinne des Wortes über Geschichten. Und zwar Geschichten wie wir auf Goodreads sie verschlingen. Märchen, Drachen, Fiktion! Samira El Ouassil geht den Geschichten auf den Grund. Warum erzählen wir sie? Was bewegen sie in uns? Sie analysiert sogar verschiedenste Geschichtstypen auf Helden und Antihelden, auf den roten Faden (z.b. Romanzen: Mann trifft Frau, sie verlieben sich, dann passiert was, dann versöhnen sie sich doch wieder).
Dieses Buch ist wirklich der Hammer, wenn man Geschichtserzählung besser verstehen will. Angehende Autoren werden es lieben! Aber für jemanden wie mich, der sich mehr etwas wirtschaftliches und/oder politisches erwartet hat ... tut mir Leid, das war enttäuschend. Und so gut die ganzen Informationen auch gemeint waren, es war zuviel. Zu heftig. Zu kompliziert.
Wir Menschen lieben Geschichten. Seien es die im wahren Leben, in Erzählungen, in Filmen oder in Büchern. Wir können nicht genug davon kriegen, zu erfahren und zu wissen, wie ein Hergang abgelaufen ist, wie die Person sich befreien konnte, wie etwas geendet ist. Tag ein, Tag auf berichten wir uns gegenseitig von den Erlebnissen, von Gehörten und Gelesenem, Gesehenem und Vermuteten. Fast unsere gesamte Kommunikation könnte man dahin ausgelegen, dass der Mensch eine Geschichte erzählt.
Samira El Ouassil und Friedemann Karig schreiben nieder, was über Geschichten geforscht und entdeckt wurde. Historisch geht das Buch auf die Reise nach den Ursprüngen der Geschichtenerzähler und nähert sich Kapitel für Kapitel der Gegenwart und Zukunft an. Eine spannende Sammlung, die an einigen Stellen jedoch doch etwas langatmig und irrelevant war.
Ich mochte die ersten Kapitel gerne, wo die Grundlagen und die Ursprünge erzählt worden sind. Aber je weiter wir uns davon wegbewegten, desto mehr verlor ich mich in der Informationsflut, die sich über alle möglichen Themen zog. Ich verstehe, dass die Beispiele dazu dienen, um zu zeigen, inwieweit Geschichten und das Erzähler derer in unserer Welt eingeflochten sind, aber gleichzeitig fand ich die Ausarbeitung manchmal zu unpassend. Zudem interessierten mich einige Beispiele auch nicht. Und über Corona möchte ich in nächster Zeit auch noch nichts lesen. Den wurde aber auch viel Platz eingeräumt. Ich glaube, dass das Buch je nach Kapitel interessant und wichtig ist. Aber für mich persönlich hätte ich auch einige Kapitel weglassen können. Das Gute ist, dass es ein Sachbuch ist, weswegen es super einfach ist, es Kapitelweise zu lesen, ohne die Handlung nicht mitzubekommen. Also denke ich mir meine ungeliebten Kapitel einfach weg und finde es dann toll! Am besten sucht ihr euch selbst eure Lieblingskapitel. (Kapitel 9 war toll! 🫢)
„Mythen, Lügen, Utopien - wie Geschichten unser Leben bestimmen“ lautet der Untertitel von Samira El Ouassil und Friedemann Karigs sehr erhellendem und unterhaltsam zu lesenden Sachbuch, das mit den derzeit inflationären Narrativen aufräumt. Ich habe die beiden Autoren bei einem Gespräch auf dem blauen Sofa der diesjährigen Frankfurter Buchmesse erlebt, das mich neugierig auf ihr Buch gemacht hat. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht, im Gegenteil: eine informative Einordnung, die durchaus auch zum Schmunzeln einladende Seitenhiebe bietet, und den richtigen Ton zwischen sachlich und unterhaltsam findet.
Die Autoren bringen Ordnung in das Begriffswirrwarr von Narrativ, Erzählung und Geschichte und erläutern überzeugend, weshalb viele Mythen letztlich auf klassischen Erzählstrukturen basieren, die man aus dem Theater und der Literatur seit Jahrtausenden kennt. Es ist oft die Heldengeschichte, die der klassischen Dramaturgie folgt und durch Spannung und am Ende ruhmreicher Auflösung fesselt. Das Erzählen von Geschichten gehört zu den urtypischsten Eigenschaften von Menschen und unterscheidet uns grundlegend von anderen Spezies. Den Geschichten unterliegen jedoch immer auch Botschaften, die durch das Heldenepos transportiert und an die nächste Generation weitergegeben werden. Dies funktioniert jedoch genauso für politisches Framing und Desinformation.
Ein Held benötigt einen Antihelden, um richtig wirken und scheinen zu können, weshalb oftmals verquere Oppositionen geschaffen werden, um eine Sichtweise zu verstärken. Die meisten Erzählungen lassen sich auf gewisse Grundstrukturen zurückführen – wie etwa Rivalität, Rettung, Suche, Metamorphose, Underdog, Coming-of-Age – die im Alltag ebenso von Journalisten und Meinungsmachern bedient werden wie sie sich in Kinderbüchern finden. Sie bringen scheinbare Ordnung in die Welt, machen diese oft sehr leicht (und entsprechend reduzierend) begreifbarer und waren zur Herausbildung des modernen Menschen auch durchaus nützlich.
Narrative formen jedoch die Welt nach bestimmten Gesichtspunkten und Werten – die dann oftmals nicht hinterfragt werden. So können fiktionale Wahrheiten geschaffen werden, die verschiedenste Formen von Rassismus, Ausgrenzung und Abwertung unterstützen, manchmal auch ohne dass sich die Zuhörer dessen bewusst sind.
Mit zahlreichen Beispielen aus der Literatur, aus Filmen, aber auch der Politik oder modernen Social-Media-Kanälen wie Instagram oder Fernsehshows illustrieren die Autoren ihre Thesen überzeugend und nachvollziehbar. Sehr eingängig dabei jenes der Meritokratie: wenn wir unseren Kindern erzählen, dass sie sich nur genug anstrengen müssen, um im Leben alles erreichen zu können, lassen wir aus dem Auge, dass die Startplätze schon vom ersten Tag an ungleich verteilt sind und einige auf der Laufbahn viel weiter hinten stehen, wenn sie losrennen. Diejenigen mit einem besseren Startplatz werden auch mit höherer Wahrscheinlichkeit das Ziel (früher) erreichen. Die Kehrseite des Narrativ ist jedoch, dass derjenige, der nicht gewonnen hat, sich einfach nicht genug angestrengt hat und deshalb selbst daran Schuld ist, dass er nicht oder als letzter ans Ziel kam. Ganz so einfach ist es ja nicht.
Wer sich selbst und seine Denkmuster einmal kritisch auf die Probe stellen möchte, erhält hier Unmengen an Möglichkeiten. Wer verstehen möchte, wie geschickte unterschwellige Manipulation funktioniert, sollte ebenfalls zugreifen. Und wer sich schon immer gefragt hat, was in den Hirnen der Incels eigentlich schiefläuft, der wird gleichfalls Antworten finden. Eines der wichtigsten Aufklärungsbücher, das die komplexe Gegenwart ein Stück weit begreifbarer macht.
Gute erste Hälfe, schöner Überblick gängiger Storytelling-Theorien und ein Ausblick auf die Ver��nderungen durch Social Media. Hintenraus ein wenig zu zwanghafte Kontextualisierung bezüglich aktueller Themen, bleibt aber gelungen. Gutes Buch, als Einstieg in die Materie sehr brauchbar.
Zu Beginn tönt Erzählende Affen großspurig, dass es einige DER großen Konflikte unserer heutigen Gesellschaft aufdröseln, ja sogar Lösungsansätze anbieten wird. Dann kommt erst einmal viel Ein-mal-eins der Literaturwissenschaften.
Im Ersteindruck wirkt Erzählende Affen wie ein oberflächlicher Abriss für eine größtmögliche Zielgruppe. Schnell wird klar: Dieses Anlaufnehmen ist nur ein Symptom des allumfassend inklusiven Ansatzes, mit dem Erzählende Affen auch den desinteressiertesten Lesenden komplexe Zusammenhänge vermittelt. Umso wichtiger, weil es um Themen geht, die im Idealfall auch die hinterste Bank erreichen müssen.
Erzählende Affen ist kein Buch, das von Grund auf neue Ideen vermittelt. Stattdessen erklärt es populäre Phänomene wie Neoliberalismus, Rassismus oder die Klimakrise, indem es zeigt, wie bestimmte – teils bewusst gesäte – Narrative deren geradezu epidemisches Wachstum förderten. Erzählende Affen füllt Lücken in unserem Allgemeinwissen. Plötzlich ergibt diese oder jene kollektive Verirrung unserer Zeit deutlich mehr Sinn.
Wahrscheinlich eins der besten Sachbücher die ich bisher gelesen habe. Es ist so informativ und interessant. Das Buch bindet den Leser mit Beispielen und Vergleichen gut mit ein vor allem bei der "Literaturtheorie" die dadurch sehr anschaulich vermittelt wird. Die Themen sind extrem aktuell und das Buch hält auf jeden Fall was es auf den Klappentexten verspricht. Es ist für jeden geeignet den Politik, Literatur, Klimawandel und Geschichte interessieren und es schneidet auch noch viele weitere Themen an. Unbedingt lesen!!!
Welchen Einfluss können Geschichten auf uns haben und wie müssen wir sie erzählen, damit es echte Veränderungen geben kann? Um diese Fragen dreht sich dieses unglaublich tiefgründige, spannende, aber auch anspruchsvolle Buch von Samira El Ouassil und Friedemann Karig.
Es ist mir recht schwergefallen, in das Buch reinzukommen. Das liegt zum einen an der teils sehr verschachtelten Schreibweise, zum anderen an der zunächst sehr ausführlichen Erklärung dessen, was eine Heldenreise ist und welche Masterplots (wie Metamorphose oder Rivalität) uns begegnen können.
Ich bin aber sehr froh, dass ich drangeblieben bin, denn das Buch nimmt mehr und mehr Fahrt auf und zeigt auf, wie Geschichten die wichtigsten gesellschaftlichen Pfeiler und Problematiken wie Politik, Rassismus, Medien, aber auch unser Bild von uns selbst beeinflussen. Als roter Faden durch das Buch zieht sich der Appell, dass es eine neue Art zu erzählen benötigt. Um diese Problematiken lösen zu können.
Das Buch wird mich nachhaltig beschäftigen und ich werde definitiv immer mal wieder in meine Markierungen reinschauen. Während des Lesens habe ich mich immer mal wieder gefragt, ob eine einfacher zu lesende Sprache das ganze nicht etwas zugänglicher machen würde. Doch in diesem Punkt sind sich die Autor*innen treu geblieben, was jede*r weiß, die/der schon mal in ihren gemeinsam Podcast Piratensender Powerplay reingehört hat (absolute Empfehlung an dieser Stelle, sowohl für den Podcast, als auch das Buch).
Ein hervorragendes Buch! Von den griechischen Sagen bis zu der Ästhetik von Star Wars werden wirkmächtige Narrative erklärt, es werden Theorien französischer Philosophinnen ebenso wie Erkenntnisse aus der Politik- und Medienwissenschaft genutzt, um Diskurse zu verstehen und die Frage zu stellen, wie man sie verändert - alles am Beispiel der Held(innen)reise. Viel zum Nachdenken auf jeder einzelnen Seite, absolute Leseempfehlung.
Geschichten - warum sie wichtig sind und wir so gerne darauf einsteigen. Reichhaltig, viel Stoff zum Nachdenken. Eine lohnende Lesereise - vor allem, wenn sie mit all den Beispielen ergänzt, die die Autoren erwähnen Sehr lesenswert
Nach gefühlt einer Ewigkeit habe ich es vollbracht dieses tolle Buch fertig zu lesen! Dafür erst mal ein „Sorry“ an alle meine Follower (also nur an dich Markus)… Fand das Buch wirklich sehr interessant und besonders die letzten Kapitel haben mich sehr zum Nachdenken angeregt. Danke für die Empfehlung lieber Markus! Ich kann das Buch auf jeden Fall nur weiterempfehlen!
«Wir entdecken überall Geschichten, weil wir überall welche finden wollen, beziehungsweise finden müssen, selbst wenn es sich um abstrakte Formen handelt. Unser Gehirn sucht nicht nur nach Geschichten – es ist regelrecht süchtig nach ihnen.»
In diesem Sachbuch werden, banal gesagt, die Erkenntnisse der Erzähltheorie erörtert. Angefangen mit Lagerfeuergeschichten, Stammesgeschichten, Mythen und Märchen bis hin zur Ilias, Odyssee, über Herr der Ringe und Harry Potter, über die PR bis zum Gaming. Es geht auch um Selbstdarstellung auf Instagram usw. Wir alle wachsen mit Heldengeschichten und Märchen auf. Die Elemente der Heldenreise von Joseph Campbell «The Hero with a Thousand Faces» von 1945 sind der Grundstock. Jede Menge Bücher, Filme und TV-Serien werden nun als Beispiel benannt. Um die Heldenreise kurz zusammenzufassen: Ein Mensch wie du und ich (meistes; hin und wieder wird gleich der Held gerufen) wird in eine Situation gebracht, in der er sich finsteren Mächten (den Antagonisten) entgegenstellen muss – und er wird am Ende siegen. Meistens hat er sich die Rolle nicht selbst gewählt, sondern will lediglich in Ruhe sein Leben verbringen. James Bond oder Supermann sind Helden, deren Lebensziel es ist für das Recht zu kämpfen, als solche zu Beginn gleich als Held identifizierbar. El Ouassil und Friedemann Karig erklären anhand der Heldenreise unsere Erzählstruktur von Anbeginn, die «Geschichte der Menschheit … auch als Summe unserer geteilten Geschichten» als tiefverwurzelte Narrative. Durch Anstrengung und Furchtlosigkeit kann ein Held alles erreichen, die Welt retten, Denkstrukturen durchbrechen, Menschen, Kulturen zusammenführen. Wir alle kennen die kollektiven Geschichten, die die Menschheit fasziniert, die weitererzählt werden, die uns glauben lassen, alles wird am Ende gut ausgehen, die Trost in dunklen Zeiten spenden, die uns helfen, uns zu orientieren, die Welt zu verstehen, uns helfen, das Gute vom Schlechten zu identifizieren, die Moral schärfen, uns in fantastische Welten katapultieren.
«Wer bestimmt, wer wann und wo mehr Recht auf die Validität seiner Geschichte hat? Konflikte vermeintlich kultureller Art sind oftmals narrative Konflikte, da Kultur selbst eine Erzählung ist von dem, was gut und wahr und schön ist – oder eben nicht.»
Diese Strukturen kann man natürlich auch mit gefährlichen Narrativen füllen, politisch, rassistisch, religiös usw. Was erzählt wird, wird zunächst geglaubt, wenn es gut verpackt ist durch Sprachpolitik und Framing. «Und je mehr Menschen sich auf bestimmte Erzählungen einigen, desto mehr verfestigen sich auch die darin eingebetteten Narrative.» Und so landen wir bei Lügen, Fakenews, Propaganda, Kriminalität. PR, Werbung, Politik – alles funktioniert nach dem Storytelling – eine gute Geschichte erzählen, um bei Zuhörern anzukommen. Einer macht sich selbst zum angeblichen Volkshelden, erklärt eine andere Gruppe zum Antagonisten, zum Feind, zum «Untermenschen», zur Gefahr usw. – die Geschichte zeigt genügend Beispiele, wie es funktioniert. Die anderen sind an allem Schuld, wenn es bei einem selbst nicht funktioniert. Ein gutes Storytelling kann ganze Völker aufhetzen.
«Man benötigt weiterhin einen Journalismus, der das Problem verständlich macht und dessen Tragweite vermittelt, aber man braucht ebenso eine konstruktive, lösungsorientierte Berichterstattung, um Verhaltensänderung zu inspirieren.»
Unsere Zivilisation und Kultur basiert auf unseren Geschichten. Es gibt ziemlich viele Erzählungen, Mythen und Märchen, die auf der ganzen Welt sind, egal welche Kultur sie erzählt, die im Prinzip die gleiche Grundgeschichte erzählen. Ein Held wird erst gerufen oder muss sich stellen, wenn die Gesellschaft bedroht wird, wenn sowieso alles verloren scheint. Dann muss einer es wagen, sich für alle ins Zeug zu scheißen. Wir bezeichnen gefallene Soldaten als Helden und mancher wird heute als Held bezeichnet, weil er früh ins Gras biss, und nicht mehr zeigen konnte, ob er wirklich einer geworden wäre. Laut Forschern spalteten sich die Menschen von den Tieren ab, als sie begannen, Lügengeschichten zu erzählen, was wahrscheinlich mit der Sprachentwicklung zur gleichen Zeit passierte. Unsere Stammesgeschichten zeigen selbstverständlich auch ein Macht- und Geschlechterverhältnis. Die Frau spielt eine untergebene Rolle. Wenn die Geschichten es erzählen, wird es so richtig sein. Es hat lange gebraucht, um eine Wendung zu erzwingen. Ebenso: «Macht euch die Erde untertan», alles Narrative, die wir durchbrechen müssen. Und der moderne Roman zeigt, dass eine Geschichte auch ohne Helden – Heldengeschichte – funktionieren kann.
«Um zu verstehen, inwiefern Geschichten ein wirkmächtiges Instrument der Menschheit waren, muss man begreifen, dass der Mensch Geschichten genutzt hat, nicht nur um sich zu unterhalten, um Affekte zu evozieren, sondern auch um Informationen zu verbreiten und früher – um das Lagerfeuer herum – wurden Geschichten genutzt, um überlebensnotwendige Informationen und Botschaften auf niedrigschwellige Art und Weise schnell zu multiplizieren.»
Das Buch ist in die zwölf Kapitel einer Heldenreise gegliedert. Im letzten Teil geht es um die Richtung der Erzählung, die immer gleich bleibt. Die Autoren sagen, Journalisten berichten falsch zum Thema Klima, Klima-Aktivistinnen reden von Verboten, machen uns alle zu Antagonisten. Hier geht es aber um die Verantwortung des Einzelnen, etwas besser zu machen, sich zu verändern. Verhaltensänderung erreichen wir nur, wenn wir unser heutiges Verhalten als beschämend und ehrlos begriffen. Mit Verboten klappt es nicht. Die Klimakatastrophe kann nicht von einem Heldenteam aufgehalten werden – es gibt auch keinen einzelnen Antagonisten, eine Gruppe böser Buben, die Heldenreise funktioniert nicht zu diesem Thema. Ach ja – wer sagt schon Katastrophe? Das Narrativ ist Klimawandel. Die Autoren raten: «Jedes abgeschaltete Kohlekraftwerk, jedes neu gebaute Windrad muss zu einem gefeierten Meilenstein auf der Heldenreise der Vernünftigen werden.» Gesellschaften verändern sich über die Geschichten, die man ihnen erzählt. Das kann man positiv nutzen, die Welt, die Gesellschaft zu verbessern, oder manipulativ, um Kriege zu führen, um Gesellschaftsschichten zu auszustoßen, um Regierungen zu stürzen. Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, ein wichtiges Thema im Storytelling. Das Internet mit seinen vielschichtigen Möglichkeiten zeigt: «... wo laut diverser Untersuchungen die Wut das Gefühl ist, das am meisten geteilt wird.» Wut und Hass verbreiten, den Emotionen freien Lauf lassen. Zu erklären ist eine Möglichkeit, dies zu stoppen, die bei den Wutschnaubenden meist aber nicht ankommt – von anderer Seite wird das Feuer minütlich angeheizt. Hier funktionieren die Stammesgeschichten nicht mehr.
«Das Wort Klimawandel, so harmlos es klingt, ist eine Erfindung der US-amerikanischen Republikaner, die versucht haben, dass die Vorstellung, das Konzept wir unseren eigenen Lebensraum zerstören, dass wir unsere eigene Atmosphäre erhitzen, bis der Planet brennt, in ein Wort zu gießen, was weniger bedrohlich klingt, quasi: natürlich. Ein Klimawandel und nicht eine Klima-Erhitzung oder Welt-Zerstörung»
Soziologie und Kulturtheorie, Rhetorik von der Stammesgeschichte bis zum Storytelling im Marketing, im Selbstmarketing bis zu Instagram und TikTok, einschließlich populistischer Lügen und Verschwörungsmythen. Ein feines Buch das sich mit kollektiven Geschichten und deren Auswirkung auf die menschliche Psyche beschäftigt. Leider ist der Sprecher des Hörbuchs, Sebastian Dunkelberg, nicht der englischen Sprache mächtig. In diesem Sachbuch kommen eine Menge allgemeiner Anglizismen vor, die man eigentlich kennen sollte. Bei der falschen Aussprache dieser Worte klingelte es in meinen Ohren bis hin zum Zahnschmerz. Das ist wirklich ätzend. Und ganz ehrlich, ich finde, das Buch ist als Papierwerk sowieso wertvoller. Ich werde es mir holen. Es gibt kluge Gedanken, die ich gern nochmal nachschlagen mag, und es beinhaltet sehr viel Information, die gelesen besser verarbeitet werden kann. Ein Buch, in dem man auf Papier gut markieren kann und den Rand vollschreiben.
«Wir müssen viel stärker in den Fokus rücken und eindrücklich davon erzählen, was wir als Menschen, als Gesellschaft, als Eltern von Kindern und Kindeskindern gewinnen können. Und zwar nicht nur eine gewisse Stabilität und das Überleben unserer Spezies, sondern auch so etwas wie Banales, wie bessere Luft, saubere Flüsse, gesünderes Essen. Momentan steht sehr stark im Fokus, was schlechter werden könnte oder schlechter wird. Wir könnten aber auch davon erzählen, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen und worüber wir uns freuen würden. In 20 oder 30 Jahren.»
Samira El Ouassil, geboren 1984 in München, ist eine deutsche Autorin, Schauspielerin, Musikerin und Politikerin (Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative). Seit September 2018 schreibt sie für das Onlineportal «Übermedien» die Kolumne «Wochenschau».Seit 2019 moderiert sie zusammen mit Christiane Stenger den philosophischen Audible-Podcast «Sag niemals Nietzsche». Seit 2020 schreibt sie eine Online-Kolumne beim «Spiegel». Zusammen mit Friedemann Karig moderiert sie seit 2020 den Podcast «Piratensender Powerplay». El Ouassil ist Sängerin der Band Kummer und Mitglied im Verein Mensa.
Friedemann Karig, geboren 1982, studierte Medienwissenschaften, Politik, Soziologie und VWL und schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, das SZ-Magazin, Die Zeit und jetzt. Er moderierte das für den Grimme-Preis nominierte Format «Jäger&Sammler» von «funk», dem jungen Online-Angebot von ARD und ZDF. Mit Samira El Ouassil betreibt er den Podcast «Piratensender Powerplay». Dschungel war sein literarisches Debüt, zuvor erschien 2017 sein Buch «Wie wir lieben. Vom Ende der Monogamie». Das von ihm 2021 zusammen mit Samira El Ouassil verfasste Buch Erzählende Affen wurde zum Bestseller und für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert. Karig lebt in Berlin und in München.
Ein gelungenes Sachbuch, das ich vermutlich zu schnell gelesen habe. So interessant geschrieben und trotzdem sehr dicht, voller Stoff. Hier würde sich ein zweites Lesen vermutlich lohnen.
Mich haben unter anderem die im Buch vorgestellten Anti-Heldengeschichten sehr fasziniert. Diese Narrative meist der Rechts-Konservativen, die einem versprechen, dass man sich eben NICHT wandeln muss. Bleib wie Du bist, und sei der Held auf Deinem Sofa.
Sehr wichtig erscheint mir auch der Hinweis der Autoren, wie unpassend und sogar schädlich die klassische Heldengeschichte als Struktur für Erzählungen aktueller Probleme ist (Stichwort Klimakatastrophe). Wobei, möchte ich etwas kritisch anmerken, passte die Heldengeschichte jemals für echte Probleme?
Gute Ideen - hätte aber besser umgesetzt werden können. Ich fand die Prämisse des Buches, nämlich dass Erzählungen unsere Politik und Gesellschaft bestimmen, sehr spannend, da es sich auch an Harari's Konzept der geschichtlichen Mythen der Menschheit anlehnt. Kern diesen Buches ist aber vor allem die "Heldenreise", die als Erzählmuster zu Beginn characterisiert und dann auf die Narrative unserer Zeit angewendet wird. Dabei folgt die Struktur des Buches selber eine Heldenreise, indem jedes Kapitel als Station dieser deklariert wird. Die "Heldenreise" bietet ein interessantes Werkzeug, dominante Erzählungen und Ideologien der Gegenwart zu durchblicken und Zukunft zu gestalten. Allerdings, habe ich mich mit dem Allgemeinheitsanspruch der Autoren schwergetan. Zum Einen haben mir (evolutionär-)psychologische Belege gefehlt, dass Menschen ALLES in eine Geschichte verwandeln. Nur einzelne Studien wurden oberflächlich angeschnitten, aber keine tiefergehende Anaylse oder Synthese hat stattgefunden. Ich verstehe, dass dieses Buch keine wisschenschaftliche Arbeit ist, aber auch Sachbücher für ein breites Publikum müssen sehr große und pauschale Aussagen argumentativ untermauern. Dass wir Menschen Geschichten mögen, ist für mich kein ausreichendes Argument. Zum Anderen hat meiner Meinung nach die Schablone der Heldenreise nicht 100% zur inhaltlichen Struktur gepasst. Dadurch wirkten die Kapitel und deren Entwicklung sehr forciert und die argumentative Entwicklung schwach. Die finalen Seiten über Utopien, neue Narrative über (oder gegen) den Klimawandel und das Fazit, kein Held zu sein, hätten überzeugender herausgearbeitet werden können. Außerdem mag ich den Titel echt nicht gerne. "Affe" impliziert einen evolutionären Ansatz, obwohl ich nicht oft genug betonen kann, das Menschen nicht von Affen abstammen, sondern dass wir nur gemeinsame Vorfahren haben und nun völlig verschiedene Wesen sind. Trotzdem ist in diesem Buch keine Rede von evolutionären Entwicklungen, Sprache oder Tieren überhaupt. Der Fokus liegt auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Narrativen und nicht auf "Erzählenden Affen".
Alles in allem, war das Buch trotzdem sehr angenehm und spanned zu lesen, und bietet ein leicht zugängliches Werkzeug, gegenwärtige Tendenzen in der Gesellschaft zu demarkieren und sich kritisch damit auseinanderzusetzen, wie man mit "Krisen" wie Klima, Corona, Krieg etc umgehen kann.
Ein sehr relevantes Projekt, das deutlich zeigt, wie wichtig es ist, dass wir den Zusammenhang zwischen Erzählungen und den Problemen des 21. Jahrhunderts verstehen. Leider wird meiner Meinung nach der Bogen etwas überspannt. Streckenweise scheint das Buch eine Sammlung sämmtlicher Feuilletonartikel zur Thematik zu sein. Sprachlich schwankt das Ganze zwischen Podcasting, das jung und hip sein will und hochtrabenden, wohl etwas selbstverliebten Formulierungen mit viel Namedropping. Besonders störend fand ich die Ausführungen, die weit zurück in die Menschheitsgeschichte reichten und schlussendlich sogar titelgebend wurden. Autor und Autorin verlassen hier das Gebiet ihrer Expertise, weshalb die Erklärungen eher krude ausfallen. Hat mich ein bisschen an "Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken" erinnert - "hat wahrscheinlich irgendetwas mit Mammutjagd zu tun". An den Stellen, wo die Schuster bei ihren Leisten bleiben, tauchen allerdings sehr einleuchende Analysen auf. Vor allem das Kapitel zu den USA und Trump war erhellend.
Irgendwie will ich immer Sachbücher lesen, aber es endet dann damit, dass ich im Jahr zu 90% Fiction lese.
„Erzählende Affen“ ziehe ich seit Anfang des Jahres mit mir herum. Nicht, weil es schlecht ist, sondern weil es so viel Konzentration beim Lesen verlangt.
|| Darum geht’s: Die beiden Autoren widmen sich Erzählungen und Geschichten, wie sie die Welt beeinflusst haben und heute noch beeinflussen und wie neue Erzählungen aussehen müssten, um zum Beispiel den Klimawandel so zu erzählen, dass er zum Handeln drängt. ||
Das Buch zeigt einem auf sehr interessante Art und Weise neue Blickwinkel auf viele Themen. Man denkt ganz anders über gewisse Dinge nach und sieht diese von einer anderen Seite. Außerdem wird verdeutlicht welche große Rolle Geschichten in unserer Gesellschaft spielen, ein super untypisches Thema, das aber sehr viel beinhaltet.
Ich finde es sehr spannendes Sachbuch, das gut geschrieben ist und auch viel Stoff zum Nachdenken liefert.🧠
Wärmste Empfehlung! Ich bin Hörerin des super Politik Podcasts Piratensender Powerplay und deshalb überzeugt davon gewesen, dass dieses Buch genauso wunderbar sein muss. Ich wurde nicht enttäuscht. Es werden Mythen/Geschichten unserer heutigen Zeit, entlarvt, wodurch das Buch sehr aktuell ist. Hat mir auch beim Umgang mit der ständigen kognitiven Dissonanz geholfen, welche uns im Alltag ja heute durchgehend begegnet. Ich will ab jetzt versuchen mehr positive Geschichte zu erzählen, anstatt immer nur das schlechte zu sehen und zu reproduzieren.
Kritik: Da das Buch so dick ist, habe ich 6 Wochen gebraucht. Der erste Teil des Buches, welcher vor allem die Herkunft von Narrativen genau erklärt, hätte meiner Meinung nach auch gut um einiges gekürzt werden können.