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Die Inkommensurablen

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In fiebriger Erregung warten die Einwohner Wiens am 31. Juli 1914 das Verstreichen des deutschen Ultimatums ab. Unter ihnen sind drei, deren bekannte Welt zu zerfallen droht: Der Pferdeknecht Hans, der adlige Adam und die Mathematikerin Klara. Der spektakuläre neue Roman der preisgekrönten Wiener Autorin ist ein literarisches Ereignis.

Wien, Zentrum der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, steht Kopf. Noch sechsunddreißig Stunden, dann läuft das deutsche Ultimatum ab. Die Stadt ist ein reißender Strom, in allen Straßen bricht sich die Kriegsbegeisterung der jungen Generation bahn. Mitten in diesen Taumel gerät Hans, ein Pferdeknecht aus Tirol, der sich auf den Weg in die Metropole gemacht hat, um die Psychoanalytikerin Helene Cheresch aufzusuchen. Dort angekommen trifft er auf Adam, einen musisch begabten Adligen, und Klara, die sich als eine der ersten Frauen an der Universität Wien im Fach Mathematik promovieren wird. Gemeinsam verbringen die drei jungen Menschen den letzten Abend vor der Mobilmachung – in einer Stadt, die sich ihrem Zugriff mehr und mehr zu entziehen droht.

352 pages, Hardcover

First published January 14, 2023

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Raphaela Edelbauer

10 books58 followers

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1 star
14 (2%)
Displaying 1 - 30 of 78 reviews
Profile Image for Meike.
Author 1 book4,945 followers
August 22, 2023
Now Nominated for the German Book Prize 2023
War, drugs, mass hysteria: Edelbauer tells the story of three young people who meet in 1914 Vienna the day before the end of the German ultimatum, and who are separated again one day later by the general mobilization for WW I. Hans, a stableboy from Tyrol, just arrived in the big city and dreams of being psychoanalyzed (Vienna of course being the city of Sigmund Freud). As he finds the practice of (fictional) psychologist Helene Cheresch, he meets Klara, a suffragette who is about to finish her doctorate in mathematics, and Adam, son of a military dynasty who does not want to go to war, but is probably destined to perish in Serbia. Together, they spend the night in a city in turmoil, going from a dinner with the Kaiser's military advisers through shady bars to Vienna's literal underground, which, and this is historically true, used to be a refuge for the poor.

Edelbauer paints a panorama of the time, also infusing it with some queer history (Klara and psychologist Helene have a #metoo-worthy relationship), but the main topic of the novel is war as a phenomenon of mass suggestion: Helene says that she does research on a so-called dream-cluster, where many people dream about the same village - what is the secret behind the mass phenomenon? In many conversations, the protagonists ponder the nature of human consciousness, both concerning their own thoughts and dreams, but also how the subconscious pushes people to join the war effort. There is a lot in here which relates to Goebbels' later ideas about propaganda and Victor Klemperer's investigations into language and manipulation, and it's also interesting (but certainly not intended by the author) to read this in context of McCarthy's The Passenger and Stella Maris, which also ponder the mystery of the subconscious.

The book introduces us to three different lives that stand for the upbringing in certain classes: The leading upper class with a strong military tradition, Adam; working class Klara who strives to rise through education; and Hans, the illegitimate orphan who lost his father and thus fell down to the rural underclass. Hans shows us Vienna and the events through the eyes of the newcomer, Klara through the eyes of the marginalized (poor, female, queer), and Adam suffers because he knows he represents the past: At one point, he even spells out that the war will be the end of the old order of Kaiser, fatherland, and strong military men (bless him for not knowing about WW II).

And this concept is all well thought out, and the dialogue that dominates the narrative is extremely well-written, but the pacing is off and I often found myself drifting off - the text with all its unusual adjectives and deeply Austrian language (I love the sound of Austrian German!) didn't manage to really captivate me. The theoretical set-up and the message are too on the nose, in fact so much so that the whole mass suggestion idea becomes a distraction from the characters and their destinies. Point in case: Klara's speech on mathematical commensurability that lends the novel its title - I see what Edelbauer wants to do here on a metaphorical level (impossibility of measurement, science as mysticism etc.), but much like in the case of DAVE, it turns parts of the text into a clunky knowledge dump that isn't justified concerning the narrative merit. Also, rather than cramming in an assemblage of way too many events supposed to illustrate the city in one night, I would have enjoyed reading about Hans, Klara, and Adam over a longer period of narrated time, with more substantial events unfolding than going to a bath house to soak (I see how the sleep-deprivation is supposed to underline the hallucinatory character of the events, but it's not worth it, really).

So all in all, this is pretty interesting, but still feels like Edelbauer has it in her to write greater, better texts. At least it's much better than DAVE! And I bet it will get nominated for the German and the Austrian book prize.
Profile Image for Olaf Gütte.
222 reviews76 followers
February 23, 2023
Nach starkem Beginn war ich vom Schlußteil doch etwas enttäuscht.
Profile Image for Alexander Carmele.
475 reviews424 followers
September 29, 2023
Sprachfreudige Ideologiekritik im Musilschen Vorkriegswien

Ausführlicher, vielleicht begründeter auf kommunikativeslesen.com

Raphaela Edelbauers Roman „Die Inkommensurablen“ beginnt am 30. Juli 1914 am Wiener Südbahnhof. Schon alleine diese Zeit- und Ortsangabe verknüpft den Roman mit Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“, der mit einem Augusttag des Jahres 1913 in selbiger Reichshaupt- und Residenzstadt der k. u. k. Monarchie ansetzt. Die Psychoanalyse, das Okkult-Mystische, Carl Jung, Sigmund Freud, Georg Cantor und die Suffragetten stehen in aller Munde und auch der bevorstehende Krieg mit dem russischen Zarenreich. Edelbauers Roman spielt zwischen allen Stühlen, auf den Straßen, in der Kanalisation, in den Hintergemächern des Militärs und der Oberschicht, aber auch in den Hütten und Lauben, Bruchbuden des Wiener Favoriten:

„Über eine Wendeltreppe waren sie in eine Art Halle gelangt. Er musste sich die Hände vors Gesicht schlagen, um den Gestank ertragen zu können. Sie standen auf einem Grat, der hoch über einen Schacht führte, durch den das Schmutzwasser donnerte. Braun toste die Gülle in Tonnen und Abertonnen über eine Staustufe – das gesammelte Abwasser der nach allen Seiten ausgestreckten Metropole. Täglich kippten hunderttausende Frauen ihr Waschwasser in die Wien, die über der Stelle, wo die Karawane nun ihren Weg machte, mächtig in den Boden drang.“

Sie, das sind Karla, Hans und Adam, die gemeinsam durch Wien streifen und über Gott und die Welt palavern. Adam steht kurz davor, als Offizier in den Krieg beordert zu werden; Karla muss für ihr Rigorosum büffeln, und Hans steht mittelos im großen Wien, von Zuhause ausgebüchst, mit leeren Händen da und ausgestattet nur mit seiner Begeisterung für die Psychoanalyse. Sie treffen sich bei einer stadtbekannten Psychoanalytikerin namens Helene Cheresch, die erste Anlaufstelle für Hans, um seine besondere Fähigkeit zu melden, nämlich ein drittes Auge dafür zu haben, was eine Person im nächsten Moment sagen wird. Hans Odyssee durch das Vorkriegswien beginnt.

„Die Erschöpfung kauerte auf ihnen wie ein nackter Affe. Viele setzten sich vorerst aufs Trottoir und rauchten. Einige trugen noch eine Flasche Schnaps im Hosenbund oder einen Flachmann in der Hand, den sie reihum weitergaben, wie um einen Fall zu bremsen. So nahm auch Hans einen Schluck. Er saß auf dem Gehsteig und schaute in den Himmel, der sich in unendlicher Behäbigkeit rot verfärbte. Er konnte sich nicht daran erinnern, je so erschöpft gewesen zu sein. Alles war ihm gleich. Die Menschen hockten und legten sich auf die befahrene Straße. Auch Hans ließ sich deshalb nach hinten fallen. Und wie eine Mutter nahm Klara seinen Kopf auf ihren Schoß.“

Edelbauers Diktion mutet altmodisch an, dennoch kommen ihre Sätze frisch und einfallsreich daher. Nirgendwo gleitet ihre Prosa in Phrasen und ödes Aufzählen ab. Sie spielt mit ihrem Sujet und lässt ihrer Phantasie freien Lauf, haucht den Figuren, den Szenen Leben ein und erzeugt ein lebendiges, Bild einer hastigen, aufgeregten Stadt, eines Labyrinths des Möglichen, ein Prag des Golems, ein Rom der Illuminati, eben das Wien der Traumdeutung.

„Kein wohlgeordneter Kosmos, wie ihn sich die Griechen ersonnen hatten. Es war vielmehr ein Teppich, verklebt vom Kot der Verstorbenen und gesteift mit der Stärke eines metaphysischen Kleides. Wenn man an einem Ende zog, dann glitt auch das andere abwärts, und wenn man waagrecht einen Faden entfernte, fielen die senkrechten Laschen in sich zusammen. So war die Welt.“

Edelbauers Roman handelt von Kollektivbewusstsein, Massenpsychosen und Massenwahn, von Archetypen, Einbildungen, Versuchen, über das Rationale hinaus ins Transzendent-Überirdische zu gelangen und stellt diese Prozesse und Praktiken der Kriegsbegeisterung an die Seite, die ebenfalls nur mit kriegerischen Mitteln sich darum bemüht, den alltäglichen Jammertal, der Vereinzelung zu entkommen und Bedeutung in Mehrzahl zu schaffen. Mit satirisch-ironischer Gaukelarbeit führt sie das Tagträumen vor, ohne jedoch die Utopie eines anderen Zusammenlebens zu diskreditieren. Nur so einfach, das die zugrundeliegende Botschaft Edelbauers, geht es nicht.

Vieles erinnert an Umberto Ecos „Das Foucaultsche Pendel“, nur ohne die Detektivgeschichte, oder Alfred Kubins „Die andere Seite“, und auch Ähnlichkeiten zu Eckhart Nickels „Spitzweg“ gibt es, in welchem ebenfalls drei Freunde über Kunst und Kultur debattieren. Die Liste der Analogien lässt sich über Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ und Gilbert Adairs „Die Träumer“ fortsetzen. Nicht zu sprechen von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ und Hermann Brochs „Die unbekannte Größe“, „Die Schlafwandler“ und „Massenwahntheorie. Beiträge zu einer Psychologie der Politik“.

Trotz vieler Anleihen steht Raphaela Edelbauers „Die Inkommensurablen“ jedoch ganz selbständig da. Selten wurde dem Wunsch nach Mehr, nach einem Höheren, so selbstironisch, sprachfreudig und doch hintergründig vernichtend auf den Zahn gefühlt.
Profile Image for Rainer.
107 reviews9 followers
July 10, 2025
Alle drei Hauptfiguren – Hans, Lena und Adam – sind absolut sympathisch: klug, verletzlich, idealistisch. Ich habe sie mit viel Vergnügen durch die letzte fiebrige Nacht Wiens vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs begleitet.
Profile Image for Frau Becker.
221 reviews48 followers
December 11, 2025
Das ist en ziemlich wilder Ritt durch das Wien am – wortwörtlichen – Vorabend des Ersten Weltkriegs. Erzählerisch steht Edelbauer klar in der Tradition der Wiener Moderne, Schnitzlers Traumnovelle stand ganz offensichtlich Pate, aber auch die Vorbilder Robert Musil und Joseph Roth sind nicht zu verleugnen (für den Kenner versteckt Edelbauer hier einige intertextuelle „easter eggs“). Geistesgeschichtliche Einflüsse kommen zudem von Freud und Jung, Mach und Cantor. Weit stärker noch als die unmittelbaren Zeitgenossen begreift sie den Tag als Siedepunkt einer fiebrigen Epoche, Wien wird zu einem Hexenkessel aus ideologischen Gegensätzen und Umbruchskrisen, aus Illusionen und Realitäten, drogengesättigt und sexuell aufgeladen, gegensätzliche Klassen, Ideologien, Subkulturen prallen krachend aufeinander. Wie der Protagonist Hans, ein Pferdeknecht aus Tirol, der in die Stadt kommt, um sich einer Psychoanalyse zu unterziehen, wird auch der Leser in diesen daueraktiven Strudel hereingezogen, der im wörtlichen wie im übertragenen Sinne in Abgründe führt (ohne Dante gelesen zu haben, stelle ich mir diesen Roman auch als moderne Verarbeitung der „Göttlichen Komödie“ vor). Auch sprachlich fand ich den Roman stark, zwar keineswegs so „gestelzt“ wie einige Kritiker monieren, allerdings nicht immer tadellos: Einerseits ist die Figurenrede zuweilen etwas sehr 21. Jahrhundert (die Figuren sagen Dinge wie „macht Sinn“ oder „für’n Arsch“), andererseits zweifle ich schwer, dass ein 17jähriger Tiroler Stallbursche, und sei er auch noch so belesen, Dinge sagen würde wie: „Du hypostasierst da etwas zum Ideal, was für viele zu einer weltlichen Realität werden wird.“ So immersiv der Roman auch ist, sowas haut mich dann doch etwas raus. Aber das ist insgesamt Meckern auf hohem Niveau. Vieles an dem Roman hat mich begeistert, hätte ihn allerdings gern mit mehr Konzentration gelesen, dem standen viele äußere Dinge leider im Wege.
Profile Image for Marion.
247 reviews18 followers
November 12, 2023
Für mich ein 5 Sternebuch. Eine wunder schöne präzise und detailreiche Sprache.
Die Geschichte ist interessant und teilweise schon rasant, wie es durch nur einen einzigen Tag geht. Aber was für ein Tag für den jungen Protagonisten…
Und die Stadt Wien wird wunderbar beschrieben.
Suggestion ist der Gegenstand der Geschichte hinter der Geschichte im übertragen Sinn, zumindest empfinde ich es so und darum ist das Buch zwar historisch, aber nicht weniger aktuell.
Profile Image for Stefanie.
102 reviews8 followers
October 1, 2025
Ein sprachliches Fest!
Die intensive Geschichte um den 17jährigen, belesenen Pferdeknecht Hans, der den ungeliebten Tiroler Hof verlassen hat und in den Wirren des unmittelbar bevorstehenden Kriegs 1914 in Wien strandet. Er will zur Psychoanalyse, trifft auf die junge Mathematikerin Klara und den musischen adligen Offizierssohn Adam: Sie hat am nächsten Tag Rigorosum, er muss zum Militär einrücken. Es verbindet die drei zudem eine jeweils übersinnliche Fähigkeit. Die kommenden Stunden sind sie unzertrennlich und erleben einen Strudel an sich überschlagenden Ereignissen. - Eine faszinierende, soghafte Dynamik, die so schillernd und pointiert geschildert ist, dass sie nicht nur Hans, sondern auch mich mitreißt. - Naja. Erstmal. Je länger das geht, umso mehr merke ich, dass ich dem Ganzen inhaltlich recht wenig abgewinnen kann.
Ich bleibe bis zum Ende vor allem deswegen dabei, weil es sprachlich und melodisch wunderschön, historisch zudem interessant ist - und in der Hörfassung meisterlich gelesen von Cornelius Obonya. Seine je nach Stimmung und Figur nuancierte Stimme und seine vielfältige Dialektierung tragen auf beachtliche Weise über lange Strecken.
Profile Image for Ief Stuyvaert.
473 reviews362 followers
March 28, 2024
Heeft u een diploma hogere wiskunde op zak?

Dan is dit de roman voor u!

In elk ander geval kunt u zich onthouden.

Want voor de gemiddelde lezer/literatuurliefhebber is ‘De Onmeetbaren’ een wel erg taaie brok.

‘Die Inkommensurablen’ heet het in het Duits.

Dan weet je het eigenlijk al.

Het heeft iets met de Elementen van Euclides te maken. Met de Filosofie van de Wiskunde. Irrationele getallen ook. God, uiteraard.

Nu wil ik af en toe graag iets bijleren, maar dit is toch van het goede te veel.

Of wil u de hele tijd googelen tijdens het lezen?

De Stelling van Desargues. Het niet-Archemedische getallensysteem. O, weet je wat, we gooien er nog een sausje politiek en klassieke muziek overheen. Schönbergs Op. 10. En Freud uiteraard, we bevinden ons tenslotte in Wenen.

De frasen die Edelbauer de zeventienjarige Hans, een boerenknecht uit Tirol, in de mond legt, zijn vaak ronduit lachwekkend: "Ik was oorspronkelijk vanuit mijn reminiscenties hier, u herinnert het zich vast wel!"

Gelukkig is er een verklaring: “Hans had ooit over de maieutiek gehoord, waarmee Socrates de eenvoudigste mensen filosofische inzichten kon laten baren.”

Zég dat dan meteen!

Je zal maar een Weens walsje verwachten en hier op stuiten.

Niets dan vrolijke gezichten op de cover.

Die hebben dit boek duidelijk niet gelezen.
Profile Image for Alexa.
236 reviews6 followers
April 20, 2025
Ich hatte einen historischen Roman erwartet, diesen abgedrehten metaphysischen Diskurs über mathematische Gesetze und kollektive Traumerfahrungen hätte es nach meinem Geschmack nicht gebraucht.
Profile Image for Pascal.
309 reviews54 followers
October 9, 2023
Die Inkommensurablen ist im Wesentlichen ein Roman darüber, wie konservative und nationalistische Mächte den Fortschritt zurückhalten. Er reiht sich in andere Werke, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts, unmittelbar vor Beginn des ersten Weltkriegs spielen (z.B. Thomas Manns Zauberberg) und zeigt, wie fatal es für uns als modernes Publikum wäre, anzunehmen, unsere Gegenwart heute wäre in irgendeiner Weise unantastbarer als die Vergangenheit.

All die bahnbrechenden geistigen und politischen Errungenschaften der letzten 100 Jahre in Ehren – dieser Roman zeigt, wie leicht selbst eine rapide im Fortschritt begriffene Gesellschaft binnen kürzester Zeit zurück ins imperialistische Denken gerissen werden kann.

Gerade ging es noch um Suffragetten, Sozialdemokratie und (naja) Psychoanalyse… Aber wäre es nicht auch total cool, dem österreichischen Großreich zu neuem Ruhm zu verhelfen (und es diesen räudigen Russen mal endlich zu zeigen – kommt einem irgendwie bekannt vor, nicht nur aus rechter Ecke).

Deutlich wird hier aber auch, wie Bewegungen, die wir heute als selbstverständlich wahrnehmen – wie eben den Feminismus – ursprünglich mit Blut und Schweiß erkämpft wurden. Ebenso überrascht auf der anderen Seite, wie lebendig einige liberale Aspekte der Gesellschaft, wie zum Beispiel Untergrund- und Party-Kultur sogar in „kleineren“ Weltstädten der Epoche wie Wien waren.

Das Treiben der Großstadt ist auf jeder Seite spürbar, denn in Die Inkommensurablen passiert sehr viel in sehr kurzer Zeit. Die gesamte Geschichte spielt an nur zwei Tagen und überwältigt den provinziellen Protagonisten aus Tirol, der schlaflos durch diesen Crashkurs taumelt.

Dass der Protagonist das Leben in Wien von Grund auf kennenlernt, eröffnet für uns als Rezipierende die ideale Tourismus-Perspektive. Besonders elegant ist dabei, dass der Protagonist aus einer sehr abgelegenen, ländlichen Region quasi „in die Zukunft“ reist. So wirkt Wien im Roman, obwohl es 100 Jahre in unserer Vergangenheit liegt, beim Lesen wie eine progressive Stadt im Aufbruch.

Zudem zeigt die Erzählperspektive anschaulich die eklatanten Klassenunterschiede zwischen Stadtmenschen und abgelegeneren Milieus, die bis heute immer noch ein Thema ist – sowohl wirtschaftlich als auch ideologisch.

Die Inkommensurablen steckt so voller Themen und Konzepte, dass für mich letztlich einige der Kernthematiken hinten runter fallen. Doch auch wenn die (Kritik an der) Psychoanalyse oder die titelgebende Mathematik (die tatsächlich nur untergeordnet stattfindet) am Ende ein wenig im Chaos versanden, färben auch diese Abhandlungen unterm Strich den allgemeinen Vorwärtsdrang der Gesellschaft in diesem Roman.
Profile Image for Christina.
930 reviews41 followers
October 28, 2023
Ein seltsames Buch...Ich bin hin- und hergerissen.
Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen und mich oft in die Geschichten hineingezogen. Die Autorin schafft eine tolle Atmosphäre.

Inhaltlich bin ich nicht ganz so überzeugt. Manche Aspekte wie der drohende Kriegsbeginn und die Vergangenheit der Figuren fand ich sehr gut gelungen. Mit der Psychoanalytik und den etwas surrealen Szenen konnte ich dagegen wenig anfangen. Dadurch wirkte das Buch insgesamt überfrachtet und zerstückelt.

Weil mich die Sogwirkung aber immer wieder eingefangen hat, bleibt am Ende ein eher positiver Eindruck.
Profile Image for Michael Madel.
535 reviews11 followers
November 8, 2023
Wer bereit ist, sich intensiv auch mit komplexen Inhalten zu beschäftigen, wird durch die Lektüre reich belohnt. Die Autorin entwirft ein buntes Panoptikum der gesellschaftlichen und politischen sowie sozialen Verhältnisse am Vorabend des Beginns des Ersten Weltkrieges. Nichts ist, wie es zu sein scheint und vorgibt.
"Held" Hans, Jüngling ohne Eigenschaften und kleiner Bruder von Hans Castorp, torkelt schlaftrunken und schlafwandlerisch der großen Katastrophe entgegen.
Profile Image for Mellers.
27 reviews9 followers
September 26, 2023
Edelbauer hat eine wunderschöne Sprache und schafft es vor allem, Wien perfekt in ihrem Buch einzufangen. Wenn man mal in Wien gelebt hat, erkennt man die Stadt so unverkennbar wieder - sowohl in Bezug auf reale Orte als auch auf ihre Atmosphäre.

Ich hätte mir allerdings mehr Raum für den drohenden Krieg gewünscht. Das war aus meiner Sicht der interessanteste Aspekt des Buches, der aber zunehmend durch die Parapsychologie verdrängt wurde - die für sich auch ein spannendes Thema ist, aber beides auf einmal war etwas zu viel des Guten. Da wäre mir ein Roman zur Parapsychologie, der zu einem anderen Zeitpunkt als dem 31. Juli 1914 spielt, lieber gewesen. Oder eben ein Roman, der sich nur mit dem nahenden ersten Weltkrieg auseinander setzt.

Gestört hat mich auch, dass zwei von drei Protagonist*innen aus niedrigen sozialen Schichten kommen, aber dennoch höchst intellektuelle Diskussionen führen können. Das ist ja alles möglich, aber gerade zu der Zeit doch eher die Ausnahme gewesen. Und dann treffen sie sich auch noch durch Zufalll? What are the odds? Hans bleibt dabei besonders schief umrissen, weil er teilweise extrem tiefe, anspruchsvolle Gespräche führt, andererseits dann aber gar nicht mal so anspruchsvolle Begriffe nicht kennt oder nicht einordnen kann. Mir war bis zum Schluss nicht klar, was Hans intellektuell zuzutrauen ist und was nicht.

Doch egal: das Buch hat mir dennoch wahnsinnig Spaß gemacht und es steht meiner Meinung nach zurecht auf der Longlist des deutschen Buchpreises.
Profile Image for Daniela.
18 reviews3 followers
August 31, 2023
Haaaaaach, ich wollte es lieben. Leider sind die vielen tollen Sachen (Plot, historisches Setting, Charakter-Exploration…) für meinen Geschmack zu oft oder zu lange von anderen Ausführungen zerrissen worden. Das hat es unnötig zäh gemacht.
Dennoch bin ich beeindruckt, was alles an Wissen und Ideen in diesem Buch steckt und werde alles lesen, was Edelbauer in Zukunft schreiben wird.
Profile Image for MaggyGray.
673 reviews31 followers
April 22, 2024
Das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass mir dieses Buch so gefallen würde, denn ich bin / werde ein bisschen emotional, wenn es Themen wie Kriege geht; vor allem die beiden Weltkriege.
Aber Raphaela Edelbauer hat eine Art und Weise an sich zu schreiben, die mir regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen hat, so plastisch und bildhaft erscheint alles. Dabei gehen die drei Hauptcharaktere (ich zähle Helene Cheresch jetzt mal nicht dazu) im ganzen Trubel der Ereignisse fast ein bisschen unter. Die Autorin packt in diese sechsunddreißig Stunden alles an Themen, Emotionen, Ereignissen und wissenschaftlichen Bereichen, was geht und schafft so einen kleinen Eindruck, wie chaotisch die letzten Stunden vor der Mobilmachung gewesen sein könnten. Weil wir natürlich wissen, welche Entsetzlichkeiten dieser Krieg (genauso wie jeder andere) über die Menschheit bringen wird, tut die geschilderte Euphorie fast schon körperlich weh.
Die kurzen Abstecher in die Mathematik, sowie die Psychoanalyse und Traumdeutung machen das Ganze nochmal interessanter, auch wenn ich persönlich die Geschichte um Helene Cheresch ein bisschen abwegig fand. Vielleicht muss ich nochmal recherchieren, was es mit den Traumclustern und dem "Simultanträumern" auf sich hat.
Den Vortrag, den Klara anlässlich ihres Colloquiums hält, möchte ich noch einmal in Ruhe lesen.
Profile Image for Dee.
29 reviews3 followers
January 13, 2023
Dieser Roman wird überdauern. Das ist ein so kluges Buch und die Geschichte ist grandios erzählt. Handwerklich geht es dann irgendwann nicht mehr besser, Raphaela Edelbauer hat es sehr einsam da oben mit ihrem Talent. Es fielen einen wirklich nur die ganz großen Namen ein, wenn man denn überhaupt diesen überflüssigen Weg gehen wollte.
Und worum geht es? Die Inkommensurablen handelt von einer Volksseele, die den Individuen gegenübergestellt wird. Was wäre, was ist auszurichten gegen eine Masse, die galoppieren will? Die Hauptfiguren suchen die Flucht in die Meta-Physik, um noch etwas hoffen zu dürfen. Kann die Kraft solitärer Psyche helfen? Retten Abnormalitäten? Die Antwort, die man wie Klara, Hans und Adam hören will, fällt anders aus. Die Geschichte wird ernüchtern, hat sie ja auch immer wieder. Und 1914 fing der Krieg an, oder?
Und dann fallen die letzten beiden Sätze nach 350 Seiten und ich versuche erst gar nicht größere zu finden, die in den letzten Jahren geschrieben wurden. Die Suche wäre sehr, sehr wahrscheinlich vergebens.
Profile Image for Bianca Sandale.
559 reviews21 followers
March 14, 2023
"Man stürzt in dieses Buch und die letzten Tage des alten Europa, als fiele man in einen wilden Fiebertraum." Florian Illies
Ja, eh. Nur leider gibt's nix, was macht, dass es schneller vorbei ist.
Wieder wertvolle Lebenszeit verschwendet....
Profile Image for Otto.
750 reviews49 followers
August 27, 2023
Beginnen wir mal mit dem Titel, hab soeben in Wikipedia nachgeschaut:
Inkommensurabilität: Nichtvergleichbarkeit wissenschaftlicher Theorien. Klara versucht sich an der Entwicklung wissenschaftlicher Ideen in Bezug auf die Irrealen Zahlen, Helene versucht sich in der Widerlegung der Psychoanalyse
Ein Konzept, dass Werte nicht immer miteinander vergleichbar sind. Wie ist es denn mit der Entwicklung Adams weg von seinen militaristischen Vorfahren, weg von seiner Kindheit aus der vorgegebenen soldatischen Laufbahn (der er dann ja wohl doch nicht entkommt). Wie ist es mit dem Vikar aus dem Tiroler Bergdorf, der den jungen Hans mit seinen unkonventionellen Ideen eines Gottesbildes fasziniert - und dann doch von der Amtskirche neutralisiert wird. Wir verhält es sich mit den Werten der Internationalität (Sozialismus) im Gegensatz zum Nationalismus, der zumindest zum Zeitpunkt in dem der Roman spielt, das Wien am Tag des Kriegsbeginns 1914 die Oberhand gewinnt.
Oder auch die Unvereinbarkeit der Arbeiterklasse und ihrer Lebensbedingungen, der Verarmten, der Wohnungslosen, zur Lebensweise der Adeligen und Reichen, derer, die sich dann auch richten können werden.
Und in dieser letzten Unvereinbarkeit begegnen sich die vier Hauptfiguren in diesem für den deutschen Buchpreis 2023 nominierten Roman der erfolgreichen und äußerst gescheiten (das merkt man dann dem Buch leider auch zu stark an) österreichischen Autorin. Adam und Helene versuchen ihrer privilegierten Familie, die aber auch gefangen hält, zu entrinnen, Helene scheint das besser zu gelingen, aber in der Zeit der Bedrängnis kehrt sie ja doch ins gemachte Haus zurück, auch Adam kann seine Verbindungen nicht kappen, auch wenn er sich in die Umgebung der Gosse begibt. Hans und Klara wiederum kommen aus der entgegengesetzten Ecke, Klara am eindeutigsten, doch ihr scheint der Sprung über die Grenzen zu gelingen, auch weil sie vom Frauennetzwerk der Suffragetten unterstützt wird.
Edelbauer ist eine der österreichischen Nomierten des heurigen Jahres, Clemens Setz hat es auch auf die Longlist geschafft. Ich erwähne das nicht nur deshalb, weil Setz im Klappentext des Buches seine Kollegin überschwänglich lobt, sondern auch, weil beiden Romanen ein inhaltlicher Verweis auf obstruse Verschwörungstheorien gemein ist. Ich denke, handelt es sich dabei um Zufall, oder liegt das jetzt nach der schweren Coronazeit mit ihren Verschwörungstheoretikern, die gerade in Österreich auch beste politische Unterstützung hatten, in Österreich allzumal in der Luft?
Und wer jetzt neugierig wurde auf den Roman der Edelbauer, der möge ihn doch lesen, mit 350 Seiten ist der Aufwand überschaubar, dank vieler gut geschriebener Dialoge und der abwechslungsreichen Handlung (unglaublich, was man da innerhalb 24 Stunden, in denen der Roman spielt, so alles erleben kann, von einem Diner im adeligen Milieu bis zu einer heroingetränkten okkulten Session in der Wiener Unterwelt. Und das war mit dann doch ein wenig zu viel, darum nur 3 Sterne.
Profile Image for Callibso.
968 reviews18 followers
August 6, 2023
Ich gehöre ja zu den Lesern, die “DAVE” zwar schwierig, aber definitiv lesenswert fanden. Daher war ich auch sehr gespannt auf dieses Buch und eine Lesung der Autorin trug noch zur Vorfreude bei. Insgesamt wurde ich leider enttäuscht: Das Buch erwies sich als sperrig und manchmal schwer verständlich, obwohl nicht so exzessiv seltene Worte verwendet wurden, wie dies bei "DAVE" der Fall ist. Ein Beispiel ist aber der Begriff "Urningin", der im 19. Jahrhundert für homosexuelle Frauen stand.

Der Roman ist stark konstruiert: Er beginnt am Morgen des 30. Juli 1914, kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Handlung orientiert sich an vier Personen, deren Schicksale in den folgenden vierundzwanzig Stunden miteinander verknüpft werden. Die gesamte Handlung spielt also an diesem einen Tag und der darauffolgenden Nacht.
Es beginnt mit Hans, einem armen Pferdeknecht, dessen Bildung im Alter von zehn Jahren beendet wurde, als nämlich sein Vater starb und er auf einen anderen Hof kam. Mit 17 macht er sich auf nach Wien. Den ersten Auftritt von Hans in Wien fand ich seltsam: Er hat viel Glück, erfährt viel unerwartete Unterstützung und wirkt deutlich reflektierter und gebildeter, als es zu erwarten war. Er ist nach Wien gekommen, um bei der Psychoanalytikerin Helene Cheresch seine seltsame Gabe ergründen zu lassen: Er spürt nämlich, was andere Menschen denken oder als nächstes sagen wollen. Für seine überraschende Bildung gibt es später (ab S. 200) noch eine Erklärung. Hans trifft auf Klara, die sich auf ihre mündliche Doktorprüfung am nächsten Tag vorbereitet. Klara studiert Mathematik und beschäftigt sich mit inkommensurablen Zahlen. Dazu kommt noch Adam, ein Offizierssohn aus gehobenem Stand, der am übernächsten Tag eingezogen werden soll. Damit ist am Ende des ersten Kapitels das Figurenquartett vollständig. Es stellt sich heraus, dass auch Klara und Adam besondere Fähigkeiten haben und dies auch mit Helene zusammenhängt, aber darauf möchte ich hier nicht weiter eingehen.

Zwischen Hans, Adam und Klara entwickelt sich eine Freundschaft und an ihren Lebensläufen wird viel über die Zeit und die Gesellschaft erklärt. Es herrscht Aufbruchstimmung, auf vielen Gebieten wird Neues ausprobiert, die Gesellschaft verändert sich rasant. Adam begeistert sich für neue Musik, ertrotzt von seinem Vater eine Bratsche und spielt mit seiner Freundesgruppe Arnold Schönberg (2. Streichquartett, Op. 10). Klara kommt aus einfachen Verhältnissen und gehört zu den ersten Frauen, die an der Universität Mathematik studieren. In einem großartigen kleinen Kapitel wird die extreme Armut von Klara und ihre erste Begegnung mit der Mathematik beschrieben. Sie entdeckt zufällig David Hilberts "Grundlagen der Geometrie" und wird eine der ersten Frauen, die an der Universität Mathematik studieren. Gleichzeitig taumelt die Welt auf einen Krieg zu und dies führt zu Auseinandersetzung zwischen bisherigen Freunden, aber auch zu einer nationalistischen Kriegsbegeisterung.
So gibt es z.B. ein großes Essen bei Adams Eltern mit viel Offiziersprominenz, bei dem der bevorstehende Krieg diskutiert wird. Die Szene ist eine Studie über den unterliegenden Rassismus und Nationalismus im Vielvölkerstaat, sowie über die Dünkel der Oberschicht gegenüber Menschen wie Hans. Als Klara als Grund für den Krieg den Nationalismus nennt, ist der Eklat da und die drei müssen das Essen fluchtartig verlassen.
In der Kneipe, in der Klara groß geworden ist, wird Hans mit vielen neuen Ideen konfrontiert, es werden Drogen genommen und gesellschaftliche Konventionen gebrochen. Hans ist überfordert vom Geschehen um ihn herum. Insbesondere die Freizügigkeit, mit der Klara anscheinend Sex mit anderen Frauen hat, belastet ihn. Dazu kommen Menschen, bei denen man nicht weiss, was sie sind: "als würde jeder Winkel, aus dem man sie ansah, einen neuen Anblick generieren" (S. 179).

Manchmal hatte ich das Gefühl, die Autorin konnte sich nicht entscheiden, welche Geschichte sie erzählen will. Irgendwo ist dies ein Roman über die Stadt Wien, deren Kanalisation auch eine Rolle spielt, wie beim “Dritten Mann”. Es ist ein Roman über eine untergehende Epoche, über queere Menschen im Jahre 1914, über inkommensurable Menschen, die kein gemeinsames Maß finden und nicht miteinander reden können. Dazu kommt noch die Psychoanalyse und eine Reihe von esoterischen Ideen (für SF Fans vielleicht interessant: Auf S. 194 wird die “Erdenseele” von Gustav Theodor Fechner erwähnt, über den Kurd Laßwitz ein Buch geschrieben hat). Es gibt spannende Diskussionen zur Unterscheidung des Übernatürlichen vom Übersinnlichen, zum Rationalen und Irrationalen. Und es geht um den Krieg und wie es dazu kommen konnte, denn: "Eine Million neunzehnjähriger Witwen würde bald Europa bevölkern" (S. 149).
Der Beginn des Mathematik-Vortrags "Die Inkommensurablen", den Klara bei ihrer mündlichen Doktorprüfung hält, wird auf zwölf Seiten abgedruckt. Das ist schon mutig. Allerdings ist es ein Vortrag ohne Formeln, es werden eher philosophische Fragen besprochen. Dann wird der Vortrag durch eine Gruppe frauenfeindlicher, kriegsbegeisterter junger Männer gewaltsam unterbrochen und wir merken, dass der Beginn des Krieges für die Frauen sofort negative Folgen hat..

Das Buch war wieder einmal ein Berg, der erstiegen werden musste und wie bei "DAVE" entpuppt sich am Ende einiges als Täuschung. Dies soll aber hier nicht weiter ausgeführt werden. Ich habe tolle Szenen gelesen, war aber zwischendurch teilweise recht unzufrieden und nur selten begeistert. Vielleicht sind die einzelnen Kapitel im Buch doch inkommensurabel.
Das Ende fand ich sehr gut, aber insgesamt hat mich das Buch etwas enttäuscht.
1 review
January 14, 2023
Die Uhr tickt. Wien liegt im Fieber. Es bleibt nur noch wenig Zeit, bevor das Ultimatum abläuft, das nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand über einen möglichen Krieg entscheidet. Während sich die Faszination für die Option zum Kampf für das Vaterland mehr und mehr Bahn bricht, kommt Hans in Wien an. Er flieht aus seinem Dienst als Pferdeknecht in Tirol in die Großstadt, um dort die Psychoanalytikerin Helene Cheresch kennenzulernen. Denn Hans hat eine Fähigkeit, die ihm zur Last wird, die er zu verstehen versucht. Er bahnt sich seinen Weg zu Helene, lernt dort Adam und Klara kennen, die als Adliger und als Mathematikerin kurz vorm Rigorosum auf anderen Seiten der Gesellschaft stehen. Mit ihnen verbringt Hans die, wie sie alle noch nicht wissen, wenn auch ahnen, letzte Nacht im Frieden, eine Nacht, die ihm Wien und sich selbst in allen Facetten zeigt. Eine Nacht, die ihn gleichsam in tiefe Verwirrung stürzt.

„'Dass etwas aus der echten Welt geträumt wird, ist ganz normal. Wenn aber etwas aus dem Traum ins Wache dringt – das, mein Lieber, ist Perversion'“ (S. 197)

Mit ihrem dritten Roman „Die Inkommensurablen“ prescht Raphaela Edelbauer in literarisch wie motivisch ambitionierte Gefilde vor. Mit einer bewusst ausgestellten, Eloquenz demonstrierenden, gelegentlich sogar aus der Zeit gefallen anmutenden Sprache widmet sie sich der politischen Situation vor dem Ersten Weltkrieg ebenso wie der Theoretischen Mathematik, der Psychoanalyse und Traumdeutung, der Kraft von Freundschaften. Und gleich vorweg: Dieser Spagat gelingt ihr meisterhaft! Virtuos geführt geistern wir mit Hans, Adam und Klara durch ihren Fiebertraum, durch die flirrende Unterwelt Wiens auf dem Weg zu ihnen selbst...

Während Hans mit seinem „Talent“, die Gedanken anderer Menschen um Sekundenbruchteile vor ihnen selbst durchdenkend, hadert, klären ihn Adam und Klara über Helene Chereschs Forschungsschwerpunkt auf: Klara ist die zentrale Figur in einem Traumcluster, einer Traumumgebung, ein kleiner Weiler mit einer Villa im Zentrum, in den sich Dutzende von Helenes Patient*innen gemeinsam hineinträumen. Doch stellt sich schon bald die Frage: Worin genau besteht die Realität? Wird der Traum aus Realität gespeist oder entwickelt sich Realität auf Basis von Geträumtem? Diesen Clash von Fiktion und Wirklichkeit durchlebt Hans in dieser Nacht ein ums andere Mal, wird mit politischen wie gesellschaftlichen Verwerfungen der Zeit konfrontiert, lernt soziale Schichten, sexuelle Spielarten und Lebensweisen kennen, die ihm bis zu diesem Zeitpunkt völlig fremd erschienen. Hier trifft Metropole auf Provinz, Traditionsbewusstsein auf Avantgarde und Progression, konservatives Denken auf Zukunftsorientierung. Klaras feministische Befreiungsakte bringen Hans' Überzeugungen zunächst gehörig in Unordnung, lassen ihn sein Weltbild jedoch schlussendlich neu denken, umdenken, erweitern. Diese sozialen wie psychologischen Umwälzungen werden durch die Mathematik in Form der Inkommensurabilität, also der Nichtmessbarkeit des Verhältnisses von zwei Zahlen zueinander, gespiegelt. Vagheit bestimmt das Denken, eine große Unsicherheit und Irrationalität prägt die politische Situation wie auch die psychische Verfasstheit der handelnden Figuren.

Die geschliffene Sprache wie auch die Exposition von „Die Inkommensurablen“ stehen diesen Zwiespalten als konstruktives und stabilisierendes Gegengewicht zur Seite. Hier wird nichts dem Zufall überlassen; jedes Wort ist wohl gewählt und gehört mit Sicherheit an exakt jene Stelle. Dieses Spiel mit den Größen gelingt Edelbauer aufs Vortrefflichste! Nicht nur strahlen ihre Figuren eine große Mehrdimensionalität aus, möchte man Hans permanent in den Arm nehmen oder die weiche Seite von Adam und Klara entschlüsseln, sondern sie hat jederzeit ihre Geschichte vollkommen im Griff. Mit Sicherheit verlangt sie ihren Leser*innen einiges ab, verbleiben doch auch einige Aspekte bewusst im Nebulösen. Doch die Kraft, Kreativität und clevere Kaltschnäuzigkeit, mit der Edelbauer durch ihren Plot manövriert, sind über alle Maßen lohnenswert! Eine große Leseempfehlung von mir!
Profile Image for Lese lust.
566 reviews36 followers
August 29, 2024
Eigentlich eine ziemlich geniale Idee, am Vorabend des WW1 eine Gruppe junger Menschen unterschiedlicher Herkunft, Bildung, Klasse aufeinandertreffen zu lassen und sie in eine Reihe von Ereignissen zu begleiten, durch die diverse gesellschaftliche, künstlerische und politische Strömungen jener Zeit thematisiert werden.

Aber es ist einfach viel zu viel zu viel von allem und wird nach einem wirklich starken Beginn irgendwann so abgedreht, dass ich wirklich froh war, als das Ende in Sicht kam.

Dabei glänzt es wirklich durch gescheite Ideen, sehr viele interessante Details und Gedanken, tolle Dialoge - ich werde die Autorin mal im Auge behalten.
Profile Image for Carina.
296 reviews5 followers
October 28, 2023
Ich glaub ja, man muss in einer Edelbauer-Erwartungshaltung sein, oder einem Edelbauer state-of-mind. Den hab ich offensichtlich weil ich war wiedermal sehr gut unterhalten. Die Stimmung im Sommer 1914 war für mich so greifbar und ich bin ja sowieso ein Fan von Geschichten die in Wien spielen. Klar, stellenweise eskaliert das philosophieren...massiv. Aber für mich war es Stimmung. Kommt mMn nicht ganz an das flüssige Land heran, aber ähnliche Liga!
Profile Image for Iamthesword.
328 reviews23 followers
August 3, 2025
Vienna. The last day of an old world. The night before the fires of the First World War will eat up the 19th century. It's the last day of the German ultimatum towards Serbia, but it's already pretty clear: War is coming. We follow three characters through that atmosphere of tense expectation: Hans, a well-educated farm-hand from Tirol, Adam, a officer from an old Czech military family and Klara, a socialist PhD student of maths preparing her final exam. These very different individuals are brought together by fate in the form of psychoanalyst Helene Cheresch to whom each of our three main characters are in some way connected. Together the three of them drift through the buzzing city and live through a very shortlived friendship that will be torn apart by history the next day.

Raphaela Edelbauer's book is first and foremost a story about collective psychology. There is the war enthusiasm of the Augusterlebnis. And there is a mysterious dream cluster Helene Cheresch is researching - a collective dream dreamt by tousands of people every night (including some of our protagonists). But all collectives are imagined entities and the imaginations proof to be unstable - on every level. Edelbauer is advocating for a mistrust in group think and against the dissolution of the individual in the masses and there is a certain undeniable actuality to that message.

Unfortunately, this rather straightforward message is burried under tons and tons of theory. There are dozens of contemporary and modern concepts woven into the story. And especially the contemporary concepts of dream analysis, early psychology, early feminism, socialism etc are fun to read about - for a while. But after a while, the endless dialoges where the characters discuss these concepts get tiresome. And there is little payoff to most of them. I get it, our three main characters are incommensurable because they have vastly different backgrounds and their unity is only temporary - and it's a nice idea to have a math student introduce such an idea - but do I really need a 12 page (literal) lecture on the subject? It didn't feel like that. Edelbauer builds large theoretical buildings, but too often there is only little payoff to it and over all that was a bit frustrating to me.

I still enjoyed Edelbauer's description of Vienna on the eve of the war. All the different milieus our protagonists pass through on their journey have a very specific flavor to them and especially the parts about the (literal and metaphorical) lowest quaters felt unique. Edelbauer also creates an interesting language that borrows from older Austrian ways of speaking without being too hard to read. All in all, this pushed the book over the line into the group of overall enjoyable (though flawed) reads.

I also reviewed the book together with some friends for a radio show (in German). If you want to listen in, follow this link: https://rdl.de/beitrag/deutscher-buch...
Profile Image for Thorben.
107 reviews7 followers
July 7, 2023
Ich glaube es geht um den Realienstreit, die Psychoanalyse oder das Übernatürliche. Vielleicht geht es aber auch darum, ob man eher eine Dose, eine Büchse oder eine Flasche mit dem Fuß durch die Wiener Straßen treten sollte - zumindest wird das alles ziemlich oft wiederholt.

Besonders gut waren hier die Momente, die dem brodelnden Gemisch galten, welches die zerstörerischen und dennoch auch hypnotisierenden Kräfte von Nationalismus, Chauvinismus und Kriegsbegeisterung in den letzten Julitagen 1914 erschufen. So folgt man hier dem alte Europa gleich einer blinden Masse auf seinem Marsch in den Untergang.

Besonders schlecht kommen dabei jedoch die Figuren weg, von denen nicht eine wirklich lebendig und deren Schicksal demnach bedeutungslos ist.
Profile Image for Timo Hagmaier.
63 reviews
August 26, 2024
Ein vielfältiges Buch, das auf interessante Weise Elemente des magischen Realismus mit psychologischen Fragestellungen kombiniert.
Raphaela hat es durch die Andeutung und Infragestellung von Elementen des Magischen Realismus geschafft, mich schnell für das Buch zu begeistern. Zu Beginn wird dies auch durch sehr lebhafte Charaktere weitergetragen. Zwischenzeitlich, scheint die Geschichte diese Elemente ein wenig zu vergessen und bringt sie leider erst gegen Ende - zugegebenermaßen auf recht befriedigende Art und Weise - wieder zusammen.
Das Buch hat es nicht nötig etwas kaschieren zu müssen, jedoch hebt der doch eher unauffällige Schreibstil es auch nicht auf ein anderes Level.
Generell rechne ich es Raphaela hoch an, dass sie mir als Leser den Freiraum lässt die verschiedenen Thematiken zu erkunden und selbst Parallelen aufzubauen; nur an 1-2 Stellen fühlt es sich leider etwas vorgekaut an. Es ist wirklich interessant, wie sie es schafft, die Kriegseuphorie und Massenbewegung auf verschiedenen Ebenen, der rein Beobachtenden/Erlebenden, der Psychologischen, und der Gefühls-Ebene zu beleuchten.
Letztendlich habe ich trotzdem das Gefühl, es gäbe eine bessere Möglichkeit, die Geschichte zu erzählen.
Zusammenfassend ein überraschend vielschichtiger Roman, der einen zum Nachdenken einlädt, aber dem es bei der Struktur ein bisschen an Beständigkeit fehlt
Danke Dorette & Danke Raphaela
7/10 📖
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Profile Image for Daniel.
13 reviews
October 29, 2025
weiß nicht. die grundidee des romans und das setting gefallen mir. die musiktheoretischen, mathematischen und philosophischen gespräche/gedanken waren oft nervig unrealistisch, auch wenn interessantes wissen darin steckte. die ausführungen zum übernatürlichen vs. übersinnlichen fand ich gut. über den zusammenhang zwischen den "inkonsummerablen" und dem ausgang der geschichte muss ich noch nachdenken.
Profile Image for Dunja Brala.
593 reviews41 followers
September 30, 2023
Dieses Buch meiner #longlist Leseliste machte mir am meisten Respekt. Ich hatte ziemlich Angst, dass mir das zu kompliziert wurde. Überraschender Weise hat sich dieses Buch zu einer großartigen Lektüre entpuppt. Es war ein wilder Ritt, und jetzt bin ich erschöpft und glücklich.

Hans Ranftler reist aus dem beschaulichen Tirol nach Wien um die Psychoanalytikerin Helene aufgrund eines mutmaßlichen Leidens aufzusuchen, und landet sofort in einer rasanten Tour de force. Der erste Weltkrieg steht kurz bevor, und das schlägt sich auf die Stimmung der Menschen nieder. Zwischen Euphorie und Lethargie finden wir alle Emotionen vor.
Der große Melting Pot des Europas 1913 überfordert Hans auf allen sinnlichen Ebenen. Erleichtert, zwischen all dem Neuen, findet er Anschluss bei Adam und Klara, die ihn am Ärmel packen und durch Wien zerren. Es geht durch die Welt der Reichen und die Abgründe des Lumpenproletariats. Dabei ist das Geschehen olfaktorisch spürbar, nicht immer positiv, wohl gemerkt😀
Rast-und ruhelos sind die drei auf der Suche nach Zerstreuung und kämpfen dabei zeitgleich mit ihren Dämonen. Gespräche drehen sich um Generationenkonflikte, sozialen Problemen und gleichgeschlechtlicher Liebe – das niemals offen, aber deutlich erkennbar.
Metaphysisch wird die Ebene, die sich mit Traumcluster beschäftigt. Und am Ende fragen wir uns, haben wir das Buch überhaupt gelesen?🤔😉
Hans ist mir sehr ans Herz gewachsen und auch Adam und Klara sind mir sehr nah gekommen. Die Jugend in unruhigen Zeiten, das Bedürfnis, sich selbst im Leben zu finden, hat sich damals genauso angefühlt wie heute. Auch das Wabern gesellschaftlicher Veränderungen meistern wir heute nicht unbedingt intelligenter. Der Mob, der sich mitreißen lässt, ohne nachzudenken, könnte auch heute genauso in den Abgrund rennen.
Raphaela Edelbauer, gerade mal 33 Jahre jung ist eine begnadete Schriftstellerin, die es schafft, eine Dichte an die Leser*innen zu transportieren, die uns mitfiebern lässt. Wo nimmt die junge Autorin die Fähigkeit nur her, literarisch und intellektuell auf so hohem Niveau unterwegs zu sein und trotzdem alle mitzunehmen? Schaut man sich andere aufstrebende Schriftstellerinnen an, so steht sie für mich klar an der Spitze!
Sie schafft es sogar einen Hauch von Slapstick anekdotenhaft in ihre Texte einzufügen, (ich denke da an Rakitić oder Ratkovic oder Ranovic 😉…) Immer Wieder gab es wilde Prügeleien und Handgemenge, die Nerven lagen blank! Gelungen fand ich auch die in Bezugnahme auf gleichgeschlechtliche Beziehungen. Gesellschaftlich war man schon viel weiter als Jahrzehnte später.
Die mathematischen oder psychologisch surrealen Passagen halten sich in Grenzen und sind für mich aushaltbar, obwohl sie mich jetzt nicht erhellt haben. Sie gehören aber irgendwie dazu. Ich fühlte mich mehrfach an eine dunkle Erwachsenen-Version von Alice im Wunderland erinnert. Unterhaltend, mit starken Bildern und leicht schräg.
Profile Image for Bücherwurm Mainschleife.
120 reviews
October 27, 2024
Mein erstes Buch von Raphaela Edelbauer. Weiß (noch) nicht, ob man die Autorin mit einem derartigen Haufen von Auszeichnungen überschütten muss, aber klar ist, dass hier ein großes, selbstbewusstes Talent am Werk ist.

Schon die Sprache: Anspruchsvoll, ihren Protagonisten aus den unterschiedlichsten Regionen und Milieus des österreichischen Kaiserreichs sehr zugewandt, bis ins Detail durchdacht. Hinzu kommt der austrio- bzw. viennophile verbale Feinschliff - stellenweise habe ich den genialen Heimito von Doderer die Strudlhofstiege heraufkommen hören. Dazu kommt außerdem, ebenso fein, der eingewebte Bezug zu Geschichte, Kultur oder Architektur. Da ist der Anblick des Palais Jesenky „fast eine Unterwältigung“. Wir erfahren nebenbei etwas über das skandalöse, historisch belegte „Watschnkonzert“. Die Sängerin in ihrer Pause „korkenzieherte armrudernd im Kreis“, die Nacht auf einer Astgabel ist geprägt von der „kätzischen Umklammerung im Schlaf“.

Der Plot zoomt auf Wien und auf wenige Tage Ende Juli 1914 beim Ablauf des deutschen Ultimatums an Russland. Der Roadtrip der 3 Protagonisten durch zwei Tage und eine Nacht in Wien focussiert im Wesentlichen 3 Aspekte:

Der für mich stärkste führt in unbeschreibliche soziale, pathologische, queere Abgründe einer Weltmetropole vor hundert Jahren. Ein harmloses Zitat über den erstmals gehörten Ragtime: „Als würde ein Walzer stolpern und sich mit der Behändigkeit eines Spiegeltrinkers knapp überm Boden wieder fangen“.

Die zweite Ebene spannen die 3 handelnden Personen auf mit ihren Herkünften aus verschiedenen kulturellen und geografischen Gebieten, mit ihrer Interaktion untereinander und der Reaktion auf das aktuelle Geschehen. Das Erzählspektrum reicht von der hyperrealen Beschreibung des archaischen Lebens der Knechte und Mägde auf einem Tiroler Bergbauernhof bis zum Erleben des Massenphänomens im abendlichen Großstadtdschungel von Wien: „Unbeschwerte Stunden, die man luftig bekleidet in den Gastgärten der Heurigenbezirke verbracht hatte. Auf einmal aber stürzten die Zeiger die Ziffernblätter herab und pendelten, von ihrem eigenen Schwung überrascht, wieder über neun hinauf“.

Ein drittes ist titelgebend die Welt der Mathematik, genauer die enge Beziehung oder die feine Grenzlinie der glasklaren, definierten und vernunftbegabten Mathematik und Geometrie zu den ungeheuren Mengen und Mächten der irrationalen Zahlen und Probleme, also den Inkommensurablen. Das fordert und fasziniert den durchschnittlich begabten Leser, Satzbeispiel: „Die inkommensurablen Zahlen führten einer längst widerlegten Legende nach zur antiken Grundlagenkrise der Mathematik, nachdem die Unmöglichkeit, sie im Gemeinmaß 1 zu behandeln - und somit das ausschließlich Endliche als Ergebnis des Messens zu definieren - , die Pythagoreer in ihren Überzeugungen erschütterte.“

Nicht recht passen wollte für mich das ganze Geschehen über die Vorgänge einer seltsamen Traumwelt, in die auch die Akteure eingebunden sind. Aber an diesem Thema kommt man in der Stadt eines Sigmund Freud wohl nicht vorbei. Dachte ich bis zum Schluss. Erst am Ende löst sich das Rätsel und wird selbst zur Erklärung für das gesellschaftliche Masenphänomen, das letztlich den Auftakt zum I. Weltkrieg darstellt. Ohne zu spoilern möchte ich noch auf einen längeren Dialog der 3 so unterschiedlichen Typen hinweisen, in den die Autorin weitsichtig einen Schlüssel für eine weitere fundamentale Aussage des Romans gelegt hat. In selbst für die damalige Zeit des Umbruchs ungewöhnlich klarer Selbsterkenntnis stellt der adelige Berufsoffizier Adam fest, dass er ebenso wie der Tiroler Bergbauernknecht Hans Teil einer untergehenden Welt ist, während Klara aus dem Wiener Großstadtslum, die kurz vor der Promotion zu philosophischen Fragen der Mathematik steht „das ist, was bleiben wird“.
Profile Image for Childe.
83 reviews2 followers
October 6, 2023
Puh. Ich habe das Buch jetzt bei Seite 225 von 349 abgebrochen. Da ich es aus meiner lokalen Bücherei ausgeliehen habe, bringe ich es nun lieber zurück, damit sich hoffentlich jemand anderes daran erfreuen kann, bevor ich mich weiter quäle.

Der zweite Stern ist für die teilweise wirklich wunderschöne Sprache, die mich noch in der Leseprobe so in den Bann gezogen hat. Die Szene, als Hans am Bahnhof in Wien ankommt und von dem Trubel und Treiben fast erschlagen wird — die Reizüberflutung — das sich Eröffnen der Welt, der Metropole, der Heterogenität — all das war grandios beschrieben, sodass ich es fast schmecken konnte und mit Hans zusammen auf dem Bordstein abseits zusammengesackt bin. Das wars dann aber halt auch leider wieder mit dem Positiven.

Ich hatte bei ca. Seite 180 in meinem Leseupdate spezifische Punkte erwähnt, die mich bis dato störten. Dieses Gefühl hatte sich auch 50 Seiten später leider nur verstärkt.
Meine Hauptkritikpunkte waren (und sind) wie folgt:

1. HINTERGRUND:
Zuerst: Ich liebe Bücher, die im DACH-Raum des späten 19. / frühen 20. Jh spielen. Ob es nun Fiktion oder historische Sachbücher sind, diese so turbulente und von drastischen Veränderungen geprägte Zeit fasziniert mich ungemein und erlaubt auch eine wichtige Lektion, die auch für unsere heutige Zeit weiterhin gelernt werden sollten. Nun beschränke ich mich aber im Bereich der Fiktion hauptsächlich auf Werke von Autoren, die diese Zeit selbst miterlebt haben — aus Zeitzeugenperspektive schreiben — ohne das Wissen der Rückschau.

Und genau dies ist es nun also auch, was mich an DIE INKOMMENSURABLEN stört und was mich davon abgehalten hat, das Buch im Handel zu erwerben. Hätte es nicht auf der Longlist des diesjährigen Buchpreises gestanden hätte ich es wohl auch an mir vorbeiziehen lassen. — Hätte hätte, und so.

Die Idee, das Stimmungsbild verschiedener Wiener politischer und ethnischer Gruppen/sozialer Schichten am Vorabend des ersten Weltkrieges einzufangen, ist grundsätzlich erstmal eine gute.
Nun verkommt aber der Krieg einerseits zur Hintergrundkulisse, vor der plötzlich eine Art metaphysischer Krimi (?) stattfindet, wird andererseits aber von Figuren auf eine Art und Weise diskutiert, die „Ich bin eine Autorin des 21. Jh“ schreit. Der Ausbruch Klaras bei Jesenkys ist hier das für mich schlimmste Beispiel — generell gibt die Geschichte treffsicher den Charakteren recht, denen auch unsere Sympathie gelten soll — wie viel besser wäre es den K.U.K. Militärexperten doch gegangen, wenn sie auf Klara und Adam gehört hätten. Gleichzeitig zu viel und zu wenig. Das Verständnis für die Eigenheiten und Fehleinschätzungen der Vorkriegs-Österreicher, was den kommenden Krieg betrifft, das Porträtieren des Fin de Siècle/ der Dekadenz, die die europäische Seele des frühen 20. Jh ergriff, all dies wird nur grob eingefangen — immer mit dem müden Lächeln desjenigen, der es ohnehin besser weiß.
Da empfehle ich doch lieber den Radetzkymarsch Joseph Roths (der sicherlich auch nicht ohne Grund mehrfach in dem Roman Erwähnung findet).

2. MYSTIZISMUS
Dieser Abschnitt wird deutlich kürzer. Ich konnte mit diesem ganzen Erzählstrang überhaupt nichts anfangen und wäre davon im Klappentext die Sprache gewesen, hätte ich dieses Buch nicht gelesen. Dies ist (wie ja eigentlich alles in dieser Rezension) reine Geschmacksache — ich kann nicht darüber urteilen, wie gut gemacht dieser metaphysische/esoterische Exkurs ist und kann nicht ausschließen, dass Menschen, die für solcherlei empfänglich sind, dem etwas abgewinnen können.
Als ich bei Abbruch bemerkte, dass dieser Erzählstrang nun das Hauptaugenmerk des Textes und in endlosen, für mich teils stark redundanten Ausschweifungen ins Lampenlicht gerückt wird, entschied ich mich dazu, bis zum Ende vorzuspringen, um wenigstens zu sehen, ob das Narrativ wieder zu seinem Ursprung zurückfindet.
Ohne zu spoilern: Nein. Die Auflösung war für mich so offensichtlich, dass mir nicht mal beim Lesen klar geworden war, dass es sich hier um ein Mysterium hätte handeln sollen und mein Interesse hatte sich schon lange verabschiedet.

3. HANS:
Eine andere Rezension hier auf goodreads spricht es bereits an. Auch mir war bis zum Zeitpunkt des Abbruchs Hans nicht nur völlig fremd, sondern sogar in großen Teilen inkonsequent in seinem Wissen, seinen Möglichkeiten, seinem Bildungsstand, seiner Gefühle und seinem Blick auf die Welt. Hans wiederholt mal mit weit aufgerissenen Augen und Mund (ganz wie eine überstilisierte Comicfigur) die einfachsten Wörter, sodass man zwischen seinen Ohren meint das Meer rauschen zu hören, dann wiederum hat er nicht nur ein Verständnis davon, was Sozialismus ist, sondern hat auch noch eine Meinung dazu — kann die Bratsche von der Violine auf den ersten Blick unterscheiden, hat Platon und Dostojewski gelesen, und das obwohl er mit 12 von der Schule flog.
Natürlich ist das nicht unmöglich — und Bildungsstand und Intelligenz nicht gleichzusetzen— aber Hans‘ Charakterisierung bleibt undurchsichtig und scheint genau dann Dinge und Zusammenhänge genau dann zu begreifen, bzw. NICHT zu begreifen, wenn die Erzählung es verlangt.

4. Queerness:
Nur kurz zuletzt — auch diesen Punkt hatte ich bereits in einem Leseupdate ausgeführt. Mir wurde mehrfach DIE INKOMMENSURABLEN aufgrund seiner Darstellung queeren Lebens im Vorkriegs-Wien angepriesen (mit auch ein Grund, warum mich das Buch überhaupt interessierte, schließlich gibt es zu dem Thema wirklich so einiges zu erzählen). Das erscheint mir in höchsten Maße übertrieben — außer diese *positive Darstellung* bezieht sich auf Leute, die glauben, queerness sei eine Erfindung der 2000er. Dann ist die bloße Erwähnung hier vielleicht revolutionär.

Tatsächlich beläuft sich die Darstellung der queeren wiener Szene auf eine höchst unangenehme Situation, bei der der Leser im Kopf unseres heterosexuellen Protagonisten gleichzeitig voyeuristisch, erregt, fasziniert und angeekelt zwei lesbische Frauen beim Vorspiel beobachtet, bevor diese in die Zweisamkeit und aus dem Blickfeld verschwinden. Die ländliche Verwirrung von Hans bei so viel städtischer Freiheit entlädt sich in aggressiven und hasserfüllten Empfindungen Klara gegenüber (da er ihr Lesbisch-sein als Verrat an seinem heterosexuellen Recht auf die Aufmerksamkeit von Frauen empfindet), bis auch dieses Narrativ zugunsten der Esoterik wieder verschwindet.
Dass gerade Lesben sich der Fetischisierung durch heterosexuelle Männer ausgesetzt sehen ist auch heute noch der Fall. Mir zumindest war diese Darstellung höchst unangenehm.
Vielleicht war aber auch meine Erwartungshaltung hier einfach die Falsche.

______

So wie es scheint gehen die Meinungen zu diesem Buch ziemlich auseinander und das allein ist ja schon mal faszinierend. Auf die shortlist hat es es allerdings nicht geschafft — zumindest kann ich aber behaupten, ich hätte wenigstens ein Buch der ursprünglichen longlist dieses Jahr gelesen (wenn auch nicht komplett).
Ich freue mich jedenfalls für jeden, dem dieses Buch gefallen hat, und hoffe darauf, dass hier noch ein paar mehr Rezensionen eintrudeln, um ein größeres Stimmungsbild des Otto-Normallesers zu erhalten.
Profile Image for Evalitera.
679 reviews12 followers
November 12, 2024
Mein erstes Raphaela Edelbauer Buch. Dieser Roman ist sehr vielschichtig und schwierig zu verstehen. Trotzdem lohnt es sich ihn zu lesen. Als Antikriegsroman. Jubelnd ziehen die Österreicher in den Krieg in den Tod. Kanonenfutter.
Ein wichtiger Roman gegen die Aufrüstung und die nette Werbung die wir hier jetzt erleben, komm doch zur Bundeswehr ein netter Arbeitsplatz am Rande des Todes erwartet Dich.
Suggestion und Propagands und wenn Du dann wie Hans im Buch allein in Wien ankommst und von allen Seiten aufgefordert wirst zu den Freiwilligen Kriegern zu werden.
Das Thema Psychotherapie bei einer Psychoanalytikerin zieht Hans der hellsichtig oder hellfühlend ist eigentlich nach Wien. Ja heutzutage denken viele Leser an Freud, dabei ist
C. G. Jung ebenfalls sehr wicbtig mit seinen Entdeckungen. Das kollektive Unbewusste und Synchronizität der Ideen.
Viele junge Leute kennen Freud aber nicht mehr, C. G. Jung das ist traurig, denn sein Werk fülkt ein ganzes Bücherregal.

Was ein vielen Literaturkritikern gar nicht beachtet wird, ist das Thema: Haben wir die Ideen oder suchen sich die Ideen den Menschen aus. Das wurde von den Menschen als Wirken der Götter (Energien) früher erkannt, und wird heute leider vorschnell als Esoterik abgetan. Für mich aber, die ein wenig Advaita Vedanta gelesen hat, wo die Frage nach dem Handelnden gestellt wird sehr wichtig, wobei ich wieder bei Le Bons Massenpsychologie lande. Leseempfehlungen.
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