Mit einem Bein steht er noch im Paradies, dafür hat die Geburtszange gesorgt. Immer ist er ein Kind geblieben, und wurde doch stets älter, und leben mußte er auch irgendwie. Nun ist er schon dreißig und hat seine große Liebe, einen VW-Variant Typ 3, mit dem fährt er zwischen den blühenden Rapsfeldern umher. Es ist das Jahr der ersten Mondlandung, 1969, als man in Frankfurt am Main noch Treppensteigen geht in den Bordellaltbauten um den Bahnhof herum. Ein Tag im Leben Onkel J.s. Hin- und hergerissen zwischen Luis Trenker, der Begeisterung für Wehrmachtspanzer und den Frankfurter Nutten, wird J. plötzlich als ein Mensch erkennbar, der außerhalb jeden Schuldzusammenhangs steht, noch in den zweifelhaftesten Augenblicken. Einer, der nicht zugreift, weil er es gar nicht kann, während die Welt um ihn herum sich auf eine heillose Zukunft wie auf die Erlösung vorbereitet.
Andreas Maier setzt seinem geistig zurückgebliebenen Onkel J. ein Denkmal. In Erinnerungen und Mutmaßungen an ihn, eine Epoche (die Jahrzehnte um die Mondlandung 1969) und eine Region (die Wetterau) erfahren wir viel über die Menschen und das Leben in der deutschen Provinz. Es gärt die braune Vergangenheit, die Gewalt, die sich an Wehrlosen austobt (die Klassenkameraden J.s), es liegen Missbrauch, Vergewaltigung und Amoklauf in der Luft. Das Ganze wird gekonnt und nicht ohne Humor erzählt. Dieser erste Band einer zehnteiligen Familiensaga hat mein Interesse geweckt.
Bit of a problem here: if you want to write a book about the dullness of provincial Germany twenty four years after WW2, how do you do that without producing an extremely dull book? What's worse is that Mr Maier is apparently planning another ten volumes of this nostalgic melancholy. I won't be on the subscription list.
In diesem Werk geht es um Inklusion. Der Onkel des Ich-Erzählers ist behindert. Er erfuhr als Kind im Nationalsozialismus massive Diskriminierung, meist von Mitschüler*innen. Diese wird von Maier aufs Schärfste kritisiert, was sehr empathisch rüberkommt. Vermisst habe ich Informationen darüber, was mit dem Onkel passiert wäre, wenn dieser nicht aus einer kriegswichtigen Unternehmerfamilie entstammt gewesen wäre.
In den Jahren der Bundesrepublik lässt die Diskriminierung nach, man richtet sich miteinander ein. J. erhält vom eingeheirateten neuen Patriarch der Familie, dem Vater des Ich-Erzählers, eine berufliche Tätigkeit und ein Auto zur Verfügung. Der Preis dafür ist die Preisgabe seiner Autonomie. Das Auto erhält er, um Dienstbote der Familie zu sein, denn der Grundgedanke überwundener Herrschaft ist noch immer da: Jeder hat zu etwas nutze zu sein oder ziviler: Jeder trägt ein bisschen dazu bei.
So entsteht eine permanente Neigung des J. zum passiven Widerstand gegen alles und jeden, der aber schnell verfliegt, weil er "ein Idiot" ist, wie es seine Zeitgenossen formulieren, oder wie ich es formulieren würde: weil er ein Mensch ist, der mit der Natur im Einklang lebt, auch wenn er sich mangels Augenhöhe von vielen Menschen leider fern halten muss.
Die anfängliche Empathie für die schwierige Situation eines behinderten Menschen in einer Gesellschaft, die inklusiv werden möchte, auf dem Weg dahin aber noch einen weiten Weg vor sich hat, wird vom Ich-Erzähler nicht konsequent durchgehalten, immer wieder kommen Mikroaggressionen gegen den Onkel durch, z.B. an den Stellen, an denen er über die sexuellen Phantasien und Sehnsüchte dieses wortkargen Menschen spekuliert.
Interessant und auch realistisch empfand ich die Affinität des Protagonisten J. zur autoritären Gewalt, etwa, dass er gerne zum Militär gegangen wäre oder sich mit Freude einem dysfunktionalen Vater unterordnet. Das macht diese Figur ambivalent und lässt den Leser manchmal kopfschüttelnd zurück.
So viel zum Inhaltlichen. Nun zum Handwerklichen: Da gibt es nichts zu meckern. Es ist stilistisch sehr ansprechend formuliert, lädt zum zügigen Lesen ein, man erfährt etwas über die Gegend, in der es spielt. Mit der Kurstadt Bad Nauheim, einer Fabrik für die Bearbeitung von Steinen, dem Frankfurter Bahnhofsviertel und der Baustelle des Messeturms gibt es sehr angenehme Schauplätze, das Setting ist etwas langweilig, aber aufgrund der Fülle von Figuren gibt es genug her für eine gute Geschichte.
Andreas Maier gelingt es mit diesem Roman, die Atmosphäre, die um das Jahr 1970 herum in Westdeutschland geherrscht hat, abgesehen von mancher Redundanz gut einzufangen und zu zeigen. Man kommt sich beim Lesen exakt vor wie in den 1960er Jahren, kann diese Zeit sehen, riechen, spüren, schmecken. Der Detailreichtum dieses Autors ist grandios. Es ist auf jeden Fall eine gute Investition, diesen Roman zu lesen, wenn man etwas über diese Zeit erfahren möchte.
Ich ja schon eine Rezension zu Andreas Maiers' "Das Haus" geschrieben. Ich war so begeistert von dem zweiten Band seiner "Familiensaga", dass ich mir auch den ersten kaufen musste.
Aber wie das so ist, wenn man mit zu grossen Erwartungen an ein Buch rangeht, man kann fast nur enttäuscht werden. Und so war ich von diesem Auftakt der Saga nicht wirklich angetan.
Es ist keinesfalls ein schlechtes Buch! Mir gefällt Maiers direkt Art, sein schnörkelloser Schreibstil und natürlich bin ich auch hier von dem "Heimatteil" des Buches begeistert. Auch die Geschichte, die er erzählt, berührt auf ihre eigene Weise.
Es geht um Maiers Onkel, den wir nur als J. kennenlernen. Onkel J. ist von Geburt an behindert. Für ihn selbst ist das nicht schlimm, denn er lebt in seiner ganz eigenen, unschuldigen Welt. Was jetzt passiert, hat er gleich wieder vergessen. Wenn die Mitschüler ihn fast tot schlagen, steht er am nächsten Tag wieder da und will "dazu" gehören. Wenn der Vater ihn demütigt, himmelt er ihn am Abend wieder an, wenn die Kollegen sich über ihn lustig machen, freut er sich trotzdem auf seine Arbeit in Frankfurt. Auch der Autor hat als Kind kein gutes Verhältnis zum stinkenden Onkel, der sich nicht wäscht und hat panische Angst davor, in das Zimmer oder die Werkstatt des Onkels gehen zu müssen - das Zimmer in dem er nun als Erwachsener sitzt und dieses Buch schreibt.
Andreas Maier beschreibt das Leben seines Onkels anhand eines normalen Tages. Aufstehen, anziehen, zum Bad Nauheimer Bahnhof laufen, Zugfahrt nach Frankfurt, die Arbeit bei der Post, Bier, Zigaretten, Rückfahrt, die Pflichten zu Hause, die Fahrt zum Winterstein, um dort seine "Freunde" und "Jäger" zu treffen.
Während seiner Erzählung, wechselt Maier zwischen echten und fiktiven Erinnerungen, springt in den Zeiten hin und her, nimmt den Tod des Onkels vorweg und landet dann wieder bei einer Schulgeschichte - es könnte so sein, man weiss es nicht, vielleicht war es doch anders und vielleicht ist es gar nicht passiert, schliesslich war er nicht dabei. Das ist genau der Punkt, der mich an dem Buch gestört hat. Er schreibt über etwas, das er vielleicht weiss, springt in die Zukunft, um dann doch wieder auf das Ausgangsereignis zurück zu kommen. Für meinen Geschmack waren das zu viele Verschachtelungen und zu viel "könnte". Ausserdem scheint der Autor besessen zu sein von "Ortsumgehungen", speziell DER Ortumgehung in der Wetterau - der B3. Er erwähnt sie unzählige Male in dem Buch.
Was mir dagegen sehr gut gefallen hat, war die Tatsache, dass Maier ganz nebenbei ein Bild des hessischen Alltags in den 60er Jahren zeichnet. Indem er einen Tag im Leben seines Onkels beschreibt, lässt er uns teilhaben an der Arbeitswelt der damaligen Zeit, an den Familienzuständen, der Nachbarschaft, der Einstellung der Menschen, kurz dem Alltag und seiner Entwicklung. Es gab wirklich schöne Szenen - wie z.B. die, in der sich jeder bewusst wird, wieviel Verkehr es mittlerweile auf der Kaiserstrasse in Friedberg gibt. Für solche Zeilen liebe ich Maier.
Für den Rest des Buches eher weniger... Trotzdem werde ich auch den dritten Teil der Saga lesen, denn wie gesagt, Andreas Maier hat seine ganz eigene Art, vom Leben zu erzählen. Und natürlich spielt auch der Faktor Wetterau eine grosse Rolle für mich. Aber wenn ich das Wort "Umgehungsstrasse" noch einmal lese, flipp ich aus ;)
Eine ganz nette Erzählung über die Enge und Eintönigkeit der mittelhessischen Provinz in den 60ern. Ich weiß nicht, ob ich den recht dünnen Roman, in dem Maier den Alltag seines minderbemittelten Onkels beschreibt, ganz gelesen hätte, würde ich die Gegend, in der die Handlung spielt, nicht sehr gut kennen. So konnte ich den einen oder anderen Ort neu entdecken und einige interessante geschichtliche Details erfahren.
Maier in The Room does one thing exceptionally well: he develops the character of Uncle J remarkably well. In doing so, Maier provides this bewitching parallel story in the character of the narrator--a nephew. The hardship of Maier's fantastic novel is that most readers will pine for a faster and more condensed read. But for the patient, Maier's interweaving scenes will certainly reward.
This, I can tell you here and now, will not be a book for everyone. People over a certain age will be able to relate to it even if the culture is one or two steps removed from what we remember our sixties being like. Nostalgia only works if you were there and this is definitely a walk down memory lane for Maier and a way for him to come to terms with conflicting memories of his uncle. If Clive James is right when he writes in the preface to Unreliable Memoirs, his autobiography disguised as a novel and the only book similar to The Room that I can think of, “that books like this are written to satisfy a confessional urge; that the mainspring of a confessional urge is guilt [and] that somewhere underneath the guilt there must be a crime” then the scene where the author remembers him and his older brother tormenting J as he watched TV probably meets that criterion but there’s also guilt by association, he clearly feels guilty for—or at least embarrassed about—the way his grandfather, J’s father, mistreated him not even allowing him to travel in the car with him to work. To his credit he humanises J without idolising or caricaturing him. We never forget that he’s… cognitively disabled—rolls off the tongue, doesn’t it?—but it ceases to be all he is quite early in the book. It doesn’t matter either that we don’t know his family. Families are families. History is history. Life is life.
Description: “I never set foot in J’s bedroom . . . I presume that even J’s mother rarely set foot in there and only in genuine emergencies, perhaps because not even she was protected by the awe that he held for her. He wouldn’t let anything touch his mother, but that wouldn’t necessarily have stopped him from touching her breasts . . . Even though I spent a lot of time in my grandmother’s house as a child, I can’t picture J’s room at all. I don’t know where the bed was, though there must have been one, and I don’t have a clue what else could have been in there. I simply can’t picture it. Venturing in there during the years of the stench would have been hell. I would have died of disgust . . . Today, it’s my study. I’ve always written novels in there, but until now it had never occurred to me to write about my mentally-impaired-at-birth uncle J. About him and his room. About the house and the street. And about my family. And our gravestones. And the Wetterau, which is the whole world . . . “
With brilliant irony, Andreas Maier describes his uncle J’s fraught detachment from the real world and the life of small-town Germany in the years after World War II. The Room is both a memoir and a novel, the first installment of an epic family saga, and a love-letter to an unknowable soul.
The Room is Andreas Maier’s first novel of an 11 volume cycle chronicling modern Germany and the first of the writer’s works to be translated into English by Jamie Lee Searle. The book is being published on June 24, 2014 by Frisch & Co. and subsequent volumes The Street, The House will follow.
My wish is for this first book, however like my encounter with the self-proclaimed Norwegian Proust, I plan to halt after this incursion; a taster will suffice.
About the Translator: JAMIE LEE SEARLE is a freelance literary translator from German. Her recent translations include Ursula Poznanski’s Five and a co-translation (with Shaun Whiteside) of Florian Illies’ 1913. Other translation works include extracts and short stories by contemporary authors such as Anna Kim, Vladimir Vertlib, Ralf Rothmann, Feridun Zaimoglu and Andi Rogenhagen. Together with fellow translators Rosalind Harvey and Anna Holmwood, she co-founded the Emerging Translators Network in late 2010.
Andreas Maier I have followed since his first publication. He is a period piecer, a delver in the local, which allows him to investigate humankind's oddities and perversions, with a friendly eye. 'Das Zimmer' is his most personal work to date. It circles around his uncle, who never left his mother's house - and by extension, the author's childhood/youth memories. 'The chamber' - it could be called the 'dark room', as the author does himself - is also a period piece about post-World War II German society; in this case, the provincial region of the Wetterau, near Frankfurt.
I find the personal nature of this book to be it's Achilles heel. This is not a novel, but a well-connected set of memories in chronological order. Maier continues to beautifully play with the German language. It makes 'Das Zimmer' a bit too authory-literary for my taste. Can't put my finger on it, but there's something missing.
"Das Zimmer" is a realist book in the sense that it is about a real person - the author's disabled uncle - and also a fictional work in which the author's presence is felt at every turn. Portions of the book are remembered, portions are conjured up vignettes, the author's version of events which happened before he was born or shortly after, just beyond the reach of conscious memory. "Das Zimmer" is a testament to the power of language. In Andreas Maier's words, the uncle's life comes into focus, remembered, imagined, and memorialized for posterity. Uncle J. represents the odd cousin/uncle/relative in every family, who is somehow different. That difference becomes the sand corn in the family machine, more acutely felt by some than by others. How the family relates to that difference says as much about the individual as about everyone else. And that's what makes the book not just a portrait of uncle J., but a portrait of a particular time and place and its people.
An excellent memoir that re-imagines a day in the life of the narrator's "idiot" Uncle J, interweaving the author's (and uncle's) family history and musings on life. An engaging and absorbing narrative voice that describes the mentally retarded uncle ("idiot" is the author's preferred term) as he goes about drinking his daily 14-15 pints of beer (!!) during his shift for the German post office, smoking 3 packs of cigarettes a day, running errands for the family in his VW (something, the author admits, simply would not be allowed to happen in today's Germany, along with smoking and drinking on the job), and, finally to top off his day, wandering a patch of woods at night.
By far the best German book I've read for a long time. It's the first part of a planned 11-part autobiographic series of novels by the author (3 are done, 8 to go) and he manages to describe the trivialities of all-day-life in the 60s and 70s in Germany in the most awesome way I've seen. Total must read - I'm reading part 2 now.
Imagining a day in the life of his simple minded uncle offers the narrator of The Room, Maier's fictional memoir, a very intriguing way of zeroing in on Germany in the late 1960's a time when globalization is just beginning to transform rural and small town life. For my full review see: http://wp.me/p4GDHM-jZ