Osteuropa-Literatur discussion
Dostojewski "Böse Geister"
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Abschnitt 2
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Puh... also, ich krieg gerade ein bisschen einen Figuren-Overload. ;) Zumindest fällt es mir etwas schwerer als beim "Idioten", herauszufinden, welche der Figuren jetzt im Laufe der Geschichte noch wichtig werden könnten und welche nicht. Und obwohl es ja wohl um Politik gehen soll, steht aktuell anscheinend eher der Heiratsmarkt im Vordergrund. :P
Witzig fand ich die Stelle, an der erwähnt wird, dass Warwara Petrowna Stepan Trofimowitsch immer "der Professor" nennt, weil sie sich seinen Nachnamen nicht merken kann... da hab ich mich seht verstanden gefühlt...
Die beiden Söhne sind mir aktuell beide noch recht unsympathisch...
Ha, ich habe mir eine Personenliste geschrieben... ;-)(Wenn ich mal mehr Zeit habe, stelle ich sie hier ein.)
Aber ich hoffe auch darauf, dass man im weiteren Verlauf einen besseren Überblick erhält. Jetzt geht es zunächst wohl darum, dass ganze Personal vorzu stellen. Dostojewski, der immer in Geldnot war und deshalb seine Bücher als Fortsetzungsromane abdrucken ließ, hat anscheinend selbst die Übersicht verloren, wenn es bei der Anmerkung zur S. 60 heißt: "Pjotr Pawlowitsch Gaganow; im folgenden Pawel Pawlowitsch genannt..." Das macht die Sache nicht einfacher ;-)
Der "Prinz Harry" genannte Sohn von Warwara gibt mir mit seinem Verhalten einige Rätsel auf. Jemanden beim Wort zu nehmen, in diesem Falle "an der Nase herumzuführen" finde ich ganz lustig, verstehe aber die Intention nicht. Es mit einer Krankheit zu erklären, erscheint mir nicht glaubhaft. Aber vielleicht kommt noch eine Erklärung.
Warwaras Wesen dagegen wird deutlicher. Sie will allen in ihrer Umgebung helfen, aber dazu die Spielregeln selbst festlegen und auch jederzeit ändern, was ihr anscheinend ein Gefühl von Macht gibt. Da muss sich Stepan eben verheiraten, was macht man nicht alles, um seinen Lebensstil zu erhalten...
Mir gefiel auch der Ausdruck "Administrative Extase" sehr. Das ist ein Phänomen, das es im etwa 75 Jahre später spielenden Buch "Metropol" noch genauso gibt...
Schon ein einziges Kapitel hat so viele interessante Details und immer wieder humorvolle Beschreibungen, wie z. B. "...dank einer unverhofft erworbenen Gattin oder dank eines anderen, nicht minder bedenklichen Mittels..." oder "Gibt es etwas Dümmeres als ein dummes gutes Schaf?" "Ein dummes böses Schaf..."
Ein wichtiges Thema in vielen Diskussionen ist stets, wie sich die Russen in der Welt einordnen. Es existieren offensichtlich Gräben zwischen Slawophilen und Frankophilen bzw. westl. orientierten Russen, zwischen Sozialisten, Liberalen und Zaristen, zwischen Atheisten, Nihilisten, Katholiken und Orthodoxen. Zur Einordnung in die Welt gehört auch die ernüchternde Aussage von Stepan: "...weil wir, die Russen, nicht imstande sind, in unserer Sprache überhaupt etwas zu sagen... Wenigstens haben wir bis jetzt noch nichts gesagt..." Was natürlich Quatsch ist, aber eine Sehnsucht nach Bedeutung erkennen lässt.
Was die Literatur anbelangt, stimmt das natürlich. Da hatten die Russen im 19. Jahrhundert viel zu sagen. Aber wenn man zu Dostojewskis Zeiten in andere Bereiche hinein sieht, immerhin ist es die Zeit der großen technischen Innovationen und bald wird es den Nobelpreis geben, dann sieht es in der Tat finster aus. Die Russen hatten Lomonossow und Mendelejew und dann? Eisenbahn, Telegraf, Hüttentechnologie, Bergbautechnologie...- alles kam meist aus Deutschland und mit den Deutschen. Erdölfördertechnik kam aus England, Medizinprodukte aus Frankreich. Und besonders im Bereich der politischen Theorie, der hier eine Rolle spielt, kam aus Russland gar nichts. Nur ganz modernisierungsresistenter Despotismus... Nicht einmal in der Religion gab es irgendeine Anpassung an Dampfschiff- und bald Luftschifffahrt, an Elektrizität und die Erfindung des Blitzableiters. Kurz, da hatten die Russen wirklich nicht viel zu sagen... Außer dem oben erwähnten "administrativen Furor". ;-) Die zaristische ist wohl die erste wirklich überbordende Bürokratie und setzt sich ziemlich nahtlos in die Sowjetunion fort. Wie in China mit seinem traditionellen Beamtenwesen hat das wohl mit der zentralistischen Struktur des Landes zu tun. Den Rest erklärt das "Peter- Prinzip". ;-)


(S. 105) bis ca. 8.10.