Osteuropa-Literatur discussion
Dostojewski "Böse Geister"
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Abschnitt 17
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Was für ein in der Tat merkwürdiges Verhältnis zwischen Stepan und Warwara! Standesrücksichten und Reichtumsgefälle sind wohl auch hier die Gefühls- Killer. Außerhalb von Standesheiraten oder erotischer "Verwirrung der Gefühle" basiert "Liebe" ja auf Gleichheit und der Möglichkeit "Nein" zu sagen. Vom Herren zur Sklavin gibt es keine Liebe, denn er kann auch so alles bekommen, was er will. Ausnahmen, wie die Macht, welche die übrigens aus Rohatyn ;-) stammende "schöne Roxolana" über Süleyman I. gewann, bestätigen hier nur die Regel. Von dieser Möglichkeit aus hat sich nach der Französischen Revolution (Gleichheit!) das "romanische Liebesgefühl" als ein bürgerliches "Mentalkleid" entwickelt, was allerdings eine Illusion insofern blieb, als die Liebe in den meisten Fällen den Moment nicht überlebt hat, nach dem die Frau nicht mehr "Nein" sagen konnte - also nach der Heirat, Obwohl die Russen mit Puschkin einen der ersten und größten Dichter hatten, der diesen "romantischen Typus" verkörperte, muss man davon ausgehen, dass das Land - der ausgefallenen Verbürgerlichung wegen - auch in dieser Hinsicht einen anderen als den europäischen Weg beschritt. Man kannte das Gefühl aus der (französischen!) Literatur, wusste, dass es möglich ist (Darja/ Lisa im Verhältnis zu Stawrogin?), konnte es aber nicht ins reale Leben zwingen, weil es dafür die Verhältnisse (Klatsch und Tratsch und eben auch Ungleichheit im Sozial- und Geschlechter- Verhältnis!) nicht gab. So gewinnt das Ganze Tragik und Komik zugleich!
Mir ist besonders aufgefallen, wie alt Stepan plötzlich wirkt, nicht körperlich, sondern mit überholten Auffassungen. Der dauernde Wechsel in die französische Sprache ging mir entsetzlich auf den Wecker, genau so muss es für die einfacheren Leute um ihn herum gewesen sein. Offensichtlich hat er wirklich zwanzig Jahre Warwaras Obhut nicht verlassen und war noch nie mit Bauern in Berührung gekommen. Nach einem Tag auf der Landstraße hat er schon das Gefühl, jetzt das wirkliche Leben kennengelernt zu haben.
Mit völlig romantisierten Vorstellungen von sich und seinem zukünftigen Leben ohne Warwara zieht er los und ist so hilflos alleine, dass er sich gleich der nächstbesten Frau an den Hals werfen muss.
Seine Lebensgeschichte, die er ihr erzählt, finde ich traurig. Er wird an seine Genialität nicht ernsthaft geglaubt haben. Mit der Aussage, dass "in Russland die großen Talente ruiniert werden" hat er immerhin eine Ausrede gefunden. Die zufällige Bibelstelle aus der Offenbarung "Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde." traf gut zu und musste in erschrecken.
Seine Hoffnung, dass Russlands "böse Geister" in die Schweine fahren und ertrinken, erscheint angesichts der Ereignisse nicht berechtigt und bewahrheitete sich auch in der realen Geschichte nicht.
Also, ich fand Stepan in diesem Teil wirklich mitleidserregend. So völlig überfordert mit der richtigen Welt... aber das Warwara ihn am Ende beisteht und sogar richtiggehend eifersüchtig wird, fand ich sehr amüsant und fast schon ein bisschen romantisch. ;) Die französischen Passagen fand ich teilweise auch anstrengend, teilweise hab ich dann auch drüber hinweggelesen und mich mit den einzelnen Vokabeln, die mir was gesagt haben, zufrieden gegeben. In meiner Ausgabe sind die französischen Stellen im Anhang übersetzt (was ich unheimlich wichtig finde und was oft nicht gegeben ist), und ich fand das auch insofern nett, dass man immer schon wusste, in wieviel Seiten Stepan sehr wahrscheinlich wieder auftreten wird.
Stepans Deutung der "bösen Geister" fand ich bewegend, ohne es so richtig festmachen zu können... ein bisschen hat er mich auch an "Die Physiker" von Dürrenmatt erinnert - er reflektiert ja im Gegensatz zur "Jugend" seine Verantwortung wenigstens...
Ich fand ihn eigentlich eine sympathische Figur. Offensichtlich schwach, aber immerhin um Bedeutung ringend und trotz aller Weltfremdheit und Dämlichkeit doch mit einem gewissen Verantwortungsbewusstsein (auch wenn er dem wahrscheinlich nie auch nur ansatzweise in seinen Handlungen gerecht geworden ist).


(S. 915) bis ca. 2.12.