Radfahrer vs. Autofahrer: Was tatsächlich schief geht

Es ist mit einem Blog wie diesem ja nicht so einfach, sich Gehör zu verschaffen, deshalb tut man gut daran, die Überschriften so zu wählen, dass zumindest die Suchmaschinen darauf aufmerksam werden können. Nur deshalb habe ich als Titel für diesen Beitrag etwas nüchtern “Was zwischen Radfahrern und Autofahrern tatsächlich schief geht” geschrieben. Hätte ich so formuliert, wie ich es wirklich für angemessen halte, hätte er gelautet: “Carlson vom Dach vs. Salami mit Wurst – ein Lehrstück aus der ,Welt´.” Aber damit kann ja keine Suchmaschine etwas anfangen.


In der vergangenen Woche erschien ein kurzer, sachlich formulierter Artikel in der “Welt” über den Konflikt zwischen Autofahrern und Radfahrern. Es geht um unklare Revierfragen, Macht und rechtliche Grauzonen. Im Zentrum steht die Analyse des Verkehrspsychologen Jörg-Michael Sohn. Er wird vorgestellt als jemand, “der seit mehr als 25 Jahren Institutionen und Einzelpersonen zu Fragen des Verhaltens im Straßenverkehr berät”. Sohns These lautet kurz zusammengefasst: Was in der Beziehung Radfahrern und Autofahrern fehlt, ist der direkte Augenkontakt. Denn vor allem non-verbale Arten der Kommunikation haben das Potential, Konfliktsituationen zu entschärfen. Zwischen Fußgängern und Radfahrern ist das möglich. Bei Autofahrern steht dagegen die getönte Frontscheibe im Weg. Und deshalb entzünden sich so oft Streitereien auf unseren Straßen.


Es ist eine These, der ich nur bedingt zustimme. Mir scheint, dass für viele Radfahrer und Fußgänger der Vorteil einer fehlenden Frontscheibe vor allem darin besteht, den anderen direkter anpöbeln zu können. Aber es ist zumindest ein Gedanke, den man wie ein Segelboot auf seinen Kopfozean setzen kann, um zu sehen, welchen Weg es nimmt. Und wenn man das tut, geht man beim nächsten Mal vielleicht mit etwas mehr Gelassenheit auf die Straße. Doch wer so denkt, hat die Rechnung ohne die Leser der “Welt” gemacht. Man mache sich mal den Spaß und lese ein paar der insgesamt 53 Kommentare unter dem Artikel. Die meisten verhalten sich wie prügelnde Kinder auf dem Schulhof, die der Lehrer zu sich ruft und bittet, dem anderen doch mal für einen kurzen Augenblick zuhören. Und während er noch versucht zu erklären, dass es nie nur eine Seite gibt, die in einem Konflikt recht hat, tritt der eine dem anderen schon vors Schienbein, worauf der Getroffene die Faust auf der Nase des Gegenübers platziert – und sich der Lehrer resigniert im Bügel seiner Hornbrille verbeißt.


 


Eine Armada an Hornochsen


Anstatt über Sohns These zu diskutieren, rasen die… tja, wie soll man sie nennen, Diskutanten ist nicht der richtige Begriff, weil er von einem aufrichtigen Interesse an einer Diskussion ausgeht – rasen also die Hornochsen ungebremst aufeinander los. Den Standard für die folgenden Beiträge setzt gleich zu Beginn ein Leser namens carlson.vom.dach. Er schreibt: “Ist mir ein Raetsel das (sic!) es immer nur um Auto vs. Rad geht. Meiner Erfahrung nach sind Fussgaenger die schlimmsten Verkehrsteilnehmer.” Und dann folgen in seiner Hitliste der verachtungswürdigsten Kreaturen Radfahrer, die links fahren und Benutzer von Transporträdern – “die reinste Plage”.


Da wollen sich die anderen natürlich nicht lumpen lassen. Eine kurze Auswahl:


Realist schreibt: “Ich bin Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger, in jeder Gruppe gibt es Idioten, aber die schlimmsten sind für mich die Radfahrer. Fahren oder besser gesagt rasen auf dem Bürgersteig, klingeln und meinen der Fußgänger könnte ja auf der Straße weitergehen, verkehrtherum auf dem Radweg ohne Licht im Winter, bei Rot über die Ampel und und und.”


Der User mit einem der schönsten Namen, derer ich jemals gewahr werden durfte, er heißt “Salami mit Wurst”, notiert: “Das schlimme an den Radfahrer ist deren Willkür. Wenn sie irgendwo fahren wollen sie gleichberechtigt sein wie ein Auto, wollen alle Rechte haben, würden sich sogar zum Krüppel fahren lassen nur um ihr Recht durchzusetzen.

Aaaaber, sobald sie mal eine Pflicht einhalten sollen, zB. an einer roten Ampel zu halten, dann wollen die nichts mehr davon wissen. Die picken sich nur die Rosinen aus dem Kuchen, biegen sich die StVO wie es ihnen beliebt.”


Gema73 erwidert: “armer Autofahrer müssen an der roten Ampel wirklich bis zum bitteren Ende warten, bis es grün wird. Is ja auch gemein mit dem Nummernschild.”


Und natürlich darf der Beitrag von HeinBloed5259 nicht fehlen: “OK -…sofern die Radfahrer sich grundsätzlich finanziell (Steuer) am Erhalt der Straßen beteiligen…”


Nach Studium dieser Kommentare muss man sich nicht darüber wundern, dass es auf unseren Straßen so aggressiv, derb und rücksichtslos zugeht. Es ist einfach eine Armada an Hornochsen unterwegs. Man muss Sohns These deshalb wohl etwas modifizieren. Ein grundsätzliches Problem ist nicht die existierende Frontscheibe, sondern das fehlende Fronthirn. Nur wenige geben sich die Mühe, differenziert und gelassen zu argumentieren. Einer davon ist “Gesagte Sache”. Ihm gebührt deshalb der Schlussgedanke: “Die Diskussion ist überflüssig. Autofahrer die selber Fahrrad fahren sind fähig mit diesen im Straßenverkehr umzugehen, gleichzeitig gilt dies für Fahrradfahrer die nur beruflich z.B. Auto fahren. Problemfälle und ausschließliche Schlagzeilenproduzenten sind die ignoranten Hirnakrobaten von Auto- bzw. Fahrradfahrern, die ausschließlich nur ein Gefährt beherrschen und damit rücksichtslos und gefährdent im Straßenverkehr unterwegs sind.”


Genau in diesem Gedanken liegt wahrscheinlich die Lösung. Viele von uns sind ja nicht nur Radfahrer oder nur Autofahrer. Sie wechseln zwischen den Verkehrsarten hin und her. Und erst der Perspektivwechsel sorgt dafür, dass man sich mit mehr Verständnis und Rücksicht fortbewegt. Man müsste deshalb den ADAC und den ADFC von einer Art Patenprogramm überzeugen für diejenigen, die verkehrsmonogam leben. Jedem Autofahrer würde ein Radfahrer zugeteilt und beide müssten regelmäßig gemeinsam mit der Verkehrsform von einem der beiden auf die Straße. Dann erlebten sie mit eigenen Sinnen, warum sich der jeweils andere so oft ärgert. Wegen der Platzaufteilung zum Beispiel, der gefühlten Benachteiligung auf beiden Seiten oder dem miserablen Zustand vieler Verkehrswege.


Vielleicht entwickelten damit sogar die Leser der “Welt” eine gewisse Gelassenheit. Aber womöglich ist eine solche Hoffnung auch naiv. Wahrscheinlicher ist, dass “Carlson vom Dach” und “Salami mit Wurst” nach wenigen Minuten beginnen würden, sich zu vermöbeln.

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Published on July 09, 2013 02:26
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Kai Schächtele
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