Kinder-Kopftuchverbot – Reden wir dann tacheles über Kinderrechte und Religionsfreiheit!
Es lohnt sich immer, über den Tellerrand zu blicken. Frankreich hat 2004 ein Gesetz zum Schutz der Laizität verabschiedet, ein sehr französisches Konzept, das der Gleichheitsgrundsatz auf den Bereich der religiösen Überzeugungen ausweitet: Der Staat finanziert keine Religion und behandelt Gläubige, Atheisten und Agnostiker gleich. In diesem Zusammenhang ist das Gesetz von 2004 zu verstehen, das besagt: „In öffentlichen Schulen ist das Tragen von Zeichen oder Kleidung, durch die Schüler offen ihre Religionszugehörigkeit bekunden, verboten.“
Ein Zeichen der Islamophobie?
Dieses Gesetz war 2004 nachvollziehbar, da im Gegensatz zum Entwurf der Integrationsministerin Claudia Plakolm keine bestimmte Religion diskriminiert wurde. Erst viel später, mit dem Aufstieg der extremen Rechten und ganz allgemein der Islamophobie, wurde dieses Gesetz missbraucht und zum Schulbeginn 2023 vom kurzzeitigen Bildungsminister Gabriel Attal dazu genutzt, Abayas zu verbieten, diese langen Kleider aus dem Persischen Golf, die von jungen Gymnasiastinnen getragen werden.
In Österreich ist das Vorhaben der konservativen Ministerin eindeutig diskriminierend und hat daher kaum Aussicht, als verfassungskonform beurteilt zu werden. Wie kann man vernünftigerweise ein Kopftuch verbieten und gleichzeitig eine Kippa oder ein auffällig um den Hals getragenes Kreuz zulassen? Sollte man davon ausgehen, dass das Judentum eher zur Emanzipation der Frau beiträgt, obwohl religiöse Juden jeden Tag ihrem Gott dafür danken, dass er sie „nicht zu Frauen gemacht hat”? Und was ist mit den Katholiken, die sich im Laufe der Geschichte immer gegen die Emanzipation der Frau gestellt haben und sich noch immer weigern, Frauen zu ordinieren?
Und das Konkordat?
Die Heuchelei erreicht ihren Höhepunkt darin, dass niemand das Konkordat in Frage zu stellen scheint, das wie ein Elefant im Raum steht, den aber niemand sehen will! In allen Klassenzimmern hängt ein christliches Kreuz, und zusätzlich zum Religionsunterricht werden Messen abgehalten. Offiziell werden die Rechte des Kindes in den Vordergrund gestellt, aber wenn man sich tatsächlich um Fälle von Zwang bei sehr jungen Mädchen kümmern muss, die einen Schleier tragen, muss die Antwort vor allem sozialer und pädagogischer Natur sein. Was zeigt uns jedoch ein Film wie Favoriten (Ruth Beckermann, 2004)? Es ist ein Armutszeugnis im Bereich der sozialen Begleitung von Kindern: Es gibt zu wenig Unterricht in Deutsch als Fremdsprache, zu wenige Schulpsychologen und nicht einmal eine Vertretungslehrkraft für eine schwangere Lehrerin! Natürlich ist es billiger, das Kopftuch in der Schule zu verbieten, als in das schulische Umfeld zu investieren. Dennoch fasst man die Gedanken von Victor Hugo, dem Autor von Les Misérables, oft mit diesem Zitat zusammen: „Eine Schule, die öffnet, ist ein Gefängnis, das schließt.“
Vom der Kopftuch- zur Beschneidungsdebatte
Das Tragen eines Kopftuchs mit 12 Jahren hindert niemanden daran, mit 14 Jahren die Haare offen zu tragen. Wenn die Rechte der Kinder wirklich die Motivation der politischen Vertreter wären, müssten sie anfangen, die sexuelle Verstümmelung von Minderjährigen, darunter die Beschneidung (Entfernung der Vorhaut), die in muslimischen und jüdischen Kreisen weit verbreitet ist, in Frage zu stellen. Die Religionsfreiheit ist zwar von grundlegender Bedeutung, sie gilt jedoch für den Einzelnen und gibt ihm nicht das Recht, die Freiheit anderer Familienmitglieder einzuschränken, sei es durch das Verhängen eines Schleiers (was glücklicherweise reversibel ist) oder durch die Zufügung einer Verstümmelung (die irreversibel ist). Es sei daran erinnert, dass in Österreich Tätowierungen vor dem 16. Lebensjahr (Piercings vor dem 14. Lebensjahr) verboten sind. Warum also sollte eine Verstümmelung erlaubt sein, wenn das Kind nur wenige Tage alt ist? Die UN-Kinderrechtskonvention garantiert seit 1989 allen Kindern umfassende Rechte. Österreich hat diese 1992 ratifiziert und im Artikel 24 (Absatz 3) treffen die Vertragsstaaten alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen, „um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.“ Wenn wir über Kinderrechte und Religionsfreiheit reden, sollte es dann ohne Heuchelei und Tacheles sein.
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