Naheliegend (London #7)

Weit weg von zuhause, lässt sich Unantastbares berühren. Es war also naheliegend, dass ich ein Bild der Mutter mitnahm, eins vom Vater. Sie auf Pappe klebte. Diese im Laufe der Wochen, sozusagen, umschriftete. Mit Wörtern. Sätzen. Vielen, wunderbar stachligen eckigen Klammern, die Leere rahmten: für alles, woran ich mich zu erinnern weigere. Dass ich am letzten Morgen zum Meer lief. Mich auf die Düne setzte. Den rohen Himmel betrachtete. Die Pappe in fingernagelgroße Stücke zerriss. An der Wasserkante ein Loch grub: Mutterschnipsel hinein, Vaterschnipsel. Obenauf nassen Sand. Wieder auf die Düne kletterte. Zusah, wie die Flut kam. Wie sie ging. Wie der Strand glatt lag. Und naheliegend, was ich, zurückgekehrt, vorfand: die Mutter im Bad ersoffen, der Vater vom Balkon gestürzt. Ich hätte früher fahren sollen. Viel früher.



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Zuerst erschienen im >poet nr. 14
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Published on March 29, 2013 16:23
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