November 2013

Sonntag, 3. November 2013 – Neunuhrfünfzig, zehnkommnull. Sprühregen. Erst um halbfünf aufgewacht. Und diesmal nicht aus Furcht vor den Tigern von Elke Heidenreich.


Kein Schlamassel der Welt ist zu groß, als dass ihn unsere Journalisten nicht klein kauen würden. Während das Mobiltelefon der Kanzlerin und die Badewanne eines Bischofs seit Wochen die Herzen und Mäuler bewegen, wären die paar hundert ertrunkenen Flüchtlinge vor der Küste von Lampedusa schon fast wieder vergessen, hätte sich dieser Tage nicht der kleine schwarze Junge an den Rockzipfel des Papstes geklammert und damit den Medien die Chance geboten, das zehntausendfache Verbrechen an den europäischen Außengrenzen zu einem Rührstück zu verharmlosen. Wie gut, beim Aufräumen die zwei Wochen alte “Süddeutsche” zu finden und dort noch einmal das Gespräch mit der Kulturanthropologin Sabine Hess zu lesen. Auf die Frage “Würde es dem Wohlstand von Ländern also nicht schaden, wenn die Grenzen geöffnet würden?” antwortet sie: “Natürlich würde sich einiges ändern, aber was heißt schaden? Es ist historische Verdrängung zu glauben, wir könnten einen Wohlstand, der aus jahrhundertealter Ausbeutung entstanden ist, einfach für uns behalten. Wir können nicht glauben, dass sich nichts ändert, wenn wir die Grenzen öffnen. Aber wir können auch nicht glauben, dass wir ein System, das auf Raub basiert, über Jahrhunderte militärisch sichern können. Die Toten im Mittelmeer zeugen von einem alten Krieg, der gerade unerklärt weitergeführt wird. Vielleicht ist dieses System jetzt an eine Grenze gekommen.”

Angenehm, jemanden so unumwunden sprechen zu hören. Wie selten das geworden ist.


Noch ein paar Trouvaillen:


In einem Brief vom 10. März 2009 an die Bischöfe der Katholischen Kirche sprach Papst Benedikt von einer “sprungbereiten Feindseligkeit”, die auch Katholiken gegen ihn hegten. Wenn schon sonst nichts, diese genaue Formulierung wird bleiben von ihm: “sprungbereite Feindseligkeit”.


Wenn die Franzosen sagen wollen, dass alles andere ein frommer Wunsch sei, sagen sie: “Le reste est littérature”.


Auf die bange Frage, was wohl kommen wird, antwortet Saramago mit einem wahrhaft lässigen Satz: “Danach, alter Freund, wie immer, die Zukunft.”


In ihrer Besprechung von Castorfs Münchner Céline-Abend gelingt der Theaterkritikerin Christine Dössel das hier: “Überhaupt haben hier alle Frauen ganz große Schlampenwürde.” Es gibt Worte, die man gerne selbst erfunden hätte. Neid.


Lektüre – Simenon: “Mon ami Maigret”; Hauschild/Werner: “Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst. Heinrich Heine. Eine Biografie”; Jutta Ditfurth: “Der Baron, die Juden und die Nazis. Reise in eine Familiengeschichte”.


Zwölfter Todestag des großen Ernst Gombrich.

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Published on November 03, 2013 01:43
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Jan Seghers
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