43. Kapitel – Zwei Geständnisse
Glenna drehte
das Glas vor ihren Augen und ließ die gold-braune Flüssigkeit darin hin und her
schwappen. Der Duft nach Torf und Rauch drang in ihre Nase und sie inhalierte
ihn tief.
›Willst du ihn nur ansehen oder auch davon
trinken?‹, fragte Jamie amüsiert von ihrem unbedeckten Dekolletee aus.
Sie seufzte
schwer.
»Gewisse
Dinge brauchen Zeit, Jamie.«
›Das ist ein 25-jähriger
Laphroaig. Der hatte Zeit.‹
Sie
schmunzelte und trank dann genüsslich einen kleinen Schluck.
›Wie fühlst
du dich?‹
Sie ließ sich
Zeit mit Antworten.
Sie blickte auf
das Poster an der Tür, die vollen Rundungen, die straffe Haut aber im Gegensatz
zu vor einigen Tagen stimmte es sie nicht mehr gleich nostalgisch.
»Erleichtert«,
antwortete sie schließlich. »Es ist alles gut gegangen.«
›Aidan lebt
und Janet ist glücklich hier in der Menschenwelt‹, bestätigte Jamie.
Es klang
nicht so, als hätte er damit abgeschlossen.
»Was ist?«
›Nichts.‹
»Spuck es
aus.«
Der warme
Fleck bewegte sich etwas, blieb ab er auf ihrer Brust sitzen.
›Du wirkst
zufrieden, Bonnie.‹
Sie lachte.
»Natürlich bin ich zufrieden. Du hast gerade selbst gesagt warum.«
›Das meinte
ich nicht. Du wirkst zufrieden mit dir selbst.‹
»Hm«, machte sie
und dachte über die Aussage nach.
Ihr war klar,
worauf er hinaus wollte. In erster Linie war sie einfach nur froh, dass Janet
und Aidan in Sicherheit waren. Aber sie musste eingestehen, dass sie sich
selber auch besser fühlte als noch vor einigen Tagen. Sie mochte müde sein und
sich gerade nichts Besseres vorstellen können, als nur hier zu sitzen und ihren
Whisky zu genießen. Aber sie fühlte sich nicht mehr so innerlich ausgelaugt und
leer. Die letzten Tage hatten ihr aufgezeigt, dass doch noch ein bisschen
Energie in ihr steckte und dass sie das auch mobilisieren konnte, wenn es sein
musste.
»Vielleicht«,
sagte sie langsam und nahm einen weiteren Schluck. »Vielleicht mache ich es
noch einen Moment.«
›Denkst du?‹
Er wirkte
nicht amüsiert oder besserwisserisch, sondern ehrlich erleichtert.
Sie zuckte
mit den Schultern.
»Ich bin alt,
daran gibt es nichts zu rütteln.« Sie legte die flache Hand auf ihren
Brustkorb, auch wenn sie ihn so nicht wirklich verstummen lassen konnte. »Das
ist keine Ansichtssache, das ist die Wahrheit. Aber wenn nicht einmal der Púca
weiß, wann ich sterben werde, hat es nicht viel Sinn, darüber zu sinnieren.«
›Also machst du weiter, wie bisher?‹
Sie atmete
den torfigen Duft ein.
»Ich weiß es
nicht.«
Sie fuhr mit
der Hand über die abgewetzte Armlehne ihres Sessels. Das B&B würde sich
nicht von alleine führen. Andererseits konnte sie sich schlecht vorstellen, wie
es ohne Dorothy hier wäre. Es blieb dabei, dass das Stewart-Haus ohne eine
Stewart sich anders anfühle. Falsch.
Und dann war
da noch Janet.
Glenna hatte
es geschafft, ihr bisher aus dem Weg zu gehen und Janet hatte sie nicht
aufgesucht. Aber Glenna freute sich nicht auf die nächste Begegnung. Janet
hatte Fragen. Und Fragen zur Anderswelt waren gefährlich für alle Beteiligten.
Sie dachte
daran zurück, wie oft sie Létoile und Gabriel belogen hatte während ihrer Zeit
in Paris und später. Wie sehr sie sich danach gesehnt hatte, ihr Geheimnis mit
den beiden Menschen zu teilen, die sie geliebt hatte.
Aber es war
die erste der drei Regeln. Kein Sterblicher durfte von ihren Fähigkeiten
erfahren.
»Ich gebe zu,
Jamie, es gab Zeiten, in denen ich verfluchte, diese Fähigkeiten zu haben«,
sagte sie langsam.
›Tatsächlich?‹
»Ich habe den
Púca dafür gehasst, dass er mir das Angebot gemacht hat. Und ich habe mich dafür
gehasst, dass ich angenommen habe.« Sie schob das Bild von Létoiles
überraschter Miene von sich und seufzte. »Aber eigentlich bin ich selber
schuld, weißt du. Ich habe es mir selber zuzuschreiben.«
›Wie meinst
du das?‹
Glenna nahm
einen Schluck und ließ das den Whisky durch ihre Kehle rinnen. Sie lehnte sich
zurück und blickte wieder das Poster an.
»Ich habe dir
die Geschichte von dieser Nacht noch nie richtig erzählt«, sagte sie und fragte
sich aber im gleichen Moment, ob sie wirklich so weit gehen wollte.
Jetzt hatte
sie damit angefangen, ein Zurück wäre nicht fair. Und irgendwie hatte sie das
Gefühl, dass sie es Jamie schuldig war. Ohne seine Hilfe würde sie sich
womöglich nach wie vor in Selbstmitleid suhlen, während ihr die Krähe die Augen
auskratzte.
›Hast du
nicht‹, bestätigte Jamie ohne Wertung.
»Es war nicht
ganz so, wie ich immer gesagt habe. Der Púca ist mir nicht eines Nachts in
London erschienen und hat mir aus dem Nichts das Angebot gemacht.«
›Sondern?‹
»Er lebte in
dem Theater, in welchem ich damals getanzt habe und ich habe ihn eines Tages
entdeckt. Irgendwie wurden wir Freunde. Ich kannte nicht viele Leute in London
zu der Zeit und war glücklich, jemanden zu haben, der zuhörte.«
Im Nachhinein
hörte sich diese Geschichte völlig absurd an, viel zu sehr nach dem Phantom der
Oper. Es war die erste Erinnerung, die sie in ihren Tagebüchern festgehalten
hatte, aber sie hatte sie nie gelesen. Zum einen, weil sie sie nach wie vor
völlig klar vor sich hatte, zum andern aus Angst, dass Jamie oder sonst jemand
mitlas. Sie hatte die Geschichte mit niemandem teilen wollen. Zu persönlich
schien sie ihr. Zu intim.
»Ich habe ihn
dazu gedrängt, mir diese Fähigkeiten zu geben. Ich wollte so sehr ein Star
werden. Er wollte nicht darauf eingehen, aber ich habe so lange auf ihn
eingeredet, bis er nachgegeben hat.«
Jamie schwieg
und es wurde Glenna beinahe unangenehm, da sie nicht wusste, ob das seine
Meinung von ihr verändern würde.
»Ich habe mir
das ganze also selber eingebrockt. Vermutlich wusste er, dass so was mit Kosten
verbunden war und zögerte deshalb. Meinetwegen.«
Nun seufzte
Jamie theatralisch.
›Gegen die Liebe ist nun mal niemand gefeit.
Auch kein Wesen der Anderswelt.‹
Glenna nickte
zuerst, dann runzelte sie die Stirn.
»Ich habe
nichts von Liebe gesagt«, sagte sie und lehnte sich leicht nach vorn.
Jamie schwieg
und Glenna spürte, wie sich das Tattoo in Bewegung setzte. Sie senkte den Blick
und sah, wie sich der Drache unruhig um sich selber wand.
»Jamie?«,
fragte sie verwirrt.
›Das war
naheliegend bei der Geschichte.‹
Glenna suchte
sein Gesicht, aber die Bewegungen ließen sie schwindeln und sie blickte wieder
geradeaus.
»Was war
naheliegend? Wovon sprichst du?«
Wieder
schwieg er und die Erkenntnis traf Glenna wie ein Schlag ins Gesicht.
Das Glas
rutschte aus ihren Fingern und sie konnte es nur knapp auffangen, bevor es auf
dem Boden zerschellte. Der Whisky schwappte über und benetzte ihre Hand.
Glenna
fluchte, hielt sich aber nicht damit auf, sondern strich sich die Finger an
ihrem Rock ab.
»Jamie, woher
weißt du das?«
Schweigen.
»Jamie, woher
weißt du, dass der Púca mich liebte?«
Ihre Stimme
zitterte und ihr ganzer Körper bebte vor Anspannung.
Nach einigen
schmerzhaft langen Sekunden erklang ein ergebener Seufzer von ihrer Brust.
›Ich habe dir
auch nicht immer alles gesagt, Bonnie‹, gestand er.
»Woher weißt
du von dieser Nacht, Jamie?«, fragte sie gepresst.
›Darauf bist
du bereits selber gekommen.‹
Vorschau auf das Kapitel „Gute Gesundheit“ von nächster Woche:
»Weil es gut gelegen kam. Ein Mönch, der einem Tattoo eine Seele einhaucht? Wie konnte ich da wiederstehen?«,
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